184 Concerti a due cori HWV Titel Besetzung Uraufführung 335a [Concerto] D-Dur 14.2.1746 (mit HWV 62) 335b [Concerto] F-Dur 334 Concerto in the Oratorio of Judas Maccabaeus F-Dur Concerto made from Choruses B-Dur [Concerto] F-Dur Tr I/II, Timp, Cor I–IV, Ob I/II, Fag, V I/II, Va, Vc, Cb, Org Cor I–IV, V I/II, Va, Ob I/II, Fag I/II, Org Coro I: Cor I/II, Ob I/II, Fag; Coro II: Cor I/II, Ob I/II, Fag, V I/II, Va, Vc, Cb, Org Coro I: Ob I/II, Fag Coro II: Ob I/II, Fag, V I/II, Va, Vc, B.c. Coro I: Cor I/II, Ob I/II, Fag Coro II: Cor I/II, Ob I/II, Fag, V I/II, Va, Vc, B.c. 332 333 Die Daten der Uraufführung von HWV 335a, 332 und 333 beziehen sich auf die jüngste Arbeit von Hans Joachim Marx unter Berücksichtigung neuerer Papieruntersuchungen der Autographen. Anlass für Instrumentaleinlagen mit militärischem Instrumentarium boten zweifellos die zweite Jacobitische Revolution gegen den britischen Königsthron mit der Invasion Schottlands im Sommer 1745 sowie die endgültige Niederschlagung des Aufstandes durch den Duke of Cumberland 1 William Augustus (1721–1765), den jüngsten Sohn von König George II, am 16. 4.1746. Händel bewies mit dem 1 Occassional Oratorio HWV 62 sowie mit 1 Judas Maccabaeus HWV 63, dem Duke gewidmet, und 1 Alexander Balus HWV 65 seine Solidarität zum Königshaus, weshalb auch die Concerti a due cori ihren tagespolitischen Gestus nicht zu leugnen vermögen und nach zwei Jahren ebenso rasch, wie sie auf die Bühne gelangt waren, wieder aus dem Spielplan verschwanden (das Concerto HWV 334 sicherte seinen Fortbestand durch die Bearbeitung als Orgelkonzert HWV 305a). Vermutlich ging die Idee zu mehrchörigen Konzerten von der venezianischen Tradition der Spätrenaissance aus und wurde durch ähnliche Werke Antonio 1 Vivaldis geboren, die Händel zwar bereits 1709/1710 in Venedig gehört haben mag, aber vielleicht in Abschrift besaß. Als weitere Inspirationsquelle namentlich für HWV 332 und 333 seien eigene Vokalwerke genannt (»made from Choruses«), die sämtlichen Sätzen dieser Kompositionen zugrunde liegen. Als einziges der Concerti offenbart infolge einer Orgelimprovisation an vierter Stelle HWV 335a die wohl 1746 1.4.1747 (mit HWV 63) 1.3.1748 (mit HWV 64) 23.3.1748 (mit HWV 65) traditionelle viersätzige Gesamtform, welche auch für HWV 335b gelten könnte, unterstellt man zwei Orgeleinlagen zwischen den überlieferten Rahmensätzen. HWV 332–334 hingegen greifen mit ihrer sechs- bis siebensätzigen Anlage weit aus und schließen in dieser Hinsicht an das im Herbst 1739 entstandene Opus 6 mit seiner Mischung unterschiedlicher Formen, namentlich von Concerto und Suite, an. Das musikalisch innovative Element der Concerti a due cori stellt neben dem Wechselspiel der unterschiedlichen Bläserchöre und der Streicher den Versuch dar, bis dahin ungehörte Klangverbindungen durch orgelartige Schichtung einzelner »Registerfamilien« hervorzurufen, wobei Blech- wie Holzbläser und Streicher einander eigenständig gegenübertreten. Die Rezeptionsgeschichte der Concerti a due cori ist durch ihr Schattendasein bis zum heutigen Tag verschleiert, wozu gewiss nicht musikalische Mängel oder besondere spieltechnische Schwierigkeiten (mit Ausnahme der hohen Hornpartien), sondern der komplexe Klangapparat fast aller Kompositionen beitrug. 