Antipoden der Oper im 19. Jahrhundert: Verdi und Wagner 16.06.16 Das Musikleben um 1840 spielte sich hauptsächlich in den vier Operntheatern (Opéra, Comédie- Française, Théâtre de l‘Impératrice, Théâtre Italien) und den vier weiteren Theatern (Vaudeville, Variétés, Gaîté, Ambigu-Comique) ab, in denen auch Unterhaltungsmusik gespielt wurde im Gegensatz zu den Operntheatern. Weiterhin gab es viele Salons musikliebender Mäzene („Sponsoren“). Viele verschiedene Konzertgesellschaften waren tätig, woraus zum Beispiel auch das „Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire“ im Jahre 1828 entstanden ist. Seit den 1830er Jahren gibt es die „Société de la musique de chambre“, die Konzertgesellschaft für Kammermusik. Es fanden Promenadenkonzerte wie die "Concerts Musard" und die "Concerts Jules Rivières" auf den Champs- Elysées statt, sowie Freiluftkonzerte in öffentlichen Gärten. Man kann sagen, dass die Vergnügungsindustrie in Paris um 1840 so groß war, dass sich der Begriff „Paris, als Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“ etabliert hat. Jedoch haben dieses „Showbusiness“ und der Handel auch seine negativen Seiten, wie zum Beispiel die Prostitution. Der Kinofilm „Lisztomania“ wurde von Ken Russell im Jahr 1975 veröffentlicht und stellt das Musikleben um 1840 gut dar. Er handelt von dem Leben des Komponisten Liszt (1811-1886) unter besonderer Betrachtung seiner Beziehung zu Richard Wagner. Der Begriff „Lisztomania“ stammt von Heinrich Heine und steht für die Verehrung Liszts. Der Prolog spielt im Hinterzimmer eines Konzertsaales in Paris um 1840 und zeigt Richard Wagner, wie er Liszt seine erste Oper „Rienzi“ vorstellt. Liszt erinnert seine Oper an Mendelssohn, der prompt auftaucht. Auch Hans von Bülow, Johann Strauss, Gioachino Antonio Rossini, Johannes Brahms, Hector Berlioz und Robert Schumann befinden sich in dem Hinterzimmer. In einer weiteren Szene sieht man Liszt, wie er auf einem seiner Konzerte Richard Wagner vorstellt und etwas von seiner Oper „Rienzi“ variiert. Sobald Liszt anfängt zu spielen, kreischen die Zuschauer, die vor allem Frauen sind, wild. Diese zweite Szene stellt auf überspitzte Art den „Fankult" und die Verehrung Liszts dar. In der Realität scheinen die Zuschauer sich auch von ihren Plätzen hin zur Bühne gedrängt zu haben, um so nah wie möglich an den Flügel heranzukommen, wie auf dem Bild „Berlin wie es ist und – trinkt“ von 1842 (Leipzig), zu erkennen ist. Eine Zuhörerin scheint sogar in Ohnmacht gefallen zu sein. Man sieht dazu, wie Liszt den Flügel immer seitwärts zum Publikum positioniert hat, sodass der Pianist aus dem Profil und auch die Tasten deutlich zu sehen sind. Dass eine Opernbearbeitung gespielt wurde, war zu der Zeit völlig normal und kam häufig vor. Richard Wagner (1813, Leipzig – 1883, Venedig) war ein deutscher Komponist, Musikdramatiker und Schriftsteller, der die Oper revolutionierte. Er studierte Musik an der Leipziger Thomasschule. 