Sexismus in der Werbung

Werbung
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er deutsche Werberat, die
moralische Instanz der Medien, veröffentlicht zweimal
im Jahr eine Liste mit öffentlichen Rügen. Er prangert etwa Unternehmen an, die mit ihrer
Werbung gegen die guten Sitten verstoßen, oder zumindest gegen das, was der
Werberat unter guten Sitten versteht.
Foto: Andreas H., Bitesnich Woman, teNeues Verlag
Nur selten betrifft das die Werbe-Kampagnen der großen Konzerne, in der Regel sind es die Reklamebemühungen
kleiner Firmen, die den Werberäten ins
Auge stoßen. Vor geraumer Zeit war das
eine Insertion eines Fliesenlegers und eines Elektrohändlers, die Handwerkerbetriebe setzten bei Anzeigenschaltungen
in kleinen Landblättchen auf Frauen in
Dessous und hochgezogenen Hosen sowie die süffisante Aussage: „Mehr als
scharfe Kurven!“ Man mag den tieferen
Sinn dieser Werbe-Claims jetzt nicht unbedingt hinterfragen, aber die grundsätzliche Frage sei erlaubt: Ist das Sexismus?
Der deutsche Werberat sagt: Ja!
Sexismus ist eine der häufigsten Beschwerden, wenn Werbung kritisiert wird.
Juristisch gesehen ist Sexismus eine Form
von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, das heißt als Ungleichbehandlung ohne sachliche Rechtfertigung. Sex­
istische Werbung wird definiert als die
Darstellung von geschlechterbezogenen
Vorurteilen und Verhaltensweisen, die
eine Personengruppe (z.B. Frauen, Männer, Transgender, Homosexuelle) gegenüber einer anderen sozial abwertet.
Menschenrechtlich betrachtet sind Abwertungen oder Stereotypisierungen von
Frauen in Medien und Werbung eine
ausdrückliche Diskriminierung aufgrund
des Geschlechts.
Wenn es nach den Plänen des Bundes­
justizministers Heiko Maas geht, dann
könnten Unternehmen fortan mit heftigeren Konsequenzen zu rechnen haben
als mit Schelte von Verbänden. Maas will
Sexismus in der Werbung gesetzlich verbieten lassen. Man kann darüber streiten,
inwiefern Verbote in solchen Fällen hilfreich sind oder nur letztes Mittel sein
können. Aber im Moment dreht sich die
Kritik an Maas’ Plänen hauptsächlich
ums Verbieten an sich, während noch gar
nicht so klar ist, was genau eigentlich verboten werden soll.
Die Werbebranche findet das natürlich
nicht so toll. Wolf Ingomar Faecks, Chef
des Kreativverbands GWA meint: ,,Es ist
ja richtig, dass gegen sexistische Werbung vorgegangen wird. Aber dass man
Richter über Geschmacksfragen entscheiden lassen will, ist bedenklich!“
Der Vorstoß der Politik, Werbung immer weiter zu regulieren, ist in der Tat
ein fatales Signal. Und nicht das erste.
Mittlerweile gibt es Einschränkungen
bei der Werbung für Zigaretten, für Alkohol und für Lebensmittel. Auch die
Kosmetikindustrie darf nach einer EUInitiative nicht mehr uneingeschränkt
Wunder versprechen. Und jetzt also
Fleischalarm im Berliner Justizministerium, Angriff auf die Kampagnen mit der
nackten Haut.
Man darf ohne Scheu sagen, dass auch
die Werbung zu gelegentlichen Totalausfällen neigt. Wer tut das nicht? Doch
grundsätzlich muss man jedoch fragen:
Müssen die Bürger vom Staat vor der
Wirtschaft geschützt werden? Oder
nicht doch besser die Wirtschaft vor der
Regulierungswut der Behörden? Und
ernsthaft: Muss der Staat das weibliche
Selbstwertgefühl retten?
Die Gedanken sind frei
Die Zeit-Autorin Dagmar Rosenfeld hat
sich zu dem Heiko-Maas-Vorstoß ihre
eigenen Gedanken gemacht und schreibt
unter der Head ,,Brust raus“: ,,Frauen
sind nicht klein. Frauen sind nicht hilflos. Und vor allem sind sie selbstbewusst
genug, in sexualisierter Werbung das zu
sehen, was sie ist: Brüste, Hintern und
nackte Haut. Was sie dabei zu denken
haben, können sie selbst entscheiden.
