Musikwissenschaftliche Editionen – Jahresbericht 2011 GEORG FRIEDRICH HÄNDEL Hallische Händel-Ausgabe - Kritische Gesamtausgabe – Träger: Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft e.V., Halle. Präsident: Professor Dr. Wolfgang Hirschmann. Herausgeber: Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft e.V., Halle. Editionsleiter: Professor Dr. Wolfgang Hirschmann, Halle, und Dr. Terence Best, Brentwood/UK. Anschrift: Hallische Händel-Ausgabe, c/o Händel-Haus, Große Nikolaistraße 5, 06108 Halle, Tel.: 0345/50090-230, -231, -232 oder -233, Fax: 0345/50090235, e-mail: [email protected], [email protected], [email protected], Internet: http://www.haendelhaus.de/gfhaendel/haendel_ausgabe.html. Verlag: Bärenreiter-Verlag, Kassel. Umfang der Ausgabe: Geplant sind 116 Notenbände und 10 Revisionsbände mit Kritischen Berichten und Faksimiles der Libretti bei Opern und Oratorien sowie ca. 10 Bände Supplemente; seit 1955 sind 81 Notenbände mit Kritischen Berichten und 5 Bände Supplemente erschienen. Dem Editorial Board der Hallischen Händel-Ausgabe (HHA) gehören neben den Editionsleitern an: Professor Dr. Graydon Beeks, Claremont/USA, Professor Dr. Donald Burrows, Cranfield/UK, Dr. Hans Dieter Clausen, Hamburg, Professor Dr. Hans Joachim Marx, Hamburg, und Professor Dr. John H. Roberts, San Francisco/USA. Die Redaktion bilden die hauptamtlichen Wissenschaftlichen Mitarbeiter Stephan Blaut M.A., Dipl.-phil. Annette Landgraf, Dr. Michael Pacholke und Teresa Ramer-Wünsche M.A. (halbtags, von April bis November Erziehungsurlaub), die auch mit der Edition von Bänden betraut sind, sowie Karola Henze (halbtags, z.Zt. krank) als Sachbearbeiterin. Die abwesenden Mitarbeiterinnen werden von Phillip Schmidt auf Honorarbasis vertreten. Die HHA arbeitet mit externen Bandherausgebern zusammen. Im Berichtsjahr wurden veröffentlicht: Arminio, HWV 36 (II/35: Notenband mit Kritischem Bericht), herausgegeben von Michael Pacholke. Von August 1736 bis Januar 1737 komponierte der 51jährige Georg Friedrich Händel die drei Opern „Arminio“, HWV 36, „Giustino“, HWV 37, und „Berenice“, HWV 38, eine Schaffensintensität, die er in dieser Gattung nie zuvor erreicht hatte und auch nie wieder erreichen sollte. Die Uraufführung von „Arminio“ fand am 12. Januar 1737 in London im Theatre Royal in Coventgarden statt, es folgten fünf Wiederholungen, aber keine Wiederaufnahme zu Händels Lebzeiten. Das Werk erzielte also nur geringen Publikumserfolg, allerdings war der Earl von Shaftesbury begeistert und schrieb: „Ich denke, dass eher mehr Abwechslung und Geist darin als in irgendeiner der bisherigen [Opern Händels] ist und dass sie vortrefflich aufgeführt wird.“ 1 Die Konstellation der Personen in Händels „Arminio“ entspricht im Wesentlichen derjenigen ihrer historischen Vorbilder aus den germanisch-römischen Kämpfen zu Beginn des 1. Jahrhunderts, die Handlung hat jedoch nur wenig mit den geschichtlichen Ereignissen zu tun: So sind einerseits Varos Liebe zu Tusnelda, Arminios Gefangennahme durch Segeste sowie Segestes Versöhnung mit seinen Kindern Tusnelda und Sigismondo sowie mit Arminio unhistorisch, während andererseits in der Oper von einer Varusschlacht gar keine Rede ist und nur in der letzten Szene kurz berichtet wird, dass Varo umgekommen sei, offenbar – konkret zu erfahren ist es nicht – bei der Eroberung von Segestes Burg durch Arminios „deutsche“ Krieger. Die Fassung der Uraufführung des „Arminio“ am 12. Januar 1737 bildet den Hauptteil des neuen HHA-Bandes. Die