1797 erschienen HWV 332 und 334 in Arnold’s Edition (1 Gesamtausgaben), Friedrich 1 Chrysander publizierte HWV 332–334 1886 und HWV 334 in revidierter Fassung 1894 innerhalb der alten Händel-Gesamtausgabe. Erst Frederick 1 Hudson legte in der Hallischen Händel-Ausgabe 1971 (HWV 332) und 1983 (HWV 333–335b und 305a–b) zuverlässiges Notenmaterial vor, das hoffen lässt, die Werke würden eines Tages wenigstens ihren Platz innerhalb von Händels Oratorien wiedererlangen. Concerti grossi Ausgaben: ChA, Lfg. 47 (1886) • HHA IV/12 (1971: HWV 332) • HHA IV/16 (1983). Literatur: Fr. Chrysander, Händel’s Instrumentalkompositionen für großes Orchester, in: Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft 3 (1887), S.1ff., 157ff. • F. Hudson, Das ›Concerto‹ in Judas Maccabaeus identifiziert, in: HJb 20 (1974), S. 119–133 • H.J. Marx, Händels Concerti a due cori (HWV 332–334) und ihre kompositionsgeschichtlichen Grundlagen, in: HJb 42/43 (1996/1997), S. 68–76 • Chr. Hogwood, Handel: Water Music and Music for the Royal Fireworks, Cambridge 2005, S. 60–72 • Rampe, Händels Instrumentalmusik (2009), S. 486–496. SRM Concerti grossi Händels Concerti grossi entstanden, vielleicht mit Ausnahme des ältesten, als Einlagen oder Zwischenaktmusiken weltlicher Vokalwerke; Aufführungen im Rahmen von instrumentalen Konzertveranstaltungen oder in der Kirche wie in Italien sind unbekannt. Darüber hinaus müssen die Drucke der opera 3 (1734) und 6 (1740) den erhaltenen Exemplaren, Zeitungsberichten und Inventaren zufolge Konzert- und Amateurgesellschaften Großbritanniens als Repertoirebereicherung gedient haben, auch in reduzierter Besetzung, also ohne chorisches Ripieno. Die Bezeichnung Concerti Grossi auf dem Titelblatt des von John 1 Walsh junior veröffentlichten opus 3, unmittelbar auf der englischen Erstausgabe von Corellis opus 6 im selben Verlag (1715) beruhend, täuscht freilich darüber hinweg, dass es sich, abgesehen vom Concerto B-Dur op. 3 Nr. 2 für je 2 Solooboen und -violinen (dazu noch je 2 Solovioloncelli und Fagotte), gar nicht um Werke mit der Gliederung in Concertino und Ripieno handelt, welche das eigentliche Wesen des Concerto grosso prägen und seinen spezifischen Namen rechtfertigen. Vielmehr trifft man Sätze in bunter Folge an, die Solo- und Doppelkonzerten oder eben Concerts avec plusieurs instruments, wie Bach seine Brandenburgischen Konzerte BWV 1046–1051 nannte, deutlich näher stehen: Die »Sammlung [...] heißt zwar Hoboen-Concerte [englisch »Oboe Concertos«]; sie 185 hat aber sehr wenig Solosätze für dieß Instrument. Die meisten Läufe und Schwierigkeiten darin sind für die Principalvioline. In der That sind diese Kompositionen [...] vortrefflich für ein großes und starkes Orchester eingerichtet, in welchem es Spieler auf verschiednen Instrumenten giebt, die sich vortheilhaft auszeichnen« (Burney / Eschenburg, Nachricht, 1785). Das letzte Werk gipfelt in einem aus der Clavier-Gigue HWV 495a–b hervorgegangenen Finale für Orgel und Orchester, dem ältesten gedruckten Orgelkonzertsatz der Musikgeschichte überhaupt. Erst im opus 6, komponiert binnen eines guten Monats im Herbst 1739, tritt nun das klassische Concertino von 2 Violinen und Violoncello (plus Generalbass) dem Ripieno gegenüber, die Autographe tragen den Kopftitel Concerto Grosso, auf dem englischen Titelblatt der von Walsh junior vorgelegten Erstausgabe ist von Grand Concertos die Rede. Daraus folgt – die Entstehung fast aller Concerti op. 3 war bereits 1722 abgeschlossen –, dass Händel im Alter tatsächlich begann, sich mit der Gattung als solcher auseinanderzusetzen – weniger der Tradition halber als aus Gründen, auf die noch zurückzukommen sein wird. Seiner Besetzung wegen steht auch das Concerto per due Violini concertini e Violoncello, e Stromenti di Ripieno C-Dur HWV 318, kurz Concerto in Alexander’s Feast (beendet am 25. 