Denkmal erzählt Geschichte - Architekturbüro Manderscheid

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Schwerpunkt Bauen & Sanieren im Bestand
Über 500 Jahre altes Fachwerkgebäude saniert
Denkmal erzählt Geschichte
Bei der Sanierung des Bezirksrathauses Bad Cannstatt galt es, denkmalgerecht zu detaillieren.
Die Dämmung der Fassade, die neuen und aufgearbeiteten Fenster, die Heizung und das Dichtigkeitskonzept sind kein Standard. Die speziell entwickelten Lösungen lassen ein hochwertiges Gebäude neu entstehen.
Fotos: Christian Kandzia
Das Bad Cannstatter Bezirksrathaus wurde in den 1490er Jahren erbaut. Nach
dem Ergebnis der Bauforschung wurde
es vermutlich als Kornhaus und Marktgebäude genutzt. Im Stadtkreis Stuttgart
ist es das mit Abstand größte erhaltene
spätgotische Fachwerkgebäude. Seine
klare Grundriss- und Fassadengestaltung
als Speicher wurde damals auf hohem
Niveau geplant und handwerklich-konstruktiv umgesetzt. In über 500 Jahren Nutzung wurde es mehrfach grundlegend
umgebaut und saniert, auch um gravierende Setzungsschäden auszugleichen.
Seine südöstliche Ecke liegt über einer
Doline (Karsthöhle) und ist um zirka 80
Zentimeter (cm) abgesunken. Seit 1966
ist es ein Kulturdenkmal von besonderer
Bedeutung.
Nach seiner umfassenden Sanierung ist das spätgotische Fachwerkgebäude wieder modern.
Altbauerfahrener Energieberater
Über 500 Jahre alt ist das Bad Cannstatter Berzirkshaus.
Für die Planung der Sanierung wurde
das Stuttgarter Architekturbüro Manderscheid Partnerschaft beauftragt.
Christoph Manderscheid ist nicht nur
altbauerfahrener Architekt sondern auch
Energieberater. Sein Büro erfüllte die Belange des Denkmalschutzes auf ebenso
hohem Niveau, wie die der Bauherren.
Trotz der hohen Denkmalschutzauflagen
konnte er den Energieverbrauch halbieren. Der Primärenergiebedarf wurde um
fast 50 Prozent vermindert und beträgt
heute 183 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (kWh/m²a) inklusive der
Beleuchtung. Die Energieeinsparverordnung (EnEV) 2007-Altbau ist damit eingehalten, eine Befreiung war nicht nötig.
Nach sechs Jahren Planungs- und Bauzeit
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ist ein modernes Denkmal entstanden
mit neuen Bauteilen wie ein Eingang
von Osten, eine Infotheke, ein Fahrstuhl
und ein Treppenhaus. Sein Fundament
wurde aufwendig verstärkt, Brand- und
Schallschutz nachgebessert und neue
Büroflächen im ersten Dachgeschoss geschaffen. Es ist nutzerfreundlich und von
hohem ästhetischen Wert, nicht zuletzt
durch angenehme Materialien und handwerkliche Oberflächen.
Bessere Dämmung
Die Dämmungen wurden denkmalverträglich ausgearbeitet. Die Bodenplatte
wurde gedämmt, auf die Decke zum oberen, unbeheizten Dachraum wurde eine
Dämmung aufgelegt. Das ausgebaute
erste Dachgeschoss erhielt eine Zwischensparrendämmung, die Außenwände einen außen liegenden Dämmputz.
Zur Verbesserung des Wärmeschutzes
und zum Schutz des Holzfachwerks erhielten diese zirka 7 cm Putz aus KalkZement mit Perlit als Leichtzuschlag. Der
abschließende Deckputz ist aus reinem
Kalk, ungestrichen. Damit bleibt die altbautypische Lebendigkeit der Fassade
erhalten. Eine Herausforderung war, das
neue Treppenhaus aus Leichtbeton mit
dem gleichen reinen Kalk-Deckputz zu
versehen. Als Wärmedämmung wurden
deshalb zementgebundene Holzfaserplatten mit einem Kern aus Mineralwolle
verwendet (Tektalan Heraklith 040). Für
Die neuen Lamellendachfenster auf der
Südseite erhielten eine Sonnenschutzfolie.
