Musikin ihren Lebenswelten Vorlesung MusikgeschichteII Prof.Dr.SabineMeine HfMDetmold Sommersemester2016 MaximilianJenkins 2.SemesterSchulmusik Protokoll: Die zweite Vorlesung der Veranstaltung „Musik in ihren Lebenswelten“ stand ganz unter dem Motto „Konzert- Orchester und Virtuosität“. Bei der Begriffsbestimmung des Terminus Konzert wurde klar, dass dieser mehr als nur eine historische Gattung oder Form umfasst. Die Form Konzert ist überhistorisch relevant und betrifft auch unsere heutige Veranstaltungsweise und das daran gebundene Verhalten. Besonders heutzutage ist das Konzert an Popularisierung und Medien gebunden und befindet sich seit vielen Jahren in einer Phase des Umbruchs. Etymologisch betrachtet geht der Begriff Konzert auf das italienische concertare zurück, wofür zwei Übersetzungen existieren. Einerseits trägt er die Bedeutung, etwas auf einander abzustimmen und andererseits, die bekanntere Auslegung, als heftig miteinander disputieren oder wetteifern. Von frühen Formen des Konzerts ist nur wenig überliefert, daher können nur Vermutungen unter Berücksichtigung von kulturhistorischen Rahmenfaktoren angestellt werden. Eine Frühform des Konzerts im Mittelalter sind die alternierenden Chöre des gregorianischen Chorals. Aufführungsort war meist die Kirche oder das Kloster. Bezieht man die Frage Wo wurde die Musik aufgeführt? mit ein, so kann man das Kloster St. Gallen nennen, welches (wie bereits in den Vorlesungen des Wintersemesters behandelt) im Mittelalter ein kulturelles Zentrum der Kirchenmusik war. Eine weitere frühe Form des Konzerts wurde bereits als Beispiel in den Vorlesungen zur Renaissance behandelt. Damals ließ man in der Basilika San Marco getrennte Emporen einrichten, um in geteilten Chören singen zu können. Diese salmi spezzati (zerteilte Psalmen) wurden ebenfalls im Rahmen der Kirchenmusik aufgeführt. Die Konzerte im Barock hingegen standen in einem anderen kulturellen Kontext. Die Frage Wo wurde die Musik aufgeführt? kann für diese Zeit mit Vortrag bei Hofe beantwortet werden. Der Feudaladel war zu Zeiten des Barock wesentlicher Veranstalter. Die absolutistischen Fürsten luden zu Konzerten ein, es wurde also eine private Konzertsituation erzeugt. Ein Bild, welches in diesem Zusammenhang genauer betrachtet wurde, zeigt sogar eine vermutliche Adelige am Basso continuo. Zwar kann man nicht davon ausgehen, dass stilisierte Gemälde wie dieses Situationen zeigt, welche historisch tatsächlich so stattgefunden haben. Dennoch können wir daraus die führende Rolle des Adels und die Rolle der privaten Konzertsituation ableiten. Das barocke Concerto ist, aus der musiktheoretischen Perspektive (der Formenlehre) betrachtet, eine sehr freie Form. Das Concerto besteht in der Regel aus drei Sätzen. Der eröffnende Satz steht meist in einem schnellen Tempo, der zweite Satz ist ein langsamer Satz und der dritte Satz, welcher gerne imitatorisch gestaltet wird, ist wieder ein schneller Satz. Es existieren sowohl vokale als auch instrumentale Kompositionen im Bereich Concerto, wobei die Instrumentalmusik vor allem in dieser musikhistorischen Phase enorm an Bedeutung gewinnt. Darüber hinaus werden Concerto grosso und Solokonzert unterschieden. Das Concerto grosso lebt vom Wechsel des Concertino und Ripieno. Das Concertino ist meist dreistimmig besetzt, oft mit zwei Solisten und Basso continuo. Diese Gattung, welche sich ab dem Ende des 17 Jhd. Entwickelt, weist eine nicht zu übersehende Überschneidung zur Form Sonata auf. Bislang bedeutet die Form Sonata nur klingendes Stück, dennoch erinnert das Formschema des Concerto bereits an die spätere Form der Sonate. Ähnlich dem Concerto grosso zeichnet sich auch das Solokonzert durch Gruppenwechsel und eine auf Gegensätze hin angelegte Stellung der Sätze auf. Noch mehr als im Concerto grosso spielt in diesem Zusammenhang die Ritornellform eine große Rolle. So spielt das Ripieno oft dasselbe Thema oder leitet eine neue Tonart für den Solisten ein. Das häufigste Soloinstrument dieser Form ist die Violine, andere häufiger benutzen Instrumente sind die Trompete, die Oboe oder das Klavier (/Cembalo). Die Form Concerto gewann innerhalb kurzer Zeit große Popularität. Wie es dazu kam, kann mithilfe der Fragestellungen Wo wurde die Musik aufgeführt? und Wie wurde die Musik überliefert? beantwortet werden. Zur Zeit der Concerti hatte es eine Revolution im Bereich der Medienproduktion gegeben: neben dem Buchdruck wurde auch der Notendruck entwickelt (zunächst ab 1501 in Venedig, nun im 18. Jhd. mit neuer Drucktechnik). So konnte Musik recht günstig vervielfältigt werden. Dies war für junge, bekannte und vor allem produktive Komponisten wie Arcangelo Corelli und Antonio Vivaldi eine ideale Startbedingung. Vivaldi machte den Druck seiner Werke international und ließ seine Werke auch in Amsterdam drucken, um sowohl von den ökonomischen Vorteilen des nordeuropäischen Druckzentrums zu profitieren, als auch seine Musik auf der internationalen Bühne zu präsentieren. International ist auch das Stichwort für die Beantwortung der Wo?