Montag, 28. Mai, 11.00 Uhr, Kolomanisaal «Concerti Stravaganti» Georg Friedrich Haendel (1685 – 1759) Concerto grosso G-Dur, op. 6 Nr. 1 (HWV 319) A tempo giusto – Allegro e forte – Adagio – Allegro – Allegro Entstehungszeit: London, beendet 29.09.1739 Concerto grosso B-Dur, op. 3 Nr. 2 (HWV 313) Vivace – Largo –Allegro –Menuet – Gavotte Uraufführung: London, vermutlich 13.03.1734 im King’s Theatre, Haymarket, anlässlich der Uraufführung von Händels Il Parnasso in festa Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Concerto für Violine E-Dur, BWV 1042 Allegro – Adagio – Allegro assai Pause Johann Sebastian Bach Ouvertüre Nr. 2 h-Moll (BWV 1067) Ouverture – Rondeau – Sarabande – Bourrée I & II – Polonaise & Double – Menuet – Badinerie Georg Friedrich Haendel Concerto grosso A-Dur, op.6 Nr. 11 (HWV 329) Andante larghetto e staccato – Allegro – Largo e staccato – Andante – Allegro Entstehungszeit: London, beendet 30.10.1739 Matthew Truscott Violine Anne Freitag Traversflöte Musica Saeculorum Matthew Truscott, Stéphanie Paulet, Dietlind Meyer, Irina Granovskaya, Janet Kim, Cécile Mille, Anne Schumann, Lina Tur Bonnet Violine Lil Cochrane, Rose Redgrave Viola Marco Frezzato, Rebecca Truscott Violoncello Lutz Schumacher Kontrabass Brian Fehan Theorbe Molly Marsh, Shai Kirbus Oboe Frank Forst Fagott Dirigent Philipp von Steinaecker Das Konzert wird für Radio Österreich 1 aufgezeichnet und heute Abend in Ausschnitten ab 19:30 Uhr gesendet. 149 «Concerti stravaganti» Obwohl beide 1685, unweit voneinander geboren wurden und beide Musiker wurden, sind nicht nur die Biographien von Bach und Händel kaum zu vergleichen, sondern – beinahe logischerweise – ihre Musik äußerst verschieden. Kenner werden vielleicht behaupten, dass Bach das musikalische Handwerk besser beherrschte als Händel, ausgefeilte Fugen, Ricercari, Contrapuncti und Choralbearbeitungen schuf, während Händel wie Gustav Leonhardt sicher nicht abfällig feststellt, «viel billiger» komponierte (siehe Seite 29). Lassen wir bei diesen Einschätzungsversuchen alles Technische weg, so bleibt, dass beide Meister es in genialer Weise verstanden, mit ihrer Kunst die Herzen zu rühren. Darauf kommt es ja schließlich an. Für das festliche Programm am Pfingstmontag haben wir Kompositionen von Bach und Händel ausgewählt, mit denen sie offenbar spielend und unübertroffen den Gipfel der jeweiligen Genres erreichten. Händel bei den «Concerti grossi», Bach bei den «Ouverturen» und Concerti. Der Geigenvirtuose Arcangelo Corelli war schon längst gestorben, als 1740 in London Händels «Twelve Grand Concertos in Seven Parts for Four Violins, a Tenor Viol, a Violoncello with a Through Bass for the Harpsichord» im Druck erschienen. Der geschäftstüchtige Verleger Walsh hatte hier mit Einverständis des Komponisten eine großen Coup gelandet. Eine Marktlücke geschlossen: Denn obwohl das Interesse in der Themsemetropole nach italienischen Opern im Abklingen war, nach Concerti grossi in italienischem Gusto lächzten die Briten. Händel hatte dazu das Seine getan und derartige Concerti nicht nur in Konzerten aufgeführt, sondern auch immer wieder – quasi als Pausenfüller neben Orgelkonzerten – in seine Oratorienaufführungen miteinbezogen. Corelli war längst tot, doch die Art Concerti grossi zu komponieren geht, bis die Musikgeschichte umgeschrieben wird, auf sein musikalisches Talent zurück. Bereits Georg Muffat konnte dem Teufelsgeiger in Rom beim Komponieren und Aufführen der Concerti auf die Finger schauen. Erstes Ergebnis bei Muffat war 150 seine Sammlung «Armonico tributo», die er anno 1682 nach seiner Rückkehr aus Rom in Salzburg veröffentlich­ te. Über zwanzig Jahre später war Corelli in Rom mit einem jungen Sachsen konfrontiert, der ihm bei Publikum, Kollegen und Mäzenen die Schneid abkaufte: Georg Friedrich Händel. Offenbar äußerst wissbegierig und aufnahmefähig hat Händel in Italien 1707-1710 alles an musikalischen Eindrücken und Kniffen aufgesogen und später in London verfeinert. Concerto grosso: Das Prinzip ist leicht erklärt. Einem «Concertino», meist zwei Violinen und Violoncello, wird ein «Concerto grosso», ein «Ripieno» gegenübergestellt. Organisch, vorbereitet, bisweilen aber auch unvermittelt tritt das «Concertino» aus dem Tutti des «Concerto grosso» hervor, wirft den musikalischen Mitstreitern Melodien, Phrasen zu, die vom Kollektiv aufgegriffen und weitergeführt werden. Dass dabei als Basis der Basso continuo