Wie Männer übrigens auch!“ Und zur
Initiative der Politik: ,,Wenn es tatsächlich so wäre, dann wäre das ein gleich
doppelter Angriff auf die Freizügigkeit.
Auf die Freizügigkeit der Körper und
Bilder. Und auf die Freizügigkeit der Gedanken: Der Staat hat den Bürgern nicht
vorzuschreiben, was sie zu denken haben, wenn sie nackte Brüste sehen. Erst
recht nicht im Namen der Frauen!“
Rosenfeld sagt auch, dass wir eine sensibilisierte Gesellschaft geworden sind.
Richtig! Und wenn man den Gedanken
nun selbst weiterspinnt: Gesellschaft
spiegelt sich doch in der Werbung – und
nicht andersrum – Werbung macht nicht
Gesellschaft. In Großbritannien oder
Frankreich ist man in den Behördenburgen da anderer Meinung. Dort gerieren
sich die Ämter gerade als Gralshüter des
gesunden Schönheitsideals gegen die
Mode- und Kosmetikindustrie, die es
manchmal wagt, zu offenherzig mit der
blanken Haut und den zu fleischarmen
Knochen in der Werbung zu kokettieren.
Grundsätzlich hakt vor der ganzen Szenerie ein Gedanke ein: Wo ist der Korridor zwischen einer von Politikerhirnen
ersponnenen Regulierung und einer
Zensur in der Werbung und wo ist dann
der Schritt von der Zensur in der Werbung bis hin zur Zensur in den Medien?
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Foto: Rolls Royce
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Wir sprachen mit Ines Imdahl,
Psychologin und Geschäftsführerin des ­renommierten
Kölner Marktforschungsinstituts
rheingold salon, über die
Problematik von Sexismus in
der Werbung und einer Gesellschaft im Umgang damit.
„Auch Frauen mögen
erotische Werbung“
Frau Imdahl, wenn es nach jüngsten Plänen des Bundesjustizministers Heiko Maas geht, soll Sexismus in der Werbung gesetzlich
verboten werden. Sollen Richter in
Zukunft darüber entscheiden, was
guter Geschmack ist und was nicht?
Ines Imdahl: Grundsätzlich geht es natürlich bei Sexismus nicht um Geschmacksfragen. Dennoch geht Heiko
Maas hier zu weit. Denn nicht in jedem
Zusammenhang ist Erotik in der Werbung erniedrigend oder diskriminierend.
Auch Frauen mögen zum Teil erotische
Werbung sehr gern. Erstaunlich, dass
ausgerechnet ein Mann hier päpstlicher
sein will als der Papst. Gerade so, als ob er
den Frauen mehr recht machen möchte,
als sie es sich selbst wünschen würden.
Bedenklich daran ist: Wir erleben gerade
in Deutschland einen extremen Ruck in
Richtung Konservativismus. Und der ist
nicht unbedingt von den Frauen beeinflusst – sondern kommt gerade auch von
den Männern. Was aber nicht unerwähnt bleiben soll: Auch Männer werden durchaus sexistisch dargestellt. Nur
darum geht es in den meisten mir bekannten Fällen nicht.
Wie kann man in der Praxis entscheiden, wann eine Person nur
noch als Sexualobjekt dargestellt
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wird und wann nicht? Wo sind die
„roten Linien“?
Ines Imdahl: Die roten Linien oder die
Entscheidungshilfen gibt es ja de facto –
noch? – nicht. Daher wird es tatsächlich
oftmals willkürlich sein, was nun gerade
verboten wird. In unseren psychologischen
Forschungen konnten wir allerdings schon
Antworten finden, wann genau Menschen
Werbung als sexistisch erleben. Akzeptiert
ist Haut und Erotik vor allem in Produktbereichen, die per se für die Verführung
gedacht sind. Klassisches Beispiel: Duft.
Hier wäre es seltsam, auf Zweideutigkeiten
gänzlich zu verzichten. Allerdings ist die
Werbung mit nackten, anzüglich posierenden Frauen für Städtische Verkehrsbetriebe
durchaus sexistisch. Auch wenn das Wort
„Verkehr“ hier vorkommt, hat eben das
Produkt selbst im Alltag genau mit dieser
zweiten Form des Verkehrs nichts zu tun.
