50 Harmonikales Bauen. Was haben Musik und Architektur gemeinsam? Viel, sagt Linus Maeder. Der Architekt hat sich auf harmonikales Bauen spezialisiert, das ein Gebäude als Sinfonie, als leben­digen Organismus betrachtet. Kristallisierte Musik Viel Holz wurde bei diesem auf harmonikale Masse ausgerichteten Einfamilienhaus verwendet. Fotos (3): Linus Maeder Beim Neubau der Heilmittelfirma Ceres AG sierte sich der Architekt auf das harmoni­ in Kesswil wurden die drei Gebäude gezielt kale Bauen, das als westliches Pendant zur nen zu können; er sah in ihnen vielmehr die Grundprinzipien des Lebens, erfüllt auf die Himmelsrichtungen ausgerichtet, chinesischen Lehre des Feng Shui gilt. Es von Bewusstsein. Die Griechen waren die wie es schon beim Bau der Pyramiden der Begründer der modernen Harmonik, in der Fall war. Die Dächer, Zwischendecken und schafft Harmonie, indem es Gebäude als Sinfonie, als gefrorene Musik betrachtet. das Lagergebäude sind aus Holz. Geheizt «Ein Gebäude kann, wenn es richtig konst­ ben sind. Auf dem Monochord, einem alten wird mit einer Holzschnitzelheizung, hin­ ruiert wird, Heilungsprozesse positiv unter­ griechischen Instrument aus Holz, das als zu kommt eine kontrollierte Lüftung für stützen oder generell zu mehr Wohlgefühl Resonanzkörper diente, wurden diese Be­ alle Produktionsräume, und im Innenhof wurde ein Heilpflanzengarten angelegt. und damit Gesundheit führen», erklärt Li­ nus Maeder. So können Räume zum Beispiel züge sofort sicht- und hörbar. Auf dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Be­ die regenerativen Kräfte des Körpers erhö­ mit einem verschiebbaren Steg unterteilt triebs berichten, dass sie trotz langem Ste­ hen, die Wundheilung fördern, das Lymph­ werden können. «Die Griechen verschoben Musik und Zahlen eng miteinander verwo­ Monochord sind Saiten aufgespannt, die hen nicht mehr unter Blutstauungen und system anregen, auf die Darmtätigkeit aus­ diese Stege so lange, bis die angeschlage­ Krampfadern leiden. Auch nach langen gleichend wirken, die Leistungsfähigkeit nen Töne links und rechts des Steges nach Arbeitstagen setzt die Müdigkeit offenbar verbessern oder wie in Kesswil gegen weniger schnell ein als im alten Firmenge­ Krampfadern und Blutstauungen wirken. ihrem Empfinden harmonisch zueinander klangen. Sie entdeckten, dass Akkorde Mae­der vom Büro inform architekten in Zahlen als Grundprinzip des Lebens gen in kleinen ganzzahligen Verhältnis- Engelburg. Er beschäftigt sich bereits seit Wie ist so etwas möglich? Für den griechi­ sen zueinander stehen», berichtet Linus Maeder. Interessant sei, dass dieses Empfin­ dann harmonisch sind, wenn die Saitenlän­ bäude. Realisiert hat dieses Projekt Linus seinem Studium mit der Wirkung von Zah­ schen Philosophen und Mathematiker len und Geometrie auf Gebäude und ihre Pythagoras waren Zahlen nicht einfach den von Harmonie allen Menschen gemein­ Bewohner. In den letzten Jahren speziali­ etwas Praktisches, um damit Dinge berech­ sam ist. Bereits kleine Abweichungen wer­ ARCHITEKTUR die schreinerzeitung NUMMER 42 16. Oktober 2008 den als Verstimmtheit des Instruments wahrgenommen. Was für die Musik galt, das musste auch in der Architektur seine Richtigkeit haben. So wurden griechische Tempel nach musikalischen Proportionen geplant und errichtet. Jedes Verhältnis vom Grundriss über den Giebel bis zu Säulen und Kapitellen war sozusagen musikalisch. Bauten wurden zur Sinfonie, waren kristal­ lisierte Musik. Das Wissen um Mass und Zahl war vielen Baumeistern rund um den Globus geläufig. Von den römischen Bau­ werken, den gotischen Kathedralen, den palladianischen Villen bis zur Klassik war die Musik ein sicherer Bestandteil der Ar­ chitektur. Selbst Le Corbusier setzte sich in­ tensiv mit den richtigen Proportionen aus­ einander. Früchte bleiben länger frisch Auf den ersten Blick sieht man Gebäuden eine harmonikale Bauweise nicht an. Viel­ mehr sind es die inneren Werte, sprich die Masse, die das Wohn- und Wohlgefühl be­ einflussen. Beim Neubau der Firma Ceres spricht Linus Maeder vom Pyramideneffekt. Dabei liess er sich von der Wechselwirkung Jedes Gebäude ist ein ganzer Organismus, bestehend aus Gängen, Räumen, Materialien, Farben und Formen. zwischen Zahl, Bauwerk und Mensch inspi­ rieren. «Jede ägyptische