Wintersemester 2009/10 Karlheinz Stockhausen in memoriam Gedenkkonzert zum 2. Todestag (22.8.1928-5.12.2007) 18.30 Uhr Gesprächsrunde mit Prof. Dr. Rudolf Frisius und Michael Pattmann Moderation: Prof. Dr. Thomas A. Troge 19.30 Uhr Konzert Werke von Karlheinz Stockhausen „Gesang der Jünglinge“ (1955-1956) „Solo“ für Melodie-Instrument mit Rückkopplung (1965-1966) „Klavierstück XII“: „Examen“ von „Donnerstag“ aus „Licht“ als Klaviersolo (1979/1983) „Kontakte“ für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1958-1960) Sun-Young Nam, Klavier und Schlagzeug Michael Pattmann, Schlagzeug (a. G.) Eva Fodor, Oboe Klangregie: Prof. Dr. Thomas A. Troge und Rainer Lorenz Konzerteinführung: Prof. Dr. Rudolf Frisius (a. G.) www.hfm.eu Dienstag, 1. Dezember 2009, 18.30 Uhr Schloss Gottesaue, Velte-Saal Eintritt: 5 € / erm. 2,50 € Programm 18.30 Uhr Gesprächsrunde mit Prof. Dr. Rudolf Frisius und Michael Pattmann Moderation: Prof. Dr. Thomas A. Troge 19.30 Uhr Konzert Werke von Karlheinz Stockhausen (1928-2007) „Gesang der Jünglinge“ (1955-1956) Klangregie: Prof. Dr. Thomas A. Troge „Solo“ für Melodie-Instrument mit Rückkopplung (1965-1966) Eva Fodor, Oboe Klangregie: Rainer Lorenz „Klavierstück XII“: „Examen“ von „Donnerstag“ aus „Licht“ als Klaviersolo (1979/1983) Sun-Young Nam, Klavier Klangregie: Prof. Dr. Thomas A. Troge Pause „Kontakte“ für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug (1958-1960) Sun-Young Nam, Klavier und Schlagzeug Michael Pattmann, Schlagzeug (a. G.) Klangregie: Rainer Lorenz Konzerteinführung: Prof. Dr. Rudolf Frisius GESANG DER JÜNGLINGE (1955-1956) In der elektroakustischen Tonbandmusik GESANG DER JÜNGLINGE verbindet Karlheinz Stockhausen Gesangsaufnahmen einer Knabenstimme mit elektronischen, rein synthetisch im Studio erzeugten Klängen. Der von Stockhausen verwendete biblische Text wird, in vielfältigen Fragmentierungen (von einzelnen Lauten und Silben bis zu längeren Texteinheiten) bald im Einzelgesang hörbar, bald in komplexen Playback-Überlagerungen. Ein breites KlangfarbenRepertoire im Farbkontinuum zwischen Ton und Geräusch findet sich nicht nur in den Gesangsaufnahmen, sondern auch in den elektronischen Klängen: Vokale und Konsonanten erscheinen, ebenso wie unterschiedliche elektronische Klangfamilien (Sinustöne, Impulse und Rauschklänge) als spezifisch unterschiedliche Klangfamilien, die in ein größeres Klangkontinuum integriert sind. Gesungene und elektronische Klänge artikulieren und verbinden sich bald als klar erkennbare und durchhörbare Einzelklänge und Klanggruppen, bald in dichten Massenstrukturen. Das Werk ist das historisch erste Beispiel präzis auskomponierter elektronischer Raummusik: Die verschiedenen Klangkomplexe sind auf vier Lautsprechergruppen verteilt, so daß sie bald in unterschiedlichen Raumpositionen, bald in der Bewegung von einer Position zur anderen vernehmbar werden.Die Raumpositionen sind kompositorisch genau fixiert, und ihre Speicherung auf 4 Tonbandspuren entspricht den zur Entstehungszeit modernsten Möglichkeiten der Quadrophonie. (Stockhausens ursprüngliche Absicht, mehr als 4 Spuren auf Tonband zu fixieren, ließ sich mit den damaligen technischen Möglichkeiten noch nicht verwirklichen). Unterschiedlich dichte Überlagerungen in den vorproduzierten Klangstrukturen und in deren Kombinationen führen in dieser Musik dazu, daß die Gesangstexte bald klar, bald nur teilweise oder gar nicht verständlich sind. Schon zu Beginn des Stückes, in seinem ersten Teil, wird dies