Über die Möglichkeit eines informationsethischen Diskurses über

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Über die Möglichkeit eines informationsethischen Diskurses über geistiges Eigentum in
der Informationsgesellschaft und der Chancen der Umsetzung seiner Argumente in
politisch-rechtliche Kodifizierungen
(http://www.inf-wiss.uni-konstanz.de/People/RK/Publikationen2002/position-rk-einleitung150402.pdf)
Position Rainer Kuhlen für den Eingangsdialog „Geistiges Eigentum in der
Informationsgesellschaft“ (im Zusammenhang mit der von Thomas Hoeren vertretenen
Position) im Rahmen der Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung
Digitales Urheberrecht – Zwischen „Information Sharing“ und “Information Control”
Spielräume für das öffentliche Interesse an Wissen?
Berlin, 26. April 2002
Die Diskussion um geistiges Eigentum in der Wissensgesellschaft bzw. bezüglich der Regelung
von Urheber-/Copyright-Ansprüchen wird international seit 1996 durch die WIPO-Vorgaben
(Copyright Treaty) und das Digital Millennium Copyright Act in den USA und aktuell in
Deutschland durch die Notwendigkeit der Anpassung des hiesigen Urheberrechts an die
Vorgabe der EU-Richtlinie 2001/29/EG bestimmt. Diese Diskussion wird in erster Linie mit
ökonomischen/informationswirtschaftlichen,
politischen,
zunehmend
auch
(informations)technischen und wissenschaftlichen bzw. wissenschaftspolitischen und nicht
zuletzt auch mit netznutzerorientierten Argumenten geführt, die die jeweiligen Interessen,
eindeutig, oft aber auch moralisch überhöhend, widerspiegeln. All diese Argumente müssen in
juristische Kodifizierungen eingehen.
Es ist offensichtlich, dass es bei den unterschiedlichen Argumentationssträngen und (offenen
und verdeckten) Interessenbekundungen zu Widersprüchen kommen muss, die dann
gewöhnlich über „Macht“ entschieden werden, in der Regel über Kompromisse. Die
getroffenen Entscheidungen werden aber dauerhaft nur dann Aussicht auf Akzeptanz finden,
wenn sie nicht im Widerspruch zu dem allgemeinen moralischen Empfinden stehen und einem
informationsethisch geführten Diskurs standhalten können. Der ethische Diskurs produziert
keine normativen Handlungsanweisungen oder neue Wertesysteme bzw. neue
Moralvorstellungen, sondern reflektiert die von den verschiedenen Interessenvertretern als
moralisch begründet (und in der Regel auch gesetzeskonform) empfundenen Normen und
Gepflogenheiten. Der Diskurs versucht, diese daraufhin „abzuklopfen“, inwieweit sie,
sicherlich unter Berücksichtigung, aber nicht bedingungsloser Anerkennung der
zugrundeliegenden Interessen, mit einer ethischen Verallgemeinerung kompatibel sind. Der
Diskurs selber kann sich zwar interessenfrei verstehen, wird aber die existierenden und
möglichen rechtlichen Rahmenbedingungen im Blick haben müssen. Ethik ohne Recht ist wie
ein Fundament ohne Haus – sicher, aber nicht verwendbar. Nicht zuletzt soll der
informationsethische Diskurs überprüfen helfen, ob gegenwärtige rechtliche Positionen oder
Rechtsentwürfe sich nicht nur an alten medialen Kontexten orientieren (hier der analogen
Publikationswelt), sondern auch im Einklang mit den neuen medialen, die Zukunft von Wissen
und Information bestimmenden Potenzialen der digitalen Räume stehen. Zu diesen gehören:
Wissens-/Informationsaustausch/-nutzung ohne Verlust für den Anbieter; Information Sharing
als Gewinn aller bzw. als Win-Win-Situation für Produzenten, Mittler, Verwerter und Nutzer
gleichermaßen; Direktpublikation und Distribution bei Rückbau alter, überflüssig gewordener
Mittlerstrukturen; Ablösung singulärer, individuumsbezogener „Werke“ zugunsten
dynamischer, virtueller, kooperativ erstellter und genutzter Wissensnetze; umfassende
Transparenz und informationelle Symmetrie bei der Erstellung und der Darstellung von
Informationsprodukten; Flexibilisierung und Adaptivität bei der Informationsnutzung
(Information nach Bedarf bzw. individuellem Wunsch), ...
