SZENE TRENDS s u sm i er ng x d e S in rbu We 16 PROFILE 7–8/2016 . en rbiet e v zu ung n? b r e W rette l e h h ü ef tisc sexis bstwertg , t n l la nd p bliche Se u k i i n in Pa t das we t s i olitik Staa Die P uss der M ! RM A L HA D er deutsche Werberat, die moralische Instanz der Medien, veröffentlicht zweimal im Jahr eine Liste mit öffentlichen Rügen. Er prangert etwa Unternehmen an, die mit ihrer Werbung gegen die guten Sitten verstoßen, oder zumindest gegen das, was der Werberat unter guten Sitten versteht. Foto: Andreas H., Bitesnich Woman, teNeues Verlag Nur selten betrifft das die Werbe-Kampagnen der großen Konzerne, in der Regel sind es die Reklamebemühungen kleiner Firmen, die den Werberäten ins Auge stoßen. Vor geraumer Zeit war das eine Insertion eines Fliesenlegers und eines Elektrohändlers, die Handwerkerbetriebe setzten bei Anzeigenschaltungen in kleinen Landblättchen auf Frauen in Dessous und hochgezogenen Hosen sowie die süffisante Aussage: „Mehr als scharfe Kurven!“ Man mag den tieferen Sinn dieser Werbe-Claims jetzt nicht unbedingt hinterfragen, aber die grundsätzliche Frage sei erlaubt: Ist das Sexismus? Der deutsche Werberat sagt: Ja! Sexismus ist eine der häufigsten Beschwerden, wenn Werbung kritisiert wird. Juristisch gesehen ist Sexismus eine Form von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, das heißt als Ungleichbehandlung ohne sachliche Rechtfertigung. Sex­ istische Werbung wird definiert als die Darstellung von geschlechterbezogenen Vorurteilen und Verhaltensweisen, die eine Personengruppe (z.B. Frauen, Männer, Transgender, Homosexuelle) gegenüber einer anderen sozial abwertet. Menschenrechtlich betrachtet sind Abwertungen oder Stereotypisierungen von Frauen in Medien und Werbung eine ausdrückliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Wenn es nach den Plänen des Bundes­ justizministers Heiko Maas geht, dann könnten Unternehmen fortan mit heftigeren Konsequenzen zu rechnen haben als mit Schelte von Verbänden. Maas will Sexismus in der Werbung gesetzlich verbieten lassen. Man kann darüber streiten, inwiefern Verbote in solchen Fällen hilfreich sind oder nur letztes Mittel sein können. Aber im Moment dreht sich die Kritik an Maas’ Plänen hauptsächlich ums Verbieten an sich, während noch gar nicht so klar ist, was genau eigentlich verboten werden soll. Die Werbebranche findet das natürlich nicht so toll. Wolf Ingomar Faecks, Chef des Kreativverbands GWA meint: ,,Es ist ja richtig, dass gegen sexistische Werbung vorgegangen wird. Aber dass man Richter über Geschmacksfragen entscheiden lassen will, ist bedenklich!“ Der Vorstoß der Politik, Werbung immer weiter zu regulieren, ist in der Tat ein fatales Signal. Und nicht das erste. Mittlerweile gibt es Einschränkungen bei der Werbung für Zigaretten, für Alkohol und für Lebensmittel. Auch die Kosmetikindustrie darf nach einer EUInitiative nicht mehr uneingeschränkt Wunder versprechen. Und jetzt also Fleischalarm im Berliner Justizministerium, Angriff auf die Kampagnen mit der nackten Haut. Man darf ohne Scheu sagen, dass auch die Werbung zu gelegentlichen Totalausfällen neigt. Wer tut das nicht? Doch grundsätzlich muss man jedoch fragen: Müssen die Bürger vom Staat vor der Wirtschaft geschützt werden? Oder nicht doch besser die Wirtschaft vor der Regulierungswut der Behörden? Und ernsthaft: Muss der Staat das weibliche Selbstwertgefühl retten? Die Gedanken sind frei Die Zeit-Autorin Dagmar Rosenfeld hat sich zu dem Heiko-Maas-Vorstoß ihre eigenen Gedanken gemacht und schreibt unter der Head ,,Brust raus“: ,,Frauen sind nicht klein. Frauen sind nicht hilflos. Und vor allem sind sie selbstbewusst genug, in sexualisierter Werbung das zu sehen, was sie ist: Brüste, Hintern und nackte Haut. Was sie dabei zu denken haben, können sie selbst entscheiden. Wie Männer übrigens auch!