VERANSTALTUNGSBERICHT Paneldiskussion zu „ EU Wahlbeobachtungsmissionen: Ein erfolgreiches Instrument der Demokratieförderung?“ EU-Wahlbeobachtungsmissionen haben in Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit eine zunehmende Bedeutung. Doch wie die Beispiele der Wahlen in Äthiopien in 2005 oder Zimbabwe in 2008 gezeigt haben, ist selbst mit (freien, geheimen und fairen) Wahlen zwar ein Grundelement, nicht jedoch „volle Demokratie“ erreicht. Zu diesem Themenkomplex diskutierte ein hochrangiges Panel am 01. April 2009 in Brüssel. Der Europaabgeordnete Martin Kastler begrüßte die Teilnehmer im Namen der HannsSeidel-Stiftung Brüssel und wies auf das Ziel der Stiftung hin, die Entscheidungsträger von heute und morgen in den kritischen Diskurs zu europa- und entwicklungspolitischen Themen mit ein zu beziehen. Gerade beim Thema der Wahlbeobachtung stellte er die Resultate für den Menschenrechtsschutz und die Einhaltung von Demokratiestandards in den Vordergrund. Die gemeinsame Herangehensweise vom Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission solle weiterverfolgt werden. Gleichzeitig mahnte Kastler, diese Diskussion unbedingt in die Zivilgesellschaft zu tragen. Das war ein Punkt, den auch der Europaabgeordnete Jürgen Schröder, Berichterstatter für EU-Wahlbeobachtungsmissionen im Entwicklungsausschuss und mehrmaliger Leiter der jeweiligen EP-Delegation, aufgriff. Auch die Europäische Zivilgesellschaft sei unbedingt zum Thema Wahlbeobachtungen zu informieren; man müsse die Unionsbürger von der Sinnhaftigkeit von Wahlbeobachtungen überzeugen und so die Unterstützung aus allen EU Mitgliedstaaten erlangen. Dies muss durch Medien, aber auch durch Politiker gemacht werden; politische Parteien in der EU müssten überzeugt werden, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Schröder bejahte die Rolle von Wahlbeobachtungsmissionen als Instrument der Demokratieförderung; gleichzeitig fragte er jedoch, ob Wahlen an sich ein erfolgreiches Instrument der Demokratieförderung seien. Europa übertrage dabei zu automatisch die Bedeutung von Wahlen auf andere Länder. Was nach Wahlen geschehe, sei ein Prozess der Zivilgesellschaft, der Bevölkerung selbst. Man müsse viel mehr darauf achten, was die jeweilige Gesellschaft aus Wahlergebnissen mache. In der Demokratischen Republik Kongo als auch in Kenia hätten sich die Wahlbeobachter viel zu schnell zurückgezogen; die Reaktionen auf demokratisch abgehaltene Wahlen waren fatal. Frau Hannah Roberts, die Hauptautorin des EU-Handbuchs für Wahlbeobachtungen, sprach aus jahrelanger Erfahrung. Sie wies auf die Bedeutung einer handfesten Methodologie sowie internationalen Standards mit klaren Kriterien hin. Der Nachfolgeprozess nach abgehaltenen Wahlen sei wesentlich: hier spielen die technische Assistenz als auch, und das sei entscheidend, das politische Gewicht des Prozesses eine Rolle. Wenn der Leiter der Wahlbeobachtungsmission im Folgejahr zurückkehre, brächte dies, so Roberts, ein wichtiges politisches Signal mit sich. Rolf Timans, Referatsleiter in der Europäischen Kommission für Menschenrechte und Demokratisierung, betonte, über Wahlbeobachtungen als lediglich technische Übung hinaus zu gehen. Es würden mit den Missionen auch der Menschenrechtsstandard, Medienfreiheit, Justizsysteme oder auch die Beteiligung von Frauen gemessen. Allerdings handle es sich dabei nur um eine Bestandsaufnahme. Wie Roberts unterstrich Timans internationale Standards, politische und Bürgerrechte wie regionale Standards, denen sich ein Land verschrieben hat. Darüber hinaus sollte auch die Frieden schaffende Komponente von Missionen betrachtet werden; gerade dort, wo Konflikte sich aufstauen. Pietro Ducci, Leiter des EP-Referats für Wahlbeobachtungen, lobte die inter-institutionelle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union, aber auch die Kooperation mit ODIHR (Office for Democratic Institutions and Human Rights, OSZE) oder dem Europarat. Das Parlament sende Delegationen nur im Falle von langfristigen Missionen. Dies seien politische Missionen, die auch eine „politische Vision“ vermitteln sollen. Die Beteiligung von MdEPs sei hinsichtlich Visibilität und einer echten Demokratieförderung wesentlich. Nicolas Kaczorowski, stellvertretender Leiter der Abteilung für Wahlen in ODIHR (OSZE), konzentrierte sich in seinen Ausführungen vor allem auf den größeren Rahmen der Demokratieförderung, in der Walbeobachtungen