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Spielen wir einige Argumente zur Interessenwahrnehmung durch (wobei es uns mehr um die
Tendenz als um Vollständigkeit geht).
Typisches ökonomisches, informationswirtschaftliches Argument: In die Erstellung von
Informationsprodukten würde nicht mehr investiert, wenn nicht geistiges Eigentum und der
daraus abgeleitete Verwertungsschutz gesellschaftlich-politisch anerkannt und entsprechend
juristisch und technisch abgesichert ist. Interesse: mit aus Wissen aufgebauten
Informationsprodukten Märkte erschließen, auf denen hohe Umsätze und Gewinne erzielt
werden können.
Typisches politisches Argument: Alle Vorgänge im Umfeld von Wissen und Information, der
Produktion und der Nutzung von geistigem Eigentum haben derart weitgehende Konsequenzen
für alle Bereiche der Gesellschaft, dass der Staat seine regulierende bzw. moderierendkoordinierende Aufgabe unbedingt wahrnehmen muss, ohne dabei in wohlfahrtsstaatliche
Fürsorgepolitik, aber auch nicht in neo-liberale Laisser-faire-Politik zurückzufallen. Interesse:
Rahmenbedingungen für Informationsmärkte schaffen, die auch in internationaler Perspektive
konkurrenzfähig sind und einen gewichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Reichtum
schaffen. Für die verschiedenen an Produktion und Nutzung von Wissen und Information
beteiligten Gruppen einen konsensfähigen Interessenausgleich schaffen, damit gravierende
soziale Konflikte („Informationskriege“) vermieden werden können.
Typisches informationstechnisches Argument: Die bisherigen, im analogen Medium
akzeptierten Schranken bei der Verwertung von Urheberrechtsansprüchen sind im digitalen
Medium durch den möglichen Einsatz von Techniken des Digital Rights Management (DRM)
nicht mehr sinnvoll. Eine vollständige Kontrolle ist machbar und im Sinne der Durchsetzung
der Ansprüche auf geistiges Eigentum bzw. dessen Verwertung einerseits und der
Durchsetzung von Nutzerinteressen nach dem Prinzip „Pricing for information“ andererseits
auch sinnvoll. Interesse: Erschließung großer, neuer Softwaremärkte, Sicherung der eigenen
Ansprüche aus Software-/Informationsprodukten.
Typisches wissenschaftliches, wissenschaftspolitisches Argument: Wissenschaftlicher
Fortschritt setzt immer auf dem Wissen der Vergangenheit und Gegenwart auf. Dieser
Fortschritt ist in Gefahr, wenn nicht Regelungen getroffen werden, die einen freien (freizügigen
und zu fairen, konsensfähigen Nutzungsbedingungen möglichen) Austausch von Wissen und
Information garantieren, sei es direkt von Seiten der Wissenschaft oder sei es vermittelt über
entsprechende Mittler-Institutionen wie Bibliotheken. Weiter ist wissenschaftlicher Fortschritt
gefährdet, wenn die Wissensproduzierenden den Anspruch auf ihr geistiges Eigentum nicht
erfolgreich reklamieren bzw. ihre Reputationserwartung durch Referenzierung auf ihre
„Werke“ nicht durchsetzen können. Interesse: Wahren von uneingeschränkter
Wissenschaftsfreiheit als Bedingung für wissenschaftlichen Fortschritt; Zugriffs- und
Finanzierungsgarantien von Seiten der Politik, wenn aus kommerziellem Interesse eine Nulloder Niedrigpreispolitik für den wissenschaftlichen Zugriff nicht durchsetzbar ist. Sicherung
von individueller Karriere und Anerkennung durch Sicherung des geistigen Eigentums.
Typisches netznutzerorientiertes Argument aus den allgemeinen Publikumsmärkten: In
der Vergangenheit, im analogen Wissensumfeld, gingen einmal gekaufte Informationsprodukte
in den eigenen Besitz über, man konnte also über die weitere Nutzung selber bestimmen warum soll das im digitalen Medium anders sein, wo es doch der Anspruch der
Informationsgesellschaft ist, große Freizügigkeit beim Umgang mit Wissen und Information zu
gewähren? Und warum sollen nicht weiter Mittlerdiensten, wie die von Bibliotheken, bei
weitestgehender Großzügigkeit in Anspruch genommen werden können, wenn die
entsprechenden Wissensobjekte nicht selber erworben werden? Interesse: Erwerb von
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benötigten oder gewünschten „Wissensstücken“ (nicht von nicht-nachgefragten größeren
Werken) zu fairen transparenten Bedingungen (Prinzip des „Pricing for information“). Erstellen
von Privatkopien auch von digitalen Produkten zum eigenen Gebrauch; Rückgriff auf
leistungsfähige öffentliche Mittlerstrukturen.