deutlich: in scharfen Kontrastierungen zwischen klaren Gestalten und komplexen Massenstrukturen nicht nur im Gesang, sondern auch in den elektronischen Klängen (wobei die einzelnen Klangkomplexe so kombiniert sind, daß eine klare Textgliederung erkennbar bleibt). Diesem Teil liegt folgender Textabschnitt zu Grunde: Jubelt / Preiset den Herrn, ihr Werke alle des Herrn – lobt ihn / lobet ihn und über alles erhebt ihn in Ewigkeit. Später, im zweiten Teil, treten Massenstrukturen noch deutlicher in den Vordergrund – entsprechend der Textvorlage, in der von den himmlischen Engelscharen die Rede ist. Der hier verwendete Textabschnitt lautet: Preiset den Herrn, ihr Engel des Herrn – Preiset den Herrn, ihr Himmel droben. Preiset den Herrn ihr Wasser alle, die über den Himmeln sind – Preiset den Herrn, ihr Scharen alle des Herrn. Hierauf folgt ein dritter Teil, der den vorausgegangenen Massenstrukturen nun klarer konturierte Text- und Klangelemente folgen läßt: Gesang in unterschiedlichen, stets klar erkennbaren Konstellationen von einzelnen Silben, Wörtern und Wortgruppen – elektronische Klänge und Klangkomplexe in prägnanten Gruppierungen und Konturierungen. Der Text ist klar zu verstehen: Preist den Herrn, Preiset den Herrn, preiset den Herrn, Sonne und Mond – des Himmels Sterne, aller Regen und Tau – ihr Winde. Auch die Schlüsselwörter, die sich in der weiteren Fortsetzung der Textvorlage finden, sind beim Hören des Stückes mehr oder weniger deutlich zu erkennen: [Preiset den Herrn,] Feuer und Sommersglut – Kälte und starrer Winter. Tau und des Regens Fall – Eis und Frost. Reif und Schnee – Nächte und Tage. Licht und Dunkel – Blitze und Wolken. Bei den Textwörtern Feuer und Sommersglut kehrt die Musik – nach den vielen zuvor gehörten Fragmenten einstimmigen Gesangs – für kurze Zeit wieder zum virtuellen Chorgesang zurück: Die Töne des Knabengesangs überlagern sich in künstlichen Akkorden, in denen sich die beiden Schlüsselwörter dynamisch kräftig und energisch zusammenhängend artikulieren. Um so deutlicher wirkt später der Kontrast, wenn die folgenden Textwörter wieder einstimmig, abgehackt und mit langen Zwischenpausen erscheinen: Kälte hoch, laut und starr-rer Win-ter tiefer, gedämpft, stockend Im weiteren Verlauf finden sich plastische Verklanglichungen des Textes, z. B. mit stark hervorgehobenen Konsonanten (Zischlaute in Eis und Frost) oder mit drastischen Lagenkontrasten: Lange Gesangstöne: Nächte und Tage tief - hoch Im Gesamtverlauf des Stückes bleiben gesungene und elektronisch produzierte Klänge meistens deutlich unterscheidbar. Dennoch stehen sie nicht beziehungslos nebeneinander, da sie nach ähnlichen Prinzipien gestaltet sind: In ständigen Hin- und Herbewegungen zwischen den Polen der klar konturierten Gestalt und der komplexen Massenstruktur können sich sowohl Sprache und Gesang den elektronischen Klängen nähern als auch umgekehrt die elektronischen Klänge sprachähnlichen Konstellationen. Bei der Uraufführung, die 1956 im Sendesaal des Westdeutschen Rundfunks Köln stattfand, hatte Stockhausen die Musik zunächst als einen ersten Teil des Werkes annonciert, dem später eine Fortsetzung folgen sollte.Zu dieser Fortsetzung ist es dann aber nicht mehr gekommen. Die elektronische Komposition GESANG ist über das (eigentlich fragmentarische, unvollständige) Stadium der Uraufführungs-Fassung nicht hinausgekommen und hat trotzdem als quasi abgeschlossenes Werk Geschichte gemacht - ähnlich wie Stockhausens nächstes elektronisches