Philosophisch-religiöse Aspekte des Zen-Buddhismus von Gordon Lax Sickingen Gymnasium Landstuhl Phillip-Fauth-Straße 3 66849 Landstuhl Besondere Lernleistung in Philosophie Thema: Philosophisch-Religiöse Aspekte de Zen-Buddhismus Verfasser: Gordon Lax Betreuender Lehrer: Achim Jung Abgabetermin: 13.02.2007 1 Inhaltsverzeichnis I. Einleitung 2 II. Einführung in Zen 2 III. Entstehung und Geschichte 5 IV. Shaolin 8 V. Philosophie des Zen 11 1. Leere 13 2. Intuition und satori 15 3. Alltäglichkeit 15 VI. Zazen 17 VII. Kampfkünste als Weg zur Erleuchtung 21 VIII. Buddhismus - eine Religion? 23 IX. Schlusswort 27 X. Quellenverzeichnis 28 2 I. Einleitung Die Zielsetzung dieser Besonderen Lernleistung war, den philosophischen Kontext des Zen-Buddhismus herauszuarbeiten und diesen mit den religiösen Aspekten zu vergleichen, um schließlich die Frage zu klären, ob Zen nun eine Religion oder eher eine Philosophie ist. Vorab wird die Geschichte des Zen und die Praxis der Meditation, das zazen näher erläutert. Ein weiterer Aspekt wird ebenfalls behandelt, die Philosophie und Geisteseinstellung in den Kampfkünsten und dem Kampf. II. Einführung in den Zen-Buddhismus Jeder hat schon einmal von Zen gehört, für viele stellt dieser Begriff etwas Mystisches und Unerforschtes dar. Da Zen eine Schule des Buddhismus ist, ist das Gedankengut buddhistisch in seinen Grundzügen, hat aber auch Elemente des Taoismus inne. Zen ist vor allen Dingen in Japan anzutreffen, wo es zusammen mit dem Konfuzianismus und vor allen Dingen dem Shintōismus die kulturelle Grundlage bildet. Deshalb erscheint japanisches Zen auf den ersten Blick komplett anders als das chinesische Ch’an, aus welchem sich Zen entwickelte. Doch beide sind im Grunde genommen das Gleiche, nur verschieden verpackt, japanisches Zen konzentriert sich auf die Einfachheit der Kunst und aller Dinge, wohingegen Ch’an wesentlich prunkvoller und farbiger ist. Hier sei jedoch nur näher auf die Eigenarten des japanischen Zen eingegangen. 3 Der Kern des Zen ist zazen, die Meditation: Nur wer stetig und mit der richtigen Geisteseinstellung übt und meditiert, erlangt die Erleuchtung. Auf Lehren und das geschriebene Wort wird im Zen wenig Wert gelegt, wobei vor allem die Sōtō-Schule in Japan sehr praktisch orientiert ist. Allerdings gibt es die so genannten kōan. Ein kōan ist meist eine kurze enigmatische Geschichte oder Fragestellung, die auf den ersten Blick wenig Sinn macht, dem Schüler jedoch hilft, das Wesen des Zen zu verstehen. Logisch sind die in den kōan versteckten Rätsel nicht zu lösen, der Schüler soll vielmehr durch die Verzweiflung erkennen, dass er nicht imstande ist, die Aufgabe durch Logik, durch diskursives Denken zu lösen, sondern durch Loslassen der Gedanken und Erkennen der Leere. Viele kōans scheinen auf den ersten Blick lustig, als Witz oder Scherzfrage gemeint zu sein, wie folgendes Beispiel zeigt: »Ein Schüler fragte seinen Meister: ›Was ist der Kern der korrekten Lehre?‹ Der Meister sagte: ›Der Duft von Reisbrei!‹«1 Wie man sieht, wird man durch logisches und diskursives Nachdenken nicht auf den Kern des kōans kommen - wenn es überhaupt einen gibt. Zen hat eine enorme Bedeutung in der Kultur Japans. Durch das Zusammenwirken von Konfuzianismus, Zen und Shintōismus entstand eine einzigartige Gesellschaft, die vor allen Dingen im “Weg des Kriegers”, dem bushidō zu finden war. Fast alle japanischen Kampfkünste beruhen auf dem Weg des Kriegers, welcher Konzentration in allen Lebensbereichen erfordert sowie Loyalität ge- 1 Barth, Zen-Worte vom Wolkentor-Berg. Darlegungen und Gespräche des Zen- Meisters Yunmen Wenyan (864-949), Bern 1994, S. 97 4 genüber seinem Herrn, Höflichkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod. Wie im “restlichen” Buddhismus wird Zen vor allen Dingen in Klöstern ausgeübt. Wer in das Kloster eintritt wird Schüler eines Meisters. Dieser hat die Aufgabe, den Schüler zu seiner Selbstfindung zu führen und Fehlentwicklungen zu vermeiden. Das tägliche Leben in einem Kloster hat einen strengen und starren Ablauf: jeden Tag um 5 Uhr morgens aufstehen, zazen, Morgengebet, gemeinsames Frühstück, Gehmeditation, den Boden putzen, den Garten pflegen, Mittag essen, zazen, usw. Die Mönche lernen im Kloster, ihren Geist auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf das, was jetzt gerade passiert, was sie jetzt gerade tun, egal ob essen oder gehen. Vieles wird gemeinsam getan, wie beispielsweise das Essen oder zazen. Jedoch wird jeder Schüler auch individuell von seinem Meister betreut. Doch Zen muss nicht gezwungenermaßen im Kloster “erlernt” werden. Oftmals geht es nur um konzentrierte Aufmerksamkeit und Freude während des Lebens. Abgesehen von den traditionellen Kampfkünsten, hat Zen in fast allen Lebensbereichen Japans seine Spur hinterlassen. So sind shodō, die Kalligrafie; kadō, das Blumenstecken und sadō, der Teeweg im wesentlichen Zen- Disziplinen. Die Silbe dō (der Weg) zeigt eine Verbindung zum Zen auf, wie das auch bei bushidō (Weg des Kriegers), kendō (Weg des Schwertes) oder auch judō (Der sanfte Weg) der Fall ist. In ihnen spiegelt sich die Philosophie wieder, die in dieser Arbeit beschrieben wird. 5 III. Entstehung und Geschichte Im Wesentlichen geht der Zen-Buddhismus auf