1.1736), dem Concerto grosso nahe, doch ist dessen Affinität zum Doppelkonzert mit solistischem Continuo ebenfalls größer. Ist das opus 6 also ein geschlossenes Werk in 12 Teilen, so umfassen die Concerti grossi op. 3 Gelegenheitskompositionen, vom Verleger in großer Hast vereinigt; denn die Erstausgabe, frühestens erhältlich Anfang 1734, präsentiert nur die beiden ersten Sätze von HWV 316, als Concerto IV aber eine anonyme Komposition, welche erst in der dritten Auflage (Dezember 1734) durch HWV 315 ausgetauscht wurde. Die Zweitauflage (Frühjahr oder Sommer 1734) wirbt mit dem Hinweis, dass einige der Konzerte bei der Hochzeit der Princess Royal 1 Anne, Händels Lieblingsschülerin, mit dem niederländischen Thronfolger Willem IV. von Oranien-Nassau (1711– 1751) am 14.3.1734 im St. James’s Palace erklangen, vermutlich als Tafelmusik und Balleinlagen sowie zur Umrahmung der Serenata 186 Concerti grossi Alle 19 Werke in tabellarischer Form HWV Titel Soli Entstehungszeit 312 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327 Concerto Concerto Concerto Concerto Concerto Concerto Concerto C-Dur Concerto Concerto Concerto Concerto Concerto Concerto Concerto Concerto Concerto B-Dur op. 3,1 B-Dur op. 3,2 G-Dur op. 3,3 F-Dur op. 3,4 d-Moll op. 3,5 D-Dur op. 3,6 in Alexander’s Feast Fl.dolce I/II, Ob I/II, Fag I/II, V Ob I/II, Fag I/II, V I/II, Vc I/II Fl.trav/Ob, V Ob I/II, V –– Ob I/II, Fag I/II, Org/ Cemb V I/II, Vc wohl 1710–1712 bis 1717/1718 1734 oder früher bis 1717/1718 wohl 1717–1719 1722 und ca. 1733 bis 25.1.1736 Grosso Grosso Grosso Grosso Grosso Grosso Grosso Grosso Grosso V V V V V V V V V bis 29.9.1739 bis 4.10.1739 bis 6.10.1739 bis 8.10.1739 bis 10.10.1739 bis 15.10.1739 bis 12.10.1739 bis 18.10.1739 9.9. bis wohl 26.10.1739 bis 22.10.1739 bis 30.10.1739 bis 20.10.1739 328 329 330 Concerto Grosso d-Moll op. 6,10 V I/II, Vc Concerto Grosso A-Dur op. 6,11 V I/II, Vc Concerto Grosso h-Moll op. 6,12 V I/II, Vc G-Dur op. 6,1 F-Dur op. 6,2 e-Moll op. 6,3 a-Moll op. 6,4 D-Dur op. 6,5 g-Moll op. 6,6 B-Dur op. 6, c-Moll op. 6,8 F-Dur op. 6,9 I/II, I/II, I/II, I/II, I/II, I/II, I/II, I/II, I/II, 1 Il parnasso in festa HWV 73 am Vorabend im King’s Theatre. Ihre anhaltende Verbreitung ergibt sich aus mindestens zwei weiteren Auflagen (1741 und ca. 1752), als verbindendes Element erweist sich die Heterogenität von Besetzung, Form und Architektur, die zwischen zwei (HWV 317), drei (HWV 312 und 314) und fünf Sätzen (HWV 313 und 316) variiert, dazu die Einbeziehung von insgesamt sechs Fugen. Die Welt der Grand Concertos op. 6 und die besonderen Umstände ihrer Entstehung sind indessen ohne ihren biographischen Kontext nur schwer zu ergründen: Nach der entmutigenden Saison des Frühjahrs 1739 hatte Händel für die Jahre 1739–1741 das kleine Theatre Royal at Lincoln’s Inn Fields gemietet, in dem traditionell englische Bühnenwerke, seit 1728 etwa die Beggar’s Opera, aufgeführt wurden. Dem Ort entsprechend setzte er seit dem 22.11.1739 zwei englische Kompositionen auf den Spielplan, die 1 Ode for St. Cecilia’s Day HWV 76 nach John Dryden (zusammen mit der Ode 1 Alexander’s Feast HWV 76) und das Oratorium 1 L’ Allegro, il Penseroso ed il Moderato HWV 55 auf eine Vorlage John Miltons, erweitert von Charles Jennens, welche für abendfüllende Programme der Vc Vc Vc Vc Vc Vc Vc Vc Vc Ergänzung durch Instrumentalwerke bedurften, etwa Orgelkonzerte und das Concerto HWV 318. Diesem Zweck diente die Anfertigung der 12 neuen Concerti grossi, über deren Aufführung die Presse bis zwei Tage nach Erscheinen des Erstdruckes am 21.4.1740 vielfach berichtete: Sie wurden zu Oden »ohne Worte«, ihr »redendes« Prinzip verlangte nach einem analogen musikalischen Rahmen, den im folgenden Jahrzehnt gewiss die Sinfonie geboten hätte. 