EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien Die Schwerpunkte der EZ und islamische Werte in Bangladesch Ziel des Informationspapiers Das vorliegende Informationspapier bietet eine sektorspezifische Einführung in für die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in Bangladesch wichtige Themenfelder und Fragestellungen im Zusammenhang mit dem soziokulturellen Faktor Islam (Governance, Ökonomie, Bildung, Gesundheit) und richtet sich an ein interessiertes Fachpublikum. Das Informationspapier soll in knapper Form und übersichtsartig aufzeigen, wie und in welchen Bereichen der Faktor Islam in Theorie und Praxis eine Rolle für die Projektarbeit in Bangladesch spielt. Foto: Andy Musilli Foto: Caroline Johnigk Die Eigenmaßnahme „Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien“ Bislang fehlt eine systematische Aufarbeitung der Erfahrungen im Themenfeld Entwicklungszusammenarbeit und Islam in Asien. Die Eigenmaßnahme der GTZ schließt diese Wissenslücke im Bereich Internationale Zusammenarbeit und schafft die Basis für die Entwicklung angepasster Instrumente und Sektorkonzepte sowie für die Vorbereitung und Fortbildung von Personal. Durch ein besseres Verständnis islamischer Werte, Konzepte und Akteure und deren Einbeziehung können wir eine nachhaltigere Wirkung in der Zusammenarbeit mit den Partnerländern Süd- und Südostasiens erzielen. 1 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Islam und Gesellschaft in Bangladesch .......................................................... 2 Islam und Entwicklungdiskurs in Bangladesch ............................................. 3 Islamische Institutionen und Organisationen................................................. 4 Dimensionen von Governance ......................................................................... 5 Staats- und Demokratieverständnis ................................................................. 5 Frauenrechte und islamische Rechtspraxis in Bangladesch ............................ 6 Islam und Ökonomie ......................................................................................... 7 Islam und Bildung ............................................................................................. 9 Islam und Gesundheit ......................................................................................11 Weiterführende Literatur .................................................................................13 1. Islam und Gesellschaft in Bangladesch Bangladesch ist nach Indonesien und Pakistan das drittgrößte islamisch geprägte Land weltweit. 88% der Bevölkerung, mehr als 120 Millionen Menschen, bekennen sich zum Islam. 90% davon sind Sunniten1 der hanafitischen Rechtsschule2, die übrigen folgen der shiitischen Auslegung3 oder kleineren Religionsgemeinschaften4. Der Rest der Bevölkerung bekennt sich zum Hinduismus (10%), Buddhismus, Christentum oder Naturreligionen. Die Mehrzahl der Bangladeschis sind ethnisch Bengalen, doch als primäres Identifikationsmerkmal gilt der Islam, der in Form des bengalischen Volksislam in Gesellschaft und Alltagskultur tief verwurzelt ist. In einem jahrhundertelangen Prozess verband sich der Islam seit dem 13.Jahrhundert mit dem in Bengalen vorherrschenden Hinduismus sowie lokalen Bräuchen, so dass der heute im ländlichen Bangladesch verbreitete Volksislam deutlich synkretistische Merkmale trägt. Dabei spielt der mystisch orientierte Sufismus eine große Rolle, der in ganz Südasien von reisenden Sufimeistern und –orden verbreitet wurde. Die Todestage dieser Lokalheiligen (Pirs) sind bis heute beliebte Volksfeiertage, ihre Gräber (Mazars) sind als heilige Schreine Pilgerorte für viele Muslime im ländlichen Raum. Gleichzeitig sind sie Zentren der Verbreitung der islamischen Lehre in Bangladesch. Lebende Pir werden als spirituelle Führer und Spezialisten für rituelle (auch magische) Handlungen regelmäßig aufgesucht. Das andere Spektrum im Alltagsglauben neben dem Volksislam nimmt die große Zahl nominell orthodoxer Muslime ein, die auf Grundlage von Koran, Sunna und Schari’a5 die alltäglichen Gebote und rituellen Handlungen des Islam befolgen. In allen spirituellen und soziokulturellen Belangen folgen die orthodoxen Gläubigen den Religionsgelehrten, den Ulama, die für die Verbreitung der islamischen Lehre und Bewahrung der islamischen Lebensweise zuständig sind. Diese Imame, Maulvis, Mullahs oder Maulana6 fungieren als Vertreter der im ländlichen Bangladesch noch 1 Sunniten: Mehrheitsrichtung im Islam, die sich in der Tradition (Sunnah) des Propheten sieht. Der sunnitische Islam kennt vier Rechtsschulen, die leicht unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. Die hanafitische Rechtsschule ist in Südasien maßgebend. 3 Shiiten: Berufen sich auf den 4. Kalif Ali, lehnen die ersten drei Kalifen als Rechtsnachfolger des Propheten ab, und pflegen ihre eigenen Rechtstraditionen. 4 Es gibt in Bangladesch einige wenige Anhänger islamischer Sekten wie den Ismailiten, Baha´is und Ahmadis. 5 Schari’a: Wird oft mit islamischem Recht gleichgesetzt, bedeutet jedoch im Sinne islamischer Normativität eigentlich die von Gott gesetzte Ordnung, und ist somit Grundlage islamischen Rechts. 6 Imame und Mullahs sind islamische Gelehrte mit grundlegender Ausbildung in islamischem Recht und Theologie, Maulvis und Maulana sind Graduierte von Madrassahs oder mit höherer Bildung. 