1843 war er königlich-sächsischer Kapellmeister der Dresdner Hofoper. Aufgrund seiner religionskritischen, philosophischen und politisch revolutionären Art flüchtete er 1849 bis 1858 nach Zürich ins Exil. 1863 heiratete er die Schauspielerin aus Königsberg Minna Planer. Dort wurde er Musikdirektor, führte das Theater allerdings zum Bankrott, da er nicht mit Geld umgehen konnte und unter Verschwendungswahn litt. Dadurch, dass Wagner, wie Verdi, zur Zeit der Industrialisierung lebte, hatte er die Möglichkeit mit Eisenbahnen schnell weite Entfernungen zurückzulegen. Er konnte deshalb nach Riga ziehen und wurde dort von 1837 bis 1839 Theaterkapellmeister. Hauptsächlich dirigierte er eigene Werke innerhalb von Potpourris, in denen zum Beispiel Chöre und Orchester direkt hintereinander aufgetreten sind. Pure Konzerte, in denen nur ein Chor oder ein Orchester auftreten, waren zu der Zeit nicht üblich. Nach erneuten Geldschwierigkeiten flüchtete er 1839 vor den Gläubigern nach Paris. Dort dirigierte er im Herbst des Jahres 1839 Hector Berlioz‘ Symphonie „Roméo et Juliette“. 1870 heiratete Wagner nochmal, diesmal Cosima Bülow geborene Liszt. 1840 beendete Wagner seine erste Oper „Rienzi, der Letzte der Tribunen“ in Paris. Es ist eine „Grand Opéra“ in 5 Akten mit historischem Stoff, aber zeitgenössischem Bezug. „Rienzi“ ist ein Volkskämpfer“, der heldenhaft ist und gegen die feudale Willkür für Gleichheit vor dem Gesetz und Freiheit aller Bürger kämpft, jedoch vom Volk nicht verstanden wird. Im fünften und letzten Akt verflucht Rienzi das Volk und meint, er sei der letzte wahre Römer, während die Bürger ihn und sein Haus anzünden. Musikalisch wird diese Spannungssteigerung durch die großen Akkorde im fortissimo im Chor und Orchester, in die Rienzi hereinruft, dargestellt. Wie „Rienzi“ versteht sich Wagner als Genie, dass die Welt verändern möchte, jedoch durch Musik. „Der Rienzi [...] sollte im vollen Sinne des Wortes Held sein – ein hochbegeisterter Schwärmer, der wie ein blitzender Lichtstrahl unter einem tiefgesunkenem, entarteten Volk erscheint, welches zu erleuchten und emporzuheben er sich berufen hielt“. - Richard Wagner, September 1841 In der Oper „Rienzi“ finden sich ausschließlich Arien ohne Koloraturen, nicht wie im typischen Belcanto. Es ist ein historisches, tragisches Sujet mit fünf Akten und einem großen Bühnenaufwand. Wagner lehnt sich dabei an zeitgenössische Vorbilder an, wie Giacomo Meyerbeer, Daniel F.-E. Auber und Gaspare Spontini „Grand Opéras“. Erklungen ist die Oper z.B. in Paris 1840/41 als Bearbeitung für Klavier von Franz Liszt, danach als Uraufführung in Dresden im Jahr 1842.Eine späte Rezeption ist bekannt, da die Oper als Lieblingsoper Adolf Hitlers gilt. Dieser hörte als kleiner Junge das erste Mal die Oper und war so begeistert davon, dass er danach Jahre lang davon überzeugt war: „In jener Stunde begann es!“, so der Historiker Joachim Fest. Wagners Zeitgenosse und Gegenpendant Giuseppe Verdi (1813, Busseto/Parma – 1901, Mailand) ist bekannt für seine ernste dramatische Oper. „Nabucco“ war die erste, mit der er 1842 Erfolg hatte. Ab 1836 war Verdi Orchesterleiter und Musikschullehrer in Busseto. Seine Lebenspartnerin war die Sopranistin Giuseppina Strepponi. Insgesamt komponierte er 26 Opern in drei Phasen. In der ersten Phase komponierte er 1839-1854 jährlich ein bis zwei Opern unter anderem für Mailand, Venedig, Rom, Neapel, London und Paris. 