einen buddhistischen Patriarchen namens Bodhidarma zurück. Dieser historische Buddha soll im 6. Jahrhundert nach Christus von Indien nach China gereist sein, um dort vermutlich den Vorläufer der späteren Ch'anSchulen zu gründen. Es gibt verschiedene Berichte, jedoch keine klaren Fakten dass Bodhidarma - in Japan auch daruma genannt wirklich existiert hat. Er wird vielmehr als Legende gesehen. Dessen ungeachtet tauchen in diversen Quellenberichten aus dem 6. Jahrhundert Nennungen der neuen Schule auf. Der historische Bodhidarma lebte - wenn es ihn wirklich gab - im 6. Jahrhundert nach Christus und war der 28. indische Patriarch des Buddhismus. Allen verschiedenen Quellenberichten ist gemein, dass Bodhidarma von Indien nach China reiste, um dort seine Lehre zu Buddhismus verbreiten. (“großes Der Mahayana- Fahrzeug”) war in China zu dieser Zeit neben dem Konfuzianismus und Taoismus schon weit verbreitet. Bodhidharmas Lehre betonte fast ausschließlich die Meditation; die schriftlichen Überlieferungen soll er abgelehnt haben. Einzig auf das Lankavatara-Sutra bezogen haben, welches die Erleuchtung durch Erkennen der Leere und des Göttlichen in allen Dingen lehrt. Den Überlieferungen beziehungsweise Legenden nach soll Bodhidharma den Kaiser Liang Wu Di getroffen, diesen aber “vergrault” haben. 6 Da der Kaiser bekennender Buddhist war, stellte er Bodhidarma einige Fragen in Bezug auf seinen Glauben: »Was ist das höchste Prinzip der heiligen Wahrheit?« Bodhidharma antwortete: »Unergründliche Leerheit und nichts Heiliges.« Der Kaiser gab zurück: »Wer ist dies, der mir so gegenübertritt?« Bodhidharma antwortete ihm: »Ich weiß es nicht!«2 Wu Di ignorierte Bodhidarmas Ratschläge seither, und so reiste der 26. Patriarch weiter Richtung Norden, in das Königreich Wei. Dort soll er angeblich 9 Jahre in einer Höhle eine Wand angestarrt haben, nicht ein einziges Wort redend, schließlich starb er im aufrechten Sitz. Die 9 Jahre dauernde Meditation dürfte kaum wörtlich zu verstehen sein, sondern meint wohl eher eine ausgeprochen lange Phase der Meditation, denn sicherlich musste Bodhidharma seinen menschlichen Bedürfnissen nachgehen. Die Entstehung des Ch'an bleibt jedoch weithin unklar, es wird angenommen, dass Ch’an der Verfolgung des Buddhismus während der Tang-Dynastie dadurch entgehen konnte, dass sich die vom Ch'an beeinflussten Tempel auf dem Land befanden. Nur die größeren Mahayana-buddhistischen Tempel in den Städten wurden zerstört. Unter dem 6. Patriarchen Hui-Neng verschmolz der besondere Buddhismus, wie er von Bodhidharma gelehrt wurde, mit dem chinesischen Taoismus. Insofern wird auch Hui-Neng als der wesentliche "Schöpfer" des Ch'an bzw. Zen bezeichnet, Bodhidarma bildete allerdings die Grundlagen der Meditation und Praxis. HuiNeng gründete die Südliche Schule des Zen, die die plötzliche Erleuchtung durch die Überwindung des Intellekts und der Gewahr2 Taisen Deshimaru-Roshi, Za-Zen. Die Praxis des Zen, Heidelberg/Leimen 1978, S.9 7 samkeit des Geistes betonte. Die Nördliche Schule dagegen sah die Erleuchtung als allmählichen, langsam fortschreitenden Prozess, der durch das intensive Studium der Sutren in Gang gehalten werden kann. Die Südliche Schule behielt in der Folgezeit die Oberhand bis die Nördliche Schule schließlich ausstarb. Der Ch’an- Buddhismus erfuhr in dieser Zeit großen Zuspruch und gewann immer mehr an Einfluss, nebst Taoismus und Konfuzianismus. Die weitere Entwicklung des Ch'an in China brachte Huang-Po als überragenden Meister hervor, um den sich viele Geschichten und Zen-Koans drehen. Unter Huang-Pos Schülern befand sich auch der junge Lin-Chi, welcher um 850 die nach ihm benannte Lin-Chi Schule gründete. Sie hielt sich in China bis ins 12. Jahrhundert als die einflussreichste aller Schulen. Die in Japan unter Rinzai-Shū bekannte Tradition wurde 1191 von Myōan Eisai in Japan eingeführt, und ist eine der drei heute noch aktiven Zen-Schulen in Japan. Der Rinzai-Zen sah neben Zazen die Lösung von Koans als wichtiges Element zur Erlangung der Erleuchtung an. Doch noch ein weiterer Meister des Ch'an brachte eine andere Tradition nach Japan: Dōgen Zenji. Er war ein Vertreter des Sōtō-Zen, welcher die alleinige Praxis der Meditation, der inneren Versenkung lehrt. Als junger Japaner reiste Dōgen nach China, um dort seine Erleuchtung unter Meister Nyojo zu erfahren, 1227 kehrte er schließlich zurück nach Japan und eröffnete nach Tagen der Zurückgezogenheit im Jahre 1243 den ersten Tempel des Sōtō-Zen in Japan. Dōgen Zenji schrieb trotz der Betonung der Praxis auch eine ZenSchrift nieder, das Shōbōgenzō (Deutsch: Schatzkammer der Erkenntnis des wahren Dharma), welches noch heute über den SōtōZen hinausgehenden Einfluss hat. Das japanische Zen expandiert ab diesem Zeitpunkt und erreicht ab dem 13. Jahrhundert von der Kamakura Zeit bis zur Meiji-Restauration im Jahre 1868 seine 8 Blütezeit. Praktisch alles in Japan hat eine Verbindung mit der ZenTradition, man denke nur an die verschiedenen Kampfkunstdisziplinen wie kendō. Diese kriegerischen Aspekte sind unter dem bushidō zusammengefasst, dem "Weg des Kriegers". Besonders der japanische Schwertadel, die Samurai begründen ihr komplettes Leben auf Zen. Der Ch'an-Buddhismus in China entwickelte sich weiter, bis