Marken und Konsumenten übernehmen die Macht

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BUSINESS MARKEN-TV
Marken und Konsumenten
übernehmen die Macht
Bislang galt: Fernsehen macht Marken. Doch die klassische
Fernsehwerbung gerät unter Druck, technische Neuerungen wie
TV-Werbeblocker und digitale Verbreitung provozieren
alternative Konzepte.
von Roland Karle
Quoten-Hit: Schauspielergattin Dana Schweiger moderiert Pampers TV.
Kein Wunder, dass die Amerikaner
allmählich immer werberesistenter
werden. Durchschnittlich 817 Spots pro
Woche prasseln auf sie nieder, wie aus
einer Studie der Agentur Initiative Futures
Worldwide hervorgeht. Weltweit liegt der
Schnitt bei 561 Werbespots, Deutschland
kommt auf 289 und liegt damit im internationalen Vergleich auf einem Platz
im Mittelfeld. Der allgemeine Trend gilt
weltweit für die reifen TV-Märkte: Die
Werbewirkung der klassischen Spots
sinkt. Hinzu kommt, dass technische
Innovationen wie der Personal Video
Recorder das bewusste Ausblenden von
Werbung ermöglichen. In den USA verzeichnet die Gerätemarke TiVo wachsenden Absatz. Rund drei Millionen Kunden
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setzen den 1999 auf den Markt gekommenen Werbeblocker regelmäßig ein.
Gerade schloss TiVo einen Kooperationsvertrag mit Comcast, dem größten Kabelnetzbetreiber des Landes, und hat nun
Zugriff auf 21,5 Millionen Kunden. Es
könnte verdammt eng werden für die herkömmlichen TV-Sender.
Noch nie konnte sich der Zuschauer so
systematisch der Fernsehwerbung entziehen. Jetzt vollzieht sich ein Regiewechsel
vor dem Bildschirm. „Der Konsument
übernimmt die Macht“, kommentiert
Professor Peter Wippermann. Der Gründer des Hamburger Trendbüros sieht
eine ähnliche Entwicklung wie in den USA
auch auf Deutschland zukommen. „Die
klassische Werbung wird weiter verlieren.
Marken suchen sich zunehmend redaktionelle Umfelder.“ Auf Englisch heißt das
Advertiser Founded Programm (AFP)
oder Branded Entertainment. Diese so unverdächtig klingenden Begriffe elektrisieren in Amerika die werbungtreibende
Wirtschaft. Wie die Association of National Advertisers (ANA) gerade bekannt
gab, haben 85 Prozent von 118 befragten
Mitgliedern entsprechende Vereinbarungen getroffen. Bereits im vergangenen
Jahr führten zwei Drittel der Unternehmen Programming-Projekte durch.
Dafür haben sie ihr Marketing-Budget
nicht erhöht, sondern umgeschichtet.
Rund die Hälfte der betreffenden Firmen
kürzte entsprechend ihre Ausgaben für
klassische Werbung, ein gutes Drittel
bediente sich aus dem Topf von PR,
Direktmarketing oder ähnlichen Kommunikationsinstrumenten. Auch in Deutschland ist dieser Trend unverkennbar. Ob
von Programming, Markenfernsehen
oder Medienkooperationen die Rede ist,
stets geht es darum, dass Marken in
größtmöglicher Nähe zum Programm
platziert werden – im Vergleich zum herkömmlichen Product Placement mit dem
wichtigen Unterschied, dass die Unternehmen mit offenem Visier vor die
Kamera treten. Während das gewohnte
Programmsponsoring fast schon dezent
zum Beginn und zum Ende der Sendung
sowie nach der Werbeunterbrechung in
Erscheinung tritt, drängt bei dieser Art
der Inszenierung die Marke ungeniert ins
Programm.
absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 5/2005
„WIR SCHAFFEN OPTIMALE PROGRAMMUMFELDER“
TV-Gusto-Geschäftsführer Jörg Schütte über das Konzept des Kochkanals, die Vorteile für Werbekunden und
Innovationen wie den „Just-in-time-Spot“.
Was unterscheidet TV Gusto von anderen Themen- oder
Spartensendern?