2 2 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien stark ausgeprägten Machstrukturen des Patronagesystems7 und stellen als eigene soziale Klasse einen Teil der lokalen Elite dar. Durch die weit verbreitete Praxis der Verhängung von Fatwas (Rechtsurteilen) und ihre Funktion als Laienrichter in den Dorfgerichten untermauern die Ulama ihren Machtanspruch. Dem Volksislam ablehnend gegenüber stehen die Islamisten, deren Anzahl seit einigen Jahren zunimmt. Sie befürworten eine enge Anlehnung an die Quellen der islamischen Tradition Koran und Sunnah mit dem politischen Ziel eines islamischen Staatswesens auf Grundlage der Schari’a. Unter den Islamisten dominieren fundamentalistische Strömungen des saudi-arabischen Wahhabismus oder der nordindischen Deoband-Bewegung8, die beide als äußerst konservativ bis extremistisch gelten. Für eine moderne Interpretation islamischer Grundwerte tritt eine Gruppe von Muslimen ein, die sich vor allem im urbanen Raum findet. Der von ihnen befürwortete Reformislam ist tolerant, säkular und aufgeklärt und hat nichts mit dem Islambild der Islamisten gemeinsam. Diese modernen Muslime der urbanen Mittelschicht verkörpern die liberale und demokratische Zivilgesellschaft, die sich auch für die Modernisierung und Entwicklung Bangladeschs einsetzt. 2. Islam und Entwicklungsdiskurs in Bangladesch Bangladesch zählt zu den am wenigsten entwickelten Ländern mit den typischen Merkmalen extremer Armut und weist gleichzeitig eine problematische Bevölkerungsentwicklung aufgrund einer hohen Geburtenrate, hohen Bevölkerungsdichte und hohen Anfälligkeit für Naturkatastrophen auf. In den letzten Dekaden konnte Bangladesch mit massiver Unterstützung westlicher Geber große Fortschritte bei der Armutsbekämpfung erzielen, v.a. im Bereich Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik oder im Bildungsbereich. Neben bilateralen und multilateralen Gebern sind vor allem internationale, nationale und lokale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die wichtigsten Träger von Entwicklung. Der NGO-Sektor in Bangladesch ist vielfältig und umfassend: 13.000 NGOs arbeiten v.a. in den Bereichen Mikrokredite, Bildung, reproduktive Gesundheit, Umweltschutz, ländliche Entwicklung, Menschenrechte und Demokratieförderung. Im ländlichen Raum erreichen NGOs 30 Millionen Menschen in über 80% der Dörfer. 1.500 dieser NGOs werden durch ausländische Geber finanziell unterstützt, von denen 549 direkt mit Frauen arbeiten, ein besonderes Mandat westlicher Hilfsorganisationen seit der Regierungszeit des Militärdiktators Ziaur Rahman (1975-1981). Diese NGOs sind gleichzeitig Träger eines westlich geprägten Entwicklungsdiskurses, der auf Modernisierung, Partizipation der armen ländlichen Bevölkerung und vor allem Empowerment der stark benachteiligten armen Frauen setzt. Dies bringt die NGOs immer wieder in Konflikt mit den lokalen Eliten und besonders den Ulama als Bewahrern der Traditionen und Bräuche, die von ihnen als islamisch und daher als unangreifbar begründet werden. Viele Ulama zeigen sich gegenüber Modernisierungsbemühungen im allgemeinen wertkonservativ und verschlossen, was zur Folge hat, dass es mit Fokus auf die gesellschaftlich stark benachteiligte Rolle der Frauen in Bangladesch seit den 90er Jahren häufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen 7 Dem Patron zollt man Ehre und unbedingten Respekt. Während für die materiellen Aspekte wie Landfragen lokale Großgrundbesitzer als Patron auftreten, sind für die spirituellen Aspekte die Ulama verantwortlich. 8 Bezugspunkt ist die 1857 in Uttar Pradesh (Nordindien) gegründete Madrassah mit strikt konservativer Ausrichtung, die bis heute die Maßstäbe für die islamische Bildung in Südasien setzt. 3 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien zwischen der Klasse der Religionsgelehrten und ihrer Anhänger und dem NGOSektor kam.9 In diesem Informationspapier soll aufgezeigt werden, dass der Islam in Theorie und Praxis auch entwicklungsfördernd wirken kann und keinesfalls als modernisierungsfeindlich angesehen werden muss. Einige Geber haben dies erkannt und es gibt positive Beispiele der Einbeziehung religiöser Autoritäten in die Projektarbeit, wie z.B. UNICEF, UNFPA, GTZ und v.a. die Asia Foundation mit ihrer „Leaders Outreach Initiative“, die Ulama über Entwicklungsprojekte von USAID informiert. Eine Einbeziehung islamischer Institutionen und Organisationen in die Projektarbeit kann unter bestimmten Voraussetzungen Konflikte abbauen helfen und mehr Verständnis für Entwicklungsvorhaben schaffen. 3. Islamische Institutionen und Organisationen Bangladesch verzeichnet ein großes Spektrum sozio-religiöser Organisationen und Institutionen, die im Geiste der islamischen Tradition handeln und von traditionellen Religionsgelehrten angeleitet werden. Aus Mangel an Informationen und klaren Kriterien für eine mögliche Kooperation wird jedoch das große entwicklungsrelevante Potenzial vieler Institutionen missachtet. Seit dem 11.September 2001 stehen zudem besonders islamische NGOs in Bangladesch unter dem Verdacht, direkt oder indirekt terroristische Aktivitäten zu unterstützen. Das Institutionenspektrum umfasst gleichermaßen die informellen Netzwerke der zahlreichen Madrassahs, Moscheen und Sufi-Schreine sowie sozio-religiöse Massenbewegungen wie die Tablig Jamat10, und formale öffentliche oder private Institutionen. Die wichtigsten dieser für die EZ relevanten Institutionen werden hier kurz vorgestellt. Ministry of Religious Affairs: Das Religionsministerium unterstützt und reguliert religiöse Institutionen wie die Moscheen oder die Imam-Ausbildung und organisiert die jährliche Haddsch nach Mekka. Eine Kooperation ist bei der Einbeziehung religiöser Würdenträger sinnvoll und steigert dadurch die