1739 kam nur das Grand Concerto in Frage, das allein »Erhabenheit und Würde« repräsentierte (Burney 1785), nicht jedoch das virtuose Konzert. Das wohl längere Zeit im voraus beantragte und am 31.10.1739 Walsh junior gewährte neue königliche Privileg zur Publikation von Händels Werken sowie gemeinsame Marketingmaßnahmen von Verleger und Komponist lassen darauf schließen, dass HWV 319–330, wiewohl für die laufende Saison bestimmt, von vornherein zur Drucklegung konzipiert wurden. Neuauflagen erschienen 1741, 1746 und 1786 in London, Nachdrucke 1744 und 1751 in Paris. Die Auseinandersetzung mit Mustern philosophischer Literatur des 17. Jahrhunderts sowie das Experiment, Empfindungen zum Sprechen Concerti grossi zu bringen und der Orchestermusik eine neue Sprache und ungewohnte Ausdruckstiefe zu verleihen, führte zum »Suchen nach neuen Problemen, wie sie später [um 1760] Haydn in seinen ersten Sinfonien aufgriff« (Arnold Schering, 1927). Damit leistete Händel einen frühen, wohl allerersten Beitrag zur musikalischen Aufklärung, bevor im folgenden Jahr der Regierungsantritt König Friedrichs II. in Preußen das Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus einleitete und die neue Klangsprache an den Höfen von Berlin und Wien Einzug hielt. Der neue Stil tritt in den Grand Concertos zutage in – der Vermeidung kantabler oder lyrischer Melodik und Bevorzugung melodischer Kontraste durch starke Unterschiede von Intervallen, Rhythmen, Dynamik und Artikulation, – der Häufung von Ornamenten und überpunktierten Notengruppen, – harmonischem Kolorit, geprägt von Chromatik, Ausweichungen, Schwanken zwischen Moll- und Dur-Terz und Neapolitanischen Sextakkorden, – differenzierten Affektbezeichnungen (Allegro ma non troppo, Larghetto affetuoso u.a.), – kontrapunktischen Strukturen: nur 20 der insgesamt 61 Sätze fallen überwiegend homophon aus, – Experimenten im Zusammenspiel von Concertino und Ripieno, die weit über die Verteilung von Solo und Tutti hinausgehen und beide zu selbständigen Klangkörpern erheben. Damit verbunden ist das Aufbrechen von Ordnung und Form, indem die Gesamtzahl der Sätze zwischen vier und sechs variiert, die Einbeziehung von Tanz- und Sonatensätzen – nicht nur am Ende, sondern an jeder Stelle einer Komposition – eine Mischgattung aus Concerto, Sonate und Suite hervorruft und die Verwendung innovativer Typen vollends den traditionellen Rahmen sprengt. Neuartig erscheinen ferner – Modelle nach Art der Fantasia als monothematische Kompositionen, deren Soggetto ganz oder teilweise transponiert, fortgesponnen, sequenziert, um Kontrapunkte ergänzt oder imitatorisch durchgeführt wird und damit wohl an die englische Consortmusik des 17. Jahrhunderts anschließt, 187 – – – – Sätze in Sonatenform, Introduktionen und Überleitungen, Variationszyklen, die Integration von Ouvertüren zur Profilierung des repräsentativen Gestus. Ein Gegengewicht hierzu bildet das Corpus von Fugen in elf der 12 Concerti grossi, also in allen bis auf HWV 326, die umfangreichste und wohl anspruchsvollste Fugensammlung innerhalb des gesamten Œuvres von Händel. Darunter befinden sich auch Fugen in Ritornellform (HWV 319/4, 320/4 und 323/4) und Doppelfugen (HWV 319/4, 320/4 und 321/2). Viele der Themen