Werk, die einige Jahre später entstandene Komposition KONTAKTE, die sich ebenfalls im öffentlichen Bewußtsein im Laufe der Jahre von einem eigentlich fragmentarischen in ein als vollständig erlebten Werk verwandelt hat und ein Markstein der neueren Musikentwicklung geworden ist. SOLO (1965 – 1966) für ein Melodieinstrument mit Rückkopplung (1 Spieler und 4 Assistenten) SOLO gehört in eine Gruppe verschiedenartiger live-elektronischer Werke, die Karlheinz Stockhausen in den 1960er Jahren komponiert hat: als elektronische Musik, deren Klänge nicht im Studio vorproduziert werden, sondern live während einer Konzertaufführung entstehen. Nach live-elektronischen Werken für ein elektronisch transformiertes Instrument (ein Tamtam in MIKROPHONIE I), für Orchester (MIXTUR) und für Chor (MIKROPHONIE II) entstand SOLO als Partitur für ein (frei wählbares) Solo-(Melodie-)Instrument. Die elektroakustische Transformation soll hier nach Stockhausens Vorstellung dazu dienen, das einstimmige Spiel des Solisten in mehrstimmige Musik zu verwandeln (live in Echtzeit). Als Soloinstrument kann ein beliebiges Melodieinstrument verwendet werden. Dementsprechend ist das musikalisch-rhythmische Ausgangsmaterial weitgehend abstrakt konstruiert und nicht auf die Besonderheiten eines bestimmten Melodieinstrumenten ausgerichtet. Das Werk, dessen Tonmaterial aus intervallisch-rhythmisch denkbar einfachen Melodiezellen gearbeitet ist, arbeitetet mit differenzierten Phasenverschiebungs- und Rückkopplungstechniken, deren live-elektronische Realisierung sich bei den ersten Aufführungen zunächst als überaus schwierig erwiesen hat, während in späteren Jahren moderne Technologien dazubetragen konnten, zuvor aufgetretene aufführungspraktische Schwierigkeiten zu überwinden. Ein Interpret, der eine Version des baukastenartig variabel notierten Stückes realisieren will, muß sich dabei an einem der sechs zur Wahl gestellten Formschemata orientieren. Der Formverlauf ist also präziser festgelegt als die instrumentale Konkretisierung des Stückes. KLAVIERSTÜCK XII (1979/83) Während die KLAVIERSTÜCKE I – XI in Stockhausens Œuvre als originale Klavierwerke entstanden sind, beginnt mit KLAVIERSTÜCK XII eine anders geartete Reihe von Stücken, die man als konzertant aufführbare „Klavierauszüge neuer Art“ bezeichnen könnte: Es handelt sich hier um auf das Klavier reduzierte Fassungen einzelner Szenen aus Stockhausens Opernzyklus LICHT (1977-2003). KLAVIERSTÜCK XII ist das erste in einer Reihe von drei Stücken, die den ersten drei Opern des siebenteiligen Opernzyklus (der sieben Wochentage) zuzuordnen und für das traditionelle Instrument Klavier geschrieben sind (im Unterschied zu mehreren später entstandenen Klavier-Adaptionen, die für elektronische Tasteninstrumente geschrieben sind; erst in seinen letzten Lebensjahren hat Stockhausen nach jahrzehntelanger Pause mit dem Zyklus NATÜRLICHE DAUERN wieder ein Originalwerk für Klavier geschaffen). KLAVIERSTÜCK XII gehört zu der zuerst entstandenen LICHT-Oper: als 1983 entstandene Soloversion der 1979 komponierten Schlußszene des ersten Aktes der Oper DONNERSTAG aus LICHT. Das Thema der gesamten Oper ist der Wochentag Donnerstag als Tag des Lernens. Hier wie im gesamten Opernzyklus ist der gesamte musikalisch-szenische Ablauf geprägt von drei Protagonisten: Michael, Eva und Luzifer. In der Donnerstags-Oper steht Michael als Haupt-Protagonist im Vordergrund. Der 1. Akt steht unter dem Thema MICHAELS JUGEND. Die Schlußszene dieses Aktes ist ein