heute ist er dort immer noch sehr stark vertreten und hat sich auch in den Westen ausgebreitet. Doch ich wende mich in dieser Abhandlung mehr dem japanischen Zen zu und lasse den chinesischen Ch'an - da es den Rahmen sprengen würde - außen vor. Allerdings gehe ich auch auf die chinesischen Kampfkünste ein. IV. Shaolin Jeder hat einmal schon von "Shaolin Kung-Fu" oder den ShaolinMönchen gehört, ob in Film und Fernsehen, Internet oder auch Literatur. Doch unter dem Begriff "Shaolin" versteht man meist das Shaolin-Kloster am Berg Song Shan, in der Provinz Henan inmitten von China. Der Shaolin-Tempel beziehungsweise die dortige Region wird als Ursprungsort des Ch'an-Buddhismus betrachtet und vor allen Dingen mit den chinesischen Kampfkünsten in Verbindung gebracht. Der Tempel existierte schon ca. 40 Jahre bevor Bodhidharma dort erschien. Gegründet von Fang Chang, einem buddhistischen Mönch im Jahre 497, wurde er um 512 durch den durch China reisenden Bodhidharma aufgesucht. Dieser wurde allerdings nicht eingelassen, und so setzte er sich in eine nahegelegene Höhle und 9 meditierte für 9 Jahre, zumindest sagt das die Legende. Es gibt verschiedene Ausführungen der Legende, die historisch korrekteste ist jedoch, dass Mönche aus dem Tempel sich seiner annahmen und ihn verpflegten. In dieser Zeit meditierte Bodhidharma jedoch ausgiebig um so - vielleicht als eine Art Beweis - nach 9 Jahren schließlich in den Tempel gelassen zu werden. Im Tempel selbst wollte er nun seine Lehre verbreiten, deren wesentlicher Bestandteil die praktische Meditation ist. Die dort heimischen Mönche jedoch hatten für Bodhidharmas Verhältnisse zu wenig Kondition für das oft stundenlange Sitzen im Lotus-Sitz, die Schüler waren nicht aufmerksam, sondern eher schläfrig. Darum entwickelte der Patriarch die als Shi-ba-luo-han-shou ("Die 18 Hände des Buddha") bekannte Übungsreihe, welche sich vom indischen Yoga ableitete. Sie diente zur Stärkung der Kondition und Ausdauer, bald erkannte man auch den Nutzen der Selbstverteidigung und so wurden Übungen ausgeweitet. Aus dieser Zeit dürfte wohl auch das Wort "Kung-Fu" kommen, welches "Etwas durch harte/geduldige Arbeit Erreichtes" bedeutet. Personen von außerhalb des Klosters sahen die Mönche, wie sie "Die 18 Hände des Buddha" ausführten und sahen dies als "harte Arbeit" an oder merkten, wie lange es dauerte, diese so perfekt wie die Mönche zu beherrschen. Die Übungen und Regeln Bodhidharmas im Shaolin-Kloster wurden über die Jahre verfeinert, etliche Stile bildeten sich, bis im 14. Jahrhundert nach Christus der Mönch Jue Yuan das System reformierte. Vor allen Dingen die von Bodhidharma aufgestellten Kampfkunsttugenden wurden zusammengefasst, welche in der Nachfolgezeit unter anderem - als dōjōkun noch heute bekannt nach Japan kamen. 10 Doch auch die Kampfkunst wurde neu gestaltet, Jue Yuan entwickelte neue Techniken, verband sie mit den alten und brachte schließlich das System der "72 Fäuste" hervor, welches fortan von fast allen Mönchen im Kloster praktiziert wurde. Spätestens hier kann man von Shaolin Quanfa ("Shaolin-Faust-Fertigkeiten") sprechen. Die darauffolgende Ming-Dynastie brachte dem Kloster viel Zuwachs, da diese Epoche für China eine Blütezeit der Kunst und Philosophie war. Das Land war sehr reich, so auch das Kloster, viele Familien schickten ihre Söhne zu den Klostern der Shaolin, um dort die Kampfkünste zu lernen. In dieser Zeit spalteten sich wohl auch die ersten Schulen des Shaolin Quangfa ab, diese hatten weniger klösterlichen Charakter als der Haupttempel und die "Satellitentempel". Die 5 bekannten Tierstile Drache, Schlange, Tiger, Leopard und Kranich sollen ebenfalls aus dieser Zeit stammen. Diese 5 Stile wurden erweitert, ausgebaut und bilden auch heute noch eine äußerst "effektive" Kampfkunst. Jedes dieser Tiere spiegelt nicht nur eine dem Tier eigene Kampfart wieder, sondern auch die innere Einstellung des Kämpfers. Heutzutage sollte man zwischen dem Wu-Shu ("Kriegskunst") und dem Shaolin Quanfa unterscheiden, und vor allen Dingen diese nicht in eins mit Kung-Fu setzen. Wu-Shu bedeutet zu allererst einmal die Allgemeinheit aller chinesischen Kampfkunststile. Jedoch muss man zwischen den moderneren und den traditionellen Stilen unterscheiden. Die modernen Stile dienten und dienen immer noch vor allem der Selbstverteidigung, dem Angriff, der Konditionierung des Körpers zu gesundheitlichen Zwecken und der Heilung. Das moderne Wu-Shu wird hauptsächlich bei Militär und Polizei gelernt, jedoch ist die Verbreitung im Volk ebenfalls sehr groß. Was diese Stile auszeichnet, ist die Tatsache, dass hinter dem System jed- 11 wede Philosophie fehlt. Es hat keinen höheren Sinn als das Erreichen der oben aufgeführten Zwecke. Traditionelles Wu-Shu, wozu man auch Shaolin Quanfa zählt, entstand dagegen aus religiösen Gründen, um Körper und Geist zu kultivieren. Ob nun von Buddhismus oder Taoismus beeinflusst, beide Religionen machen sich die Kampfkünste zu Nutze, um zu demselben Ziel zu kommen: der Erleuchtung, der Achtsamkeit und dem vollkommen objektiven Erkennen des Seins. V. Die Philosophie des Zen Zunächst ist auf die Eigenarten und die Vorstellungen des Zen einzugehen. Diese eigene Schule des Buddhismus ist vor allen Dingen in