sind wiederum stark, fast übertrieben heraus gearbeitet, alle Fugen weisen Zwischenspiele auf, die in fremde Tonarten ausweichen. Sechs von ihnen (HWV 320/4, 322/2, 323/2, 325/2, 328/1 und 330/5) bieten Themeneinsätze auf den Nebenstufen II, III, VI und VII. Der bis heute viel zitierte, von Titel und Besetzung initiierte Corelli-Einfluss des opus 6 aber erweist sich als bloße Referenz und wird gerade in einer Handvoll der insgesamt 61 Sätze hörbar. Ausgaben: Op. 3: ChA, Lfg. 21 (1864) • HHA IV/11 (1959) • Op. 6: ChA, Lfg. 30 (1870) • HHA IV/14 (1961). Literatur: Burney / Eschenburg, Nachricht (1785) • F. Chrysander, Händels zwölf Concerti grossi für Streichinstrumente, in: AMZ 16 (1881), S. 81–148, und 17 (1882), S. 894 • H.F. Redlich, Die Oboenstimmen im Autograph von Händels op. 6, in: Mf 21 (1968), S. 221– 223 • B. Cooper, The Organ Parts to Handel’s Alexander Feast, in: ML 59 (1978), S. 159–178 • P. Drummond, The German Concerto: Five Eigteenth-Century Studies, Oxford 1980 • N. Seifas, Die Concerti grossi op. 6 und ihre Stellung in Händels Gesamtwerk, in: HJb 26 (1980), S. 9–58 • D. Burrows, Walsh’s editions of Handel’s Opera 1–5: the texts and their sources, in: Hogwood / Luckett, Essays (1982), S. 79– 102 • H.J. Marx, The Origins of Handel’s Opus 3: A Historical Review, in: Sadie, Handel Collection (1987), S. 254–270 • T. Best, Handel’s Op. 6 and the European concerto tradition, in: GHB 6 (1996), S. 70–84 • H.J. Marx, Händels ›Grand Concerto‹ op. 6 Nr. 4 und seine italienischen Vorbilder, in: GHB 7 (1998), S. 51–56 • S. Rampe, Concerti grossi op. 3 / op. 6, in: Ders., Händels Instrumentalmusik (2009), S. 392– 431 • Ders., Händel und die Anfänge des Solokonzerts, in: HJb 56 (2010), S. 315–338. SRM 188 Congreve, William Congreve, William * zwischen 24. und 31.1.1670 Bardsey Grange, Yorkshire (England), † 19.1.1729 London Englischer Dichter und Dramatiker. Congreve immatrikulierte sich 1686 am Trinity College, Dublin, wo Jonathan 1 Swift zu seinen Kommilitonen zählte, und studierte ab 1691 Jura in Middle Temple. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Beamter in verschiedenen Abteilungen (u.a. bei der Vergabestelle für Weinlizenzen). Ab 1714 bis zu seinem Lebensende wirkte er als Londoner Sekretär von Jamaica. Schon früh in seiner schriftstellerischen Karriere zeigte sich seine Hingabe zur Musik, etwa in The Decay: a Song, der Ode Upon a Lady’s Singing und Ah! Whither, whither shall I fly, welches durch John 1 Eccles vertont wurde. Die Musik zu seinem ersten Bühnenwerk und großen Erfolg, The Old Batchelor (UA 9.3.1693) stammte von Henry 1 Purcell, welcher zuvor auch seinen Text Tell me no more in Thomas Southernes The Maid’s Last Prayer vertont hatte. 1695 schrieb Congreve die Komödie Love for Love für die Wiedereröffnung des 1 Lincoln’s Inn Theatre, an welchem John Eccles als Musikdirektor tätig war. Er widmete das Werk dem Earl of Dorset, der die Lizenz für die Benützung des Theaters gesichert hatte. Beinahe unmittelbar nach der äußerst erfolgreichen Aufführung von Love for Love widmete sich Congreve seiner ersten Tragödie, The Mourning Bride, welche mit Gottfried Fingers »soft Musick« und den Worten »Music has charms to sooth a savage Breast« anhob. Ab 1700 spezialisierte er sich auf das Musiktheater. 