nur ein Element ausmachten. Um erfolgreich Demokratie zu fördern, seien Faktoren wie Rechtsstaatlichkeit, Grundfreiheiten, eine starke und lebhafte Zivilgesellschaft ausschlaggebend. Der Wert von Demokratie kann auch nur von demjenigen angenommen werden, dem sie ein sicheres, ökonomisch stabiles Leben verschafft. Konstruktive Empfehlungen von Wahlbeobachtungsmissionen eigneten sich als gutes Werkzeug für einen umfassenden Dialog nach den Wahlen. In diesen Dialog müssen auch Oppositionspolitiker und die breite Öffentlichkeit mit eingebunden sein. Empfehlungen der Mission seien weit in der Bevölkerung zu streuen und in Hilfsprogramme aufzunehmen. Thomas Huyghebaert, Büro für die Förderung Parlamentarischer Demokratie des EP, schloss sich der Bedeutung von Wahlbeobachtungsmissionen an, doch er ermahnte dazu, eindeutig darüber hinauszugehen. Was nützen korrekt durchgeführte Wahlen ohne die Funktionstüchtigkeit von Parlamenten? Politische Institutionen müssten gestärkt werden, damit Demokratie im realen Leben bestehen könne. In Mauretanien, so Huyghebaert, seien die Wahlen sehr gut verlaufen, jedoch fehlten dem Parlament die Tradition und die nötige Infrastruktur. Daher würde dieses Büro des EP jungen, aufstrebenden Parlamenten in den Partnerländern im weiteren Aufbau zur Seite stehen. Die Sprecher waren sich bezüglich einer langfristigen, konsistenten Methodologie sowie der Unabhängigkeit und Depolitisierung der Missionen einig. Zu Wahlbeobachtungen kooperieren EP, Rat und Kommission erfolgreich zusammen; allerdings sei die Beteiligung von Abgeordneten des Europäischen Parlaments in den Missionen selbst ein wichtiges Element. In der Diskussion kritisiert wurde die oft mangelhafte Umsetzung der Ergebnisse von Wahlbeobachtungen (allen voran des Berichts und seiner Empfehlungen) in einem größeren Rahmen. Die Außenpolitik der EU nehme dabei zu wenig auf die Ergebnisse und vor allem die kritische Berichterstattung Rücksicht. Allerdings seien die „Statements“ nicht bindend für die Politiklinie der EU. Solche Beurteilungen seien wichtig für den Fall, dass einem Land keine Hilfe mehr gestattet werden soll (Bsp. Mauretanien, Guinea, Togo). Weiters blieb unklar, in wieweit Länderstrategiepapiere wie Finanzierungsprogramme mit Ergebnissen von Wahlbeobachtungsmissionen synergetisch verknüpft werden. Die Verknüpfung finde satt und die Kooperation unter den EU-Institutionen habe sich verbessert, so Timans und Ducci, allerdings hänge die wirkliche Auswirkung von Ergebnissen natürlich vom politischen Willen des Landes ab, voranschreiten zu wollen. Durch Einbeziehung des Europäischen Parlaments sei eine weiter gefasste politische Betrachtungsweise möglich. Dabei dürfe man auch nicht die Kapazitäten der nationalen Wahlbeobachtungseinheiten vergessen, so Huyghebaert. Dies habe außerdem mit allgemeiner Entwicklungszusammenarbeit zu tun. Zu betonen ist, dass Wahlbeobachtungsmissionen nur auf Anfrage des betreffenden Landes stattfinden können. Ohne Einverständnis würden diese staatliche Souveränität verletzen. Anfragen nehmen jedoch zu; die EU ist der größte Akteur für Wahlbeobachtungen weltweit. Die Kommission wird jedoch nur in „Nicht-OSZE“ Ländern tätig, da die OSZE (ODIHR) gleiche Standards anwendet. Allerdings kooperiert das EP mit der OSZE und sendet EPDelegationen auch in OSZE-Länder. Auf die Frage von Moderator Michael Becker (ARD), wer denn die Situation lange vor den Wahlen beobachte, hielt Timans fest, dass Wahlbeobachtungsmissionen nur die Felder beobachteten, die mit Wahlen selbst zusammenhingen (Sicherheit, politischer Rahmen, Wahlbehörden). Die wirtschaftliche und soziale Lage würde bereits von diplomatischen Vertretungen wahrgenommen. Schröder fügte dem hinzu, dass es für Wahlbeobachtungen wohl nur günstige Situationen aber nie die besten Voraussetzungen gäbe. Ob ein Land demokratisch sei, zeigte sich an demokratischen Wahlen sowie an demokratischen Institutionen. Missionen seien ein Teil, was danach komme, sei ein politischer Aspekt. Daher müsse das „Follow-up“ von EU-Institutionen wie dem Europäischen Parlament unternommen werden. Je mehr Wahlbeobachtungen in einem Land durchgeführt werden, so Schröder, desto mehr „follow-up“ müsse es geben, um zunehmend über technische Aspekte hinauszugehen. In Nachfolgeprozessen als auch vor Wahlen konzentrierte sich die Paneldiskussion auf die Stärkung der Zivilgesellschaft und der Parlamente. Auch politischen Parteien, ohne