28 JUNGE ÄRZTE der niedergelassene arzt 10/2014 Science-Fiction-Filme beeinflussen Medizin-Dokumentationen in den Medien Das Thema Gesundheit und Medizin ist ein Dauerbrenner. Alle sprechen davon und sind an Neuigkeiten in der medizinischen Entwicklung interessiert. Die verschiedenen Medien greifen das ­Thema täglich auf. Fernsehen, Zeitungen, Comics oder Computerspiele – überall werden medizinische Themen behandelt und visualisiert. Gefällt dem Arzt die Entsprechung in der Populärkultur? Gibt es womöglich ethische oder technische Grenzen in der Darstellung bestimmter Themeninhalte? ­Solche Fragen wurden auf der„2nd International Conference on Medical ­Imaging and Philosophy“ vom 11. bis 12. September 2014 in Ulm diskutiert. © Dmytro Tolokonov / Fotolia Der unvollkommene Arzt und die übermenschliche Medizin D ie von der Fritz-Thyssen-Stiftung finanzierte Tagung richtete sich an Ärzte, Medienvertreter und Wissenschaftler der Geschichte, Kultur und Ethik. Auf der Veranstaltung konnten Mediziner 15 Fortbildungspunkte für das Fortbildungszertifikat der Landesärztekammer Baden-Württemberg erwerben. „Wir bieten diese Fortbildungsmöglichkeit bei allen Veranstaltungen der Medizinethik an. Wir möchten Ärzte direkt ansprechen und anhand von konkreten Beispielen zu einer Selbstreflexion einladen“, sagt Initiator und Mitorganisator Arno Görgen, Doktorand am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm. wie die beiden Fernsehserien „Emergency Room“ und „Grey`s Anatomy“ belegen können. In diesen Sendungen haben Ärzte persönliche Probleme, sind unvollkommen und verletzlich. Manchmal sind es vom Leben gezeichnete und sogar gebrochene Figuren. Der Arzt als kaputter Charakter „Der Trend zu diesem neuen Sterotyp spitzt sich meines Erachtens in der Serie „Dr. House“ zu. Der Hauptdarsteller ist ein kaputter Charakter, der unter Schmerzen leidet, unfreundlich ist und häufig in Konflikte mit seiner Umgebung gerät“, erläutert Görgen. Mit diesen Darstellungen ist der Arzt erfolgreich bei seiner beruflichen Tätikeit, jedoch nicht mehr unantastbar weit weg in seiner Persönlichkeit als Mensch. Einladung zur Selbstreflexion „Transliminary Medicine“ © Universitätsklinikum Ulm Die Einladung zur Selbstreflexion ist durchaus spannend, denn das Bild des Arztes wandelt sich in den Medien. „Bis Anfang der 90er-Jahre wurde in den Medien eine andere ­Stereotype des Arztes bedient als heute. Damals wurde das Bild des allwissenden, autoritären, kaum Privatleben besitzenden Arztes vermittelt, der alle Probleme lösen kann“, erzählt Görgen. Seit einiger Zeit wandelt sich dieses Bild in den Medien, Diese Entwicklung könnte im übertragenen Sinn auch ein Hinweis auf den Prozess der Demokratisierung im Arzt-Patienten-Verhältnis sein. Der Arzt steht nicht mehr auf dem Wissensmonopol und der Patient ist in diesem Sinn kein Bittsteller mehr. Denn die heutigen Informations­möglich­keiten sind zu fast allen Gesundheitsthemen vielfältig. Im Internet sind Homepages der Verbände, Informations­foren zu allen Krankheiten und Chats für den Austausch von persönlichen Erfahrungen Betroffener vertreten. Mit diesen Informationsquellen kann sich der Patient im Vorfeld eines Arztbesuches sehr gut informieren. In welchem Umfang und in welcher Qualität, ist individuell sehr unterschiedlich. Im Einzelfall ist der Patient gut informiert und kann sich unter Umständen „auf Augenhöhe“ mit dem Arzt unterhalten. Arno Görgen Doktorand am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm Ein weiterer Schwerpunkt der Tagung war die sogenannte „Transliminary Medicine“, also das Überschreiten von medizinischen oder medizinethischen Grenzen. Auf die ­Medien bezogen sind Grenzüberschreitun- 30 JUNGE ÄRZTE der niedergelassene arzt 10/2014 gen auf körperlicher, visueller oder auch ethischer Art gemeint. Science-Fiction Filme prägen © Ian Williams © Ian Williams So wird die Steigerung körperlicher oder psychischer Fähigkeiten (Enhancement) auf ein übermenschliches Maß („Transhumanisation“) wie beispielsweise in den Science-Fiction Filmen meist durch den Einsatz technologischer Hilfsmittel vollzogen, die der medizinischtechnischen Ausstattung