Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Romanische Philologie Hauptseminar Lexikologie und Lexikographie Dozentin: Dr. Barbara Schäfer-Prieß Referent: Thorsten Vobl Wintersemester 2009/10 13.1.2010 Kollokationen / Lexikalische Solidaritäten Kollokationen und Lexikalische Solidaritäten sind Arten von syntagmatischen Beziehungen (= die lineare Beziehung zwischen den Wörtern eines Satzes / Textes). Beide Ansätze untersuchen den Einfluss der Bedeutung oder Bedeutungsstruktur der Lexeme auf ihr syntaktisches Verhalten. 1. Lexikalische Solidaritäten Der Terminus „Lexikalische Solidarität“ geht auf Coseriu zurück, der die lexikalischen Solidaritäten als „syntagmatische Implikationen zwischen Wörtern“ (Coseriu 1967, 293) definierte, d.h. dass bestimmte lexikalische Einheiten ( Lexeme, Archilexeme oder sogar ganze Lexemklassen) in anderen mitenthalten sind. Die Wortbedeutung von fällen impliziert, dass diese Tätigkeit an Bäumen durchgeführt wird. Relinchar impliziert caballo, ladrar impliziert perro und morder impliziert [con los dientes]. Coseriu bezieht sich mit seiner Arbeit auf eine Untersuchung, die Walter Porzig schon 1934 veröffentlichte und in der er eben die Beziehungen zwischen bellen und Hund, fällen und Baum etc. als „wesenhafte Bedeutungsbeziehungen“ bezeichnet (Porzig 1934, 70). In Auseinandersetzung mit Porzig definiert Coseriu die lexikalischen Solidaritäten näher: – alle Bedeutungen, die in einem Wort mitenthalten sind, auch wenn sie nicht ausgesprochen werden (sie sind ja impliziert ) bilden ein Bedeutungsfeld – die lexikalische Solidarität kann als inhaltliche Bestimmung eines Wortes durch eine Klasse, ein Archilexem oder ein Lexem definiert werden, die Klasse, das Archilexem oder Lexem fungiert als unterscheidender Zug im Inhalt des betreffenden Wortes. – → die lexikalische Solidarität als Bestimmungsbeziehung ist gerichtet, [con los dientes] ist Inhalt von morder, auf keinen Fall aber umgekehrt – perro schafft als unterscheidender Zug von ladrar eine Opposition zu z.B. relinchar (impliziert caballo). Man könnte hier perro durch caballo und damit zwangsweise auch ladrar durch relinchar ersetzen. (Paradigmabildung innerhalb des Syntagmas) → ( perro – ladrar / caballo – relinchar / ...) Lexeme dieser Art heißen „mehrseitige Solidaritäten“, das determinierende Lexem kann erwähnt werden, muss aber nicht. Bsp: Sie hörte im Wohnzimmer eine Katze schnurren. Sie hörte im Wohnzimmer ein Schnurren. – im Gegensatz zu den mehrseitigen Solidaritäten stehen die einseitigen Solidaritäten wie morder / [con los dientes]. [con los dientes] ist eine elementare Eigenschaft von morder und tritt üblicherweise nicht auf. (morder con los dientes wäre eine Tautologie, die im normalen Sprachgebrauch äusserst merkwürdig wirken würde). Ausnahmefall ist wenn das determinierende Lexem modifiziert wird: Bsp: Er lächelte. Er lächelte mit zusammengekniffenen Lippen. – Lexeme deren Inhalt (bzw deren archilexematische bzw klassematische Grundlage) in anderen Lexemen als unterscheidende Züge mitgegeben sind, heißen „determinierende Lexeme“ (hier [con los dientes]), die dadurch bestimmten Lexeme „determinierte Lexeme“ (hier morder) determinierende Lexeme sind meistens Substantive, determinierte Verben Durch die implizierte Bedeutung eines Substantives oder einer Klasse von Substantiven in einem Verb ist dessen Verwendbarkeit mehr oder weniger stark eingeschränkt. Die drei