Japan anzutreffen, jedoch findet sie immer mehr Anhänger auf der ganzen Welt. Was Zen vom Buddhismus unterscheidet ist die Radikalisierung der Schriftablehnung und die extreme Betonung der Praxis, des zazen. Zen hat sich, wie in dem Kapitel “Geschichte” dargestellt ist, aus dem großen Wagen des Buddhismus, dem Mahayana entwickelt. Viele Elemente sind aus dem Taoismus übernommen worden, Yin-Yang beispielsweise ist in Japan auch unter In-Yo bekannt. Das japanische Wort dō (der Weg) kommt von dem chinesischen Wort tao, welches ebenfalls den Weg beschreibt. Hier ist schon die erste Problematik zu finden: Das westliche Denken hat einen anderen Begriff von “Weg” als östliche Kulturen. Der Weg muss beschritten werden, doch ist der Weg das Ziel, zu finden ist dies beim zazen beziehungsweise beim shikantaza. Man sitzt nicht, um etwas zu erreichen, das Da-Sitzen ist das Ziel. Wenn der 12 Schüler auf etwas zielt beim Sitzen, etwas erreichen will, dann verfehlt er den Sinn der Übung. Der Körper soll in sich ruhen bei der Meditation, Geist und Körper sollen eine Einheit bilden, aber doch getrennt bleiben. Oft sitzt nur der Körper - aber der Geist sitzt nicht, er weilt bei Gedanken oder Gefühlen, irrt in die Zukunft oder die Vergangenheit. Man kann dies mit dem Leib-Seelen- Parallelismus von Gottfried Wilhelm Leibniz vergleichen. Er geht davon aus, dass Körper und Geist des Menschen zwei getrennte “Substanzen” sind, welche unabhängig voneinander agieren. Jedoch besitzen beide Uhren welche synchron geschaltet sind. Natürlicherweise laufen diese Uhren, eben synchron, wenn jedoch eine außer Takt kommt, so wird der Mensch krank. Im Zen ist diese Idee in veränderter Weise auch zu finden, nur spricht man hier nicht von Uhren, sondern von “Schwerpunkten” oder “Zentren”. Wie zuvor beschrieben, sitzt der Körperschwerpunkt im Bauch, genau dort, wo nach japanischem Verständnis hara sitzt. Hara beschreibt auch das ki-Zentrum im Menschen. Ki im Japanischen oder Qì im Chinesischen ist einer der Einflüsse aus dem Taoismus und bezeichnet den universellen Atem, welcher durch alles und jeden fließt. Diese Energie spielt in den Kampfkünsten eine überaus große Rolle. Durch die Konzentration dieser Energie wird beispielsweise die Schnelligkeit und Härte im Kung-Fu erreicht. Die Bedeutung des ki in den chinesischen inneren Kampfkünsten wie Tai-ji Quan ist größer als in japanischen oder koreanischen Kampfkünsten. Allerdings spielt sie auch dort eine große Rolle, nur herrschen im Zen andere Elemente - wie die Leere - vor. 13 1. Leere Im Gegensatz zum Westen existiert der Begriff “Sub- stanz” in der Philosophie von Zen 3 nicht. Nach westlichem Verständnis gilt die Substanz als von sich selbst erfüllt, jede Substanz hat ihre eigene Identität, ihren Charakter, der eigenen Baum ist Baum, der Stein ist Stein. Der Berg verändert sich nicht, er ist beständig und konstant. Der Begriff oder Ausdruck, das heißt “der Berg” selbst ist also starr. Der buddhistische Begriff “Leere” oder mu bildet eine zentrale Rolle im Zen. Die Leere ist nicht wie die Substanz mit sich selbst angefüllt, sondern ist ent-eignet, sie leert ihr Seiendes in die offene Weite aus. So ist der Baum nicht nur Baum, sondern zugleich auch Stein - genauso wie der Stein nebst Stein auch Baum ist. Nach westlichem Denken mag man hier eine Metapher erkennen, jedoch findet man beispielweise in einem von Dōgens Texten folgende Passage: »Nur ein Mensch mit grobem Verständnis bezweifelt das Wort ›Die blauen Berge wandern‹. Es ist wegen der Armut an Erfahrungen, dass man sich verwundert über ein solches Wort wie ›fließende Berge‹.«4 3 Das Bild zeigt das Schriftzeichen (kanji) für “zen” 4 Dōgen, Shōbōgenzō. Übers. von Gudo Wafu Nishijima, Chodo Cross, London 1994- 99, Bd. 1, S.169 14 Der Berg fließt in den Fluss hinein, er verschmilzt mit ihm, genauso verschmilzt er mit dem Himmel oder der Vegetation und umgekehrt. Im Westen unterscheidet man zwischen Ebenen, der Substanz und der Transzendenz. Die Transzendenz wird als die Ursache aller Substanz angesehen. Im buddhistischen Denken fehlt diese Transzendenz und die Trennung der “Seinsebenen”. Die Form, welche der Mensch wahrnimmt, steht auf der gleichen “Stufe” wie die Leere welche die Identität der Form sozusagen aufhebt: »Form ist Leere, Leere nicht verschieden von Form, noch ist Form verschieden von Leere, in der Tat, Leere ist Form.« 5 Die Monade bei Leibniz spielt eine ähnliche Rolle wie mu, sie verbindet die Substanzen (oder Formen) untereinander durch ein unsichtbares Band, beispielsweise bei dem oben beschriebenen Leib-Seele-Parallelismus. Die beiden verschiedenen Uhren laufen nur synchron, weil die Monade dazwischen wirkt. Anders als in der Monadologie bei Leibniz geht Zen jedoch nicht von der Urmonade (Gott) aus, welche der Ursprung aller anderen Monaden ist. Buddhismus ist frei von Transzendenz, von allem Göttlichen, und somit auch von jeglichem Ursprung. Allerdings sind ki und mu nicht das ein und dasselbe, doch wenn man davon ausgeht, dass die Leere überall ist, auch im ki, oder das ki auch in der Leere enthalten ist, so sind sie doch gleich. 5 aus dem Herz-Sutra (Prajna Paramita Hrydaya Sutra) 15 2. Intuition und satori »Das menschliche Denken ist nicht intuitiv, sondern diskursiv.