EXAMEN, in dem Michael, assistiert von seiner Begleiterin am Klavier, seine künstlerischen Fähigkeiten in drei Bereichen zeigt: Gesang, Instrumentalspiel, Tanz. In der originalen Opernfassung dieser Szene treten auf: Michael in dreierlei Gestalt (als Tänzer, als Trompeter, als Tenor), Michaels Klavier-Begleiterin und Mitglieder einer Jury (als Mitglieder dieser Jury führt Stockhausen auch Michaels verstorbene Eltern ein - als reinkarnierte Personen, die Michael allerdings nicht wiedererkennt) Die Partie der Klavierbegleiterin, die Stockhausen für seine Tochter Majella geschrieben hat, steht in dieser Szene so stark im Vordergrund, daß Stockhausen 1983 eine reine Klavierfassung dieser 1979 komponierten Szene herstellen konnte. In dieser Solofassung hat die Pianistin auch einzelne Ausschnitte aus anderen Solopartien der Oper zu übernehmen. Hieraus (und überdies auch aus der Grundstruktur des Opernzyklus, in der außer Tönen auch Geräusche vorkommen) erklärt sich, daß, anders als in älteren Klavierstücken Stockhausen, hier nicht nur konventionelle Klaviertöne vorgeschrieben sind, sondern auch begleitende Geräusche und szenische Aktionen. Im EXAMEN wird dreifach rekapituliert, was sich zuvor in MICHAELS JUGEND musikalischszenisch ereignet hat. Die drei Teile des Stückes beschreiben Michaels Familiengeschichte aus drei verschiedenen Perspektiven: Das Leben der Mutter, das Leben des Vaters, das Leben Michaels. Jedes der drei Familienmitglieder ist charakterisiert durch eine der drei Hauptmelodien („Formeln“) des Opernzyklus: Die Mutter durch die weich-konsonante Melodie der Eva, der Vater durch die dissonanzbetonte, rhythmisch unruhige Melodie des Luzifer, Michael durch seine eigene, von starken Konsonanzen beherrschte Melodie. Die dreiteilige Komposition ist (als Opernszene ebenso wie als Klavierstück) so aufgebaut, daß in jedem Teil jeweils die Melodie der zugehörigen Leitperson als Oberstimme im Vordergrund steht und von den beiden übrigen Melodien (als Unter- bzw. Mittelstimmen) begleitet wird. Jeder der drei Teile mündet in einen reich verzierten Abschnitt seiner Oberstimmen-Melodie. Typisch für die Abfolge der Melodien und ihrer Konstellationen ist der Aufstieg der Michael-Melodie von der tiefsten in die höchste Lage – die musikalische Darstellung einer Entwicklung, in der Michael mehr und mehr zur Hauptperson wird: Oberstimme Mittelstimme Unterstimme Teil I Eva-Melodie Luzifer-Melodie Michael-Melodie mittellanger Teil Teil II Luzifer-Melodie Michael-Melodie Eva-Melodie kürzester Teil Teil III Michael-Melodie Eva-Melodie Luzifer-Melodie längster Teil In dieser Abfolge soll deutlich werden, wie Michael in der Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte seiner Eltern und seiner Familie Schritt für Schritt seine eigene Identität findet. Die drei Teile des Stückes sind drei unterschiedliche Darstellungen, drei unterschiedliche kontrapunktische Konstellationen, der Gesamtkonstruktion, der so genannten „Superformel“ des LICHT-Zyklus: ihrer Kerntöne und ihrer Gruppierungen, der vielfältigen melodischen, dynamischen und klangfarblichen Belebungen einzelner Töne, der Ton- und Geräusch-Konstellationen, der Verteilungen von Klang und Stille in drei verschiedenen Schichten. Was in der Oper als autobiographisch inspirierte Familiengeschichte präsentiert wird, verwandelt sich in der Klavierfassung weitgehend in absolute Musik. Dennoch bleibt auch in der Klavierfassung, insbesondere in zahlreichen Geräuscheffekten und szenischen Details