unterschiedlichen Grade der eingeschränkten Kombinierbarkeit sind definiert als „inhaltliche Bestimmung eines Wortes durch eine Klasse, ein Archilexem oder ein Lexem. Diesen drei Graden der Kombinierbarkeit ordnet Coseriu drei Typen von lexikalischer Solidarität zu: – Affinität: Die Klasse fungiert als unterscheidender Zug, also ein sehr globales semantisches Merkmal Bsp: In der Bedeutung von guapo ist das Merkmal [von Menschen] enthalten. (seine Quasi-Synonyme lindo und bonito sind diesbezüglich nicht eingeschränkt. (nach Pöll, 1996). – Selektion: Hier hat das Archilexem (bzw Archisemem) eine unterscheidende Rolle, das Verb muss also mit einem Substantiv aus einem bestimmten Wortfeld kombiniert werden. Bsp: Er empfand Wut. Das Verb empfinden muss mit einem Objekt kombiniert werden, dass aus dem Wortfeld Gefühlszustände stammt. – Implikation: Bei der Implikation determiniert ein einziges Lexem: Bsp: El caballo relincha. Relinchar kann als Subjekt nur das Lexem caballo besitzen. Die durch die Solidaritäten verursachten Einschränkungen der lexikalischen Kombinatorik heißen Selektionsrestriktionen Durch Brechen der Selektionsrestriktionen kann es zu besonderen sematischen Effekten kommen ( Metapher ). Desweiteren können sich im Laufe der Zeit Restriktionsabschwächungen einstellen. Aufgrund der Farbähnlichkeit verbindet sich z.B. rubio mit cerveza: cerveza rubia. 2. Kollokationen Der Begriff Kollokation bezeichnet ganz allgemein eine „[häufige], aber nicht zwangsläufige Verbindung zweier oder mehrerer Wörter“(Herbst et. al 1991: 164). Die Beziehung zwischen den Wörtern ist schwerer zu fassen, als bei den lexikalischen Solidaritäten, hinzu kommt, daß der Begriff seit seiner Einführung in die Linguistik in den 50er Jahren in sehr vielen, teils sehr gegensätzlichen Definitionen verbaut wurde. Eine allgemeingültige Definition gibt es bis heute nicht. Beispiele für Kollokationen: starker Raucher, die Zähne putzen, lavarse los dientes … Dass die einzelnen Teile der Kollokationen eine wie auch immer geartete syntaktische oder semantische Verbindung haben ist offensichtlich, allerdings ist es schwer diese an bestimmten Kriterien festzumachen. Bei starker Raucher ist offensichtlich die Gesamtbedeutung mehr als die Summe der Einzelteile, die Zähne putzen erscheint besonders im einzelsprachlichen Vergleich als relativ arbiträr (putzen ↔ lavar). Man kann zwei wesentliche Definitionen von Kollokation unterscheiden: einen statistisch geprägten Ansatz und einen bedeutungsorientierten Ansatz. – statistisch geprägter Ansatz: der Begriff Kollokation wurde in den 50er Jahren vom Engländer J.R. Firth aufgebracht. Er vertrat den Englischen Kontextualismus. Der Kontextualismus vertritt die Ansicht, dass die Bedeutung eines Wortes sich aus der Menge an Kontexten ergibt, in denen das Wort vorkommen kann („you shall know a word by the company it keeps“ (Firth 1957)). Der Kontextualismus geht davon aus, daß eine semantische Beziehung zwischen Wörtern sich in häufigerem gemeinsamen Auftreten widerspiegelt. Kollokationen in dieser Lesart sind statistisch signifikante Vorkommen von zwei Wörtern. Was heißt statistisch signifikant? Statistisch signifikant heißt, für das Vorkommen ‘beliebiger Wörter’ (also solcher, die nicht kollokieren) existiert ein Modell. Für die Kollokationen kann eine signifikante -zumindest: erkennbare Abweichung -- von diesem Modell angegeben werden. Inzwischen ist