« - Immanuel Kant 6 Genauso wie Kant geht das Zen-buddhistische Verständnis von einem anfänglich diskursiven Denken des gewöhnlichen Menschen aus. Kant beschreibt die Befreiung von jenem diskursiven Denken in bestimmten Situationen durch den “guten Willen”. Der gute Wille handelt intuitiv richtig - nach dem kategorischen Imperativ: »Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.« Man kann den guten Willen Immanuel Kants mit satori, der Erleuchtung im Zen, vergleichen. Wenn jemandem satori widerfährt, er also erleuchtet wird, erkennt er das universelle Wesen, die Fluidität alles Daseins mit einem Schlag und betrachtet das Dasein objektiv. Dieser Zustand lässt den Menschen auch nach dem kategorischen Imperativ handeln - da er sich befreit hat von aller Subjektivität, allen Vorurteilen, allem Leid, ist er erwacht. Jeder Mensch dürfte dieses “Erwachen aus der Subjektivität” einmal kurz gespürt haben, bei voller Konzentration sind Körper und Geist ein und dasselbe und es wird tatsächlich nicht mehr gedacht. Diesen Zustand allerdings selbst unter großer Belastung und Ablenkung zu erreichen, bedarf jahrelanger Übung und Meditation. Das Verstehen der wahren Welt unter rein objektiver Betrachtung wird durch satori erreicht. Dabei sieht man die Welt ohne jegliche Voreingenommenheit und vorherige Erfahrungen, man ist einfach objektiv. Man erk- 6 aus http://de.wikipedia.org/wiki/Intuition 16 ennt was die Dinge wirklich in ihrer wahren Natur sind, man erkennt die Leere in allem Dasein. »Der Esel sieht in den Brunnen und der Brunnen sieht in den Esel.« 7 Was beim ersten Lesen sehr seltsam erscheint, wird durch das Erkennen der universellen Natur des Daseins klar: Der Esel ist der Brunnen, der Brunnen ist der Esel. Und gleichsam sind sie die Leere. Der Esel ist auch Berg und der Brunnen ist Baum, alles ist alles und doch leer. 3. Alltäglichkeit Als wohl das wichtigste Glied in der Zen-Praxis zählt - vor allen Dingen in den Klöstern und Tempeln - die Alltäglichkeit. Im steten und sturen Alltag soll das Wesen jeder Tätigkeit erkannt werden, man soll im hier und jetzt leben, nicht mit den Gedanken in der Vergangenheit oder Zukunft herumirren. Diese Konzentration soll mit immerwährender Wiederholung erreicht werden. Jede Handlung soll mit großer Sorgfalt ausgeführt werden, der Geist soll das Gleiche tun wie der Körper: bei der Sache sein. Thich Nhat Hanh, ein vietnamesischer Zen-Meister, schreibt in einem seiner Bücher8 , dass er sich in seiner Zeit als junger Mönch einen kleinen roten Stofffetzen an die Decke seines Schlafplatzes heftete. Jeden Morgen wenn er aufwachte, sah er zu allererst diesen roten Stofffetzen - und ging damit aufmerksam in den Tag hinein, da dieser ihn an 7 Kōichi Tsushimura und Hartmut Buchner, Der Ochs und der Hirte. Eine altchinesische Zen-Geschichte, Pfulligen 1958, S.94 Thich Nhat Hanh, Jeden Augenblick genießen. Übungen zur Achtsamkeit, Berlin 2004, S.19 8 17 die Konzentration und Achtsamkeit des Geistes bei jeder Gelegenheit erinnerte. Beispielsweise konzentriert man sich einmal auf Dinge die man sonst automatisch macht, wie etwa Laufen. Man konzentriert sich auf das Laufen, man läuft wirklich nur und denkt nicht nach oder erinnert sich an etwas oder lässt sich ablenken. Man soll sich komplett und nur auf das konzentrieren, was man gerade macht. Eng verbunden mit der Wiederholung und dem Alltag ist das japanische Verständnis von Einfachheit und Simplizität. Man sagt, Simplizität sei schwer zu erlernen, aber genau das tun Zen-Mönche in Klöstern, indem sie bei allem aufmerksam sind, nicht zerstreut und somit auch nicht nach Neuem trachten. Auch Genügsamkeit und Sparsamkeit sind wichtig und eng mit der Einfachheit verbunden. All diese Dinge benötigen jedoch auch viel Selbstdisziplin - und zazen, die Sitzmeditation hilft unter anderem dabei, den Geist zu klären und somit zu befreien von geistigem Ballast. »Freiheit kommt nur durch Verzicht.« VI. Zazen Die Praxis des Zazen ist tief im Zen beziehungsweise Ch'anBuddhismus verwurzelt. Buddha Shakyamuni (der historische Buddha) selbst fiel in die "Versenkung" unter einer Pappelfeige (der heutige Bodhi-Baum), und eines Nachts war er plötzlich frei von jeder Subjektivität. Unter Zazen versteht man heutzutage die sitzende Meditation. Schon im Hinduismus zu finden, dient die Meditation als religiöse Praxis. Auch wenn das Wort Meditation von dem lateinischen meditatio stammt, was soviel wie "über etwas nach- 18 denken" bedeutet, so ist die Meditation im Sinne des Zazen jedoch das Gegenteil. Beim Zazen wird auch gedacht, jeder Mensch denkt, ob er will oder nicht, er kann es auch nicht abstellen. In der Praxis des Zazen jedoch wird den Gedanken nicht angehaftet, sie ziehen von selbst vorbei. Der Sitaigung (oberster Abt) Shi Heng Zong des Buddhistischen Klosters in Kaiserslautern, erklärte mir bei meinem Besuch das Wesen der Meditation an einem Beispiel: Die Gedanken sind wie kleine Schiffchen, die auf einem Fluss schwimmen und allmählich dahintreiben. Diese Schiffe - oder eben unsere Gedanken - sind immer und überall da. Wenn sie nicht da wären, wären wir tot, doch der Mensch macht nun gewöhnlich Folgendes: Er sitzt am Ufer und anstatt die Gedanken einfach nur zu betrachten, wie sie vorbeischwimmen, fasst