JÖRG SCHÜTTE: Um als Sender bei den Zuschauern erfolgreich zu sein, braucht man vor allem eins: ein sehr relevantes Thema. Essen und Genießen ist eines der Themenfelder mit der höchsten Relevanz überhaupt. TV Gusto unterscheidet sich also einerseits
durch ein starkes Thema, andererseits durch die hohe
Qualität der Sendungen mit
herausragenden Moderatoren
wie Reiner Calmund und Birte
Karalus sowie erfahrene, komJörg Schütte, 40, ist
petente Macher hinter der KaGeschäftsführer des im
September 2004 gestarteten mera.
Nehmen Werbekunden das
TV Gusto. Den Sender mit
der technisch möglichen
Konzept von TV Gusto an?
Reichweite von zwölf MillioSCHÜTTE: Einige renommiernen Zuschauern gründete
der frühere VOX-Programm- te Werbekunden wie Unilever
direktor zusammen mit dem haben uns von Anfang an beehemaligen RWE-Vorstand
gleitet und die Ausrichtung des
Marc Pasture.
Senders mit uns diskutiert. Wir
nehmen Impulse aus der Werbewirtschaft gerne auf und
setzen sie um. Unser Ziel ist es, optimale Programmumfelder für die Werbung unserer Kunden zu schaffen. Dabei sind Ideen wie der „Just-in-time-Spot“ entstanden. Er
unterbricht eine Sendung genau dann, wenn das Thema
des Spots redaktionell behandelt wird.
Wie sieht das konkret aus?
SCHÜTTE: In einer Sendung geht es gerade um die Aufbewahrung von übrig gebliebenen Lebensmitteln. Dann folgt
an dieser Stelle ein Spot, in dem zum Beispiel der Direktversender Best Direct entsprechende Frischhalteboxen bewirbt. Viele Kunden sind an solchen Sonderwerbeformen
sehr interessiert.
Noch ist die Zahl der Projekte in Deutschland überschaubar. McDonald’s übernahm mit der McCart Show auf Pro
Sieben eines der ersten so genannten
Titelpatronate, die Werkstatt-Kette Pit
Stop kaufte sich in die Handlung bei „Big
Brother“ ein, außerdem liefen Sendungen wie die Lego Show, Coke Lightman
und Pampers TV. Für die Sender ist das
wirtschaftlich attraktiv, weil ihnen die
Kooperation fest kalkulierbare Einnahmen bringt. Die Unternehmen lockt vor
5/2005 absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing
Können sich kleine und mittlere Unternehmen diese Art
der Fernsehwerbung überhaupt leisten?
SCHÜTTE: Gerade für viele mittelständische Unternehmen
ist TV Gusto das einzige Medium, in dem sie sinnvoll TVWerbung schalten können. Für einen Hersteller von Küchenhelfern ist Werbung bei einem großen Sender wie RTL viel
zu teuer, weil er die riesigen Streuverluste mitbezahlen muss.
Und bei TV Gusto?
SCHÜTTE: Hier trifft er seine Zielgruppe genau und
kostengünstig. Ein 30-Sekunden-Spot zur besten Sendezeit kostet bei uns 356 Euro. Außerdem akquirieren wir
ausschließlich themenaffine Werbung – das minimiert die
Zapping-Verluste der Werbeblöcke.
Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit Mediaagenturen und TV-Vermarktern?
SCHÜTTE: Das Interesse wächst, weil auch die Agenturen
umdenken. In Zukunft kann es nicht mehr nur um Tausender-Kontakt-Preise gehen. Die Zielgruppen-Affinität der
Programme und die Qualität der Sendungen rücken in den
Vordergrund. TV Gusto passt daher gut ins Bild.
Inwiefern können Werbekunden das Programm von TV
Gusto mitgestalten?
SCHÜTTE: Programming spielt bei uns eine wichtige Rolle. Wir diskutieren mit unseren Kunden über Inhalte und
arbeiten gemeinsam mit ihnen an speziellen Sendungen,
die optimierte Werbeumfelder darstellen. Ein klassisches
Titelpatronat ist zum Beispiel die Sendung „Crème de la
Crème mit Rösle“. An vergleichbaren Formaten zeigen zahlreiche kleine und große Unternehmen starkes Interesse.
