Ole Jana, Musikübertragung 2. Semester, [email protected] Protokoll zur 17. Vorlesung Allgemeine Musikgeschichte (21.04.2016) mit dem Thema Konzert Orchester – Virtuosität Thema dieser Vorlesung war das „Konzert“. Der Begriff des Konzertes hat in unserer Sprache mehrere Bedeutungen, die miteinander zusammenhängen. Schon der häufig gebrauchte Satz „Ich gehe ins Konzert“ zeigt, dass es sich nicht nur um eine historische Gattung handelt, sondern auch um eine Veranstaltungsform der Gegenwart, wodurch der Begriff auch heute noch von Belang ist. Was sind die Ursprünge des Konzerts? Der Begriff entstammt dem italienischen Wort „concertare“ = „etwas aufeinander abstimmen“. Im Lateinischen hatte dieses Wort noch die Bedeutung „heftig miteinander streiten“. Beide Herleitungen kann man zur Beschreibung dessen heranziehen, was ein Konzert als Gattungsbegriff ausmacht: Gleichberechtigung, aber auch Gegensatz und Widerstreit verschiedener Instrumente und / oder Instrumentengruppen. Die geschichtliche Entwicklung des Konzerts vollzieht sich allmählich. Das Prinzip des Konzertierens spielte schon eine Rolle, bevor man von „Konzert“ sprach: Im gregorianischen Choral wurde bei der Interpretation von Psalmtexten oft das Dialogprinzip angewendet, so zum Beispiel im St.-Gallener Kloster (s. Abb. Folie 13). Dieses Prinzip wurde in der Renaissance weiterentwickelt, so zum Beispiel in den wechselchörigen „Salmi spezzati“ („[räumlich] zerstückelte Psalmen“) von Giovanni Gabrieli, für deren Aufführung in der San-Marco-Basilika in Venedig eigens besondere Sängerkanzeln gebaut wurden (s. Abb. Folien 15-17). Zur Zeit des Barock setzte sich in der Musikpraxis der Generalbass durch und so wurde auch das konzertante Prinzip mit einem Generalbass hinterlegt. Folie 19 zeigt eine stilisierte Abbildung, die eine annähernde Vorstellung davon vermittelt, wie zu dieser Zeit musiziert wurde. Zu sehen ist ein adliger Hofstaat, teils aus Musikern, teils aus Zuhörern, in dessen Mittelpunkt sich der Gambe spielende Fürst befindet. Die frühe Gattung des Konzerts war also an die aristokratische Gesellschaft gebunden und gelang nicht in öffentlichem bürgerlichem Rahmen zur Aufführung. Die sich entwickelnde Gattung des Concerto kann folgendermaßen schematisch beschrieben werden: Das Concerto besteht aus mindestens 3 Sätzen, meist in der Folge schnell – langsam – schnell. Es kann vokal oder instrumental angelegt sein und mit dem Wechselspiel von sowohl Gruppen als auch Soli spielen. Die schnellen Sätze sind für gewöhnlich in Ritornellform angelegt, d. h. es gibt einen wiederkehrenden Refrain, das Ritornell, wie in der Oper „L'Orfeo“ von Claudio Monteverdi. Die Instrumentalmusik gewann in der Zeit des Barock immer mehr an Bedeutung und auch heute noch ist mit dem Begriff Konzert primär Instrumentalmusik gemeint. Das instrumentale Konzert kann in die Kategorien Concerto Grosso und Solokonzert unterteilt werden. 1. Concerto grosso Im Concerto grosso („dickes Konzert“) setzt sich eine Solistengruppe (Soli / Concertino) von einer Tutti-Gruppe ab (Concerto grosso / Tutti / Ripieno). Meist ist das Concerto grosso dreistimmig angelegt, zum Beispiel mit 2 Violinstimmen + Basso continuo, wodurch es sich nur durch den Wechsel von chorischer und solistischer Besetzung von einer Sonate unterscheidet. Zu den bekanntesten Concerto-grosso-Komponisten gehört Arcangelo Corelli, der schon in den 1680er Jahren Concerti schrieb und dessen Musik auch zu seiner Zeit verbreitet war und sogar in Indien zur Aufführung gelangte. Häufig sind seine ersten Sätze langsame Sätze, was zeigt, dass das obige Schema nicht immer realistisch ist. Dies ist auch im Concerto Nr. 1 aus den Concerti op. 6 der Fall (s. Folien 26-28). Auf den Largo-Abschnitt folgt ein Allegro-Abschnitt, der solistisch besetzt ist und