in der Realität aus einem Forschungslabor oder auch einem Operationssaal ähneln. Das Potenzial für den Gedanken des Enhancements in Filmen stammt aus der medizinischen Realität beim Arzt, wie beispielsweise durch Doping, kosmetische Eingriffe und Implantante. Des weiteren haben ScienceFiction-Filme unser visuelles Verständnis in den Medien von der Medizin sehr stark geprägt. Sie beeinflussen bis heute die Darstellung medizinischer Dokumentationen im Fernsehen. Insbesondere Infotainment-Sendungen wie „Nano“, „Galileo“ oder auch „Quarks & Co“ greifen auf Science-Fiction-Elemente zurück. „Bei Körperdarstellungen, MRToder CT-Bildern und Animationsfilmen mit Fahrten durch den Körper werden häufig Kameraführungen und Musikhintergründe nachgeahmt, die dem aus „2001: Odyssee im Weltraum“ von 1968 oder „Die phantastische Reise“ von 1966 ähneln“, weiß Arno Görgen. Dabei wird versucht, den visuellen Gewohnheiten des Zuschauers gerecht zu werden und diese aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich kommen die Medien aber nicht an ihre Grenzen, was den Aspekt der Visualisierung angeht. Mit den modernen Animationstechniken ist so gut wie alles darstellbar, was denkbar ist. Schwieriger wird es, laut Görgen, mit dem Klang und der Musik im Hintergrund: „Für bestimmte Science-Fiction-Darstellungen gibt es ­keine Entsprechungen in der Realität. Dann muss die Klangebene aus der echten Welt heraus genommen werden und dieses Repertoire ist natürlicherweise begrenzt.“ Gibt es Tabuthemen? Die „Transliminary Medicine“ diskutiert neben den körperlichen und visuellen Grenzen auch noch die ethischen Aspekte in der Populärkultur. Gibt es ethische Grenzen und Tabuthemen bei der Darstellung von bestimmten medizinischen Aspekten in den Medien? Als ein Beispiel dafür kann die Euthanasie gesehen werden. Das Thema wird in der Öffentlichkeit häufig kontrovers diskutiert: „Ist die Linderung des Leidens im Sterben, indem der Tod schneller herbei­geführt wird richtig, oder nicht?“ Bei der Behandlung dieses Themas wird in den Medien häufig eine Pro-Haltung für die Sterbehilfe eingenommen. „Der Film „You Don‘t Know Jack“ von 2010 mit Al Pacino besitzt pseudo­ dokumentarische Elemente und ist ein ­Plädoyer für die Sterbehilfe“, so Arno Görgen. Wirkliche Tabu-Themen mit ethischen Grenzen scheint es in den Medien heutzutage kaum zu geben. „Was vermutlich ein Tabuthema ist und relativ selten in den Medien gezeigt wird, ist das Sterben von Kindern und auch Gewaltanwendungen Kindern gegenüber“, sagt Görgen. Comics und Medizin Die Tagung befasste sich nicht nur mit den filmischen Darstellungsformen, sondern auch mit bestimmten Elementen aus dem Printbereich. So hielt Bert Hansen, Wissenschaftshistoriker aus New York einen Votrag über die Bildsprache der Medizin in Comics. Ein weiterer Redner war der Brite Ian Williams aus Manchester. Er ist selbst Arzt und zeichnet Comics (s. Comic-Abbildungen). Williams gründete das Internet-Portal: www.graphicmedicine.org. Auf dieser Homepage wird die Interaktion des Mediums Comic mit dem Gesundheitswesen untersucht. Es enthält eine Auswahl von Reviews, Artikeln, Podcasts, Links und Konferenzen zu ­diesem Thema. Es richtet sich an Akademiker, Autoren, Mediziner, Künstler und Fans, die Interesse am Thema Comics und Medizin haben. Williams ist weiterhin Autor von der Novelle „The Bad Doctor“, welche in diesem Jahr erschienen ist. „Das Buch enthält autobiografische Elemente. Es verarbeitet darin eine überwundene Zwangsstörung“, weiß Görgen. Die Tagung zeigte, wie die Welt des Medizinischen in der heutigen Populärkultur dargestellt wird. Das Thema ist sehr breit gefächert und ein absolutes Querschnittsfach. Es war die zweite Tagung in diesem Forschungsfeld, bei der etwa 50 Experten zusammenfanden. „Die Tagung hat beispielhaft gezeigt, welche Muster und Metaphern in der Populär­ kultur über das Gesundheitswesen erscheinen“, sagt Görgen. Diese werden derzeit unter zahlreichen Aspekten international erforscht. Mit dieser Tagung gab es die Gelegenheit, die bisherigen Ergebnisse international und interdisziplinär zu diskutieren. Dr. rer. nat. Christine Willen Quelle: Universität Ulm