1853 komponierte er „Il trovatore“ und „La Traviata“. In seiner zweiten Phase komponierte er ab 1855 sechs Opern bis er 1871 „Aida“ komponierte. In seiner dritten Phase komponierte er „Otello“ (1887) und „Falstaff“ (1893) nachdem er dazu vom Verleger Ricordi angeregt wurde. Es war wahrscheinlich die Schauspielfassung des Romans „Die Kameliendame“ (1848), die Verdi zur Komposition von „La Traviata – Melodramma in tre atti“ animierte. Inhaltlich handelt das Drama von der Kurtisane Violetta, die sich innerlich zerrissen fühlt, weil sie sich nach wahrer Liebe zu Alfredo Germont sehnt, diese aber nicht wahrnehmen kann, da sie eine Kurtisane des Barons ist und Germonts Vater dies nicht erlaubt. Als sich diese beiden Hindernisse geklärt haben, wird ihre Schwindsucht schlimmer und sie stirbt in Anwesenheit ihres verzweifelten Geliebten Alfredo. Dass es sich bei der Hauptperson um eine soziale Randfigur der Gesellschaft handelt und dadurch dass der Stoff zu der Zeit aktuell ist, können sich die Zuhörer damit gut identifizieren und mitfühlen. Im Gegensatz dazu ist Wagners Stoff für „Rienzi“ alt und schwierig. In einem Rezitativ bemerkt Violetta, dass sie Liebesgefühle für Alfredo hat, wägt diese jedoch unter den genannten Umständen ab. Auffällig ist, dass die Musik ihre innere Zerrissenheit gut darstellt. Anfangs wechseln sich die Sängerin und die Streicher mit ihren jeweils eher ruhigen, zaghaften Phrasen ab, in der sich Violetta ihrer Gefühle bewusst wird. Später, als sie versucht, diese zu verdrängen und sich in den Genuss und das Vergnügen flüchtet, folgt ein sprunghafter 6/8-Takt. Verdis Opernkonzeption lässt sich in drei Stichpunkte einteilen: 1) Verdi baut auf dem italienischen Belcanto Rossinis und Bellinis auf, und nutzt gesangliche Ausdruckskraft und Virtuosität zur differenzierten Interpretation der zugrundeliegenden Literatur (Schiller, Shakespeare etc.). 2) Die Soli haben individuelle Charaktere und sind auf die Situation des Sängers abgestimmt: Cantabiles, Cabaletten und Romanzen. Dazu gibt es in den Akten Szenen mit wachsenden Finali und das begleitende Orchester wird eine epische bedeutungstragende Instanz. 3)Verdi verwirklicht die psychologischen Dispositionen von menschlichen Charakteren, was der Oper eine neue Dimension von Dramatik hinzufügt. Die Uraufführung im Teatro La Fenice, Venedig am 6.3.1853 wurde als Fiasko bezeichnet, da die Probenzeit zu kurz war und unter dem Zeitdruck nicht die passende Sängerin für die Violetta gefunden wurde. Ein Jahr später wurde die Oper bereits in einem anderen venezianischen Theater ein großer Erfolg und wiederum 10 Jahre später im Théâtre Lyrique de Paris (27.10.1864) mit Christine Nilsson als Violetta aufgeführt ein riesiger Erfolg. Die Oper wurde nicht nur in den Kanon aufgenommen, auch Christine Nilsson feierte damit ihren Durchbruch. Die Überlieferung der Oper hängt dann wiederum hauptsächlich mit dem Patriotismus des italienischen Volkes zusammen, das aus Stolz auf die Oper den Lobruf „Viva Verdi“ eingeführt hat, der dazu auf den König Vittorio Emanuele II. anspielt („Viva Vittorio Emanuele Re d‘Italia“). Außerdem gilt das Lied „Va pensiero“ des Gefangenenchors aus Verdis Oper Nabucco als ein Symbol für