Hier ist klar: Es geht um den Eyecatcher
Frau mit ihren sexuellen Reizen. Werbung,
die eben ein „Objekt“ nutzt, um etwas völlig anderes zu erzielen. Genau das wird als
sexistisch erlebt.
Rote Linien müssten jenseits von Zentimeterangaben rund um den Anteil von
nackter Haut erarbeitet werden. Sie
müssten das Erleben der Menschen und
vor allem den beworbenen Zusammenhang berücksichtigen – sonst versetzen
sie uns wahrscheinlich zurück in die Zeit
der Prüderie.
Werbekampagnen haben ja immer
auch einen künstlerischen Aspekt,
werden wie in der Mode- und
Beautybranche oft von Fotografen
künstlerisch inszeniert. Kunst ist
in unserem Land frei. Darf der
Staat überhaupt in solche Rechte
eingreifen?
Ines Imdahl: Kunst ist frei, legitimiert
aber nicht alles. Dürfen Models sich im
Dienste der Kunst zu Tode hungern? Zumindest gab es Anfang des Jahrtausends
eine ernsthaft Diskussion in der Branche, ob Models nicht letztlich nur Kunstobjekte seien. Zu Zeiten von Leonardo
da Vinci wurden Kinder für Bühnenaufführungen mit Goldfarbe angemalt,
an der sie später erstickten, weil sich diese nicht mehr entfernen ließ. Künstlerisch kann nicht unmenschlich heißen.
Aber ab wann ist Werbung mit „erotischen Elementen“ im eigentlichen Sinne
„sexistisch“ und somit unmenschlich oder
menschenunwürdig? Hier bedarf es kluger Regeln, die einerseits das Menschliche berücksichtigen und uns gleichzeitig
unsere Lebensfreude erhalten. Was die
Werbung angeht, existieren meines Erachtens in Deutschland bereits ausreichende Regeln. Bedarf gäbe es vielmehr
bei rechtlichen Fragen rund um sexuelle
Übergriffe – viel eher als bei Plakaten
und Filmen.
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In Frankreich und Großbritannien
setzen Restriktionen der Regierung gerade den Werbekampagnen der Mode- und Kosmetikindustrie zu, weil dies angeblich ein
negatives Frauenbild fördere. Darf
Regulierung so weit gehen?
Ines Imdahl: In beiden Ländern zeigt
sich noch deutlicher der hier ebenfalls
zunehmende Trend von starker Moralisierung und Kontrolle. Ursache dafür ist
das Gefühl in einer immer unsichereren
Welt zu leben, in der man die Kontrolle
weitestgehend verloren hat. Anschläge,
Kriege, Finanzkrisen fördern die Sehnsucht nach Sicherheit. Da wird leicht das
Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Dass
die Regulierung allein dem Schutz der
Frauen dient, ist leider nur die halbe
Wahrheit. Auch ein allzu konservatives
Frauenbild ist ja nicht unbedingt ein positives Frauenbild. In unsicheren Zeiten
wird aber an der verführerischen Frau
zusätzlich etwas festgemacht. Sie steht
für weiteren, möglichen Kontrollverlust.
Dieser sollte möglichst vermieden werden. Also werden die Frauen in der Werbung lieber wieder angezogen. Dann
wundert es auch nicht mehr, dass sich in
der Politik plötzlich auch Männer gegen
den Sexismus in der Werbung einsetzen.
In sicheren Zeiten passiert das kaum,
dort können sie mehr zulassen und – mit
Verlaub – heimlich genießen.
Sex sells war lange eine These in
der Werbung. Heute wird sie von
Fachleuten differenzierter gesehen. Bringt nackte Haut immer
noch automatisch den Abverkaufserfolg?
Ines Imdahl: Klares Nein! Und das hat sie
auch nie getan. Bei dieser Diskussion haben auch heute noch fast alle Menschen
vor allem ein Beispiel im Kopf: die in
knappem Bikini sich auf der Motorhaube
räkelnde Blondine. Funktioniert das?
„Dass die Regulierung in der Werbung allein dem
Schutz der Frauen dient, ist leider nur die halbe
Wahrheit. Auch ein allzu konservatives Frauenbild ist
ja nicht unbedingt ein positives Frauenbild.”