Welche neuen Werbe- und Kommunikationsformen werden sich – auch bei TV Gusto – durchsetzen?
SCHÜTTE: Die technische Entwicklung kann dazu führen,
dass Zuschauer über einen Rückkanal per Fernbedienung
mit dem Sender kommunizieren und auch Produkte bestellen. Diese Möglichkeiten beobachten wir aktiv, haben sie
aber noch nicht in unseren Business-Plan eingearbeitet.
Das Gespräch führte Roland Karle.
allem die Aussicht „Raus aus der Insel“:
Gegenüber dem klassischen Werbespot
agieren ihre Marken in einem glaubwürdigeren Umfeld mit tendenziell deutlich
höherer Aufmerksamkeit. Bei Pampers
TV auf RTL 2 zum Beispiel kamen Ärzte und Wissenschaftler des PampersInstituts als Interviewpartner zum Zuge.
„Die jahrzehntelange Erfahrung von Pampers macht uns zu einem perfekten Partner für eine Sendung, die sich mit den
wichtigen Fragen rund um Babys und
Kleinkinder beschäftigt“, so Beate Rosenthal, Marketing-Leiterin von Pampers
Deutschland, Österreich, Schweiz.
Hinter dem regelmäßigen Reichweitensieger „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“
landete das 30-minütige Pampers TV,
moderiert von Schauspielergattin Dana
Schweiger, bei seinen zwölf Ausstrahlungen jeweils auf Platz zwei oder drei der
Quoten-Hitliste. Pampers-Produzent
Procter & Gamble bezeichnet die Resonanz von Zuschauern und Eltern als
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„sehr positiv“. Laut Befragungen vermittelte die Sendung das Pampers-Image,
nämlich die Entwicklung von Babys zu
fördern. Rosenthal spricht von einer „effizienten und effektiven Investition“.
Die Hoffnung der Markenartikler, in
Sendungen glaubwürdiger rüberzukommen, ist berechtigt. Unbedingte Voraussetzung dafür ist jedoch ein attraktives
Programm. „Es darf nicht der Eindruck
entstehen, dass hier eine Dauerwerbesendung läuft“, gibt Jens-Uwe Steffens,
Geschäftsführer der Mediaagentur Pilot
Group, Hamburg, zu bedenken. „Ein
Titelpatronat kann schnell zu einem zweischneidigen Schwert werden.“ Vor allem
dann, wenn die Marke im Programm
Calli kocht: Der schwergewichtige
Ex-Fußball-Manager Reiner Calmund zählt
zum Staraufgebot von TV Gusto.
penetrant und aufdringlich wirkt. „Wenn
der Zuschauer diesen Eindruck gewinnt,
reagiert er streng“, sagt Andreas von Berg,
Sales Manager Special Ads beim Werbevermarkter El Cartel, München. Gleichwohl ist von Berg überzeugt: „Die Titelpatronate haben Zukunft.“ Ähnlich schätzt
das Ulrich Bäder, Geschäftsführer Internationale Medienberatungsgesellschaft,
Hamburg, ein. „Programming wird sich
durchsetzen“, sagt er. Aber diese neue
Form der Kommunikation sei im Einzelfall sehr genau zu prüfen. Denn „nur
weil der Marketing-Direktor sich auch mal
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als Programmdirektor üben will, ist das
kein ausreichender Grund, um MarkenTV zu machen“, sagt er. Die Kompetenz
der Marketing-Leute ist gefordert. Trendforscher Wippermann: „Eine Fernsehsendung zu erfinden ist nicht ihr Job. Sie
müssen erkennen, welches Format für ihre Marke eine optimale Plattform bietet.“
Die Mobilfunker von O2 sind sicher,
diese gefunden zu haben: Am 21. Mai läuft
auf RTL 2 zur Primetime „Die kultige
Handy-Show – O2 can do“. Eine optimale
Bühne, um die Marke zu inszenieren. In
der Sendung wird die Marke auf vielfache
Weise präsent sein. Beispielsweise mit kurzen Teasern vor und nach Einspielfilmen,
zu Beginn und zum Abschluss der Sendung und der Werbeblöcke. Außerdem
werden Firmenlogo und -name so in die
Titelgestaltung eingeflochten, dass der Zuschauer stets daran erinnert wird, welche
Marke der Sendung den Namen gibt.