die Unterdrückung unter Fremdherrschaft, was gleichzusetzen ist mit der monarchisch-faschistischen Einparteiendiktatur in Italien ab 1861. Zuvor wurden um 1848 mehrere Revolutionsversuche gestartet.1901 wurde Guiseppe Verdi mit einem Staatsbegräbnis mit vielen Zuschauern als Nationalheld begraben. Wagner kritisierte Rossini und die zu der Zeit vorherrschenden Vorstellungen zur Oper. Er meint Rossinis Melodien seien oberflächlich und inhaltslos. Weiterhin seien die absoluten Melodien Rossinis wie die absolute Monarchie unter Metternich zu engstirnig und Wagner verlangt den Blick auf andere Melodiekonzepte und betrachtet diese auch als politische Ausdrucksformen. So entwirft Wagner ein „Drama der Zukunft“, das aus der Welt des Zuhörers kommen soll anhand einer einfacheren Sprache (Prosa) und einer dichterischen Kunst, die direkt das Gefühl anspricht, was Wagners emphatische, dichterische Art widerspiegelt. Diese dichterische Absicht soll hörbar sein, wobei die Melodie wie „Eins“ und ganzheitlich stimmig sein soll. Das Orchester dient als „Sprachorgan“, das wie ein auktorialer Erzähler einer Erzählung als „Gefühlswegweiser“ durch das Drama führt. Die Versmelodie stellt die individuelle Stimmung einer Person in einer bestimmten Situation dar. Die antike Annahme der Einheitlichkeit als einzige Wahrheit und Möglichkeit, die Gefühle für den Zuhörer zugänglich zu machen, greift Wagner auf. Er überträgt die antike Rolle des Chores jedoch auf das Orchester. Ein Höhepunkt in Richard Wagners Leben war die Uraufführung seiner Oper „Der Ring des Nibelungen“ 1876 auf den ersten Bayreuther Festspielen. Das Festspielhaus ist für seine gute Akustik bekannt. „Das Rheingold“ stammt aus diesem Bühnenfestspiel und wurde von Wagner in den Jahren 1851-1854 schon 20 Jahre vor der Uraufführung komponiert. Die Musik des gesamten „Ring“ dauert insgesamt circa 16 Stunden. Dabei bildet „Das Rheingold“ den ersten Teil, den Vorabend, mit circa drei Stunden. Es handelt von den Rheintöchtern, den Nixen, die das Rheingold besingen. Der Mythos, den sie singen, besagt, dass der, der den Schatz der Natur entraubt und daraus einen Ring macht, der Herrscher der Welt wird, jedoch der Liebe entsagen muss. Dass der Zwerg Alberich dieses Gold raubt, führt dazu, dass die Weltordnung gestört wird. Wagner sieht ein sehr großes Orchester mit vielen Blechbläsern, zum Beispiel acht Hörnern, vor. Am Anfang der Oper wird zunächst über 135 Takte ein Es-Dur-Akkord mit crescendo aufgebaut, welcher den Rhein darstellen soll. Hier verwendet Wagner als erster die Leitmotivtechnik, das heißt, er schreibt bestimmten Inhalten musikalische Motive zu. Das Rheingoldmotiv ist zum Beispiel eine statisch deutliche Quarte der Blechbläser und hebt sich damit von dem Naturmotiv, das aus Es-Dur-Dreiklangsbrechungen besteht, ab. Der Begriff des Leitmotivs ist erst nachträglich auf das Phänomen angewendet worden. Im Wagner- und Verdijahr 2013 wurde Nike Wagner, einer Nachfahrin von Wagner, die bekannte Frage „Verdi oder Wagner?“ gestellt, worauf sie festhielt, dass beide ihre eigenen, berechtigten Vorstellungen der Oper verwirklichten. Katharina Brinkmann, Lehramt HRGe Paderborn, 2. Fachsemester, [email protected]