Der unvollkommene Arzt und die übermenschliche Medizin

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JUNGE ÄRZTE
der niedergelassene arzt 10/2014
Science-Fiction-Filme beeinflussen Medizin-Dokumentationen in den Medien
Das Thema Gesundheit und Medizin ist
ein Dauerbrenner. Alle sprechen davon
und sind an Neuigkeiten in der medizinischen Entwicklung interessiert. Die
verschiedenen Medien greifen das
­Thema täglich auf. Fernsehen, Zeitungen, Comics oder Computerspiele –
überall werden medizinische Themen
behandelt und visualisiert. Gefällt dem
Arzt die Entsprechung in der Populärkultur? Gibt es womöglich ethische
oder technische Grenzen in der Darstellung bestimmter Themeninhalte?
­Solche Fragen wurden auf der„2nd International Conference on Medical
­Imaging and Philosophy“ vom 11. bis
12. September 2014 in Ulm diskutiert.
© Dmytro Tolokonov / Fotolia
Der unvollkommene Arzt und die übermenschliche Medizin
D
ie von der Fritz-Thyssen-Stiftung
finanzierte Tagung richtete sich an
Ärzte, Medienvertreter und Wissenschaftler der Geschichte, Kultur und Ethik. Auf
der Veranstaltung konnten Mediziner
15 Fortbildungspunkte für das Fortbildungszertifikat der Landesärztekammer
Baden-Württemberg erwerben. „Wir bieten
diese Fortbildungsmöglichkeit bei allen
Veranstaltungen der Medizinethik an. Wir
möchten Ärzte direkt ansprechen und
anhand von konkreten Beispielen zu einer
Selbstreflexion einladen“, sagt Initiator und
Mitorganisator Arno Görgen, Doktorand
am Institut für Geschichte, Theorie und
Ethik der Medizin der Universität Ulm.
wie die beiden Fernsehserien „Emergency
Room“ und „Grey`s Anatomy“ belegen
können. In diesen Sendungen haben Ärzte
persönliche Probleme, sind unvollkommen
und verletzlich. Manchmal sind es vom
Leben gezeichnete und sogar gebrochene
Figuren.
Der Arzt als kaputter Charakter
„Der Trend zu diesem neuen Sterotyp spitzt
sich meines Erachtens in der Serie „Dr.
House“ zu. Der Hauptdarsteller ist ein
kaputter Charakter, der unter Schmerzen
leidet, unfreundlich ist und häufig in Konflikte mit seiner Umgebung gerät“, erläutert
Görgen. Mit diesen Darstellungen ist der
Arzt erfolgreich bei seiner beruflichen Tätikeit, jedoch nicht mehr unantastbar weit
weg in seiner Persönlichkeit als Mensch.
Einladung zur Selbstreflexion
„Transliminary Medicine“
© Universitätsklinikum Ulm
Die Einladung zur Selbstreflexion ist durchaus spannend, denn das Bild des Arztes
wandelt sich in den Medien. „Bis Anfang
der 90er-Jahre wurde in den Medien eine
andere ­Stereotype des Arztes bedient als
heute. Damals wurde das Bild des allwissenden, autoritären, kaum Privatleben besitzenden Arztes vermittelt, der alle Probleme
lösen kann“, erzählt Görgen. Seit einiger
Zeit wandelt sich dieses Bild in den Medien,
Diese Entwicklung könnte im übertragenen
Sinn auch ein Hinweis auf den Prozess der
Demokratisierung im Arzt-Patienten-Verhältnis sein. Der Arzt steht nicht mehr auf
dem Wissensmonopol und der Patient ist in
diesem Sinn kein Bittsteller mehr. Denn die
heutigen Informations­möglich­keiten sind
zu fast allen Gesundheitsthemen vielfältig.
Im Internet sind Homepages der Verbände,
Informations­foren zu allen Krankheiten
und Chats für den Austausch von persönlichen Erfahrungen Betroffener vertreten.
Mit diesen Informationsquellen kann sich
der Patient im Vorfeld eines Arztbesuches
sehr gut informieren. In welchem Umfang
und in welcher Qualität, ist individuell sehr
unterschiedlich. Im Einzelfall ist der Patient
gut informiert und kann sich unter Umständen „auf Augenhöhe“ mit dem Arzt unterhalten.
Arno Görgen
Doktorand am Institut für
Geschichte, Theorie und
Ethik der Medizin der Universität Ulm
Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung war
die sogenannte „Transliminary Medicine“,
also das Überschreiten von medizinischen
oder medizinethischen Grenzen. Auf die
­Medien bezogen sind Grenzüberschreitun-
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gen auf körperlicher, visueller oder auch
ethischer Art gemeint.
Science-Fiction Filme prägen
© Ian Williams
© Ian Williams
So wird die Steigerung körperlicher oder
psychischer Fähigkeiten (Enhancement)
auf ein übermenschliches Maß („Transhumanisation“) wie beispielsweise in den Science-Fiction Filmen meist durch den Einsatz technologischer Hilfsmittel
vollzogen, die der medizinischtechnischen Ausstattung in der
Realität aus einem Forschungslabor oder auch einem Operationssaal ähneln. Das Potenzial
für den Gedanken des Enhancements in Filmen stammt aus
der medizinischen Realität
beim Arzt, wie beispielsweise
durch Doping, kosmetische
Eingriffe und Implantante.