nach einem einfachen aber wirkungsvollen Sequenzierungsprinzip gebaut ist, was darauf hinweist, dass es sich hier um Gebrauchsmusik und nicht um verkopfte Musik handelt. Möglicherweise erklang diese Musik im Palazzo Riario in Rom, wo Corelli öfter wirkte. Der Komponist erlangte schon zu seinen Lebzeiten außerordentliche Bekanntheit und Ruhm und wurde auch noch bis ins 19. Jahrhundert sehr viel gespielt, was vor allem einer neuen Druckmethode seiner Zeit zu verdanken ist, mit der gleich mehrere Abzüge von einer Druckplatte erstellt werden konnten und durch die nach Corellis Tod seine Werke von Amsterdam aus über ganz Europa verbreitet wurden. Komponisten und Persönlichkeiten im Allgemeinen erlangen nicht nur durch die Qualität ihres Schaffens Bekanntheit. Offenbar gibt es oft pragmatischere Gründe. Auch in Norddeutschland konnte durch diese technische Errungenschaft Corellis Musik gespielt und gehört werden und beeinflusste die dortigen Musiker: 1701 wurden 12 Konzerte für Concertino und Concerto grosso von Georg Muffat in Augsburg gedruckt. Der Komponist orientierte sich stark an seinem Vorbild Corelli und musizierte seine Werke auch bei Corelli persönlich in Rom, wo er von dessen Urteil profitieren konnte (s. Abb. Folie 35). Die enge Orientierung am Vorbild bzw. das direkte Nachahmen von Musik war damals noch nicht verpönt, sondern eher ein „Ideal“. Muffats Konzerte erlangten im 18. Jahrhundert große Bekanntheit und zeigen, dass das Musikschaffen der Zeit sehr international war: So kam Muffats Familie ursprünglich aus Schottland und seine 12 Konzerte sind auch durch französische Musik beeinflusst und haben ein dreisprachiges Vorwort. Wie auf Muffat, so wirkte Corelli auch auf zahlreiche andere Musiker, wie Mattheson, Telemann und Bach in Deutschland, aber auch auf Adlige auf ihrer „Kavalierstour“ durch Italien. In England wurde er besonders rege rezipiert und trug maßgeblich zur Entwicklung des Londoner Musiklebens bei, sodass er sinnbildlich als das „Brot zum Leben“ bezeichnet wurde (s. Folie 39). Zu guter Letzt wurde Corelli, wie auch schon Gabrieli, weltweit, d. h. auch in Kolonien in China und Indien, gehört. Fazit: Das Concerto grosso ist eine Gattung aristokratischer Musikpraxis, geht von Italien aus, gelangt aber durch neue Druckmethoden nach ganz Europa und zum Teil in die restliche Welt, wodurch es bald eine internationale Gattung ist. Alfred Schnittke, Komponist des 20. Jahrhunderts, schreib sein Concerto Grosso für 2 Violinen, Cembalo (auch Klavier) und Streichorchester in Anlehnung an die Tradition des Concerto grosso, in dem er diese verzerrt und kompositorische Techniken des Concerto, wie Imitation, auf ein Extrem führt (s. Folien 44-46). 2. Solokonzert Das Solokonzert als zweite Unterkategorie des Concerto ist das Wechselspiel zwischen Tutti- und Solo-Passagen, d. h. zwischen musikalischen Abschnitten, in denen ein Solist mit Begleitung des Orchesters oder alle zusammen (tutti) musizieren. Die wichtigsten Soloinstrumente des 18. Jahrhunderts sind allen voran die Violine sowie die Trompete und die Oboe. Einer der bekanntesten Komponisten für Solokonzerte ist Antonio Vivaldi, alias „prete rosso“ („roter Priester“), denn er hatte rote Haare. Auch Vivaldi erlangte Bekanntheit durch die Möglichkeit, seine Werke durch den Druck vervielfältigen und verbreiten zu können, denn Venedig, seine Heimatstadt, war ein Zentrum des Buchdrucks. Die Formidee des Solokonzerts, die durch Vivaldi geprägt wurde, hatte maßgeblichen Einfluss auf die europäische Musik bis ins 20. Jahrhundert. Besonders hervorzuheben sind die Entwicklung der dreisätzigen Anlage der Konzerte sowie der Ritornellform, die sich in allen schnellen Sätzen der Solokonzerte Vivaldis wiederfindet und in der sich Tutti- und SoloPassagen abwechseln. Das Ritornell