Legitimation der Projektarbeit. Islamic Foundation: Die populäre Organisation bildet Imame zu Gemeindeführern aus, veranstaltet Seminare und Workshops zu islamrelevanten Themen, betreibt Forschung und publiziert. Sie wurde 1975 gegründet und untersteht heute als autonome Körperschaft dem Religionsministerium. Durch ihre landesweiten Netzwerke kann die Islamic Foundation praktisch alle religiösen Würdenträger erreichen und hat dadurch das höchste Potenzial als Kooperationspartner der EZ. Zakat Council: Als semi-offizielles Komitee wurde der Rat 1984 gegründet und untersteht direkt dem Präsidenten Bangladeschs. Er ist für die Einziehung der Armensteuer (Zakat; eine der fünf Säulen des Islam11) zuständig, die dann in Waisenhäuser, Schulen, Kinderkrankenhäuser und andere wohltätige Institutionen fließt. In dieser Funktion liegt auch sein entwicklungsrelevantes Potenzial. 9 Die gewaltsamen Übergriffe richteten sich v.a. gegen die weltweit größte NGO Bangladesh Rural Advancement Committee (BRAC), PROSHIKA oder die Grameen Bank aufgrund ihrer frauenspezifischen Empowerment- und Bildungsarbeit oder einkommensschaffender Maßnahmen durch Mikrokredite. 10 Die Tablig Jamat organisiert das nach Mekka zweitgrößte Pilgerereignis, zu dem jährlich mehr als 1-1,5 Millionen Menschen nach Tongi bei Dhaka pilgern. 11 Die fünf Säulen des Islam sind: Glaubensbekenntnis (Shahada), Gebet (Salat), Almosensteuer (Zakat), Fasten (Saum), Pilgerfahrt (Haddsch). 4 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien Waqf Council: Der für religiöse Stiftungen (Waqf) zuständige Rat untersteht dem Religionsministerium, das die Aufsicht und Anleitung der Stiftungsverwaltung bereitstellt. Waqf sind wichtige sozio-ökonomische Einrichtungen, deren beträchtliche Finanzmittel auch für wohltätige Belange eingesetzt werden, z.B. Armenspeisung oder Förderung von Bildungseinrichtungen. 4. Dimensionen von Governance Staats- und Demokratieverständnis Bangladesch ist eine mehrheitlich islamisch geprägte Nation. Der Nationsbildungsprozess ist nach nur 35 Jahren Unabhängigkeit noch nicht abgeschlossen, v.a. der Islam wirkt jedoch identitätsstiftend. Sich selbst sieht Bangladesch als moderate und tolerante islamisch geprägte Demokratie. Die Verfassung nach der Unabhängigkeit 1971 ruhte auf den vier Pfeilern Nationalismus, Sozialismus, Demokratie und Säkularismus und betonte das Prinzip religiöser Neutralität des Staates. Doch schon das Militärregime unter General Ziaur Rahman (1975-1981) wandte sich vom Säkularismus ab und ersetzte das verfassungsmäßige Prinzip gegen den „absoluten Glauben an den allmächtigen Allah“. Ein staatlicher Islamisierungskurs wurde eingeleitet durch institutionalisierte öffentliche Bekenntnisse zum Islam, die Einrichtung eines Religionsministeriums, der Etablierung einer Islamic Foundation zur Ausbildung der Imame, eines islamischen Forschungszentrums und einer islamischen Universität. Sein Nachfolger General Ershad (1982-1990) trieb die gesteuerte staatliche Islamisierung weiter voran und erklärte den Islam 1988 per Verfassung zur Staatsreligion. Er gründete ein nationales Zakat Gremium zur einheitlichen Erhebung und Verwaltung der Armensteuer, machte den Freitag zum islamischen Feiertag, befreite Moscheen von Gebühren und leitete eine staatliche Unterstützung der Madrassahs ein. Seit der Rückkehr zur Demokratie 1991 wird die ideologische Auseinandersetzung um die politische Rolle des Islam vornehmlich durch den Antagonismus der beiden großen Volksparteien ausgetragen. Während die Awami League unter Oppositionsführerin Sheikh Hasina für den säkularen Staat eintritt, gute Beziehungen zu Indien pflegt und für die Rechte von religiösen Minderheiten (v.a. der Hindus) eintritt, befürwortet die regierende Bangladesh National Party (BNP) unter Premierministerin Khaleda Zia eine Stärkung islamischer Prinzipien in der Verfassung und lehnt sich eng an Pakistan an. Eine stärkere Islamisierung des öffentlichen Lebens ist seit der Regierungsbeteiligung der islamistischen Jamaat-e-Islami Partei nach dem Wahlsieg der BNP 2001 deutlich zu spüren. Die islamischen Parteien in Bangladesch sind als fundamentalistisch einzuordnen und haben im Prinzip das gleiche Ziel, sie streben die Errichtung eines islamischen Staates auf Grundlage der Shari’a an. Die Jamaat-e-Islami ist eine gut organisierte, disziplinierte und finanziell unabhängige Kaderpartei mit einem Netzwerk radikaler Studenten- und Jugendorganisationen. Daneben sind noch folgende Parteien nennenswert: Islami Oikyo Jote (Mitglied der Regierungskoalition), Muslim League, Islamic Democratic League, Bangladesh Justice Party, Nizam-iIslam, Khilafat Andolon. Politisch und religiös motivierte Gewalt durch zahlreiche radikal-islamistische, militante bis terroristische Gruppierungen12, die sich v.a. gegen religiöse und ethnische 12 Die bekanntesten sind Jagrata Muslim Janata Bangladesh (JMJB), Khatme Nabuwait Andolon Coordination Committee, Jamatul Mujahidin Bangladesh (JMB), Shadat-e-Al Hikmat, Hikmatul Jihad, Harkatul Jihad, Jijbut Tawheed, Arakan Mujahidin Party, Rohingya Independent Force. 