spürbar, was diese Musik von früherer Musik Stockhausens, auch von seinen früheren Klavierstücken, unterscheidet: Die Suche nach neuen Klangstrukturen verbindet hier sich auf besonders eigentümliche Weise mit der Suche nach neuen Bedeutungen. KONTAKTE (1959-1960) für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug KONTAKTE ist die erste Komposition Stockhausens, die elektronische und instrumentale Musik miteinander zu verbinden versucht – zwei Bereiche, die in seinen zuvor entstandenen Werken noch streng voneinander getrennt geblieben waren, weil er damals die Zeit für eine Synthese noch nicht für gekommen ist. Stockhausens Entscheidung, über Lautsprecher wiedergegebene elektronische Tonbandmusik mit live gespielter Instrumentalmusik zu verbinden, hing nicht zuletzt auch damit zusammen, daß ihm die Aufführung reiner Lautsprechermusik im Konzertsaal problematisch erschien. „Unsichtbare“ Musik, deren Klänge aus Lautsprechern kommen und in deren Aufführung keine live agierenden Musiker zu sehen sind, erschien damals (und erscheint bis heute) vielen Hörern als ungewohnt und fremdartig. Stockhausen wollte damals in dieser Situation versuchen, mehr oder weniger bekannte Instrumentalklänge mit völlig unbekannten Klängen einer neuartigen Lautsprechermusik zu kombinieren. Allerdings entschied er sich dafür, die kompositorische Arbeit zunächst auf die Produktion des Tonbandes zu konzentrieren und die Mitwirkung von Instrumentalisten erst in einem späteren Arbeitsschritt genauer zu regeln. Dies hat dazu geführt, daß die Komposition KONTAKTE zunächst als eigenständige Tonbandmusik realisiert worden ist, die dann in dieser Form später auch im Rundfunk und auf Schallplatte verbreitet werden konnte (allerdings nicht in der vierkanaligen Originalfassung, da die quadrophone Wiedergabe sich damals nur in den elektronischen Studios, aber nicht im Rundfunk und auf dem Tonträgermarkt hatte durchsetzen können; immerhin dauerte es seinerzeit nicht sehr lange, bis GESANG DER JÜNGLINGE und KONTAKTE auch in stereophonen Radiosendungen und Schallplattenwiedergaben gehört werden konnten). Die Komposition KONTAKTE ist auch heute noch als reine Lautsprechermusik aufführbar, über Radio und Tonträger verbreitbar. Im Konzertleben aber hat der Komponist seit der Uraufführung meistens einer Fassung für elektronische Musik und Instrumente den Vorzug gegeben – einer Fassung, an die er schon frühzeitig gedacht hatte, die sich dann aber in der ursprünglich konzipierten Weise nicht realisieren ließ: Stockhausen wollte anfangs, daß 4 Musiker frei auf die auf Tonband fixierte vierkanalige elektronische Tonbandmusik reagieren sollten. Dies scheiterte beiden Proben zur Uraufführung daran, daß einigermaßen differenzierte und koordinierte LiveReaktionen auf die damals völlig neuartigen elektronischen Klänge nicht zur Zufriedenheit des Komponisten gelangen. Deswegen versuchte Stockhausen eine einfachere und leichterrealisierbare Lösung: Er reduzierte das Live-Ensemble auf zwei Musiker: einen Schlagzeuger und einen Pianisten (der an einigen Stellen auch auf Schlaginstrumenten zu spielen hatte). Beide Musiker repräsentieren in dieser Fassung die Polarität zwischen Ton und Geräusch, die in Stockhausens Denken und insbesondere im Konstruktionsplan der KONTAKTE eine wichtige Rolle spielt. Stockhausens Aufführungspartitur, die außer den instrumentalen Partien auch eine detaillierte und zeitlich in allen Details exakt ausgemessene Hörpartitur der elektronischen Musik enthält, verzichtet