durchwandert dabei nacheinander verschiedene Tonarten. Vivaldi schrieb insgesamt ca. 350 Solokonzerte. Als ein Beispiel sollen die Zwölf Concerti op.3 „L‘estro armonico“ dienen, aus diesen das Konzert Nr. 6 für Violine und Orchester a-Moll. Wie auch Corellis Konzerte, baut diese Musik auf einfachen musikalischen Prinzipien wie Wiederholung und Sequenzierung kurzer Figuren (s. Folie 57) oder die Verschiebung einfacher Rhythmen gegeneinander (s. Begleitstimmen, Folie 55), wobei stets nur wenig Material die Grundlage bildet. Durch Anwendung dieser Prinzipien in Kombination mit der eingängigen Ritornellform wird mit wenig Aufwand ein großer Effekt erzielt, wodurch es Vivaldi möglich war, sehr viel Musik in wenig Zeit zu produzieren, was ihm zu dem Mythos verhalf, „er könne schneller ein Konzert komponieren als ein Kopist Partitur und Stimmen schreibt“ (s. Folie 51). Es ist anzunehmen, dass Vivaldis Konzerte im Pio Ospedale della Pietà in Venedig erklangen, einem Waisenhaus für Mädchen und eines der ersten Konservatorien. Dort erhielten ausgewählte Mädchen eine sehr gute musikalische Ausbildung (s. Abb. Folien 61, 62). Orchester Der Begriff „Orchester“ geht zurück auf das altgriechische „orkéstra“, welches die Spielfläche in alten Amphi-Theatern bezeichnet (s. Abb. Folie 64). Erst ab dem 18. Jahrhundert wurde der Begriff des Orchesters für Instrumentalgruppen verwendet, wodurch das ältere „Capella“ verdrängt wurde, welches zuvor gemischte Vokal- und Instrumentalensembles bezeichnet hatte. Das Orchester entwickelte sich von einem kleinen und wenig präzisierten Instrumentalensemble mit Melodie- und Generalbassinstrumenten im 17. Jahrhundert zu einem großen und recht genau definierten Apparat mit Blechbläsern und Schlagwerk in der Romantik. In der Barockzeit war das Orchester ein höfisches Ensemble. Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts trat es im Rahmen von Abonnementkonzerten in die bürgerliche Öffentlichkeit, zum Beispiel in den Londoner Alehouses (s. Folie 69), wo auch W. A. Mozart als kleines Wunderkind aufgetreten sein könnte, der damals nachweislich in London war (s. Folie 70). Später spielten Orchester meist in Konzertsälen, wie im ersten Leipziger Gewandhaus (s. Abb. Folie 72), die sich immer mehr baulich dieser Nutzung anpassten. Seit Wagner existiert der Orchestergraben als gesonderter Raum für ein Orchester zur Begleitung von Oper und Theater. Die Position des Dirigenten entwickelte sich erst im Zuge der Vergrößerung des Orchesters, wofür sich maßgeblich Felix Mendelssohn-Bartholdy einsetzte, der als der erste Dirigent im heutigen Sinne gilt. Virtuosität Verbunden mit dem Begriff des Solokonzertes ist der Begriff der Virtuosität. Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein Kult um technisches Vermögen von Instrumentalsolisten, der sich auch auf die Musik auswirkte. So warf man Vivaldi vor, bestimmte Passagen auf der Violine sehr schnell zu spielen, nur um durch technische Schwierigkeit zu brillieren, wohingegen der musikalische Gehalt verloren ginge (s. Folie 79). Vermutlich führte dieses Kult-Denken auch zur Entwicklung des Stereotyps Originalgenie der Romantik, der ebenso auf Komponisten wie auf Instrumentalsolisten angewendet wurde. Wenn dabei die Verehrung des Genies die eigentliche Leistung vergessen lässt und sich nur an Oberflächlichem wie Schnelligkeit oder weißen Perücken, wie im Falle des heutigen Mozart-Kultes, orientiert, ist eine extreme, verkitschte Form des GenieDenkens erreicht. Helmut Lachenmann kritisiert diesen Mozart-Kult in seinem Stück Accanto – Musik für einen Klarinettisten mit Orchester, in welchem er bruchstückhafte Tonbandzuspielungen des A-Dur-Klarinettenkonzerts im Hintergrund laufen lässt, womit er ebenso die neue Art von Musikkonsum im Alltag in Frage stellt.