Des weiteren haben ScienceFiction-Filme unser visuelles
Verständnis in den Medien von
der Medizin sehr stark geprägt.
Sie beeinflussen bis heute die
Darstellung medizinischer
Dokumentationen im Fernsehen. Insbesondere Infotainment-Sendungen wie „Nano“,
„Galileo“ oder auch „Quarks &
Co“ greifen auf Science-Fiction-Elemente
zurück. „Bei Körperdarstellungen, MRToder CT-Bildern und Animationsfilmen
mit Fahrten durch den Körper werden häufig Kameraführungen und Musikhintergründe nachgeahmt, die dem aus „2001:
Odyssee im Weltraum“ von 1968 oder „Die
phantastische Reise“ von 1966 ähneln“, weiß
Arno Görgen. Dabei wird versucht, den
visuellen Gewohnheiten des Zuschauers
gerecht zu werden und diese aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich kommen die Medien
aber nicht an ihre Grenzen, was den Aspekt
der Visualisierung angeht. Mit den modernen Animationstechniken ist so gut wie
alles darstellbar, was denkbar ist. Schwieriger wird es, laut Görgen, mit dem Klang und
der Musik im Hintergrund: „Für bestimmte
Science-Fiction-Darstellungen gibt es ­keine
Entsprechungen in der Realität. Dann muss
die Klangebene aus der echten Welt heraus
genommen werden und dieses Repertoire
ist natürlicherweise begrenzt.“
Gibt es Tabuthemen?
Die „Transliminary Medicine“ diskutiert
neben den körperlichen und visuellen
Grenzen auch noch die ethischen Aspekte in
der Populärkultur. Gibt es ethische Grenzen
und Tabuthemen bei der Darstellung von
bestimmten medizinischen Aspekten in den
Medien?
Als ein Beispiel dafür kann die Euthanasie
gesehen werden. Das Thema wird in der
Öffentlichkeit häufig kontrovers diskutiert:
„Ist die Linderung des Leidens im Sterben,
indem der Tod schneller herbei­geführt wird
richtig, oder nicht?“ Bei der Behandlung
dieses Themas wird in den Medien häufig
eine Pro-Haltung für die Sterbehilfe eingenommen. „Der Film „You Don‘t Know Jack“
von 2010 mit Al Pacino besitzt pseudo­
dokumentarische Elemente und ist ein
­Plädoyer für die Sterbehilfe“, so Arno Görgen. Wirkliche Tabu-Themen mit ethischen
Grenzen scheint es in den Medien heutzutage kaum zu geben. „Was vermutlich ein
Tabuthema ist und relativ selten in den
Medien gezeigt wird, ist das Sterben von
Kindern und auch Gewaltanwendungen
Kindern gegenüber“, sagt Görgen.
Comics und Medizin
Die Tagung befasste sich nicht nur mit den
filmischen Darstellungsformen, sondern
auch mit bestimmten Elementen aus dem
Printbereich. So hielt Bert Hansen, Wissenschaftshistoriker
aus New York einen Votrag
über die Bildsprache der Medizin in Comics. Ein weiterer
Redner war der Brite Ian Williams aus Manchester. Er ist
selbst Arzt und zeichnet
Comics (s. Comic-Abbildungen). Williams gründete das
Internet-Portal: www.graphicmedicine.org. Auf dieser
Homepage wird die Interaktion
des Mediums Comic mit dem
Gesundheitswesen untersucht.
Es enthält eine Auswahl von
Reviews, Artikeln, Podcasts,
Links und Konferenzen zu
­diesem Thema. Es richtet sich
an Akademiker, Autoren,
Mediziner, Künstler und Fans,
die Interesse am Thema Comics
und Medizin haben. Williams ist weiterhin
Autor von der Novelle „The Bad Doctor“,
welche in diesem Jahr erschienen ist. „Das
Buch enthält autobiografische Elemente. Es
verarbeitet darin eine überwundene
Zwangsstörung“, weiß Görgen.
Die Tagung zeigte, wie die Welt des
Medizinischen in der heutigen Populärkultur dargestellt wird. Das Thema ist sehr
breit gefächert und ein absolutes Querschnittsfach. Es war die zweite Tagung in
diesem Forschungsfeld, bei der etwa
50 Experten zusammenfanden. „Die
Tagung hat beispielhaft gezeigt, welche
Muster und Metaphern in der Populär­
kultur über das Gesundheitswesen erscheinen“, sagt Görgen. Diese werden derzeit
unter zahlreichen Aspekten international
erforscht. Mit dieser Tagung gab es die
Gelegenheit, die bisherigen Ergebnisse
international und interdisziplinär zu diskutieren.
Dr. rer. nat. Christine Willen
Quelle: Universität Ulm
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