Das neue Treppenhaus ist anders konstruiert und gedämmt als der übrige Bau – ablesbar
an der abgestuften Dämmung und den abstrahierten Läden aus Streckmetall.
diese gibt es eine Verarbeitungsnorm
(DIN 1102), so dass nicht nach Systemzulassung gearbeitet werden muss. Sie
wurden an die schrägen Bestandswände angepasst in Stärken von 5 – 20 cm
(mehrlagig) aufgedübelt.
Im Sockelbereich war eine schwierige
Wärmebrücke zu entschärfen. Die Außenwand ist sehr dick. Da auf der Bodenplatte gedämmt worden war, war
die Kehle zwischen Boden und Wand
kaum tauwasserfrei nach Norm zu bekommen. Der Bauherr wollte dort 11
Grad trotz der verwendeten Kalkmaterialien nicht akzeptieren. Deshalb wurde
diese Wärmebrücke mit den Zuleitungen der Heizkörper beheizt.
Neue Heizung
Im Technikraum des Dachgeschosses
wurde eine Gasbrennwerttherme zur
Wärmeversorgung der Heizung eingebaut. Aufgrund ihrer Leistung bis maximal 60 Kilowattstunden (kWh) bleibt
der Technikraum nur ein „Aufstellraum
für Feuerstätten“, ohne weitergehende
brandschutztechnische Anforderungen.
Zur Wärmeverteilung wurden in den
meisten Fällen neue Gliederheizkörper
unter den Fenstern sowie im Dachge-
Im neu ausgebauten ersten Dachgeschoss heizen Konvektoren unter den Dachfenstern.
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Schwerpunkt Bauen & Sanieren im Bestand
schoss Konvektoren unter den Dachfenstern eingebaut. Eine Einzelraumregelung
koppelt die raumweise steuerbare Heizung mit den Fenstern. Das heißt bei Öffnen des Fensters zum Lüften werden die
im Raum befindlichen Thermostatventile
geschlossen. Damit bleibt die individuelle Fensterlüftung möglich, unnötige
Wärmeverluste werden jedoch vermindert. Dieser Zusammenhang wurde den
Bauherren erläutert und in einer Beschreibung festgehalten. Strahlungsheizkörper unter der Infotheke verbessern
die Aufenthaltsqualität dieser offenen
Arbeitsplätze in der kalten Jahreszeit. Die
öffentliche Toilette erhielt eine Fußbodenheizung.
Lüftungskonzept
Die Arbeitsplätze an der Infotheke erhielten eine Flächenheizung.
Herausforderung Luftdichtheit
Die Fenster wurden abgedichtet, der
Außenputz stellt nicht nur den Schlagregenschutz sondern auch die Winddichtigkeit des Gebäudes her. Durch
diese verbesserte Abdichtung steigt
der Dampfdruck in dem Denkmal. Undichtigkeiten könnten nun den Holzbau
empfindlich schädigen. Deshalb wurde
mitunter für das Denkmalamt unüblich
detailliert. Eine Herausforderung waren
etwa geschnitzte Balkenköpfe aus dem
Foto: Christoph Manderscheid
Die Dachfenster lassen sich automatisch
Öffnen. Dadurch ist eine Nachtlüftung im
Dachgeschoss möglich. Eine intensivere
Nachtkühlung ist aufgrund der wenigen
Speichermasse nicht möglich. Kontrolliert durch Wind- und Regensensoren
werden die Lamellenfenster geöffnet.