5 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien Minderheiten, Frauen, Intellektuelle und Oppositionsanhänger richtet, ist leider zur Tagesordnung geworden. Grundsätzlich präsentiert sich Bangladesch jedoch als demokratisches Staatswesen, das seinen Bürgern per Verfassung alle Menschenund Freiheitsrechte, einschließlich der Religionsfreiheit, zugesteht, obwohl der Islam Staatsreligion ist. Frauenrechte und islamische Rechtspraxis in Bangladesch Das Rechtssystem Bangladeschs wird durch das moderne säkulare Staatsrecht geprägt. Als Erbe der Kolonialzeit hat das anglo-indische Zivil- und Strafrecht Gültigkeit, das islamische Strafrecht nach der Schari’a wurde bereits im 19.Jahrhundert verboten. Die Anwendung islamischen Rechts bleibt auf das Personenrecht beschränkt, das als Ehe- und Scheidungsrecht, Familienrecht, Erbrecht, Stiftungs- und Schenkungsrecht sowie Landrecht kodifiziert wurde. In Rechtsfragen zum islamischen Personenrecht wird im traditionell geprägten ländlichen Raum wie selbstverständlich auf islamische Rechtsgelehrte (Mufti) zurückgegriffen, die im strittigen Fall auf Grundlage der Schari’a eine Fatwa erlassen. Für die Rechtssprechung bei lokalen Disputen auf Gemeindeebene ist das traditionelle Rechtssystem der Shalish zuständig.13 Diese traditionellen Dorfgerichte sind die bevorzugte Instanz zur Streitschlichtung nach islamischem Recht für die arme Dorfbevölkerung. Sie setzen sich aus einflussreichen lokalen Persönlichkeiten der männlichen sozialen und religiösen Elite der Gemeinde zusammen. Trotz einer verfassungsrechtlichen Gleichstellung von Frauen und Männern vor dem Gesetz sind Frauen in Bangladesch in besonderem Maße von Rechtlosigkeit betroffen. Der Missbrauch traditioneller Normen zur Einschränkung der Rechte von Frauen zeigt sich besonders deutlich am Beispiel der im ländlichen Bangladesch weit verbreiteten gesellschaftlichen Geschlechterordnung Purdah.14 Eigentlich als moralischer Verhaltenskodex für beide Geschlechter gedacht, bedeutet Purdah in der patriarchalischen Dorfgesellschaft meist den Ausschluss von Frauen aus dem wirtschaftlichen, politischen und sozialen Leben. Die Rechtlosigkeit drückt sich besonders auch durch direkte und indirekte Gewalt gegen Frauen aus, die oft durch gewohnheitsrechtliche Traditionen und Religion legitimiert und gesellschaftlich gebilligt wird, wie z.B. häusliche und familiäre Gewalt, die eigentlich verbotene Tradition der Mitgift, Polygamie oder die Verletzung der reproduktiven Rechte durch erzwungene Schwangerschaften. Die dörflichen Eliten missbrauchen besonders häufig die traditionelle islamische Rechtsprechung durch die Shalish-Dorfgerichte oder die gängige Praxis der Verhängung von Fatwas zur indirekten Gewalt und Machtausübung gegenüber Frauen. 13 Das Konzept der Shalish als gemeindebasierte Mediations- und Schlichtungsinstanz geht auf die islamische Tradition zurück. Shalish werden oft bei Landkonflikten und Besitzrechtsfragen und in Familienangelegenheiten wie Scheidung, Gewalt gegen Frauen, Mitgift, Polygamie, Erbrechts- und Unterhaltsfragen um Vermittlung gebeten. 14 Purdah bedeutet eigentlich Vorhang und ist als sozio-kulturelle Norm auch in hinduistisch geprägten Regionen Südasiens verbreitet; in Bangladesch wird Purdah jedoch der islamischen Tradition zugewiesen. Purdah impliziert die Verschleierung des weiblichen Körpers sowie Trennung der Geschlechter in der Öffentlichkeit. Im urbanen Lebensraum wirkt sich Purdah auch auf die Lebenswelt berufstätiger Frauen in den Textilfabriken aus. 6 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien Frauen stehen daher im Fokus der EZ in Bangladesch.15 Die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern bildet einen Schwerpunkt von Gebern und Durchführungsorganisationen16, z.B. die Revision und Verbesserung der bestehenden Gesetzgebung, die Information von Frauen über ihre Rechte17 oder der verbesserte Zugang zur formalen und traditionellen Rechtsprechung. Bangladeschische NGOs wie die Madaripur Legal Aid Association oder Ain-o-Salish Kendra bemühen sich um die Neugestaltung der traditionellen Shalish-Verfahren18 und Rechtsberatung, um die Praxis frauendiskriminierender Fatwas zukünftig zu verhindern. Weitere Bereiche der entwicklungspolitischen Frauenförderung sind Verbesserung der reproduktiven Gesundheit, der Einkommensschaffung durch Mikrokredite und Bildungsmaßnahmen. Die Förderung von Frauenrechten bewegt sich in einem von tiefverwurzelten Traditionen und Normen geprägten Umfeld, das die EZ weder ignorieren oder leicht verändern kann. Positive Wirkungen lassen sich womöglich durch ein sozio-kulturell angepasstes Vorgehen gerade im Bereich Islam und Gender erreichen, in dem die frauenfreundlichen Aspekte der islamischen Tradition hervorgehoben werden, z.B. durch eine frauenfreundliche Koranexegese, oder durch Training und Einbeziehung religiöser Eliten. 5. Islam und Ökonomie Islamische Wirtschaftskonzepte können als eine Art Alternative zur westlich geprägten Globalisierung und zu Modernisierungsanforderungen angesichts der gravierenden Armutsproblematik in islamisch geprägten Ländern gesehen werden. Der allgemeine islamische Ansatz beruht auf unveränderlichen moralischen Prinzipien, mit dem Ziel, wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit zu schaffen.19 Allgemeingültiges Kernstück dieses Ansatzes ist das Verbot von Zinsen (Riba) auf Kredite und Darlehen, das wirtschaftliche Ausbeutung verhindern soll. Finanzielle Produkte oder Dienstleistungen, die zinsähnlich funktionieren, gelten als Haram, d.h. verboten. Eine Armensteuer (Zakat) soll zur Umverteilung von Reichtum zugunsten der Armen führen. Generell gelten Koran und Hadith als Orientierung auch in wirtschaftlichen Belangen (ca. 200 Verse). So sind Handel und Unternehmertum akzeptiert und erwünscht, wenn das Verbot des „Wucher“ befolgt wird. Die ethischen Prinzipien der 15 Schon Mitte der 70er Jahre richteten westliche Geber den Fokus auf die Genderproblematik in Bangladesch, was vom Staat trotz Islamisierungskurs in Erwartung gesteigerter Entwicklungshilfe auch begrüßt wurde. Als Zeichen dieser neuen Genderideologie wurde unter General Zia ein Frauenministerium ins Leben gerufen, die politische Repräsentanz von Frauen garantiert und der berufliche Zugang zum öffentlichen Sektor geöffnet. 