er eines oder mehrere der Boote, hebt es aus dem Wasser, betrachtet es, setzt es weiter oben wieder ins Wasser, holt es wieder heraus, wirft es ins Wasser oder spielt auf sonstige Weise damit herum. Der Mensch haftet an den Gedanken, er kann sie nicht einfach ziehen lassen, er muss sie nehmen, sich mit ihnen beschäftigen. Doch während des zazen, der Meditation sollte der Mensch einfach nur an dem Ufer sitzen und die Boote betrachten und beobachten - nicht herausnehmen, das wäre ja wieder Anhaften an Gedanken! Der Strom fließt unbeirrt weiter, es bringt ja eigentlich auch keinen Vorteil, die Schiffe aufzuhalten, man lässt sie später ja sowieso weiterziehen. Insofern sollte man die Gedanken auch gleich einfach ziehen lassen und dem Strom seinen Weg lassen. Zusammengesetzt ist das Wort aus den japanischen Silben za und zen, za steht für "sitzen", zen für "Konzentration, Versenkung, 19 Meditation". "Sitzende Konzentration" ist eine recht passende Übersetzung dafür. Der Schüler setzt sich auf ein rundes Kissen (zafu) und kreuzt die Beine in den Lotussitz, bzw. Halblotussitz. Das Becken wird leicht nach vorne gekippt, so dass die Wirbelsäule gewölbt und die Position stabil ist. Der Rücken wird jedoch stets gerade gehalten. Die Schultern sollten nicht verkrampft sein, sondern natürlich nach unten fallen, das Kinn etwas nach oben gezogen werden damit der Nacken gerade und stabil ist. Der Mund wird einen Spalt breit geöffnet, die Zunge berührt leicht den Gaumen. Leicht geöffnet blicken die Augen eigentlich nur die Wand an beziehungsweise in den Raum hinein, leicht nach unten auf den Boden. Nun werden die Hände in den Schoß gelegt und formen das dhyanamudra, eine symbolische Handgeste. Dabei wird die rechte Handfläche über den gekreuzten Beinen auf Höhe des Bauchnabels in die linke Hand gelegt. Beide Handinnenseiten zeigen nach oben und die Finger sind ausgestreckt, die Daumen berühren sich leicht und sollten gerade gehalten werden. Dies ist die Haltung im zazen, die Kunst ist ganz simpel: "zu sitzen". Sie ist das Geheimnis des Zen selbst, so schreibt Taisen Deshimaru-Roshi in einem seiner Bücher: »Das Geheimnis des Zen besteht darin, in einer Haltung tiefer Konzentration einfach zu sitzen, ohne Ziel und ohne Streben nach Nutzen. Dieses derart uninteressierte Sitzen nennt man Zazen [...]«9 Zazen bedeutet im Grunde eigentlich nur da zu sitzen und nichts anderes zu tun. Man konzentriert sich vollkommen auf das Sitzen, man haftet den Gedanken nicht an, die Augen blicken nicht auf die Umwelt, sondern in sich selbst hinein, Gedanken oder Wünsche 9 Taisen Deshimaru-Roshi, Za-Zen. Die Praxis des Zen. Heidelberg/Leimen 1978, S.18 20 werden nur beobachtet. Die ganze beschriebene Haltung des Körpers mag anfangs ungeheuer schwer erscheinen, doch sie hilft dem Übenden, die Konzentration zu wahren, da viel beachtet werden muss. Der Rücken muss stets gerade gehalten, der Kopf nach oben gestreckt und das Mudra bewahrt werden. Zu dieser ganzen Haltung kommt zusätzlich noch die Atmung, welche wohl der wichtigste Teil des zazen ist. Es gibt verschiedene Arten, seinen Geist und Körper auf den Atem zu konzentrieren. Generell wird langsam und bewusst über die Nase eingeatmet, auch wird die Bauchatmung beziehungsweise die Zwerchfellatmung angewandt. Der Bauch hebt sich beim Einatmen und zieht sich beim Ausatmen zusammen. Im Bauch liegt der physikalische Körperschwerpunkt und nach buddhistischem Verständnis das Zentrum der kosmischen Energie, des ki. Im Japanischen nennt man die Region um den Nabel hara. Man zählt langsam von 1 bis 10, bei allen ungeraden Zahlen atmet man ein, bei allen geraden Zahlen atmet man aus. Wenn man bei der Zahl 10 ausgeatmet hat, fängt man wieder bei 1 an. Die reinste Form des zazen, das shikantaza, bedeutet "nichts anderes tun als sitzen", dabei sitzt man wirklich einfach nur im Lotussitz, man zählt nicht die Atemzüge, man haftet auch nicht Gedanken, Ideen und Gefühlen an, sondern sitzt einfach nur und gibt sich dem zazen vollkommen mit seinem Herz hin. Neben dem zazen gibt es auch noch andere Meditationstechniken, wie beispielsweise kinhin. Dabei sitzt der Schüler nicht, sondern läuft mit aufrechter Haltung konzentriert umher. Weiter gibt es noch den Geist der Handlung, zanshin genannt, dabei wird sich einfach auf die Tätigkeit konzentriert, die man gerade ausführt, wie 21 beispielsweise etwas trinken oder essen, die Tür aufmachen, Auto fahren oder sich die Zähne putzen. Diese Praxis ist auch in allen buddhistischen Klöstern zu finden, vor allem aber in Zen-Tempeln. Die Mönche arbeiten unentwegt fast den ganzen Tag. Bei der Arbeit sollen sie sich bewusst und vollkommen auf die körperlichen Handlungen konzentrieren und dabei nicht an Vergangenheit oder Zukunft - sondern an das Jetzt - denken. Der Zen-Geist - vor allen Dingen zanshin - ist in fast allen östlichen Kampfkünsten zu finden. Zanshin bedeutete ursprünglich "dem Gegner Aufmerksamkeit schenken". Das Gleichgewicht von Körper und Geist spielt im Kampf eine sehr große Rolle, eigentlich ist dies auch ein Ziel der Kampfkünste. VII. Die Kampfkünste als Weg zur Erleuchtung Wie in den vorangegangenen Kapiteln dargestellt diente der Kampf schon früh als Mittel zur Selbstverwirklichung und zur Erreichung der