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FORSCHUNG AN DER FAKULTÄT FÜR PHILOLOGIE
KLASSIK UND DIDAKTIK. DIE KONSTITUIERUNG DES DEUTSCHEN UNTERRICHTS 1871-1914 IM SYNERGETISCHEN VERHÄLTNIS ZUR REZEPTION LESSINGS, GOETHES, SCHILLERS
Dr. des. Manuel Mackasare
(Germanistisches Institut)
Die Arbeit untersucht die Rezeption der sogenannten „Klassiker“ Lessing, Goethe und Schiller im
Kontext des sich etablierenden Deutschunterrichts 1871-1914. Sie folgt einem literarhistorischen Ansatz, für den rezeptionsgeschichtliche, historisch-fachdidaktische und wissensgeschichtliche Interessen leitend sind. Bisher ist die Genese des Deutschunterrichts in ihrer elementaren Verknüpfung
mit dem historischen literarischen Kernkanon nicht in ausreichender Tiefe analysiert worden. Diese
Lücke beabsichtigt die vorliegende Studie zu schließen. Im Ergebnis zeigt sich, dass das Verhältnis
zwischen „Klassik“ und Didaktik ein synergetisches ist: Nicht nur bedienen sich die „Schulmänner“
der literarischen Stoffe, um bestimmte pädagogische Vorstellungen zu realisieren, sondern die historischen pädagogischen Vorstellungen werden auch durch affirmative „Klassiker“-Rezeption beeinflusst.
Der Blick auf diese Zusammenhänge wurde von den Großerzählungen älterer Arbeiten verstellt,
die das historische Schulwesen als Instrument eines „wilhelminischen“ Obrigkeitsstaats und den
Deutschunterricht als Medium nationalchauvinistischer und bellizistischer Ideologie begriffen. Dieses Narrativ, das auch dem Subtext gegenwärtiger Publikationen teilweise noch eingeschrieben ist,
erweist sich mit Blick auf die Quellen als unhaltbar. Folglich ist die vorliegende Studie ganz überwiegend auf Quellenarbeit angewiesen. Hierfür zentral sind – recht vielfältige – Publikationen von
„Schulmännern“, die sich eigeninitiativ mit den noch ungeklärten fachlichen und pädagogischen
Fragen befassten. Behördliche Weisungen (Lehrpläne, Prüfungsordnungen, Erlasse) griffen auf die
dominanten Positionen dieses Diskurses zurück, auf welche Weise der Deutschunterricht im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine feste Struktur gewann (Kap. III.1). Kern der vorliegenden Studie ist die Analyse des historischen fachdidaktischen Diskurses, insbesondere mit Blick auf die diskursive Einbindung der „Klassiker“. (Kap. II)
Ausgangspunkt fachdidaktischer Überlegungen waren Vorstellungen der allgemeinen Pädagogik,
deren oberstes Ziel solchermaßen dem Deutschunterricht assimiliert wurde: Die „Charakterbildung“. Dieser lag ein Menschheitsideal zugrunde, dessen Ursprünge in Platons Philosophie zu finden sind: Der Verstand gibt ethische Ziele vor, denen qua Willenskraft unablässig entgegengestrebt
wird (Kap. III.2). Zur „Charakterbildung“ schien die „Klassiker“-Lektüre besonders geeignet. Inhaltlich entsprach sie den zu vermittelnden ethischen Vorstellungen, formal repräsentierte sie das weltanschaulich zentrale Ordnungsdenken. Im Begriff der Harmonie kamen anthropologische und ästhetische Auffassungen überein.
Auch die Vorstellung immer höherer Bildungsstufen, die der Schüler mit wachsendem Alter zu
erklimmen habe, sowie die Relevanz eines intrinsischen Interesses, das diesen Prozess vorantreiben
sollte, ließ die „Klassiker“ als optimale Unterrichtsstoffe erscheinen. Die verschiedenartige Zugänglichkeit „klassischer“ Texte erlaubte ihre Staffelung gemäß Schüleralter, und dass ihnen das Schülerinteresse entgegenkäme, wurde prämissenartig vorausgesetzt.
Somit begründete die Synchronisation der „Klassiker“-Lektüre mit pädagogischen Zielen und Methoden die Zentralität Lessings, Goethes und Schillers im Deutschunterricht. Dessen Kern-struktur
bestand aus Lektüre und (auf dieselbe bezogenem) Aufsatz, ein Wechselspiel aus Rezeption und
Produktion realisierend. (Kap. IV)
Zentraler Lektürestoff waren Dramen. Das Kerninteresse kam dabei der Charakteristik der Handlungsträger in ihrem Verhältnis zum Gang der Handlung zu. Anhand jedes der kanonischen Dramen wurde gezeigt, dass am Menschheitsideal gemessene positive Charaktereigenschaften für einen positiven, negative Charaktereigenschaften für einen negativen Gang der Dinge sorgten – ein
Postulat, das auf die Realität übertragen wurde. Hieraus ließ sich die Rolle des Individuums in der
Gesellschaft ableiten: Vom Eigeninteresse sollte – ganz im Sinne Kants – abstrahiert und den
höchstmöglichen allgemeinen Ziele entgegengestrebt werden.
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Als grundlegend dafür wurde die Fähigkeit zur willensmäßigen Selbstkontrolle begriffen, welche
dementsprechend maßgeblich den Eigenwert des Individuums bestimmte. Passend dazu ließ sich
besonders einigen Tragödien Schillers die Vorstellung abgewinnen, wie trotz negativer Charakterzüge – die denn auch in die Katastrophe führen – im Angesicht des eigenen Untergangs menschliche Würde behauptet werden könne.
Hinter diesen Lesarten zeichnen sich ästhetische und philosophische Vorstellungen ab, die den
Dramen selbst eingeschrieben sind. Der strikte Zusammenhang von Charakterbeschaffenheit und
Gang der Handlung wurde bereits von Lessing betont und spiegelt Goethes und Schillers – eben
nicht empirischen – Naturbegriff wider. Die zu behauptende Dominanz des Willens bis zur physischen Selbstaufgabe entspricht Schillers Begriff der Erhabenheit. Es zeigt sich deutlich das enge
Verhältnis von schulischer Dramenrezeption und weltanschaulicher Affirmation gegenüber Philosophemen der Dramenverfasser. (Kap. VI)
Im Aufsatz sollten die Schüler selbsttätig die gegebenen Dramenstoffe durchdringen. Kern-instrumentarium waren logische Operationen, die einerseits der wissenschaftlichen Propädeutik dienen,
andererseits die oben beschriebenen, im Kern ethischen Strukturen der Dramen explizieren sollten.
Der Verstandesgebrauch führte über die Logik zur Ethik – weltanschauliche Prämisse des zugrundeliegenden Charakterideals. (Kap. VII)
Das synergetische Verhältnis von „Klassik“ und Didaktik basierte auf elementaren weltanschaulichen Vorstellungen. In seinem Zeichen wurde die Kernstruktur des Deutschunterrichts geprägt,
die bis heute erhalten ist.
Kontakt:
Dr. des. Manuel Mackasare
Germanistische Institut
[email protected]
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