stets «mitläuft», ist im Generalbasszeitalter systemimmanent. Komponisten aus Italien und auch jenseits der Alpen faszinierte dieses Genre im Barock. So haben sich Sammlungen nicht nur von Corelli, Muffat oder Händel, sondern auch von Sammartini, Pepusch, Benedetto Marcello, Unico Wilhelm van Wasenaer und etlichen anderen erhalten. War Corelli und Muffat mit ihren Concerti bereits ein Wurf gelungen, so brachte Händel die Form in London zur Vollendung. Unverkennbar die Virtuosität, die er den Interpreten abverlangt, typisch die musikalischen Floskeln und beeindruckend bei aller Plakativität die musikalische Kraft der Sammlungen op. 3 und op. 6. So ist als Beispiel die «Lässigkeit» des «andante larghetto e staccato» im Concerto grosso A-Dur (op. 6/11) in ihrer Art wohl unübertroffen. Die Eröffnung des ersten Concertos­ op. 6 hat gar wie etliche andere Werke des Sachsen den Weg nach Hollywood geschafft und diente als Filmmusik (NB. Den Titel des Films hab ich vergessen, wer ihn mir als Erste oder Erster verraten kann, bekommt eine CD). Was bereits für Händel festgestellt wurde, trifft zum großen Teil auch für Johann Sebastian Bach zu. Auch er war bereits in jungen Jahren äußerst wissbegierig in Sachen Musik, soll sich beim unerlaubten Abschreiben 151 von Frescobaldis Sammlung «Fiori musicali» die Augen nachhaltig verdorben haben, war Kenner des französischen und italienischen Geschmacks. In Weimar, als Hofmusicus, transkribierte er brandneue Concerti des Prete rosso Antonio Vivaldi für das Cembalo oder die Orgel, kurz davor als Organist in Mühlhausen wird er sich auch die «VI Ouvertures», 6 Suiten aus 1693 von Philipp Heinrich Erlebach «einverleibt» haben, um auch den französischen Gout zu erfassen. Erlebach war einer der ersten Komponisten in den deutschen Landen, der die Form der französischen Ouverturen oder Suiten für Orchester pflegte. Entstanden aus dem Herauslösen der Ouverture mit einigen Tanzsätzen aus Opern vom französischen Hof, wurde die Orchestersuite rasch international beliebt. Was macht die Musik Bachs einzigartig und dadurch unverwechselbar? Einzigartig an Bachs «Orchesterwerken», den Brandenburgischen Konzerten, den Violin-, Oboen- und Cembalokonzerten und den Ouverturen sind zum einen wohl Bachs Melodien, die ins Ohr gehen, zu «Schlagern» werden wie etwa die berühmte «Badinerie» der h-Moll-Suite, zum andern aber trägt die «Singbarkeit» jeder einzelnen Stimme zur Erkennbarkeit, zur Identität der Bachschen Musik bei. Nichts scheint hier lapidar, nur ein auffüllendes Beiwerk zu sein. Zu dieser alles überragenden Kompositionstechnik kommt – wie auch im kleinsten Werk des «Thomaskantors» – eine emotionelle Tiefe, die ohne konkreten Inhalt etwa durch die Vertonung eines Textes den Sinn der (Barock)Musik verdeutlicht: Sie soll das Herz rühren und den Geist regen. Bernhard Trebuch 152 Matthew Truscott ­studierte an der Royal Academy of Music in London, dem Koninklijk Conservatorium in Den Haag und in Bloomington, Indiana, wo Erich Gruenberg, Simon Standage, Vera Beths and Mauricio Fucs seine Lehrer waren. Er widmet seine Zeit sowohl dem Spiel auf der Barockvioline als auch moderner Kammermusik, und konzertiert mit einigen der besten Musiker beider Bereiche. Als Solist trat er mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment im Concertgebouw Amsterdam, im Wiener Konzerthaus und in der Londoner Queen Elizabeth Hall auf, ebenso bei vielen Gelegenheiten mit dem Retrospect Trio, The King’s Consort and dem Florilegium in Wigmore Hall. Er ist einer der Konzertmeister des Orchestra of the Age of Enlightenment und wirkte in dieser Eigenschaft auch bei Projekten des English Concert, Mahler Chamber Orchestra und Netherlands Chamber Orchestra mit, ebenso bei solchen der English National Opera, der Niederländischen Nationaloper, des King’s Consort und von Le Concert d’Astrée. Er ist zudem Konzertmeister bei St. James’ Baroque, der Classical Opera Company and dem Magdalena Consort. In der nächsten Saison wird er das Budapest Festival Orchestra in Programmen des 18. Jahrhunderts anführen. Jüngere Aufnahmen umfassen die Gesamteinspielung von Purcell’s TrioSonaten mit dem Retrospect Trio sowie Kammermusik von Bach mit Trevor Pinnock, Jonathan Manson und Emanuel Pahud. Matthew Truscott unterrichtet Barockvioline an der Royal Academy of Music in London. Biographie Anne Freitag Seite 57, Philipp von Stein­ aecker Seite 87 und Musica Saeculorum Seite 84f. 153