16 Beispielsweise führt die GTZ seit 2005 ein Vorhaben zur Förderung der rechtlichen und sozialen Gleichstellung von Frauen in Bangladesch durch. 17 Die frauenrelevante Gesetzgebung in Bangladesch ist in vielen Bereichen auch als Ergebnis der Bemühungen feministischer NGOs vergleichsweise fortschrittlich, so z.B. die Muslim Family Law Ordinance (1961), der Dowry Prohibition Act (1975), die Family Court Ordinance (1985) oder der Muslim Marriage and Divorce Registration Act (1974). Auch auf Druck der Frauenbewegung wurden 2001 alle Fatwas vom Obersten Gerichtshof für illegal erklärt. 18 Beispielsweise führen die NGOs Schiedsverfahren selbst durch, die Einrichtung von Komitees zur alternativen Konfliktlösung oder die Beteiligung von Frauen als Laienrichtern soll erreicht werden. 19 Zumindest in der Theorie existiert ein idealtypischer Maßnahmenkatalog: Aus- und Weiterbildung sollte für die ethischen Grundlagen sorgen, einschließlich der Islamisierung der Bildung; ein Mittelweg im Produktions- und Konsumverhalten; verbesserte Lebensbedingungen durch mehr Arbeitsplätze, Wohlfahrt, Verteilungsgerechtigkeit, armutsorientierte Steuerpolitik mittels Zakat; Technologie muss mit den Anforderungen einer muslimischen Gesellschaft im Einklang stehen und in ihren Händen liegen; wirtschaftliche Integration in die islamische Wirtschaftswelt und Reduzierung der Abhängigkeit von nicht-muslimischen Märkten. 7 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien Schari’a sollen auch in wirtschaftlichen Belangen befolgt werden. Die wichtigste Aufgabe des Staates besteht dabei in der Beseitigung der Armut und Rahmensetzung für eine armutsorientierte Wirtschaftsentwicklung. Hierzu hat er nach islamischem Recht wichtige Kontroll- und Regulierungsfunktionen zur Sicherstellung der Verteilungsgerechtigkeit zu erfüllen.20 Das Zakat-System ist ein wichtiges Instrument der Armutsbekämpfung, das jedoch nicht vom Staat kontrolliert wird. Neben dem halbstaatlichen Zakat Council sammeln und verteilen auch viele private Organisationen die freiwillige Armensteuer, ein großer Teil wird jedoch individuell und direkt geleistet. In Bangladesch sind 2,5% der jährlichen Einkünfte eines Privathaushaltes üblich, die vor allem gegen Ende des Fastenmonats für die Bedürftigen gesammelt werden. Schätzungsweise 50 Millionen US$ kommen dabei jährlich zusammen. Bei vielen anderen religiösen Anlässen in Bangladesch werden Almosen oder Sachleistungen (Sadaqa) für entwicklungsrelevante Maßnahmen gesammelt. Auch die Waqf sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Bangladesch, deren beträchtliche Mittel teilweise wohltätigen Zwecken zugute kommen21, vielfach jedoch zur Umverteilung von Landbesitz und Immobilien genutzt wird. Als effektives Entwicklungsinstrument zur Armutsbekämpfung sind Mikrofinanzinstitutionen (MFIs) in Bangladesch weit verbreitet. Mikrokredite erreichen heute 60% der armen Haushalte. 2005 gab es 1.200 Mikrofinanzinstitutionen in Bangladesch mit einer Klientel von über 14 Millionen Bedürftigen, 87% davon werden allerdings von vier großen NGOs versorgt (ASA22, BRAC, Grameen, Proshika). MFIs stehen jedoch in der gesellschaftlichen Kritik, nicht nur von konservativen Kreisen in Bangladesch. Das Problem sind die relativ hohen Zinsen (20-30%), die dem Riba-Verbot widersprechen und die einseitige Fokussierung auf die Zielgruppe armer Frauen (90-95% der Mitglieder der Sparkooperativen sind weiblich). Dies hat sozio-kulturelle Implikationen im traditionell geprägten ländlichen Raum zur Folge, die zu ernsten sozialen Konflikten führen können. Die traditionellen Eliten sehen beispielsweise eine Gefahr für die Familieneinheit durch die einseitige Konzentration auf Frauen oder eine Verletzung des Purdah-Prinzips durch die ökonomischen Aktivitäten von Frauen außerhalb des Privatbereiches. Als Alternative zu den herkömmlichen MFIs gelten daher islamische Mikrofinanzinstitutionen und –produkte. Sie basieren auf den Prinzipien der zinslosen Finanzwirtschaft im Einklang mit der Schari’a und auf Grundlage der Gewinn- und Verlustbeteiligung.23 Abgesehen davon gibt es nur wenige Unterschiede zu herkömmlichen MFIs, die jedoch im stark islamisch geprägten ländlichen Bangladesch von Bedeutung sind: Frauen wie Männer werden gleichermaßen gefördert, auf soziokulturelle Normen wird Rücksicht genommen (Beachtung muslimischer Kleidungsvorschriften und der 20 Z.B. die Preiskontrolle, die Monopolkontrolle, Marktregulierung, Festlegung von Mindestlöhnen und Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten. Der Staat hat im Fall von Ausbeutung und Nichtbeachtung islamischer Prinzipien sogar das Recht zur befristeten Enteignung von Unternehmern, Hijr genannt. 21 Man unterscheidet Waqf-lillah, die 10% des Einkommens für wohltätige und religiöse Zwecke (z.B. für Schulen, Waisen- und Krankenhäuser) aufbringen und Waqf-lil-awlad, bei denen die Hälfte der Einnahmen für diese Zwecke abgeführt wird. 22 Association for Social Advancement. 23 Die Erfolgsbeteiligungsfinanzierung unterscheidet man danach, ob Bank und Kapitelnehmer das Kapital bereitstellen und ein gemeinsames Recht zur Geschäftsführung haben (Musharaka) oder ob nur ein Partner das Kapital aufbringt und der andere damit arbeitet (Mudaraba). Bei Aufschlagsfinanzierungen für Handelsgeschäfte verkauft die Bank die Güter mit einem Gewinnaufschlag (Murabaha), Leasing ist ebenfalls möglich (Ijara). 