die die politische Meinung der Bevölkerung nicht auszudrücken wäre, müssen funktionieren. Abgeordnete werden über politische Parteien gewählt; ohne politische Parteien sei Demokratie nicht realisierbar. In diesem Zusammenhang wurde auch auf die Rolle von politischen Stiftungen hingewiesen; sei es im Zusammenarbeit mir Parlamenten, politischen Parteien oder zahlreichen politischen Bildungsprogrammen mit der Zivilgesellschaft. Medien, so die Panelisten, stürzten sich leider zumeist auf die kritischen Fälle. Dort wo es im Zuge von Wahlen Konflikte gäbe, würde mehr Unterhaltungspotential und Aufmerksamkeit der Bevölkerung herrschen. Dies habe auch allgemein mit dem Thema „Entwicklungspolitik“ zu tun, das von Politikern selbst mehr in den Diskurs, auch mit den Wählern, aufgenommen werden sollte, so Schröder. Diskussionsteilnehmer Michael Gahler, MdEP, Leiter der EP-Delegation zur Wahlbeobachtung in Pakistan in 2008, betonte die Rolle von Parlamenten und politischen Parteien in Demokratisierungsprozessen. Eine Verknüpfung, die in thematischen Programmen der Kommission eher ausgeblendet sei. Gahler lenkte dabei das Augenmerk auf die politischen Stiftungen, die vor Ort diese Arbeit leisten. Die politische Ebene wurde auch mehrfach von Kaczorowski betont. Die Arbeit von internationalen Akteuren wie der OSZE sei glaubwürdiger, wenn man die Empfehlungen nach Wahlen auf Langzeitmissionen stützen kann. Wenn Empfehlungen auf die Arbeit von Experten und politische Arbeit gestützt werden, hätten sie potentiell die beste Wirkung. Die Beteilung von MdEPs würde zudem die Visibiltät im Land selbst erhöhen. Es sollten nicht nur Kapazitäten der Zivilgesellschaft, sondern auch der politischen Parteien im Partnerland aufgebaut werden. Roberts ergänzte diese Ausführungen um das Bewusstsein zu Anbeginn, dass es sich um mehr als nur Wahlen handle. In den Folgeprozess falle auch die nicht zu unterschätzende Unterstützungsarbeit für Wahlreformen. Die Berichte der Missionen sind zudem mit den VNMenschenrechtssystemen in Einklang zu bringen. Berichte sind zu publizieren, in lokale Sprachen zu übersetzen und sollen in den Politikdialog mit dem Land einfließen. Hier bestätigte aus dem Publikum Mario Rui Queiro von EuropeAid, dass die Berichte von EuropeAid gelesen und als Basis für den „cycle of interventions“ dienten. Doch auch er wies auf die Abhängigkeit vom politischen Willen im jeweiligen Partnerland hin. Die Ebenen Regierung, Zivilgesellschaft und politische Gesellschaft seien zu betrachten. Ein Projektbeispiel bezog sich auf „trans-party training“ mit politischen Parteien. Es gebe ein neues Programm mit Parlamenten und dem UNDP. Auch die Europäische Kommission müsse ihre eignen Kapazitäten in diesen Bereichen weiter aufbauen. Beim Kapazitätsaufbau sei die Stärkung von regionalen Akteuren der Kommission ein Anliegen, so Timans. Es gebe beispielsweise Programme, um die Afrikanische Union für Wahlbeobachtungen zu befähigen. Auch ECOWAS und SADEC werden in diesem Sinne unterstützt. Andere Akteure können auch zivilgesellschaftliche Wahlbeobachtungsorganisationen sein; das sei eine „Fall zu Fall“ Entscheidung, so Timans. Es gebe ein entsprechendes Instrument, welches dies ad-hoc zu ließe. Bildungsprogramme für Wähler seien hierbei zu unterstreichen. Als Resümee der Diskussion sollte man sich die Zeit nach Wahlen und Beobachtungsmissionen genauer ansehen. Wie sehr man den gesamten politischen Rahmen im Blickfeld haben kann, hängt wohl wesentlich von Entwicklungsumständen und dem politischen Willen vor Ort ab. Die Ergebnisse von Wahlen, so Schröder im Schlusstenor, liegen in der Hand der Zivilgesellschaft. Wie sehr der politische Wille zu mehr Demokratie besteht, hängt von einer starken Mittelklasse ab. Sie vermag politische Parteien zu lenken; politische Parteien treffen politische Entscheidungen. Demokratie ist demnach nur mit einer starken Mittelklasse zu erreichen; und diese sei durch Entwicklungszusammenarbeit aufzubauen. Dass die Beobachtung von Wahlen zur Demokratieförderung beiträgt, ist unumstritten. Wie sehr dieses Instrument jedoch wirklich erfolgreich Demokratie bewirken kann, hängt von dessen Einbettung und Nutzung im größeren Rahmen der Entwicklungspolitik ab. Die nächste große und schwierige Herausforderung für die EU steht mit der Wahlbeobachtungsmission in Afghanistan in diesem Jahr an. 2. April 2009 Dr. Mariella Franz, Entwicklungspolitischer Dialog Brüssel