Satznummern des Hauptteils stimmen mit denen im HWV überein, unter Nr. 23 erscheinen in der HHA allerdings nur die in der Premiere tatsächlich musizierten ersten sechs Takte der Nr. 23 des HWV. Die 16taktige Urfassung ist im Anhang abgedruckt. Die Kürzungen in Nr. 7, 21 und 22, die vielleicht erst während der ersten Aufführungsserie erfolgten, sind im Hauptteil durch Klammern angegeben. Der Anhang enthält ferner die ursprüngliche Fassung der Partie des Tullio für Bass sowie die verzierten Fassungen zweier Arien aus dem Hamburger Exemplar des Erstdrucks der Oper. Kammerduette und -terzette (V/7: Notenband mit Kritischem Bericht), herausgegeben von Konstanze Musketa, Halle. Der Band enthält alle 20 Kammerduette und die beiden Kammerterzette, die von Händel überliefert sind und als authentisch gelten (HWV 178–181, 182a, b, 184–194, 196–199 sowie HWV 200 und 201a, b). Sie entstanden in vier Perioden: Italien 1706–1710, Hannover 1710– 1712, London 1720er Jahre und London 1740–1745; konkrete Entstehungsanlässe sind nicht bekannt. Die Edition basiert auf den Autographen und in den wenigen Fällen, in denen diese nicht mehr oder nicht vollständig erhalten sind, auf den frühesten überlieferten Abschriften. Nur fünf der späten Duette und das Terzett „Se tu non lasci amore“, HWV 201a, das hier erstmals in der vollständigen Fassung im Druck veröffentlicht wird, sind datiert. Der Anhang enthält die unvollendete Spätfassung von „Caro autor di mia doglia“, HWV 182b. Samson, HWV 57, (I/18,1,2: Notenband mit Kritischem Bericht, 2 Teilbände), herausgegeben von Hans Dieter Clausen, Hamburg. Händel komponierte das Oratorium „Samson“ zwischen dem 14. September und dem 29. Oktober 1741. Er bearbeitete es umfassend im Herbst und Winter 1742 und führte es am 18. Februar 1743 in London im Königlichen Theater in Covent-Garden zum ersten Mal auf. Mit sieben Wiederholungen innerhalb derselben Saison war es eines seiner erfolgreichsten Werke. Weitere Aufführungen folgten in London unter Händels Leitung 1744, 1745, 1749, 1750, 1752, 1753, 1754, 1755 und 1759. Den Text stellte Newburgh Hamilton aus John Miltons Lesedrama „Samson Agonistes“ und weiteren Werken Miltons zusammen. Vermutlich begann Händel mit der Arbeit an „Samson“ bald nach der Beendigung des „Messiah“ am 14.9.1741. Er beendete den ersten Akt am 29.9., den zweiten am 11.10. und den dritten am 29.10., die Rezitative und einige oder alle Accompagnati ließ er zunächst unvertont und schrieb nur ihren Text zwischen leere Notenzeilen. Diese Fassung des Oratoriums, die Urfassung, ist im Anhang Ia dieser Ausgabe zum ersten Mal veröffentlicht. Sie ist kürzer als die schließlich aufgeführte Fassung. Nach seiner Rückkehr nach London Ende August 1742 bearbeitete Händel das Werk. Er kürzte die Rezitative, erweiterte die Partie des Micah für Susannah Cibber und vertonte die Rezitative. Nachdem Händel seine Besetzung festgelegt hatte, berücksichtigte er die Vergrößerung seines 2 Solisten-Ensembles und fügte für seine neuen Sänger Avoglio, Edwards und Lowe neue Arien sowie Bearbeitungen von Arien ein, die zuvor für Micah bestimmt waren. Die Fassung der Uraufführung ist das Ergebnis von zwei Kürzungen, der umfangreichen ersten vor der Vertonung der Rezitative und einer späteren zweiten, die sich auf eine Szene im zweiten Akt beschränkte. Trotzdem erwies sich das Oratorium bei der ersten Aufführung als zu lang und wurde vermutlich bald darauf gekürzt. Weitere Kürzungen dürften nötig geworden sein, weil in den Aufführungen der