“ Und zur Initiative der Politik: ,,Wenn es tatsächlich so wäre, dann wäre das ein gleich doppelter Angriff auf die Freizügigkeit. Auf die Freizügigkeit der Körper und Bilder. Und auf die Freizügigkeit der Gedanken: Der Staat hat den Bürgern nicht vorzuschreiben, was sie zu denken haben, wenn sie nackte Brüste sehen. Erst recht nicht im Namen der Frauen!“ Rosenfeld sagt auch, dass wir eine sensibilisierte Gesellschaft geworden sind. Richtig! Und wenn man den Gedanken nun selbst weiterspinnt: Gesellschaft spiegelt sich doch in der Werbung – und nicht andersrum – Werbung macht nicht Gesellschaft. In Großbritannien oder Frankreich ist man in den Behördenburgen da anderer Meinung. Dort gerieren sich die Ämter gerade als Gralshüter des gesunden Schönheitsideals gegen die Mode- und Kosmetikindustrie, die es manchmal wagt, zu offenherzig mit der blanken Haut und den zu fleischarmen Knochen in der Werbung zu kokettieren. Grundsätzlich hakt vor der ganzen Szenerie ein Gedanke ein: Wo ist der Korridor zwischen einer von Politikerhirnen ersponnenen Regulierung und einer Zensur in der Werbung und wo ist dann der Schritt von der Zensur in der Werbung bis hin zur Zensur in den Medien? PROFILE 7–8/2016 17 Foto: Rolls Royce C S I FLE SZENE TRENDS Wir sprachen mit Ines Imdahl, Psychologin und Geschäftsführerin des ­renommierten Kölner Marktforschungsinstituts rheingold salon, über die Problematik von Sexismus in der Werbung und einer Gesellschaft im Umgang damit. „Auch Frauen mögen erotische Werbung“ Frau Imdahl, wenn es nach jüngsten Plänen des Bundesjustizministers Heiko Maas geht, soll Sexismus in der Werbung gesetzlich verboten werden. Sollen Richter in Zukunft darüber entscheiden, was guter Geschmack ist und was nicht? Ines Imdahl: Grundsätzlich geht es natürlich bei Sexismus nicht um Geschmacksfragen. Dennoch geht Heiko Maas hier zu weit. Denn nicht in jedem Zusammenhang ist Erotik in der Werbung erniedrigend oder diskriminierend. Auch Frauen mögen zum Teil erotische Werbung sehr gern. Erstaunlich, dass ausgerechnet ein Mann hier päpstlicher sein will als der Papst. Gerade so, als ob er den Frauen mehr recht machen möchte, als sie es sich selbst wünschen würden. Bedenklich daran ist: Wir erleben gerade in Deutschland einen extremen Ruck in Richtung Konservativismus. Und der ist nicht unbedingt von den Frauen beeinflusst – sondern kommt gerade auch von den Männern. Was aber nicht unerwähnt bleiben soll: Auch Männer werden durchaus sexistisch dargestellt. Nur darum geht es in den meisten mir bekannten Fällen nicht. Wie kann man in der Praxis entscheiden, wann eine Person nur noch als Sexualobjekt dargestellt 18 PROFILE 7–8/2016 wird und wann nicht? Wo sind die „roten Linien“? Ines Imdahl: Die roten Linien oder die Entscheidungshilfen gibt es ja de facto – noch? – nicht. Daher wird es tatsächlich oftmals willkürlich sein, was nun gerade verboten wird. In unseren psychologischen Forschungen konnten wir allerdings schon Antworten finden, wann genau Menschen Werbung als sexistisch erleben. Akzeptiert ist Haut und Erotik vor allem in Produktbereichen, die per se für die Verführung gedacht sind. Klassisches Beispiel: Duft. Hier wäre es seltsam, auf Zweideutigkeiten gänzlich zu verzichten. Allerdings ist die Werbung mit nackten, anzüglich posierenden Frauen für Städtische