klar, daß man mit einem rein statistisch basierten Ansatz auf Dauer nicht ans Ziel kommen wird, entweder ein menschlicher Experte filtert die gefundenen Ergebnisse oder man muss den statistischen Prozeß mit linguistischer Information anreichern. In den modernen statistischen Ansätzen wird das bloße „Zusammenvorkommen“ in Abgrenzung zu den semantisch relevanten Daten als Kookurrenz bezeichnet. – bedeutungsorientierter Ansatz: Ein wichtiger Vertreter des bedeutungsorientierten Ansatzes ist F.J. Hausmann, der Kollokationen wie folgt definiert: „Wörter mit begrenzter Kombinierbarkeit verbinden sich entsprechend differenzierten semantischen Regeln und einer gewissen zusätzlichen Üblichkeit mit Wörtern, zu denen sie in Affinität stehen. Affinität sei defniniert als die Neigung zweier Wörter, zusammen aufzutreten.“ (Hausmann 1984, 398) Kollokationen stellen also die „bevorzugten“ Versprachlichungen der jeweiligen Sachverhalte dar (→ sprachl. Norm). Sie werden nicht kreativ gebildet, sondern als Kombinationen aus dem Gedächtnis abgerufen Weiterhin müssen sie abgegrenzt werden von den festen Phraseologien und der freien Kombination, da sie bestimmten, „halbfesten“ syntaktischen Strukturen gehorchen. Hausmann hat 6 solcher syntaktischen Strukturen definiert: (1) N + Adj. / Adj. + N: Bsp: argumento concluyente, carrera fulgurante, deseo imperioso, negocio pingüe, espeso silencio (2) N(Subjekt) + V: Bsp: la leche se corta, el éxito dimana de (3) V + N(Objekt): (4) V + Adv.: Bsp: entablar relaciones, adoptar un criterio, perseguir una estrategía Bsp: negar terminantemente, rogar encarecidamente (5) Adj. + Adv. Bsp: firmemente convencido, estrechamente ligado (6) N + prep + N: Bsp: diente de ajo, enjambre de abejas, grano de arroz Bei allen Strukturtypen wird ein Element als Basis gedacht, das zweite als Kollokator. Diese Unterscheidung beruht auf der Erkenntnis, dass eine Komponente der Kollokation semantisch autonom und deshalb unproblematisch ist, die zweite hingegen Probleme bereiten kann, weil sie idiosynkratisch und somit nicht vorhersehbar sein kann: Bei (1)-(3) gelten die Substantive als Basen, bei (4) und (5) das Verb bzw. Adjektiv und bei (6) das zweite Substantiv. Literatur: Porzig, W. (1934):Wesenhafte Bedeutungsbeziehungen. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 58, S. 70–97. Pöll, Bernhard. 2002. Spanische Lexikologie: eine Einführung. Tübingen. Coseriu, Eugenio 1967: "Lexikalische Solidaritaten". Poetica 1,3: 293303 Hausmann, Franz Josef (1984): "Wortschatzlernen ist Kollokationslernen. Zum Lehren und Lernen franzosischer Wortverbindungen". Praxis des neusprachlichen Unterrichts31:395406. Anhang: Allgemeine Definitionen (nach Coseriu aus: Lexikalische Solidaritäten, 1967) – Wortfeld: lexikalisches Paradigma, das durch Einheiten gebildet wird, die durch einfache inhaltsunterscheidende Züge in Opposition stehen Bsp: Wortfeld Rind: Ochse, Kuh, Bulle, Stier, Kalb – Lexem: semantische Basiseinheit des Lexikons (jede in der Sprache als einfaches Wort gegebene Einheit – Archilexem: eine Einheit die dem ganzen Inhalt eines Wortfeldes entspricht – Klasse: Gesamtheit der Lexeme, die unabhängig von der Wortfeldstruktur durch einen gemeinsamen, inhaltsunterscheidenden Zug zusammenhängen. Alle Lexeme, die zu derselben Klasse gehören verhalten sich grammatisch, bzw. lexikalisch analog Bsp: „lebende Wesen“ – Klassem: Inhaltszug durch den eine Klasse definiert wird