„BESTE EINSPRITZPUMPE? SO WHAT!“

Werbung
INTERVIEW
„BESTE EINSPRITZPUMPE?
SO WHAT!“
Zukunftsforscher Nick Sohnemann von Future Candy
zur Innovationskultur in Deutschland und warum alles gut wird.
» Herr Sohnemann, ist die deutsche
Industrie innovativ genug?
Ja und nein. Wir reden zu viel über
Industrie 4.0, Big Data oder Lean
Management, dafür zu wenig über
Kundennutzen und Nachhaltigkeit. Bei
allen Erfolgen: Uns droht die WerkbankDegradierung. Unsere Produkte werden
immer perfekter und wirtschaftlicher,
verlieren aber an Attraktivität und haben es auf den Weltmärkten unverdient
schwer. Wir brauchen Kulturwandel
und Konsens zwischen Ingenieuren und
Innovatoren, zwischen Management und
Marketing. Sonst droht uns das Schicksal von Failed Companies wie Blackberry, Kodak oder Nokia. Scheinbar plötzlich wurden die von Ideen und Visionen
überrollt. Dabei war das absehbar. Dazu
braucht man lediglich ein Verständnis
für seine Kunden. Was wollen die Leute
wirklich? Niemand interessiert sich für
die Einspritzpumpe in seinem Auto.
Aber alle wollen möglichst schnell,
günstig oder umweltbewusst ans Ziel.
» Welche Unternehmen sind als
Nächstes gefährdet?
Die nächste Herausforderung ist die
Datenhoheit. Viele Marktführer merken
nicht, wie sie den Markt verlieren. Beispiel
Handel: Momentan stellen sich Dienstleister auf, die via App die individuelle
Lebensmittelversorgung organisieren.
Die arbeiten noch mit dem etablierten
Handel zusammen, wissen aber in Kürze
viel mehr über den Verbraucher als
Edeka und Co. Der Umsatz bleibt beim
Handel, aber die Wertschöpfung und die
Marktmacht wandert zu den Start-ups.
» Gilt das auch für das Auto?
Das gilt für alle. Die Autobauer lächeln
gerade über die Spaltmaße eines
Google-Autos. Dabei sind die gar nicht
wichtig. Aus Innovationssicht nimmt
das Bedürfnis, ein repräsentatives Auto
zu besitzen, ab. Das Bedürfnis nach
Mobilität aber wächst. Daimler zum
Beispiel steht für Mobilität. Also muss
Daimler in Zukunft nicht nur die besten
Autos bauen, sondern auch Mobilität
sichern. Durch Services, Angebote oder
Apps, die dafür sorgen, dass Herr Müller
pünktlich zur Arbeit und seine Tochter
sicher aus der Disko kommt. Das könnte
zum Beispiel eine Mobilitäts-Flatrate
schaffen. Die App sagt dann auf Basis
der aktuellen Verkehrs- und Parkplatzsituation: Nimm heute nicht das Auto,
sondern die Bahn. Oder das SharingElektroauto um die Ecke. Oder fahre mit
dem Nachbarn. Im Bedarfsfall kommt
das Auto dann selbständig zum Kunden.
» Kann man Innovation verordnen?
Nein, natürlich nicht. Aber das Management muss die Strukturen schaffen. Um
die Akzeptanz zu erhöhen, Konflikte
zwischen Abteilungen zu minimieren
und auch um den laufenden Geschäftsbetrieb nicht zu stören, werden die
Innovatoren häufig ausgelagert. Die
Telekom hat dafür „Hubraum“ gegründet, Axel Springer „Plug&Play“ und
Daimler „Car2Go“. Ich ermuntere meine
Kunden, die Ergebnisse solcher ThinkTanks schon vor der Serienperfektion
auszuprobieren. „Innovation Hacking“
bietet dafür Modelle und Verfahren. Wir
bauen entsprechend realitätsnahe Dummys und fragen die Zielgruppen nach
ihrer Meinung. Dieses Feedback ist der
Schlüssel, um Produkte von Anfang an
den realen Bedürfnissen künftiger Käufer anzupassen. Das Resultat ist ein iterativer Innovationsprozess, der schnell
zu Ergebnissen führt und kostengünstig
umgesetzt werden kann. Große Unternehmen agieren damit so effizient und
so innovativ wie sonst nur Start-ups.
» Sehen Sie schwarz für
etablierte Wirtschaftsstrukturen?
Nein. Europa hat unglaublich viel erreicht. Unser Kontinent hat sich immer
wieder neu erfunden. Das wird wieder
beziehungsweise weiter passieren. Und
nicht zuletzt: Unsere Generation hat
einen beispielhaften Wohlstand erarbeitet und gleichzeitig die Quote der
extremen Armut weltweit halbiert. Das
ist es, was auf lange Sicht zählt.
16
Mittelpunkt 01 | 2016
Herunterladen