Verkehrsbetriebe durchaus sexistisch. Auch wenn das Wort „Verkehr“ hier vorkommt, hat eben das Produkt selbst im Alltag genau mit dieser zweiten Form des Verkehrs nichts zu tun. Hier ist klar: Es geht um den Eyecatcher Frau mit ihren sexuellen Reizen. Werbung, die eben ein „Objekt“ nutzt, um etwas völlig anderes zu erzielen. Genau das wird als sexistisch erlebt. Rote Linien müssten jenseits von Zentimeterangaben rund um den Anteil von nackter Haut erarbeitet werden. Sie müssten das Erleben der Menschen und vor allem den beworbenen Zusammenhang berücksichtigen – sonst versetzen sie uns wahrscheinlich zurück in die Zeit der Prüderie. Werbekampagnen haben ja immer auch einen künstlerischen Aspekt, werden wie in der Mode- und Beautybranche oft von Fotografen künstlerisch inszeniert. Kunst ist in unserem Land frei. Darf der Staat überhaupt in solche Rechte eingreifen? Ines Imdahl: Kunst ist frei, legitimiert aber nicht alles. Dürfen Models sich im Dienste der Kunst zu Tode hungern? Zumindest gab es Anfang des Jahrtausends eine ernsthaft Diskussion in der Branche, ob Models nicht letztlich nur Kunstobjekte seien. Zu Zeiten von Leonardo da Vinci wurden Kinder für Bühnenaufführungen mit Goldfarbe angemalt, an der sie später erstickten, weil sich diese nicht mehr entfernen ließ. Künstlerisch kann nicht unmenschlich heißen. Aber ab wann ist Werbung mit „erotischen Elementen“ im eigentlichen Sinne „sexistisch“ und somit unmenschlich oder menschenunwürdig? Hier bedarf es kluger Regeln, die einerseits das Menschliche berücksichtigen und uns gleichzeitig unsere Lebensfreude erhalten. Was die Werbung angeht, existieren meines Erachtens in Deutschland bereits ausreichende Regeln. Bedarf gäbe es vielmehr bei rechtlichen Fragen rund um sexuelle Übergriffe – viel eher als bei Plakaten und Filmen. s u m s i Sexin der g n u b r We In Frankreich und Großbritannien setzen Restriktionen der Regierung gerade den Werbekampagnen der Mode- und Kosmetikindustrie zu, weil dies angeblich ein negatives Frauenbild fördere. Darf Regulierung so weit gehen? Ines Imdahl: In beiden Ländern zeigt sich noch deutlicher der hier ebenfalls zunehmende Trend von starker Moralisierung und Kontrolle. Ursache dafür ist das Gefühl in einer immer unsichereren Welt zu leben, in der man die Kontrolle weitestgehend verloren hat. Anschläge, Kriege, Finanzkrisen fördern die Sehnsucht nach Sicherheit. Da wird leicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Dass die Regulierung allein dem Schutz der Frauen dient, ist leider nur die halbe Wahrheit. Auch ein allzu konservatives Frauenbild ist ja nicht unbedingt ein positives Frauenbild. In unsicheren Zeiten wird aber an der verführerischen Frau zusätzlich etwas festgemacht. Sie steht für weiteren, möglichen Kontrollverlust. Dieser sollte möglichst vermieden werden. Also werden die Frauen in der Werbung lieber wieder angezogen. Dann wundert es auch nicht mehr, dass sich in der Politik plötzlich auch Männer gegen den Sexismus in der Werbung einsetzen. In sicheren Zeiten passiert das kaum, dort können sie mehr zulassen und – mit Verlaub – heimlich genießen. Sex sells war lange eine These in der Werbung. Heute wird sie von Fachleuten differenzierter gesehen. Bringt nackte Haut immer noch automatisch den Abverkaufserfolg? Ines Imdahl: Klares Nein! Und das hat sie auch nie getan. Bei dieser Diskussion haben auch heute noch fast alle Menschen vor allem ein Beispiel im Kopf: die in knappem Bikini sich auf der Motorhaube räkelnde Blondine. Funktioniert das? „Dass die Regulierung in der Werbung allein dem Schutz der