weitgehend auf improvisatorische und interpretatorische Freiheiten; die instrumentalen Partien folgen vielmehr weitgehend dem Verlauf der Tonbandmusik, deren „unbekannte“ Sprache sie gleichsam in die besser bekannte Sprache der Instrumentalmusik übersetzen. Dies wird nicht zuletzt dadurch möglich, daß die elektronische Musik gleichsam als universelle Klangwelt geplant ist, die die begrenzten Möglichkeiten bekannter Instrumente als Sonderfälle einbezieht. Man hört deswegen an manchen Stellen des Stückes, daß elektronische Klänge sich den instrumentalen Klängen annähern (und danach sich dann auch wieder in unbekannte Regionen entfernen können). Die elektronische Musik der KONTAKTE unterscheidet sich von älteren elektronischen und elektroakustischen Werken, auch von Stockhausens einige Jahre älterem GESANG DER JÜNGLINGE, vor allem dadurch, daß der Hörer die Herkunft der Klänge (z. B. von Sinuston-, Impuls- oder Rauschgeneratoren) hier nur noch selten identifizieren kann, weil die Klänge hier meistens aus hochkomplizierten technischen Verarbeitungen entstehen, die sich für den Hörer nur schwer oder überhaupt nicht identifizieren lassen (und deren spätere technische Rekonstruktion, trotz Stockhausens genauer Angaben zum Produktionsprozeß in einer separaten Realisationspartitur, unter vollständig veränderten technischen Bedingungen schwierig, vielleicht sogar aussichtslos sein dürfte). Die Live-Spieler ebenso wie die Hörer finden als in dieser Musik viele Klänge, die ihnen prägnant und interessant erscheinen können, von denen sie aber nicht genau wissen, wie sie zustande gekommen sind. Bis zur Kölner Uraufführung im Jahre 1961 konnte Stockhausen nur einen Teil der ursprünglich geplanten kompositorischen Strukturen fertigstellen. Die Schwierigkeit, sein Werk termingerecht abzuschließen, hat er aber so rechtzeitig erkannt, daß ihm noch genügend Zeit blieb, um für die verkürzte Fassung (die dann letztlich die Endfassung geblieben ist) einen plausiblen Abschluß zu finden: Das Zusammenwirken instrumentaler und elektronischer Klänge, das in Stockhausens Skizzen mit dem Begriffspaar „irdisch – himmlisch“ in Verbindung gebracht wird, führt im Formverlauf des Stückes schließlich so weit, daß die Musik letztlich mit subtilen, leisen und hohen Klängen endet. Prof. Dr. Rudolf Frisius Sun-Young Nam wurde 1981 in Süd Korea geboren. Sie besuchte die Seoul Arts High School und als Vorstudentin die Korea national University of Arts in der Klasse von Prof. Chong-Pil Lim. Sie begann ihr Klavierstudium bei Prof. Hie-Yon Choi an der Seoul National University und setzte es an der Hochschule für Musik und Theater Hannover bei Prof. Einar Steen-Nökleberg und Nebenfach Schlagzeug bei Nobert Krämer fort. Sie wechselte an die Hochschule für Musik Karlsruhe zu Prof. Kaya Han, wo sie 2009 ihr Solistenexamen Klavier abgeschlossen hat. Sun-Young Nam gewann zahlreiche Preise bei Wettbewerben in Korea und erhielt Stipendien von der Kumho Cultural Foundation, der Kunststiftung NRW und der Gisela und Erich Andreas Stiftung. Sie besuchte verschiedene Meisterkurse unter anderem bei Arnulf von Arnim, Klaus Hellwig und Evgeny Mogilevsky. Seit 2004 beschäftigt sie sich intensiv mit der zeitgenössischen Musik (Aufführungen bei Hannoversche Gesellschaft für Neue Musik e.V.). Bei den Stockhausen-Kursen Kürten hat sie jeweils den 1. Preis für die Interpretation von 'KONTAKTE für elektronische Klänge, Klavier und Schlagzeug' und 'KLAVIERSTÜCK XII' gewonnen. Seit Oktober 