Bei der Entscheidung für oder gegen ein
Titelpatronat sind die Kosten ein gewichtiges Argument. Üblicherweise werden die
On-Air-Zeiten während der Sendedauer
summiert und dafür die geltenden Werbespot-Tarife zu Grunde gelegt. Ein prozentualer Aufschlag zwischen zehn und
30 Prozent für das Gesamtpaket ist nicht
selten; Sonderposten wie Gewinnspiele
werden separat vergütet. Für das Unternehmen kommen die Produktionskosten
hinzu, außerdem der interne Aufwand für
die Umsetzung des Projekts. „Wenn man
nach Vollkosten rechnet und die Sache
professionell angeht, können für ein
Titelpatronat schnell Kosten von einer
Million Euro entstehen“, nennt Berater
Bäder die Richtschnur. Ein Preisvergleich
mit anderen Kommunikationsmaßnahmen ist schwierig, weil ein Titelpatronat
eine andere Qualität als beispielsweise
klassische Werbespots hat. „Solche Auftritte sind im Grunde eine Spielart des
Customer Relationship Managements“,
sagt Peter Wippermann. Die Unternehmen siedeln solche integrierten, umfassenden Aktionen zunehmend im Customer Relationship Management (CRM)
an. BMW beispielsweise soll bereits ein
Drittel des gesamten Marketing-Etats dafür veranschlagen. Dazu gehören auch
ausgeklügeltes Database Management
und die systematische Steuerung von
Marketing-Maßnahmen für die Händler.
Die Unternehmen schichten häufig zwar
Mittel aus der Klassik in neue Auftrittsformen wie Programming, doch das heißt
nicht, dass das eine die Funktion des anderen geradewegs übernehmen kann. So
sieht Pampers-Marketing-Leiterin Rosenthal „Pampers TV nicht als Alternative zu
Werbespots, sondern als Ergänzung des
Kommunikationsmixes, den der Konsument erlebt“. In der Regel verzahnen die
Werbungtreibenden ihre Auftritte multimedial. Pampers zum Beispiel bietet
einen Elternservice mit kostenloser Hotline, verschickt regelmäßig Newsletter
und empfängt jede Woche 1 800 Mütter
im Forschungszentrum Schwalbach. „Wir
suchen kontinuierlich, wie wir durch
kreative Mediaformate mit unseren Verbrauchern in Kontakt treten können.“
Was kommt nach Programming und
Titelpatronat? Die Frage wird in der
Werbebranche gerade im Blick auf das digitale Fernsehen diskutiert. Mediaexperte Steffens ist überzeugt, dass die FußballWM 2006 dem Digital-TV einen Schub
geben wird. Er erwartet eine ähnliche
Struktur wie im Internet. „Neben höchstens einem halben Dutzend Vollprogrammen werden viele digitale Spartensender entstehen.“
Wenn zudem die technischen Voraussetzungen des Fernsehens für interaktive
Kommunikation ausgereift sind, könnte
das die Werbungtreibenden noch stärker
ins TV treiben. „Finanzstarke und informationsorientierte Branchen wie Automobil, Telekommunikation und Gesundheit werden als erste die Möglichkeiten von Themenkanälen ausloten“,
prognostiziert Steffens. Das kann in eine
enge Kooperation mit speziellen Sendern
münden oder dazu führen, dass Unternehmen selbst TV-Kanäle gründen. Steffens kann sich gut vorstellen, dass Firmen
gemeinsam Marken-TV betreiben. „Warum sollten sich Douglas und Zara nicht
im Umfeld von Mode engagieren?“
Medienberater Bäder mag nicht so recht
an einen bevorstehenden Hype glauben.
„Wer schaut sich schon stundenlang Sendungen übers Kochen an?“, fragt er. Und
dass Kraft, Nestlé und andere gemeinsam
eigene Themen-Sender betreiben, daran
zweifelt er. „Die großen Markenartikler
wenden sich in der Regel an die Masse und
nicht an Minderheiten.“
absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing 5/2005
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