8 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien Geschlechterordnung, soweit notwendig) und keine Finanzierung oder Förderung von Maßnahmen zur Geburtenkontrolle. Probleme und Herausforderungen: Die sozialen Sicherungssysteme im Islam, Zakat, Sadaqa und Waqf, hätten noch größeres Potenzial für eine armutsorientierte Entwicklung, würden sie noch wirkungsvoller und nachhaltiger eingesetzt werden. Eine größere Transparenz und stärkere Kontrolle der nicht unerheblichen wohltätigen Spenden ist hierzu notwendig. Die Rolle des stark hierarchisch geführten Zakat Council könnte beispielsweise aufgewertet und reformiert werden. An den WaqfStiftungen wird kritisiert, dass sie zur starken agrarischen Fragmentierung in Bangladesch beitragen und die Modernisierung der Landwirtschaft bremsen, wozu auch das Missmanagement und mangelnde staatliche Aufsicht beitragen. Idealerweise sollten derartige Impulse von Geberseite jedoch eher durch islamische Geber und Organisationen kommen. Islamische Mikrofinanzprodukte könnten sich als wirkungsvolle und sozio-kulturell angepasste Instrumente der Armutsbekämpfung im ländlichen Bangladesch erweisen, doch noch sind sie nicht weit verbreitet. Islamische Mikrofinanzprodukte können problemlos auch von konventionellen Banken und MFIs in Ergänzung zu herkömmlichen Finanzdienstleistungen angeboten werden, was jedoch bisher nur in Einzelfällen geschieht. Selbst die wenigen islamischen Banken24 tun sich schwer, armutsorientierte Mikrofinanzdienstleistungen nach islamischen Prinzipien anzubieten. Die Islami Bank Bangladesh Limited hat in den 90ern damit angefangen, Mikrokredite zu vergeben und investiert v.a. im Agrarbereich. Eine innovative Ausnahme bildet das Dreisektorenmodell der Social Investment Bank Bangladesh (SIBL). Die Bank bietet sowohl konventionelle Finanzdienstleistungen als auch Mikrofinanzkredite nach islamischen Prinzipien an, und ist an der Entwicklung und dem Management von Waqf sowie anderen religiösen Einrichtungen beteiligt. Eine Zusammenarbeit mit islamischen NGOs findet kaum statt, was daran liegen mag, dass islamische internationale Organisationen das Thema noch nicht so recht für sich entdeckt haben. Eine Ausnahme stellen die begrenzten Aktivitäten der Islamic Development Bank, Muslim Aid oder Islamic Relief in diesem Bereich dar. 6. Islam und Bildung Die Verbesserung des Zugangs und der Qualität von Bildung gehört zu den Entwicklungsprioritäten Bangladeschs, einem Land in dem weniger als die Hälfte der Bevölkerung lesen und schreiben kann. In Bangladesch gibt es neben dem säkularen Bildungssystem, dem ein schlechter Ausbildungsstandard nachgesagt wird, ein etabliertes islamisches Bildungssystem, das 10% der Schüler durchlaufen. Doch auch beim islamischen Bildungssystem sind die Qualitätsunterschiede groß. Die klassische islamische Religionsschule, Madrassah genannt, war eine Schule höherer Bildung in islamischen Kernfächern. Heute bezeichnet sie allgemein eine Schulart von der Grundstufe bis zu weiterführenden Stufen mit islamisch geprägtem Lehrplan. Die erste Kategorie bilden die Alia Madrassahs, die bis auf wenige Ausnahmen in privatem Besitz sind, jedoch von der Regierung durch den Bangladesh Madrassah Education Board kontrolliert werden. Der Staat zahlt 80% der Lehrerge- 24 Das islamische Bankwesen in Bangladesch befindet sich in einem frühen Entwicklungsstadium und leidet unter der strukturellen Schwäche der bangladeschischen Finanzwirtschaft. Seit den 80er Jahren etablierten sich fünf islamische Banken, zwei konventionelle Banken bieten islamische Finanzprodukte an. 9 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien hälter und Unterhaltskosten. Der Lehrplan beinhaltet die islamischen Fächer25 und den gängigen modernen Unterricht in Englisch, Bengali, Sozial- und Naturwissenschaften. Für die Abgänger dieser Schulart ist daher der Übergang in das Berufsleben oder zu weiterführender Bildung relativ unproblematisch. 2004 gab es schätzungsweise 25.201 Alia Madrassahs aller Stufen mit 3,1 Millionen Schülern, 40% davon Mädchen. Die zweite Schulkategorie umfasst die privaten Quomi Madrassahs, die nicht staatlicher Aufsicht unterworfen sind. Ihre finanzielle Autonomie beziehen sie aus der Unterstützung durch Waqf, Zakat, Sadaqa sowie anderen Spenden oder durch die Unterstützung islamischer Geber. Der Lehrplan orientiert sich am Curriculum der konservativen Deobandi-Schule und beinhaltet nur in seltenen Fällen modernen sozialoder naturwissenschaftlichen Unterricht. Die Unabhängigkeit dieser Institutionen erlaubt es auch den religiösen Gelehrten, den Modernisierungsbestrebungen der Regierung zu widerstehen. Quomi Madrassahs erfreuen sich einer konstant wachsenden Beliebtheit in armen ländlichen Regionen durch kostenfreien Unterricht und Unterbringung, ebenso weil eine traditionelle islamische Schulbildung nach wie vor als erstrebenswert gilt. Verlässliche Zahlen sind nicht verfügbar, Schätzungen gehen jedoch von Zahlen zwischen 8.000 und 15.000 Quomi Madrassahs mit 1,5-2 Millionen Schülern aus. Auf der Vorschulstufe bis zur Primarstufe gibt es noch die unabhängigen Maktab oder Ibtedai Madrassahs26, von denen ein geringer Teil staatlich registriert ist. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Memorisierung des Koran, daneben wird noch Basiswissen zum Islam, Bengali, Arabisch und sehr selten Englisch oder Sozialwissenschaften vermittelt. Diese Koranschulen sind meistens Moscheen angegliedert, werden von lokalen islamischen Gemeinden finanziert und bieten größtenteils kostenfreien Unterricht in abgelegenen Gegenden ohne staatliche Grundschulen an. Reine Schätzungen gehen von 58.000 Koranschulen aus, davon etwa 18.000 der Primarstufe mit ca. 2 Millionen Schülern. Probleme und Herausforderungen: Das islamische Bildungsmodell der Madrassahs wird teilweise sehr kritisch gesehen, in westlichen Ländern wie auch in Bangladesch selbst. Da ein großer Teil traditioneller islamischer Bildung außerhalb des staatlichen Bildungssystems stattfindet, unkontrolliert wächst sowie finanziell und organisatorisch autonom fungiert, stößt sie auf Argwohn und Skepsis. Hinzu kommt der Vorwurf konservativer und nicht-zeitgemäßer Bildungsinhalte sowie antiquierter pädagogischer Methoden. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit der direkten Verbindung zu extremistischen und militanten Gruppierungen in Bangladesch als gering einzustufen ist, so trägt die äußerst konservative Ausrichtung vieler islamischer Schulen zur Radikalisierung des Islamisierungsdiskurses bei. Die Bildungschancen von Mädchen und Frauen sind in den nicht-staatlich kontrollierten Madrassahs besonders eingeschränkt, weibliche Lehrkräfte und gendersensible Lehrinhalte fehlen völlig.27 Generell bleibt auch die Qualität der Ausbildung in den islamischen Schulen auf einem niedrigen Niveau. 25 In den Alia Madrassahs wird eine revidierte Version des in ganz Südasien üblichen Dars-i-NizamiCurriculums der konservativen nordindischen Deobandi-Schule unterrichtet und umfasst Theologie; Philosophie; Recht und Ethik; Koranexegese, -rezitation und –memorisierung; Arabische Literatur, Grammatik, Logik, Rhetorik, Mathematik und Medizin. 26 Auch Furkania, Hafizia oder Nourani Madrassah genannt. 27 Entwicklungs-NGOs wie BRAC bieten daher Grundschulbildung für Mädchen in armen ländlichen Regionen an, die von weiblichen Lehrkräften durchgeführt wird und eine höhere Bildungsqualität als staatliche und islamische Grundschulen erreicht hat. Dies bringt sie jedoch in Konflikt mit den Lehrern der Koranschulen, die meistens sozio-kulturelle Gegenargumente einsetzen (Stichwort Purdah). 10 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien Die Regierung weiß um die Modernisierungsanforderungen für das islamische Bildungssystem, wie die Bemühungen um Integration moderner Lehrinhalte in den Alia Madrassahs zeigt. Doch es fehlen die finanziellen Mittel und Kapazitäten für eine flächendeckende Verbesserung der Qualität von Bildung und an Kontrollmöglichkeiten der heterogenen islamischen Bildungslandschaft. Einige modellhafte Madrassahs haben diesen Modernisierungstrend nachvollzogen und bieten technische Lehrfächer, berufsbildende Maßnahmen und Fremdsprachenunterricht an. Entwicklungsorganisationen könnten in vielfältiger Weise die Regierung dabei unterstützen, Reforminitiativen zu entwickeln und umzusetzen, beispielsweise anhand der modellhaften Madrassahs. Spezielle Ausbildungs- und Fortbildungsprogramme für Lehrer, Weiterbildung und berufliche Bildung für Schüler und Abgänger von Islamschulen, Stärkung der Aufsichts- und Kontrollmechanismen der Regierung (z.B. einheitliche Registrierung von islamischen Schulen) sowie einheitlicher Bildungsstandards und Förderung des Dialogs zwischen Koranschulen und gesellschaftlichen Institutionen bieten sich als Tätigkeitsfelder für die EZ an. Einige Geber haben sich in der Vergangenheit im Bereich non-formaler islamischer Bildung engagiert, teilweise in Zusammenarbeit mit islamischen NGOs, so z.B. UNICEF, UNDP, ADB, NORAD oder Save the Children. 7. Islam und Gesundheit Ein wichtiges Interventionsfeld der EZ im Bereich Gesundheitsfürsorge wird besonders von vorherrschenden islamischen Werten und Traditionen berührt: die Sexuelle und Reproduktive Gesundheit (SRG). Zu ihren Kernbereichen zählen Information, Aufklärung und Gesundheitsbildung, Familienplanung und die Prävention sowie Behandlung unerwünschter sexuell übertragbarer Erkrankungen, einschließlich HIV/AIDS. Die Bevölkerungsproblematik ist im am dichtesten bevölkerten Land der Erde durch hohe Geburtenraten und steigende Lebenserwartung besonders zwingend. Das Familienplanungsprogramm hatte daher für alle Regierungen seit der Unabhängigkeit entwicklungspolitische Priorität, ungeachtet der Bedenken konservativer islamischer Kreise. Gegenwärtig gibt die Regierung 100 Millionen US$ für Familienplanung aus, die Hälfte davon wird durch ausländische Geber (Weltbank, UNFPA, UNDP, WHO u.a.) finanziert. Durch diese Bemühungen stieg der Gebrauch von Verhütungsmitteln unter verheirateten Frauen auf 50%, die Geburtenrate konnte gebremst werden.28 Besonders seit den 80er Jahren entwickelten sich die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Bevölkerungspolitik günstig. Durch die Förderung seitens staatlicher und nicht-staatlicher EZ entstanden landesweit Frauengruppen, die an Programmen zur Alphabetisierung, einkommensfördernden Maßnahmen und Gesundheitsvorsorge einschließlich Familienplanung teilnahmen. Das Wissen über die Zusammenhänge von Gesundheit, Fertilität und Vorbeugung konnte durch ungehinderte Aufklärungskampagnen vermittelt werden, wozu auch die beginnende Primar- und Sekundarschulbildung speziell für Mädchen beitrug. Es entwickelte sich ein flächendeckendes Angebot von essentiellen Gesundheitsdiensten mit Hausbesucherinnen, zweiwöchentlichen Sprechstunden in den Dörfern und Serviceangeboten von den zahlreichen NGOs. Wichtig für den Erfolg des Familienplanungsprogramms in vielen ländlich geprägten Regionen war der Einklang der Praktiken mit den traditionellen soziokulturellen Werten, vor allem der Purdah. Daher kamen Hausbesucherinnen direkt zu den Frauen nach Hause, um sie über Verhütungsmethoden aufzuklären. Die islamischen Autoritäten wurden ebenfalls in das Familienplanungsprogramm miteinbe28 Zur Erreichung der Reproduktionsrate bedarf es allerdings einer Verhütungsrate von 75%. 