zweiten Subskription wegen fester Verpflichtungen an den Theatern nicht immer alle Sänger zur Verfügung standen. Unter so günstigen Bedingungen wie 1743 und mit einem so großen Solisten-Ensemble konnte Händel den „Samson“ nicht wieder aufführen. Niemals wieder verfügte er über zwei Bassisten, so dass so unterschiedliche Charaktere wie Manoa und Harapha von demselben Sänger repräsentiert werden mussten. Manchmal standen ihm zwei Soprane, manchmal eine Altistin und ein Altist zur Verfügung. Die Arien anonymer Personen ließen es dann zu, die Gewichte neu zu verteilen. So konnten originale Tenor-Arien auch von einem Sopran gesungen werden. Mehrmals wurde die Partie des Micah aufgeteilt. Trotz dieser marginalen Veränderungen gewann das Oratorium im Verlaufe der Wiederaufführungen im Kern eine feste Gestalt, die bedeutend kürzer war als die zuerst aufgeführte. Diesen Kern verdankt es hauptsächlich dem Respekt, den Händel der klassischen Vorlage erwies, indem er die in anderen biblischen Oratorien üblichen „additions and alterations“ hier weitgehend vermied. Die in der ersten Saison gekürzten Rezitative sind (soweit sie nicht durch Klammern darstellbar waren) im Paralleldruck, alternative Fassungen und Zusätze aus späteren Aufführungen bis 1759 im Anhang II wiedergegeben. Die Fassung von 1743 ist am besten mit 7 Solisten (SSATTBB) zu realisieren. Für Aufführungen mit einer kleineren Besetzung und einer kürzeren Aufführungsdauer bietet eine Konkordanz mit allen Werkfassungen viele Anregungen. Es ist möglich, einer dieser Fassungen genau zu folgen Diese Ausgabe bietet zum ersten Mal die Möglichkeit, Händels „Samson“ in der Urfassung von 1741 mit dem tragischen Schluss aufzuführen. Auch die Zwischenfassung von 1742 ist vollständig erhalten und lässt sich aus dem Haupttext und den Anhängen Ia und Ib kombinieren. 2012 sind zur Veröffentlichung vorgesehen: I/9,2 (Acis and Galatea, HWV 49b), herauszugeben von Artie Heinrich, Bernau; II/29 (Arianna, HWV 32), herauszugeben von Reinhold Kubik, Wien; III/1 (Lateinische Kirchenmusik I: Dixit Dominus, HWV 232, Neuausgabe), herauszugeben von Hans Joachim Marx, Hamburg. Im Berichtsjahr wurden die Arbeiten an folgenden Bänden fortgeführt: I/10 (Esther, HWV 50b), herauszugeben von Annette Landgraf; II/3 (Agrippina, HWV 6), herauszugeben von John E. Sawyer, Vancouver; II/25 (Poro, HWV 28), herauszugeben von Graham Cummings, Huddersfield/UK (Vorabpartitur erarbeitet); II/27 (Sosarme, HWV 30), herauszugeben von Michael Pacholke; II/30 (Parnasso in festa, HWV 73), herauszugeben von Teresa Ramer-Wünsche; III/10 (Coronation Anthems, HWV 258–261), herauszugeben von Stephan Blaut. 3 Von Februar bis März wurde in der Redaktion der HHA ein Student der MLU HalleWittenberg im Rahmen eines Berufspraktikums betreut. Annette Landgraf referierte im März auf der wissenschaftlichen Konferenz des American Handel Festival in Seattle über „The Explanation and the Deeper Meaning of Three Names in a Handel Document, or: Savages, Stocks and Stones? A Riddle Explained or a Coincidence Imagined?“. Die Mitarbeiter der Hallischen Händel-Ausgabe beteiligten sich an der Durchführung des von der Stiftung Händel-Haus Halle angebotenen Studienkurses vom 21.–23. September mit dem Schwerpunkt Editionspraxis für Studierende der Musikwissenschaft und der Musik. Stephan Blaut und Michael Pacholke publizierten die Dresdner Fassung des Concerto grosso B-Dur, op. 3 Nr. 1, von Georg Friedrich Händel unter der Werkzahl HWV 312a beim ortus musikverlag, Beeskow. 4