Erleuchtung. Beinahe alle alten, traditionellen Kampfkünste Asiens haben einen religiös-philosophischen Hintergrund, den es zu ergründen gilt. Im Grunde zielen alle diese "Künste" nur auf dieses eine ab, dabei ist es auch egal, welche Art zu kämpfen man anwendet. Im Kampf zählt nur der Moment, die Achtsamkeit des Augenblicks. Ohne diese vollkommene Konzentration während des Kämpfens ist man zerstreut, der Geist irrt umher ohne wirklich zu dem Körper zu gehören. Wie schon gesagt, sollten Geist und Körper im Alltag, aber auch im Kampf ein und dasselbe sein und nicht voneinander getrennt "leben". Wer den Gedanken über die Zukunft oder die 22 Vergangenheit während des Kampfes anhängt, verfehlt etwas und ist nicht bei der Sache. Alleinige Konzentration, nur auf den Moment, lässt uns handeln ohne nachzudenken. Wenn wir beispielsweise erst nachdenken müssen ob der Gegner nun diesen einen Schlag Richtung Kopf führt, oder ob er einen Tritt Richtung Knie versucht, dann ist es meist zu spät. Wer aufmerksam, achtsam ist und den Moment lebt, der muss nicht nachdenken, der handelt einfach. Folgender Dialog aus dem Film "The Last Samurai"10, verdeutlicht dies. Der Amerikaner Nathan Algren versucht sich in japanischem Schwertkampf mit Holzschwertern, wird aber immer wieder von seinem Gegner geschlagen, so heftig er auch angreift und so sehr er sich auch darauf konzentriert. Nobutada - ein Samurai - gibt Algren einen Ratschlag: Nobutada: Bitte verzeih! Zuviel Bedenken. Nathan Algren: Zuviel Bedenken? Nobutada: Bedenken Schwert, bedenken Menschen die zusehen, bedenken den Feind. Zuviel Bedenken! Nicht immer denken. Algren bedenkt die Umwelt oder vielmehr denkt er an sich, denkt an den Gegner, wie er ihn besiegen kann, oder auch an die Menschen außerhalb des Kampfes, welche zusehen. Er mag vielleicht auch Gedanken an die Vergangenheit hegen, daran, welche Fehler er im Laufe des Kampfes gemacht hat und wie er sie hätte vermeiden können. Die Zukunft spielt auch eine Rolle für ihn, er "rechnet" beziehungsweise denkt voraus, was sich nach diesem einen erfolgreichen Schlagabtausch abspielen mag. Tatsache ist jedoch, dass 10 Edward Zwick, The Last Samurai, 2003, Kapitel 16 23 dieser Moment noch nicht ist, der Geist weilt in der Zukunft oder in der Vergangenheit, aber nicht da, wo er hin sollte: in die Gegenwart, zum Moment, zum Körper. Alles Durchplanen und Berechnen eines Kampfes kann nicht funktionieren, zu viele Faktoren spielen eine Rolle, der Gegner reagiert ganz anders als man so "schlau bedacht" vorausgesehen hat. Allein aus diesem Grund muss der Kämpfer im Augenblick weilen, nur so hat er eine Chance zu gewinnen, der Körper muss mit dem Geist eine Einheit bilden. Beide sind getrennt, jedoch zusammen, wie Yin und Yang das auch sind. Ein weiterer wichtiger Punkt ist - neben all den technischen Dingen - das Freisein von Wertung. Nur wer wirklich frei ist von einer subjektiven Wertung der Situation, des Gegners oder der Umgebung, hat den Kern aller Kampfkünste erkannt. Jeder Mensch nimmt seine Umgebung auf seine eigene Art und Weise wahr - jedoch verkennt er die Realität, wenn er nicht vollkommen frei ist von der eigenen Meinung. Sie ist Illusion. Durch die Konzentration, durch die Meditation im Kampf wird diese aufgehoben und das rechte Wahrnehmen der Welt wird erreicht. VIII. Buddhismus - eine Religion? Während meiner Arbeit an dieser Besonderen Lernleistung bin ich mehrmals auf folgende Fragen gestoßen: Ist Zen eine Religion? Oder ist Zen eine Philosophie? Oder vielleicht etwas ganz anderes? Ich möchte mich im Folgenden damit auseinandersetzen, zuerst jedoch allgemeinen Bezug auf den Buddhismus nehmen. 24 Der Buddhismus hat eine Anhängerschaft von ca. 350 - 500 Millionen Menschen auf dem ganzen Globus verteilt11, konzentriert jedoch im asiatischen Raum. Mit diesen vielen Anhängern wird er nebst Christentum, Judentum, Islam und Hinduismus zu den fünf Weltreligionen gezählt. Ein Kriterium für die Religiosität des Buddhismus ist wohl die “Massenbewegung”: viele Menschen auf der Welt identifizieren sich mit der Lehre oder dem Inhalt des Buddhismus, nicht nur vereinzelte Individuen. Doch zudem setzt jede Religion einen eigenen (ausgeprägten) Kult voraus - Tat und Praxis religiöser Natur - wie beispielsweise der Gottesdienst im Christentum und Judentum. Nach allgemeinem Verständnis, das möglicherweise mehr oder weniger stark von christlichen beziehungsweise monotheistischen Vorstellungen geprägt ist, geht es im Kultus einer Religion um die Verehrung einer oder mehrerer Gottheiten. Doch im Buddhismus sind keine Götter, keine transzendenten Wesen zu finden, insofern man nicht von einem Kult sprechen kann. Jedoch kennt auch der Buddhismus bestimmte Traditionen oder Rituale, wie das Priestertum oder die Meditation, die zum Teil vom Hinduismus mit übernommen wurden. Allerdings kann die Meditation nicht als Kultus bezeichnet werden, da Kult immer etwas Gemeinschaftliches darstellt, die Versenkung aber zur individuellen “Befreiung” aus dem Kreis des Leidens - dem samsara - führt. Das Wort “Kult” ist auch im Begriff “Kultur” wieder zu finden. Damit ist jede Kultur mehr oder weniger eng mit einem Kultus beziehungsweise einer Religion verknüpft. Diese kultischen Elemente fallen uns heutzutage