11 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien zogen, um sie von den Vorteilen für die Gesundheit von Frauen durch weniger Geburten zu überzeugen. Diese Überzeugungsarbeit wurde im Einklang mit Koran und Sunna geleistet, die im Gegensatz zur Meinung vieler Ulama Geburtenkontrolle unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Auch im Bereich sexuell übertragbarer Erkrankungen konnten muslimische Autoritäten erfolgreich für die Aufklärung zur HIV/AIDS29-Prävention gewonnen werden. Stigmatisierung von Risikogruppen sowie moralische und religiöse Beweggründe spielten zwar auch eine Rolle, doch wurden tausende Religionsgelehrte in Trainingsprogrammen der Islamic Foundation, der Islamic Medical Mission und von UNDP von den negativen Auswirkungen einer Ausbreitung von HIV/AIDS für die Gesellschaft überzeugt. Prostitution und Homosexualität werden zwar von den Imamen nicht toleriert, doch wird in vielen Moscheen inzwischen der Gebrauch von Verhütungsmitteln, einschließlich von Kondomen, innerhalb der Ehe für zulässig und im Sinne der reproduktiven Gesundheit für förderungswürdig erklärt. Ein besonders positives Beispiel der Einbeziehung von Ulama in Familien- und Gesundheitsprogramme der Regierung ist die Fortbildung von Imamen im Rahmen des Projektes “Reproductive Health Advocacy for Religious Leaders of the Ministry of Religious Affairs“, das vom Religionsministerium, der Islamic Foundation und UNFPA gemeinsam durchgeführt wurde. Im Jahr 2000 wurden mehr als 15.000 Imame, darunter auch 34 weibliche Religionsgelehrte, in Fragen der Familienplanung, reproduktiver Frauenrechte, Geschlechterdiskriminierung, Kinderehen und sexuell übertragbarer Krankheiten einschließlich HIV/AIDS weitergebildet. Probleme und Herausforderungen: Wie oben aufgezeigt wurde, betrieb Bangladesch in den letzten Dekaden eine erfolgreiche Gesundheits- und Bevölkerungspolitik, für die auch die islamischen religiösen Autoritäten gewonnen werden konnte. Doch es gibt auch Opposition seitens fundamentalistischer Kreise, die in vielen armen ländlichen Regionen einflussreich sind. Der Umgang mit HIV/AIDS bleibt aus islamischer Perspektive sensibel, ebenso Fragen weiblicher Sexualität und Reproduktion.30 Islamische Traditionen und Institutionen können hier einen hemmenden Faktor darstellen, aber ebenso zum entscheidenden Durchbruch verhelfen. Klar ist jedoch, dass die Sensibilisierung und Einbeziehung islamischer Autoritäten unabdingbar in gesundheitlichen Fragestellungen für die EZ sein sollte. Die Wirkung von Aufklärungskampagnen zur reproduktiven Gesundheit könnte deutlich erhöht werden, wenn noch mehr der 200.000 Imame in Bangladesch in Trainingsmaßnahmen einbezogen werden könnten. Auch islamische Solidaritätsmechanismen wie beispielsweise Zakat könnten zur Finanzierung von Gesundheitsprojekten genutzt werden. 29 UNAIDS schätzte 2002 die Zahl der HIV-Infizierten auf 13.000. Beispielsweise hatten selbst die in Trainingsmaßnahmen zur Familienplanung geschulten Imame Bedenken, den Gebrauch von Kondomen zur Verhütung öffentlich zu propagieren. 30 12 EM Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien Weiterführende Literatur AHMED, Fauzia Erfan (2004): Female Jurors Change an All-Male Village Court: Autonomous Law-Making and Domestic Violence in Bangladesh, in: Harvard Center for Population and Development Studies Working Paper Series, Vol.12/No.2, www.hsph.harvard.edu/hcpds/wpweb/Ahmed%20wp1402.pdf BOONSTRA, Heather (2001): Islam, Women and Family Planning: A Primer, In: The Guttmacher Report on Public Policy, Vol. 4 /No.6, http://www.guttmacher.org/pubs/journals/gr040604.pdf CHOWDHURY, A.M.R./RAFI, Mohammed (2000): Human rights and religious backlash: the experience of a Bangladeshi NGO, in: Development in Practice, Vol.10/No.1, http://www.developmentinpractice.org/readers/Advocacy/Advocacy%20Rafi.pdf LIMAYE, Satu P./MALIK, Mohan/WIRSING, Robert G. (eds.): Religious Radicalism and Security in South Asia, Asia-Pacific Center for Security Studies, Honolulu 2004, http://www.apcss.org/Publications/Edited%20Volumes/ReligiousRadicalism/Religious%20Ra dicalism%20and%20Security%20in%20South%20Asia.pdf NETZ (2001): Verletzt-verschleiert-stark? Frauen und ihre Rechte in Bangladesch, in: NETZ 4/2001, http://www.netz-bangladesh.de/pics/download/ZS_Frauenrechte.pdf NETZ (2002): Tolerante Mystiker? Militante Fundamentalisten? Progressive Demokraten? Bangladesch in der Zerreißprobe, in: NETZ 1/2002, http://www.netzbangladesh.de/pics/download/ZS_Islam.pdf RIAZ, Ali (2004): God Willing – The Politics of Islamism in Bangladesh, Lanham/Oxford. SARKER, Md. Abdul Awwal: Islamic Banking in Bangladesh: Performance, Problems & Prospects, in: International Journal of Islamic Financial Services, Vol.I (Oct—Dec.1999) No.3, http://islamic-finance.net/Journals/journal3/art2.pdf UNFPA: Leap of faith: Imams speak on reproductive health, http://www.unfpabangladesh.org/CurrentActivities/LeapOfFaith.htm Autor : Oliver Wagener; unter Mitarbeit von Rosemarie Gallinger Kontakt: EM „Instrumente der EZ und islamische Werte in Asien” Martin Hansen [email protected] Eschborn, März 2006 Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5 65760 Eschborn Telefon: 06196 79 - 0 Telefax: 06196 79 - 1115 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.gtz.de 13