Die kühle Luft wird durch ein Verbindungsrohr über den Mittelflur hinweg
mit einem Lüfter von der Süd- auf die
Nordseite transportiert. So ist die Luft
morgens deutlich erfrischt. Im Sommer
sind hier höhere Temperaturen als in den
darunterliegenden Geschossen dennoch
unvermeidbar.
Für eine hohe Dichtigkeit wurden die historischen Balken mit den geschnitzten Köpfen
abgetrennt, die Dampfbremse innen durchgezogen und die Köpfe wieder aufgesetzt.
19. Jahrhundert. Sie tauchten bei den
Sanierungsarbeiten unter den nördlichen Dachgesimsen auf. Ihr altes Holz ist
gerissen – ein bauphysikalisches Problem, weil warme und feuchte Luft durch
die Risse nach außen gelangen und
dabei die Feuchtigkeit im Holz kondensieren würde. Zudem sollten sie außen
sichtbar gemacht werden. Bei einem
Termin mit der Denkmalpflege erklärten
die Bauphysiker, wie wichtig eine innen
durchgehende Dampfbremsebene an
dieser Stelle ist, denn der Dampfdruck
steigt nicht nur mit der verbesserten
Abdichtung sondern auch mit der Gebäudehöhe. Deshalb wurden die Stiche
innen durchgesägt, ausgebaut, die Folie
durchgezogen und die Balkenköpfe wieder eingebaut.
Bei einem historischen Sichtfachwerkfeld auf der Ostseite (siehe unten) sind
die Hölzer älter und damit erhaltenswerter. Hier durften die Balkenköpfe nicht
durchtrennt werden. Hier wurde die
Folie um die gerissenen Hölzer geklebt.
In den Toiletten der angrenzenden Geschosse laufen in der Heizperiode Lüfter durch. So entsteht ein Unterdruck,
der kalte und trockene Außenluft nach
innen zieht. Auch in der großen Nordgaube, in der sich heute eine Teeküche
befindet, wurde so detailliert. Die Fugen
der Hölzer wurden dort mit Kalkmörtel
ausgestopft, der Kondenswasser kapillar
puffert. Die Nutzer wurden darüber aufgeklärt, damit sie die Lüftung nicht etwa
irgendwann abschalten.
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Große Fenster
Die historischen Giebelfenster und die
Rahmen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden weitgehend erhalten
und repariert. Der obere Teil der Giebelfenster wurde mit einer Isolierverglasung
zu einer Art Kastenfenster umgebaut. Nur
die Fenster aus den 1970er Jahren wurden
komplett erneuert. In den Obergeschossen forderte das Denkmalamt zweiflügelige Holzfenster mit einer angemessenen
Feingliederung durch Sprossen. Diese
hätten allerdings das Wärmeschutzglas
geteilt und den Primärenergiebedarf
um knapp 3 Prozent erhöht. Um die Wärmeverluste zu reduzieren, wurden die
Sprossen durch mit Abstand vorgesetzte
Metallprofile ausgebildet. Auch bei den
Holzprofilen rang das Büro um jeden Millimeter. Verwendet wurden schlanke IV56 Profile. Die Holzlamellenläden wurden
aufgearbeitet beziehungsweise ergänzt.
Sie können den sommerlichen Wärmeschutz verbessern. Durch hochwertige
Sonnenschutzgläser an den Fenstern
ohne solchen Sonnenschutz und innenliegende Flächenvorhänge als Blend- und
Sonnenschutz wird der sommerliche
Wärmeeintrag reduziert.
Zur Belichtung der Büros im Dachgeschoss wurden Dachflächenfenster mit
Zweifach-Wärmeschutzgläsern
eingebaut. Ihre Lamellen sind motorisch zu öffnen. Im Süden erhielten sie gelochte Fo-
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lien, die farbecht vor der Sonne schützen
und den Ausblick ermöglichen.