1701 verfasste er The Judgement of Paris für den bekannten Kompositionswettbewerb zwischen Eccles, Finger, Daniel Purcell und John Weldon. Das Libretto wurde später noch etliche Male vertont, u.a. von Giuseppe 1 Sammartini und Thomas Augustine 1 Arne. Congreve unterstützte John Vanbrugh bei der Planung des neuen Queen’s Theatre (1 Haymarket Theatre) am Haymarket. Dieses sollte mit seiner Oper Semele (Musik von Eccles) eröffnet werden. Stattdessen kam jedoch eine mittelmäßige Aufführung von Jakob Grebers Gli amori d’Ergasto zur Aufführung. Congreve distanzierte sich kurz darauf vom Queens’s Theatre. Semele wurde erst nach Congreves Tod in einer möglicherweise durch Newburgh 1 Hamilton revidierten Fassung von Händel vertont und aufgeführt. Literatur: J.C. Hodges, William Congreve, the Man: a Biography from New Sources, New York/London 1941 • Ders. (Hrsg.), William Congreve: Letters and Documents, London 1964. TEH Conradi (Conradine), Anna-Margaretha * um 1680 Dresden, † nach 1719 Deutsche Sängerin (Sopran). »Madame Conradi« (wie sie meistens genannt wurde) war die Tochter eines Dresdner Barbiers. Sie kam schon vor 1700 nach Norddeutschland, wo sie »nicht nur eine virtuose Sängerin, sondern auch vortreffliche Actrice auf dem Hamburgischen Theatro« war (Johann Gottfried Walther). Wahrscheinlich sang sie in der Uraufführung von Händels erster Oper 1 Almira HWV 1 am 8.1.1705 in der Gänsemarkt-Oper die Titelpartie. Im gleichen Jahr gastierte sie in Braunschweig, im Jahr darauf anlässlich der Hochzeit des Kronprinzen in 1 Berlin. Am 8.1.1709 heiratete sie den polnischen Grafen Gruzewski-Golnick von Samoyten und trat von der Bühne ab. Johann 1 Mattheson rühmt ihre »ausserordentlich herrliche Stimme, die sich vom blossen a, in gleicher Stärke, bis ins dreygestrichene d erstreckte«, bemängelt aber, dass er ihr »täglich alles so lange vorsingen« musste, »bis sie es ins Gedächtnis faßte«. Literatur: Mainwaring / Mattheson, Lebensbeschreibung (1761), S. 41 • C. Sachs, Musik und Oper am kurbrandenburgischen Hof, Berlin 1910, S. 127 • Marx, Händels Zeitgenossen (2008), S. 318 • Jacobshagen / Mücke, Händels Opern (2009), Teilbd. II, S. 25, 34. HJM Consiglio, Il 1 Tra le fiamme (Il consiglio) (HWV 170) Contrabasso (Violone, Violone grosso) Conti, Gioacchino, gen. Il Gizziello * 28.2.1714 Arpino, Provinz Frosinone (Italien), † 25.10.1761 Rom Italienischer Sänger (Sopran-Kastrat). Musikalisch von dem neapolitanischen Kapellmeister und Sänger Domenico Gizzi (1680–1758) ausgebildet, nannte er sich später aus Dankbarkeit seinem Lehrer gegenüber »Il Gizziello«, der kleine Gizzi. Nach seinem Operndebut 1730 in Rom gastierte er an den Opernhäusern in Neapel (1732/1739), Wien (1734), Venedig und Genua (1735), bevor er Anfang des Jahres 1736 auf Empfehlung eines italienischen Agenten nach London ging. Händel engagierte den jungen Conti in Konkurrenz zu dem zehn Jahre älteren Farinelli (Carlo 1 Broschi), der als ›primo uomo‹ der 1 Opera of the Nobility der Liebling des Publikums war. Nach seinem vielbeachteten Operndebut am 5.5.1736 in Händels 1 Ariodante HWV 33 sang Conti in der Spielzeit 1736/1737 am 1 Covent Garden Theatre die Hauptrollen in Händels Opern 1 Atalanta HWV 35, 1 Alcina HWV 34, 1 Poro HWV 28, 1 Arminio HWV 36, 1 Partenope HWV 27 und 1 Giustino HWV 37. Auch soll er in 1 Deborah HWV 51 und in den Neufassungen von 1 Il trionfo del Tempo e della Verità HWV 46b und 1 Esther HWV 50b mitgewirkt haben. Unmittelbar nach der letzten Aufführung von 1 Berenice HWV 38, die Händel aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr dirigieren konnte (1 Krankheiten), scheint Conti London verlassen zu haben und nach Italien zurückgekehrt zu sein. Nach kurzem Studium bei dem Alt-Kastraten Antonio Maria 1 Bernacchi in Bologna trat er an