-Frage. Im Barock war es üblich bereits vorhandenes musikalisches Material für eigene Produktionen zu verwenden. Das konnte nicht nur bei ganzen dem Parodieverfahren entspringenden Stücken der Fall sein, sondern sich auch auf kleine Themen oder stilistische Imitation beziehen. Corelli schrieb bereits in den 1680er Jahren Concerti, welche u.a. in den Palazzi der Adeligen in Rom aufgeführt wurden. Der europäische Komponist Georg Muffat ließ sich von Corelli inspirieren und komponierte, begeistert von der Vielfältigkeit der Musik, selbst fünf Kammersonaten. Durch reisende Adelige und Musiker und internationale Drucke konnte Corelli seine Musik in ganz Europa verbreiten. Schon die Drucke von Muffats Kammersonaten beinhalteten das Vorwort in drei Sprachen. Muffat, dessen Familie Generationen zuvor aus Schottland nach Frankreich gekommen und der selbst viel international unterwegs war, agierte wie viele andere Musiker im Barock im internationalen Rahmen. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielte die Ökonomie der Musik, welche die große Variabilität und die vielen Werke im Barock erst möglich machte. Die Komponisten verwendeten reduziertes Material (reduzierte Ideen), welche dann vielfach variiert, sequenziert, erweitert, kombiniert wurden usw. Ebenfalls relevant in diesem Kontext ist das bereits zuvor genannte Parodieverfahren. Vivaldi gab sogar damit an, schneller ein Concerto komponieren zu können, als ein Kopist Stimmen und Partitur schreibe. Später erklangen die Concerti bereits in etwas öffentlicheren Situationen, z.B. in Ballsälen. Mit dem zunehmenden Erfolg der Concerti gewann auch das Orchester an Bedeutung. Der Begriff Orchester entstammt dem griechischen orchéstra, dem runden Tanzplatz für den Chor im antiken Theater. Auch Instrumentalisten saßen dort im antiken Theater. Daher wurde der Begriff ab dem 18 Jhd. für ein vokales Spielensemble verwendet. Besetzungstechnisch unterscheidet man im Orchester der Barockzeit zwischen Generalbassinstrumenten (Cello, Dulzian/Fagott, Laute, Orgel, Cembalo etc.) und Melodieinstrumenten (Violine, Trompete, Flöte, Oboe etc.). Dennoch war die Besetzung variabel (wie gesagt, manche Concerti wurden sogar vokal besetzt). Auch bei Frage nach dem Wo? stellen sich mit der Weiterentwicklung der Besetzung und der Form neue Entwicklungen ein. Im Barock war die Aufführungspraxis vom absolutistischen Feudaladel bestimmt, welcher private Konzertsituationen bei Hofe arrangierte. Doch auch im 18. Jhd. (genauer 1726-1792) veranstaltete in London die Ancient Academy of Music Konzerte in den Alehouses (Gasthäusern/Kneipen) der Großstadt. Schon Mozart trat mit seiner Schwester in London auf. Mit den freischaffenden Künstlern der Klassik und der Romantik wurde eine öffentliche Konzertsituation erforderlich. Ein Beispiel für ein öffentliches Musikzentrum ist das Leipziger Gewandhaus, welches zahlreiche Uraufführungen beheimatete, unter anderem von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Nicht nur der Aufführungsort änderte sich mit den Entwicklungen der Romantik, auch die Besetzung wurde erweitert. Vor allem die romantischen Komponisten wie Wagner fügten viele Bläser zur traditionellen Besetzung hinzu. Mit den öffentlichen Konzertsituationen und den großen Besetzungen avancierte der Dirigent zur zentralen Figur im Konzert („Le concert cést moi.“). Auch der Aspekt Virtuosität prägte die Entwicklung des Konzertlebens wesentlich. Zu Zeiten Vivaldis unternahm ein Herr von Uffenbach eine musikalische Reise nach Venedig und hörte Vivaldi auf einem seiner Konzerte Violine spielen. Für ihn war die Geschwindigkeit des Solos geradezu erschreckend und unangenehm. In diesem Fall wurde Virtuosität also missbilligt. Andere Virtuosen, wie z.B. Paganini wurden hingegen gefeiert („Nur so viel Körper, als eben nothwendig, um das lodernde Feuer zu concentriren[...]“). So erlebte also die Virtuosität im Barock eine Entwicklung von der Missbilligung als künstlich zu einem revolutionären und aufregendem Bestandteil eines guten Konzerts. Vieles der früheren Konzertmusik ist heute eher Musik für Nebenbei oder zur Entspannung. Ein Beispiel dafür ist Mozarts Klarinettenkonzert. Der deutsche Komponist Helmut Lachenmann kritisiert diese Haltung und versucht diesem Trend mit seinem Werk „Accanto“ entgegenzuwirken. Das Stück kombinierte Sprechen beim Spielen, stummes Spielen und Einblenden des Originals vom Tonband. Mit diesem radikalen Werk versucht Lachenmann einen gewagten Bruch mit der Schön-Wetter-Ästhetik der Entspannungs-Klassik. Diese Entwicklung von Corellis Concerti bis zu Lachenmanns Bruch mit der Konzertästhetik zeigt wie Rezeption, Produktion und Lokation der Form Konzert im Laufe der Zeit geprägt haben. Diese Entwicklungen halten bis heute an. In der Popularmusik von heute hat das Konzert einen Erlebniskult erreicht, der häufig in Kombination mit rauschhaftem Tanzen und exzessivem Feiern auftritt. Die sog. E-Musik versucht sich anders zu popularisieren, z.B. in Form von Cross-over-Projekten, Erlebniskonzerten in Kombination mit kulinarischem Angebot oder bildender Kunst oder Mitmachkonzerten von Chören oder Ähnlichem.