Auch hier ist eine differenzierte Betrachtung hilfreich. Mit Statussymbolen rechnen sich viele Männer generell mehr
Chancen bei Frauen aus. Ganz falsch ist
das nicht. Denn mit Luxuslimousinen
lässt sich zumindest finanzielle Potenz
zur Schau stellen. Für die Werbung gilt
aber hier: Je luxuriöser das Produkt, desto subtiler muss die Erotik sein. Bentley
oder Mercedes mit Bikini-Schönheiten
zu dekorieren finden die meisten Männer irritierend. Auch wenn sie nichts dagegen haben, eine schöne Frau durch ihr
Statussymbol zu erobern. Anders ist das
bei den getunten, tiefer gelegten, mit
doppeltem Auspuff aufgemotzten GTIs
der Autobranche. Die Potenz liegt hier
weniger im beruflichen Erfolg als im geschickten Schrauben und Zerlegen. Männer, die diese Autos lieben, bezeichnen
sie nicht selten als „geil“. Sie sind manchmal gar eine indirekte Verlängerung des
eigenen Geschlechts. Dieser direkte Zusammenhang zur Sexualität erlaubt auch
eher Frauen auf der Kühlerhaube.
Ein häufiger Vorwurf an die Werbung ist, dass sie übertreibe und
unrealistisch sei. Auch in puncto
Erotik. In Ihrem neuen Buch ,,Werbung auf der Couch – Warum Werbung Märchen braucht“ plädieren
Sie aber gerade für die märchenhafte Inszenierung von Werbung.
Also sind Märchen in der Werbung
nichts Verwerfliches?
Ines Imdahl: In unserer Forschung können wir feststellen, dass die Menschen
Werbung nicht wirklich nach ihrem Realitätsbezug beurteilen. Sie können Werbung ganz wunderbar finden, die vollkommen magisch ist. Snickers mit „Da
werd ich zur Diva“, Coke Zero, in der
sich die Freundin in Manuel Neuer verwandelt, Hornbach, in der Engelschöhre
Beifall singen, sind nur einige Beispiele
dafür. Wenn Menschen Werbung ablehnen, die ihnen zu unrealistisch ist, dann
stimmt meistens etwas mit der ImpactStory nicht. Das heißt, es werden nicht
die richtigen Emotionen oder keine re-
levanten Lebensthemen angesprochen.
Märchen tun das. Sie beschäftigen sich
mit allen relevanten Lebensthemen. Mit
dem Großwerden, der Liebe, der Partnersuche, dem Altwerden und dem Sterben.
Sie handeln von Verrat, vom Durchkommen als Kleiner gegen die Großen und
davon, wie man schlicht im Alltag klarkommen kann. Und sie vermitteln am
Ende die Zuversicht, dass es irgendwie
gelingen wird und gut ausgeht. Das ist
die Aufgabe der Werbung: relevante Lebensthemen anzusprechen und die Zuversicht – gern durch Produkte und Marken – zu vermitteln, dass es schon klappen wird. In diesem Sinne sollte die
Werbung Märchen erzählen bzw. sich
daran erinnern, dass sie eine moderne
Form des Märchenerzählens ist.
Wie funktioniert eine gute Werbegeschichte mit einem Märchen
unserer Zeit?
Ines Imdahl: Auf jeden Fall ist damit
nicht gemeint, dass Rotkäppchen oder
der böse Wolf durch die Werbung springen sollen. Werbung bedeutsamer zu
machen, heißt echte und spannende Geschichten zu erzählen. Diese handeln immer auch von fiesen, bösen und unangenehmen Seiten. Wie langweilig wäre ein
Märchen ohne die böse Stiefmutter. Das
wäre wie rund um die Uhr Traumschiff
gucken – ohne Intrigen. Glattgebügelte
Werbegeschichten vergessen oft, dass
Harmonie uns nicht fesselt. Wir wollen
etwas durchmachen, auch in einer kleinen (Werbe-)Geschichte, die dann natürlich gut ausgehen darf. Das ist Edeka
im Weihnachtsspot gelungen, aber auch
Always mit dem Spot „Like a Girl“. Auch
Dove zeigt in Ansätzen mit „Choose­
beautiful“ wie es gehen kann.
Das Interview führte
Christof Theis
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