2009 ist sie Stipendiatin der Internationalen Ensemble Modern Akademie in Frankfurt a. M. Der Bochumer Schlagzeuger Michael Pattmann absolvierte an der Essener Folkwang Hochschule die Soloklasse für Schlagzeug bei Prof. Martin Schulz und studierte an der Musikhochschule Köln Kammermusik bei Prof. Peter Eötvös. Den Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Interpretation zeitgenössischer Musik. Er konzertiert als Solist sowie in Kammerensembles und Orchestern; spielt Theater- sowie musiken zu modernem Tanz und Film, improvisiert, konzipiert und bedient elektronische Instrumente. Neben seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter des mp6-multipercussionensemble, ist er seit 1998 Schlagzeuger im oh ton-ensemble Oldenburg, Gründungsmitglied bei e-mex neue musik ensemble im Ruhrgebiet und dem ensemble apostrophe für Elektronik, Posaune und Schlagzeug. Seit 1996 studiert er intensiv Kompositionen von K. Stockhausen und präsentierte in zahlreichen Konzerten und Aufnahmen u. a. die Werke ZYKLUS, KONTAKTE, MIKROPHONIE I, KREUZSPIEL, SCHLAGTRIO, GRUPPEN, NASENFLÜGELTANZ, MITTWOCH-FORMEL, VIBRA-ELUFA... Von 2002 bis 2004 leitete er die Schlagzeugklasse bei den Stockhausentagen in Kürten. Michael Pattmann lehrt an der FolkwangHochschule in Essen. Die Oboistin und Dirigentin Eva Fodor, 1979 in Satu-Mare, Rumänien geboren immigrierte 1988 mit ihrer Familie nach Israel. Sie studierte an der „Rubin Akademie für Musik und Tanz“ in Jerusalem Oboe, Dirigieren und Komposition. 2002 wurde sie als „die beste Interpretin des Jahres“ ausgezeichnet. Zwischen 2003 und 2008 folgten ein Oboenstudium bei Prof. Thomas Indermühle und ein Dirigierstudium bei Prof. Péter Eötvös an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Zusätzliche Impulse für Oboe erfuhr sie durch Meisterkurse mit F. De Bruine, A. Bernardini, Maurice Burg, Paul Dombrecht und im Klangspuren Festival für Neue Musik (Österreich). Außerdem nahm sie als Dirigentin bei zahlreichen internationalen Meisterkursen mit Pierre Boulez (Luzern Festival), Prof. Péter Eötvös (Luxemburgische Philharmonie, Luzern Festival) und Prof. Zsolt Nagy (Jerusalem Music Center, Nordungarisches Symphonie Orchester) teil. Sie erhielt Stipendien von der „Amerikanisch-Israelischen Kulturstiftung“, dem Freundeskreis der Hochschule für Musik Karlsruhe, dem Stibet Programm der DAAD, der L-Bank und wurde 2008 mit dem „Kulturpreis der Stadt Karlsruhe“ ausgezeichnet. Als Oboistin hat Eva Fodor an mehreren Projekten in verschiedenen Orchestern in Israel teilgenommen und regelmäßig beim Ensemble „Israel Contemporary Players“ mitgewirkt, unter anderem beim „Warsaw Autumn Festival“ und „Festival Neue Musik ECLAT“ in Stuttgart. Ein wichtiger Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der Förderung neuer Kompositionen für Ensemble und Oboe. Sie arbeitet und konzertiert regelmäßig in Karlsruhe und in Essen in Kooperation mit den Kompositionsklassen Prof. W. Rihm (Karlsruhe) und Prof. Günther Steinke (Essen). Des Weiteren dirigierte sie die Premiere der Oper „Trans-Warhol“ von Philipp Schoeller in Genf und Konzerte mit der „Baden Badener Philharmonie“ und der „Württembergischen Philharmonie Reutlingen“. Zurzeit ist Eva Fodor Lehrbeauftragte für Aufführung zeitgenössischer Musik an der Hochschule für Musik Karlsruhe und für Ensembleleitung an der Folkwang Hochschule in Essen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von: Archiv der Stockhausen-Stiftung für Musik, Kürten (www.stockhausen.org)