Typische moralische (oft ideologisierende) Argumente sind: Aus der Wirtschaft: Mit dem
Anspruch auf Eigentum, auch auf geistiges Eigentum, steht und fällt jedes wirtschaftliches
Handeln und damit auch die Grundlage für unsere (zumindest westliche) Kultur und für jede in
der Gegenwart denkbare Gesellschaftsform. Verstöße dagegen können nur als Piraterie
gebrandmarkt werden. Nur wenn der Markt die Ansprüche aus Wissen und Information selber
regelt, kann damit der gesellschaftliche Reichtum zum Nutzen aller erwirtschaftet und
Informationsprodukte zu solch niedrigen Preisen angeboten werden, dass sie für jedermann
erschwinglich sind. Aus der Politik: Der Staat/die Politik muss regulierend eingreifen, damit
das Prinzip von demokratischer Chancengleichheit über Informationskompetenz und
Informationszugriff für jedermann anvisiert und erreicht werden kann. Aus der Technik:
Technische, individualisierte Kontrollverfahren (DRM) zur Sicherung von Urheber- und
Verwertungsansprüchen sind allemal sicherer und objektiver (und damit gerechter) als
pauschalierende Abgaben über die informationstechnischen Geräte. Aus der Wissenschaft:
Neues Wissen kann nur unabhängig von wirtschaftlichen Nutzungsrestriktionen auf
bestehendes Wissen entstehen, entsprechend nur auf der Grundlage vollkommener
Freizügigkeit beim Umgang mit Wissen und Information. Der Staat/die Politik muss
entsprechende Vorkehrungen treffen, notfalls auch gegen kommerzielle Verwertungsinteressen,
damit der wissenschaftliche Zugriff, direkt oder über entsprechende Mittler (Bibliotheken z.B.),
frei bleibt. Aus der Sicht von Netznutzern: Der gesamte Komplex von Urheber- und
Verwertungsansprüchen ist nicht mehr mit der freizügigen Nutzung von Information in
Einklang zu bringen, wie sie im Internet möglich und faktisch bislang gegeben ist. Freier
Informationsaustausch ist ein Grundrecht, das, sogar gegen bestehende gesetzliche Regelungen
durchzusetzen, Teil der Zivilcourage in der Informationsgesellschaft ist.
Informationsethische Zielsetzung: Der Bedarf nach ethischer Reflexion entsteht, wenn
divergierende Interessen aufeinander stoßen, deren Rechte sich mit einigen Gründen auf breit
anerkannte, durchaus auch moralisch begründete Prinzipien und Gepflogenheiten abzustützen
versuchen. Der informationsethische Diskurs kann dazu beitragen, a) die Interessenlagen der
beteiligten Gruppen offenzulegen; b) Prinzipien aufzuzeigen, mit denen die disparaten
Interessen begründet werden können; c) Widersprüche zwischen den Interessen und den
Begründungsanstrengungen offenzulegen; d) langfristige Nebenfolgen für gegenwärtige
Handlungen aufdecken; e) Prinzipien aufzuzeigen, nach denen diese Widersprüche aufgelöst
werden könnten.
Hinweise auf einen möglichen informationsethischer Diskus: (i) Eine Analyse der
juristischen Regelungsansätze (WIPO, DMCA; EU, D-Entwurf zeigt deutlich die Spannung,
die zwischen den beiden unterschiedlichen Rechtstraditionen des Urheberrechts und des
Copyright besteht und die in den europäischen Entwürfen derzeit zusammen“gepresst“ werden.