Pyramide besitzt ihre eigenen, einfachen Zahlenverhältnis­ genaue Ausrichtung in die vier Himmels­ se, die sich in verschiedenen Neigungswin­ keln, Massen und der Anordnung von richtungen.» Der daraus entstehende Pyra­ selbst konnte mich neun Monate mit der mideneffekt ist empirisch bewiesen: Früch­ gleichen Klinge rasieren! Der Effekt muss Gängen und Kammern in ihrem Innern aus­ te bleiben länger frisch, Fleisch verfault drücken. Den meisten gemeinsam ist die nicht darunter, und sogar Rasierklingen also mit der Geometrie der Pyramide und dem Erdmagnetfeld zusammenhängen», ist bleiben viel länger scharf darunter. «Ich Linus Maeder überzeugt. Konkret bedeutet dies: Kreis, Dreieck, Quadrat, Fünfstern sind in ein zweidimensionales Bild gebrach­ te Zahlen. Kugel, Tetraeder, Würfel, Pyra­ mide stehen für in dreidimensionale Bilder übertragene Zahlen. «Zahlen sind somit In­ formationsträger. In der Technik werden Informationen über einen Zahlencode übertragen. Digitale Informationsträger arbeiten dabei alle im Binärsystem. Jede Information oder jeder Befehl kann auf einen Code aus den Zahlen 0 und 1 redu­ ziert werden. Im Prinzip arbeitet die Natur genauso mit Codes. Wir müssen Zahlen dazu nur mehr als geistig-seelische Quali­ Auf den ersten Blick sieht man den Gebäuden die harmonikale Bauweise nicht an. Es sind vielmehr die inneren Werte, von denen die Wirkung auf das Wohn- und Wohl­ gefühl ausgeht. täten begreifen denn als reine Quantitä­ ten.» Ein Gebäude ist ein Organismus Eine Form wird über ihre Zahlenverhältnis­ se beschrieben. Diese Zahlen ergeben ein Grundmuster, dessen Ausdruck wiederum die Form ist. «Ein Grundmuster ist nichts 51 52 ARCHITEKTUR die schreinerzeitung NUMMER 42 16. Oktober 2008 anderes als Information, also ein Soft­ nur ein Verhältnis, es ist ein ganzer Orga- auf das Wohlgefühl und die Gesundheit wareprogramm», erklärt Linus Maeder und nismus, bestehend aus Gängen, Räumen, der Menschen ist erst in den letzten Jahren meint weiter: «Die gleichen Grundmuster Materialien, Farben und Formen. Jedes wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft sind in unserem Körper wirksam. Die Zahl Material, jede Farbe und jede Form lässt sich gerückt. «Lange Zeit stand in der Architek­ Drei beispielsweise ist mit dem Gehirn, dem jedoch mit Zahlen beschreiben. Holz bei­ tur vor allem die Ästhetik im Vordergrund. Trieb und dem Antrieb verknüpft. Die Zahl spielsweise stehe für einen lebendigen, Mit dem Aufkommen von Feng Shui bei­ Fünf steht für Lebenskraft und Individuali­ anregenden Rohstoff – im Gegensatz zum tät. Ein Verhältnis drei zu fünf kombiniert mineralistischen Rohstoff Stein, der sehr spielsweise erkennen die Menschen, wel­ che Wirkung von einem Gebäude ausgehen also diese beiden Prinzipien miteinander. erdverbunden sei. Beim Hausbau gelte es, kann», stellt Linus Maeder fest. Er ist über­ Unser Körper reagiert darauf mit der Aus­ die richtige Mischung für die Bewohner zu zeugt, dass harmonikales Bauen als lebens­ schüttung von uns als Individuum antrei­ bejahende Architektur in Zukunft stark an benden Stoffen – dem Kreatin und dem Tes­ finden. «Als Architekt gebe ich dem Ganzen Struktur und Ordnung – wie ein Komponist: pwww.inform-architekten.ch tosteron. Das zugrunde liegende Prinzip ist Es müssen viele Instrumente und Töne zu­ Erfolg und Ernte. Ein Raum oder eine Pyra­ mide mit diesen Verhältnissen wird uns also sammenpassen, um daraus eine Sinfonie zu auf der körperlichen, geistigen und seeli­ Räume zusammenpassen, um daraus ein schen Ebene genau auf diesem Gebiet beein­ harmonisches Gebäude zu schaffen. Jedes schaffen. Es müssen viele Materialien und flussen.» Ein weiteres Beispiel sind die Zah­ Gebäude besitzt eine Stimmung, eine len Sechs und Sieben: Die Sechs steht für Atmos­phäre, eine Ausstrahlung oder einen das Herz und das Blut, die Sieben für Offen­ Zahlencode. Die Frage ist nur, wie harmo­ heit und Resistenz. Ein Verhältnis von sechs nisch dieser ist und empfunden wird.» zu sieben oder ein Raum mit 67 Eckpunkten unterstützt die Bewohner in der Offenheit Lebensbejahende Architektur der Herzklappen und der Blut­kanäle. Doch Das Wissen um die Wirkung von Zahlen, ein Gebäude ist laut Linus Maeder mehr als Formen und Materialien in der Architektur Bedeutung zunehmen wird. fm