Frauen dient, ist leider nur die halbe Wahrheit. Auch ein allzu konservatives Frauenbild ist ja nicht unbedingt ein positives Frauenbild.” Auch hier ist eine differenzierte Betrachtung hilfreich. Mit Statussymbolen rechnen sich viele Männer generell mehr Chancen bei Frauen aus. Ganz falsch ist das nicht. Denn mit Luxuslimousinen lässt sich zumindest finanzielle Potenz zur Schau stellen. Für die Werbung gilt aber hier: Je luxuriöser das Produkt, desto subtiler muss die Erotik sein. Bentley oder Mercedes mit Bikini-Schönheiten zu dekorieren finden die meisten Männer irritierend. Auch wenn sie nichts dagegen haben, eine schöne Frau durch ihr Statussymbol zu erobern. Anders ist das bei den getunten, tiefer gelegten, mit doppeltem Auspuff aufgemotzten GTIs der Autobranche. Die Potenz liegt hier weniger im beruflichen Erfolg als im geschickten Schrauben und Zerlegen. Männer, die diese Autos lieben, bezeichnen sie nicht selten als „geil“. Sie sind manchmal gar eine indirekte Verlängerung des eigenen Geschlechts. Dieser direkte Zusammenhang zur Sexualität erlaubt auch eher Frauen auf der Kühlerhaube. Ein häufiger Vorwurf an die Werbung ist, dass sie übertreibe und unrealistisch sei. Auch in puncto Erotik. In Ihrem neuen Buch ,,Werbung auf der Couch – Warum Werbung Märchen braucht“ plädieren Sie aber gerade für die märchenhafte Inszenierung von Werbung. Also sind Märchen in der Werbung nichts Verwerfliches? Ines Imdahl: In unserer Forschung können wir feststellen, dass die Menschen Werbung nicht wirklich nach ihrem Realitätsbezug beurteilen. Sie können Werbung ganz wunderbar finden, die vollkommen magisch ist. Snickers mit „Da werd ich zur Diva“, Coke Zero, in der sich die Freundin in Manuel Neuer verwandelt, Hornbach, in der Engelschöhre Beifall singen, sind nur einige Beispiele dafür. Wenn Menschen Werbung ablehnen, die ihnen zu unrealistisch ist, dann stimmt meistens etwas mit der ImpactStory nicht. Das heißt, es werden nicht die richtigen Emotionen oder keine re- levanten Lebensthemen angesprochen. Märchen tun das. Sie beschäftigen sich mit allen relevanten Lebensthemen. Mit dem Großwerden, der Liebe, der Partnersuche, dem Altwerden und dem Sterben. Sie handeln von Verrat, vom Durchkommen als Kleiner gegen die Großen und davon, wie man schlicht im Alltag klarkommen kann. Und sie vermitteln am Ende die Zuversicht, dass es irgendwie gelingen wird und gut ausgeht. Das ist die Aufgabe der Werbung: relevante Lebensthemen anzusprechen und die Zuversicht – gern durch Produkte und Marken – zu vermitteln, dass es schon klappen wird. In diesem Sinne sollte die Werbung Märchen erzählen bzw. sich daran erinnern, dass sie eine moderne Form des Märchenerzählens ist. Wie funktioniert eine gute Werbegeschichte mit einem Märchen unserer Zeit? Ines Imdahl: Auf jeden Fall ist damit nicht gemeint, dass Rotkäppchen oder der böse Wolf durch die Werbung springen sollen. Werbung bedeutsamer zu machen, heißt echte und spannende Geschichten zu erzählen. Diese handeln immer auch von fiesen, bösen und unangenehmen Seiten. Wie langweilig wäre ein Märchen ohne die böse Stiefmutter. Das wäre wie rund um die Uhr Traumschiff gucken – ohne Intrigen. Glattgebügelte Werbegeschichten vergessen oft, dass Harmonie uns nicht fesselt. Wir wollen etwas durchmachen, auch in einer kleinen (Werbe-)Geschichte, die dann natürlich gut ausgehen darf. Das ist Edeka im Weihnachtsspot gelungen, aber auch Always mit dem Spot „Like a Girl“. Auch Dove zeigt in Ansätzen mit „Choose­ beautiful“ wie es gehen kann. Das Interview führte Christof Theis PROFILE 7–8/2016 19