Dabei hat die Berufung auf Begriffe wie Urheber, Schöpfer, geistiges Eigentum, Werk etc,
durchaus ideologische Funktion. Faktisch wird den Rechten der Urheber selber nur
unzureichend Rechnung getragen, sondern eher auf die Kontroll- und Verwertungsinteressen
abgehoben. (ii) Unabhängig davon wird bei der Betonung von Urheber und geistigem
Eigentum (noch) nicht problematisiert, inwieweit heute noch die private Zuordnung von
Verwertungsansprüchen aufrechterhalten werden kann. Das Konzept des geistigen Eigentums
war immer schon problematisch, da neues Wissen immer umfänglich an bestehendes
öffentliches Wissen anknüpft. Es wird aber heute angesichts der fortschreitenden
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Hypertextifizierung (Atomisierung von Wissenseinheiten mit hochgradiger Vernetzung)
besonders fragwürdig. Die Konsequenzen des medialen Wandels kann auch unter
informationsethischen Gesichtspunkten nicht ignoriert werden. (iii) Den veränderten medialen
Rahmenbedingungen (Stichwort „Telemediatisierung“) wird weiterhin überwiegend einseitig
Rechnung getragen, insofern mit technischen Maßnahmen in erster Linie den erwarteten
größeren Missbrauchmöglichkeiten (leichteres digitales Kopieren ohne Qualitätsverlust)
begegnet werden soll, anstatt diese Techniken auch konstruktiv zugunsten eines User Rights
Management umzudeuten und entsprechende Entwicklungen anzuregen. (iv) Den Bürgern in
der Informationsgesellschaft wird durch die gesetzlichen Vorgaben gewissermaßen eine
allgemeine Dieb- und Piraterie-Mentalität unterstellt, die es zu kontrollieren und einzugrenzen
gilt, anstatt auf ein neues autonomes aufgeklärtes Normverhalten der Netzbürger zu setzen.
Diese akzeptieren mehrheitlich und zu Recht ungerechtfertigte Gewinnansprüche bei sinkenden
Transaktionskosten für Produktion und Distribution digitaler Wissensprodukte nicht. Man kann
auf Dauer keine gesetzlichen Regelungen gegen ein neues normatives Bewusstsein
durchsetzen. (v) Der in vielen internationalen Deklarationen, Konventionen (UN, UNESCO,
Europarat, G8, Eu-Charta, D-Grundgesetz, etc.) formulierte und die materiale Basis einer
Informationsethik in elektronischen Räumen ausmachende Anspruch auf freien (freizügigen, zu
fairen Bedingungen möglichen), die digitale Spaltung überwindenden Zugriff (access) wird
nicht als Ausgangspunkt einer juristischen Abwägung genommen – einer Abwägung zwischen
individuellen, privaten Nutzungsansprüchen aus Wissen und Information einerseits und dem
öffentlichen Interesse an der Wissensweiterentwicklung und der Nutzung von Wissen durch
jeden zu fairen Bedingungen andererseits. (vi) Es liegt den gegenwärtigen juristischen
Entwürfen keine klare Positionierung der Wertehierarchie zugunsten von Informations- und
Zugriffsfreiheit zugrunde bzw. es wird nicht nachvollziehbar gemacht, warum bzw. aus
welchen verdecken gesellschaftlichen Gesamtgewinnerwartungen der Gesetzgeber so eindeutig
die kommerzielle Verwertung von Wissen und Information favorisiert. (vii) Die Nebenfolgen
einer weitgehenden Kommerzialisierung und damit einhergehenden künstlichen Verknappung
von Wissen und Information werden kaum bedacht.
Insgesamt kann man erkennen, dass in den gegenwärtigen Entwürfen zur Neuformulierung
bzw. Anpassung des Urheberrechts informationsökologische Prinzipien der Nachhaltigkeit,
aber auch das (u.a. utilitaristisch begründete) Postulat des größtmöglichen
gesamtgesellschaftlichen Nutzens und erst recht deontisch normative begründete Prinzipien
wie Informationsgleichheit, Zugriffsfreiheit, Partizipation am öffentlichen Geschehen nur sehr
unzureichend berücksichtigt sind.
Konsequenz: Der (hier unvollständig ausgeführte) informationsethische Diskurs kann eher
Aporien und Widersprüche als Lösungen aufzeigen. Sind diese aber gewichtig genug, ist
derzeit eher ein allgemeines Moratorium angebracht als eine unausgewogene Festschreibung
durch Gesetze (vgl. partiell das Schicksal des IuKDG). In dieser Frist können alternative
Lösungswege ausprobiert und empirisch bewertet und ein breiterer öffentlicher Diskurs geführt
werden. Auch die Fristvorgaben durch die EU sollen bei entsprechender Begründung kein
Hindernis sein.
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