nur noch selten auf, obwohl sie vorhanden und fest in unsere Gemeinschaft integriert sind - wie die Achtung 11 http://de.wikipedia.org/wiki/Buddhismus 25 der Toten. Die buddhistische Kultur beziehungsweise die Gesellschaft, welche maßgebend durch buddhistisches Gedankengut geprägt wurde, ist heute vor allen Dingen im asiatischen Raum zu finden. Sie hat ihre Eigenheiten und Bräuche, jedoch stammt der Buddhismus vom Hinduismus ab - eine polytheistische Religion mit transzendenten Elementen. Die Abstammung vom Hinduismus und damit auch die verschiedenen religiösen Praktiken sind dem Buddhismus durchaus als Religionskriterien anzurechnen. Wie es zur Entstehung des Hinduismus kam, ist immer noch unschlüssig, doch die Anfänge des Buddhismus sind bekannt. Wie das Judentum die Basis für das Christentum bildet, so bietet der Hinduismus die Basis für den Buddhismus. Genau wie Jesus Christus war der historische Buddha Shakyamuni, der Begründer des Buddhismus, unzufrieden mit der Auslegung seiner Religion - des Hinduismus. Ein weiteres Kriterium für die Einordnung als Religion ist das Vorhandensein eines theoretischen Lehrgebäudes oder konkreter Dogmen (Summe von Gesetzen oder Regeln). Jede Religion sieht ihre Weltanschauung, ihre Lehre als unumstößlich, absolut und vollkommen wahr an, jedoch bildet der Buddhismus auch hier eine Ausnahme. Eine Lehre ist zwar in den vielzähligen Sutren und anderen Schriften vorhanden, wie beispielsweise in den Vier Edlen Wahrheiten oder dem Pali-Kanon. Allerdings betonte der historische Buddha schon, dass diese Lehre nicht dogmatisch und absolut zu sehen ist. Es soll der “Weg der Mitte” begangen werden. Vielleicht gilt auch gerade deshalb der Buddhismus als so offen für Neues und lässt sich gut mit anderen Religionen vereinbaren. Jedoch soll “Neues” genauso kritisch betrachtet und behandelt werden wie die eigene Lehre des Buddhismus - unvoreingenommen und objektiv. Genauso kritisch sollten feste Schriften und das Wort angesehen werden. Im Gegensatz zu den anderen Weltreligionen ist diese Einstellung zu der eigenen Lehre sehr radikal. Im Christentum werden 26 die Bibel, im Judentum die Tora und im Islam der Koran dagegen als endgültige Schriften gedeutet. Der Buddhismus verlässt sich nicht auf Schriften, sondern nur auf die religiöse Praxis - die Meditation. Die Radikalisierung dieser Schriftablehnung und Praxisbetonung ist besonders dem japanischen Zen eigen. Zen oder Ch’an nimmt eine besondere Stellung im Buddhismus ein. Einerseits ist Zen in Japan eine anerkannte Religion, es existieren Klöster und Tempel und es gibt viele Anhänger. Jedoch lässt sich Zen genauso gut mit anderen Religionen vereinen, wie etwa mit dem Christentum oder dem Judentum - es ist sozusagen eine flexible Religion, mit viel Anpassungsgeschick. Das kommt zum einen wohl von dem Nicht-Vorhandensein jeglicher Transzendenz, zum anderen fehlt eine explizite Lehre. Insofern lässt sich Zen nicht scharf abgrenzen. “Zen” selbst verkörpert die Idee des Zen. Immer in Bewegung, immer sich verändernd und anpassend wie Wasser, aber auch fest wie die Erde. Jedes Ding ist leer - somit ist Zen selbst auch leer. 27 IX. Schlusswort Als ich mich im Sommer 2006 dazu entschloss, diese Besondere Lernleistung zu schreiben, war ich mir wenig bewusst über die enorme Arbeit, die damit verbunden ist. Das Thema Zen hat auf mich schon immer eine gewisse Faszination und Anziehung ausgeübt, nicht zuletzt weil dieser “Lebensweg” untrennbar mit der japanischen Kultur und den Kampfkünsten verflochten ist. Auch die Idee der Leere und der puren Konzentration übt sicherlich auf viele Menschen eine Anziehung aus. Die Meditation und die Praxis dieser Religion ergänzen das Leben, da nur gesagt wird, dass man leben soll und zwar im Hier und Jetzt. Ich möchte an dieser Stelle noch dem Abt des Buddhistischen Klosters in Kaiserslautern herzlich danken, er hat sich an einem Abend 2 Stunden Zeit genommen, um mir Fragen zu beantworten und hat mich letztendlich auch an einer Stunde eines Seminars über Ch’an-Buddhismus teilnehmen lassen. Seine Antworten waren immer sehr anschaulich und einfach zu begreifen und haben mir einen tieferen Einblick in diese Religion und Philosophie gegeben. 28 X. Quellenverzeichnis Literatur: Die Brockhaus-Enzyklopädie in 24 Bänden. 19. Auflage. Mannheim 1986 ff. Michael von Brück, Zen. Geschichte und Praxis. München 2004 Taisen Deshimaru-Roshi, Za-Zen. Die Praxis des Zen. Heidelberg/ Leimen 1978 Anton Grabner-Haider & Karl Prenner, Religionen und Kulturen der Erde. Darmstadt 2004 Byung-Chul Han, Philosophie des Zen-Buddhismus. Stuttgart 2002 Thich Nhat Hanh, Jeden Augenblick genießen. Übungen zur Achtsamkeit. Berlin 2004 Joe Hyams, Der Weg der Leeren Hand. Zen in der Kunst des Kampfes. Darmstadt 2005 Kostas Kanakis, Ninjutsu. Kokoro no michi, Band 2: shin-ō no kihon waza. Heidelberg/Leimen 2002 Zensho W. Kopp, Der Große Zen-Weg. Der Weg zur Erleuchtung mitten im Leben. Darmstadt 2004 Shunryu Suzuki, Zen-Geist. Anfänger-Geist. Berlin 1999 29 Zugänge zur Philosophie 1. Berlin 2004 Internet: http://de.wikipedia.org http://en.wikipedia.org http://dogen-zen.de http://www.gungfu.de http://www.zenbuddhismus.de http://www.zensite.de/index.htm http://www.thezensite.com/ http://www.shito.ch