verschiedenen italienischen Operntheatern auf (Neapel, Venedig); 1752 folgte er einer Einladung nach Lissabon, wo er am Hoftheater mit einer Gage von £ 4.000 engagiert war. Nach dem Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 soll er sich in ein Kloster zurückgezogen haben, später kehrte er nach Italien zurück, wo er sich in Rom als Gesanglehrer niederließ. Im Alter von 47 Jahren ist er gestorben. Conti hatte eine außergewöhnlich schöne Sopranstimme mit einem Umfang von zwei Oktaven (c1–c3), die er virtuos beherrschte. Seine pathetisch-lyrische Art zu singen begeisterte das Publikum ebenso wie seine darstellerischen Fä- 189 higkeiten. Conti war der einzige Sänger, für den Händel ein hohes c (c3) geschrieben hat. Literatur: Burney, History (1789) • MGG2, Bd. 4 (Personenteil), Kassel u.a. 2000, Sp. 1499–1501 • Dean, Operas (2006) • Marx, Händels Zeitgenossen (2008), S. 318–321. HJM Contrabasso (Violone, Violone grosso) Händel nennt das tiefste Streichinstrument normalerweise ›Contrabasso‹, seltener ›Violone grosso‹, sehr vereinzelt auch einfach ›Violone‹. Bei ihm wie bei seinen Zeitgenossen beziehen sich diese Namen keineswegs auf organologisch unterschiedene Instrumente; die drei Termini sind synonym gebraucht. Insbesondere lässt sich weder im Italienischen noch im Deutschen seiner Zeit eine sichere Zuordnung von ›Contrabasso‹/ ›Kontrabass‹ für Geigen-ähnliche Instrumente mit vier Saiten und ›Violone‹ für Gamben-ähnliche Instrumente mit sechs Saiten ausmachen, eine terminologische Spezialisierung, die sich erst im 20. Jahrhundert durchsetzt. ›Violone‹ wird von Händel außerdem aber auch als Sammelbegriff für die beiden tiefen Streichinstrumente gebraucht, meint also Violoncello und Kontrabass zusammen. In diesem Sinne sind Angaben zu verstehen wie »Violoni pizzicati« (z.B. in 1 Terpsicore, HWV 8b, Nr. 9, 1 Orlando, HWV 31, Nr. 35, und 1 Ariodante, HWV 33, Nr. 23) und »tutti Violoni« oder »senza Violoni« (z.B. in 1 Il pastor fido, HWV 8a, Nr. 12, und 1 Solomon, HWV 67, Nr. 3). Bei Händel selbst steht ›Violone‹ nicht für das Violoncello; dieser aus dem Italien des 17. Jahrhunderts überkommene Sprachgebrauch schlägt sich nur in einigen Abschriften seiner Werke durch italienische, seltener englische Kopisten nieder. Die Vieldeutigkeit des einfachen ›Violone‹ mag aber dennoch den Zusatz ›grosso‹ ratsam gemacht haben, um den Kontrabass unmissverständlich zu bezeichnen. Form und Größe, Saitenzahl und Stimmung des Instruments waren zu Händels Zeiten noch sehr variabel; auch die Bogenhaltung und der Einsatz von Bünden konnten offensichtlich vom Kontrabassisten individuell entschieden werden. 190 Contrabasso (Violone, Violone grosso) Marco Antonio Ricci, Probe für eine Opernaufführung am Haymarket Theater (Detail), Öl auf Leinwand, 1709. Theoretische Werke und Abbildungen der Zeit zeugen von Instrumenten mit vier (siehe Abbildung oben), fünf oder sechs Saiten. Das Instrument konnte in reinen Quarten, in Quarten und einer Terz, in Quarten und einer Sekunde oder in reinen Quinten gestimmt sein; tiefste Saite konnte das Kontra-C, -D, -F oder -G sein. In einigen Passagen, in denen Händel den Kontrabass solo vorschreibt, erscheint das geschriebene D (vgl. Notenbeispiel); es ist also wahrscheinlich, dass Händel ein Instrument im Sinn hatte, das den Generalbass bis zum Kontra-D tiefoktavieren konnte. Durch seine oft sehr genauen Angaben zur Instrumentierung des Generalbasses gibt Händel Auskunft über eine Praxis, die sonst der Erfahrung und Improvisation der Kontrabassisten