Die sehr kleinen Gauben auf der Südseite wurden handwerklich in Stand gesetzt
und die dazugehörigen historischen
Fenster repariert. Damit eine Wärmedämmung nicht ihre Gestalt entstellt, wurde
innen in der Ebene der Sparren, in der
auch die Dämmung liegt, eine Wärmeschutzverglasung eingebaut. Zur Belüftung kann sie geöffnet werden.
Geschichte erzählen
Wichtig war den Architekten, dass das
Gebäude durch die Sanierung seine
abwechslungsreiche Geschichte erzählen kann. So legten sie ein historisches
Fachwerkfeld aus der Erbauungszeit in
der Ostfassade frei. Beim Rückbau des
Anbaus war dieses altehrwürdige Bauteil mit handwerklichen Spuren auf dem
Tragwerk und authentischem Putz mit
Resten alter Bemalung wieder sichtbar geworden - eine der vielen Überraschungen
des Altbaus. Man entschied sich für eine
zurückhaltende Inszenierung als „Fenster
in die Geschichte“, das Nutzer und Passanten Baugeschichte erleben lässt.
Markant machen die angedeuteten Fensterläden des Treppenhauses auf dieses
neue Bauteil aufmerksam. Sie abstrahieren die historischen Klappläden in modernem Streckmetall, das den Ausblick
Der obere Teil dieser historischen Giebelfenster wurde mit einer Isolierverglasung
zu einer Art Kastenfenster aufgerüstet.
mit mäandernden Zacken rahmt. Hinter
dem Streckmetall verspringt der Putz in
Bändern, die auf die Schräge der angrenzenden Bestandswand eingehen. Zurückhaltend etwa sind die einfache Absturzsicherung vor den historischen Fenstern im
Dachgeschoss.
„Neues soll als solches erkennbar sein. Je
wertvoller die Substanz, umso zurückhaltender wird das neue Bauteil eingefügt“,
sagt Manderscheid bezüglich der Gestaltung des Altbaus. Das Gebäude ist nun
klarer, markanter und nach allen Himmelsrichtungen geöffnet.
Diplom-Ingenieur Achim Pilz
Freier Fachjournalist und Buchautor
Baudaten
Name: Bezirksrathaus Bad Cannstatt
Konstruktion: spätgotisches Fachwerkgebäude
Erbauung: 1491
Brutto-Rauminhalt (BRI) 5.850 m3
Netto-Grundfläche (NGF) 1.084 m2
Dachfenster: Uw =< 2,00 W/(m²K) mit Microshade Sonnenschutz nach Süden
Fenster: Uw = 1,40 W/(m²K)
Bodenplatte: U = 0.30 W/(m²K) (mit 12 cm EPS 040)
Außenwände: 0.87 W/(m²K) (im Mittel. Mit 5 cm Wärmedämmputz Klimasan 080)
Decke zu unbeheiztem Dachraum: 0.13 W/(m²K) (6 cm MW 035, feuchtevariable Dampfbremse, 20 cm MW 035, diffusionsoffene Unterdeckbahn)
Dach mit Zwischensparrendämmung: 0.24 W/(m²K) (im Mittel. Mit 3,5 cm Holzwolle-Leichtbauplatten, 3 cm MW 035,
feuchtevariable Dampfbremse, 15 cm MW 035, diffusionsoffene Unterdeckbahn)
Gasbrennwertgerät:
Vitodens 200, Viessmann Röhrenheizkörper, Radiavektoren, Radiapanele: Zehnder
Sanierungsbauherr: Stadt Stuttgart, Hochbauamt
Architektur: Manderscheid Architekten www.manderscheid-architekten.de
HLS-Planung: Schreiber Ingenieure Gebäudetechnik GmbH, www.schreiber-ingenieure.de
Bauphysik: Höfker Nocke Bückle Partnerschaft, www.hnb-bauphysik.de
Planung und Ausführung: 2007 – 2013
Energie KOMPAKT – 6/2013
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