überlassen wurde: Er bezeichnet Tacets im Piano und Pianissimo oder in Passagen im Tenorschlüssel und schreibt die Aufteilung der Bassgruppe bei mehrchörigen Kompositionen vor. Seltener findet man Angaben zur Vereinfachung schneller Passagen im Generalbass, die eine größere rhythmische Klarheit des 16-Fuß-Klanges mit sich bringt. In einigen außergewöhnlichen Momenten vertraut Händel den Generalbass dem Kontrabass oder der Kontrabassgruppe allein an. Einen einzigartigen Effekt der Klangmalerei erreicht z.B. die Instrumentation der BassArie »Fra l’ombre e gli orrori« in 1 Aci, Galatea e Polifemo HWV 72, Nr. 12 (Notenbeispiel), die von gedämpften Geigen, von Bratschen und dem »Violono grosso senza cembalo« begleitet wird. Auch bei Solopassagen anderer tiefer Instrumen- Coopersmith, Jacob Maurice 191 Aci, Galatea e Polifemo HWV 72, Napoli 1708, Arie Nr. 12 »Fra l’ombre e gli orrori«, T. 1–7. Die Generalbassstimme wird vom »Violono grosso« allein aufgeführt, sie reicht in der Tiefe bis zum D. te setzt Händel verschiedentlich den Kontrabass solo ein, so z.B. zur Begleitung des Fagotts in der Arie »Ah crudel pianto mio« in 1 Rinaldo HWV 7a, Nr. 27 und im Allegro der Ouverture zum Pastor fido, zur Begleitung von Fagotten und Violoncelli im Adagio für zwei Orgeln und Orchester HWV 303 und von der Viola da gamba in der Kantate Il consiglio HWV 170, Nr. 1, 1 Tra le fiamme. In Händels Orchestern scheinen nach den uns überlieferten Dokumenten Violoncello- und Kontrabassgruppen fast gleich stark besetzt gewesen zu sein. An der Erstaufführung von 1 La resurrezione di Nostro Signor Gesù Cristo HWV 47 1708 in Rom nahmen 6 »Violoni«, also Violoncelli, und 6 »Contrabassi« teil (Kirkendale 1967, S. 257), während im Londoner Opernorchester generell drei Violoncelli und zwei Kontrabässe vorgesehen waren (Burrows 1985). Namentlich kennen wir unter Händels Kontrabassisten in London Joseph Saggione (Giuseppe Fedeli), Komponist und Instrumentalist italienischer Herkunft, der in der Partitur des Rinaldo erwähnt wird, und Francisco (Francis, François) Goodsen, der gleichzeitig auch Violoncellist war. Einer von ihnen könnte der bei Ricci portraitierte Spieler sein (siehe Abbildung). Literatur: U. Kirkendale, The Ruspoli Documents on Handel, in: JAMS (1967), S. 223–273 • S. Bonta, From Violone to Violoncello: A Question of Strings?, in: Jour- nal of the American Musical Instrument Society, 3 (1977), S. 64–99 • Ders., Terminology for the Bass Violin in Seventeenth-Century Italy, in: Journal of the American Musical Instrument Society, 4 (1978), S. 5– 42 • A. Planyavsky, Der Violone bei Händel und Bach, in: Die Saiteninstrumente in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und unsere heutigen Besetzungsmöglichkeiten, Michaelstein 1979, S. 56–72 • D. Burrows, Handel’s London theatre orchestra, in: EM 13 (1985), S. 349–357 • D. Möller, Besetzung und Instrumentation in den Opern Georg Friedrich Händels, Frankfurt/Main, 1989 • A. Planyavsky, Der Barockkontrabass Violone, Tutzing 1998. BHO Cooper, Ashley Anthony 1 Ashley Cooper, Anthony, 4th Earl of Shaftesbury Coopersmith, Jacob Maurice * 20.11.1903 New York, † 12.5.1968 Washington Amerikanischer Musikforscher, Bibliothekar, Organist, und Dirigent. Nach einer musikalischen Ausbildung schloss Coopersmith seine akademischen Studien 1932 an der Harvard University mit einer preisgekrönten Arbeit über Händel ab. Die zwölfbändige Dissertation enthält außer einem Textband, der sich mit dem Stil der Instrumentalwerke beschäftigt, ein thematisches Werk-