Mögliche Auswirkungen von „Basel III“ auf Kreditvolumina und gesamtwirtschaftliche Entwicklungen in Österreich Eine Untersuchung des Instituts für Höhere Studien Juni 2010 Projektkoordination: Univ. Prof. Dr. Bernhard Felderer Unter Mitarbeit von: Johannes Berger, Luise Breinlinger, Edith Skriner, Ludwig Strohner und Klaus Weyerstraß Die vorliegende Untersuchung analysiert mögliche Effekte von auf Basis der Vorschläge des Basler Ausschusses geplanten Regulierungsänderungen auf inländische Kreditvergabevolumina der österreichischen Banken sowie auf die Entwicklung ausgewählter gesamtwirtschaftlicher Größen. Die Vorschläge des Basler Ausschusses führen zu einer Erhöhung der Kapitalanforderungen an Banken infolge von sowohl qualitativ als auch quantitativ strengeren Unterlegungskriterien. Sofern die Banken Eigenkapital nicht in entsprechendem Ausmaß extern aufbringen oder intern in Form von Gewinnen aufbauen, wird es erwartungsgemäß zu Reduktionen ihrer Veranlagungsvolumina und damit ceteris paribus auch der Kreditvergabevolumina kommen. Selbst wenn es in diesem Fall nicht zu einer Rückführung der Veranlagungsvolumina insgesamt sondern vielmehr zu einer Umschichtung in Richtung weniger riskant erachteter Veranlagungen kommen sollte, hätte dies erwartungsgemäß negative Effekte auf die Kreditvolumsentwicklung. Wie empirische Forschungsergebnisse zeigen, kann die externe Aufbringung größerer Mengen an Eigenkapital in wirtschaftlich angespannten Zeiten zu moderaten Preisen schwer zu realisieren sein. Hinzu kommt, dass gegenwärtig nicht allein Banken einen hohen Kapitalbedarf auf dem Kapitalmarkt zu decken haben. Auch der Kapitalaufbau über Gewinne erscheint im Ausmaß des erwarteten Kapitalbedarfs innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nicht realistisch. Die Entwicklung der Gewinne nach Risikokosten ist aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage mit entsprechender Unsicherheit behaftet. Gewinne können nicht als fixe Planungsgröße für den Kapitalaufbau herangezogen werden. Ein weiterer relevanter Aspekt in diesem Zusammenhang ist der infolge der konjunkturellen Entwicklung für die letzten beiden Jahre anzunehmende Anstieg der realisierten Ausfallsraten in einzelnen Kundensegmenten. Eine Erhöhung der Ausfallsraten in diesen Jahren würde sich aufgrund der gleitenden Berechnungszeiträume für die zur Eigenmittelunterlegung heranzuziehenden Ausfallswahrscheinlichkeiten in näherer Zukunft deutlicher bemerkbar machen. Die Analyse besteht aus zwei Teilen: Erstens wurde auf Basis der von einigen österreichischen Banken bereitgestellten Daten eine stichprobenbasierte Abschätzung des nach derzeitigem Konsultationsstand potenziell resultierenden Bedarfs nach Abbau bei risikogewichteten Aktiva vorgenommen. Die Schätzung erfolgte unter der Annahme, dass das infolge der geplanten 1 Kapitalerfordernisänderungen zusätzlich benötigte Eigenkapital kurzfristig nicht aufgebracht wird. In weiterer Folge wurden die entsprechenden Zahlen zu Forderungsreduktionen gegenüber inländischen Unternehmen und Retailkunden 1 abgeleitet. Alternativ dazu wurde pro Kapitalkategorie (Core Tier 1, Tier 1 sowie Eigenmittel) der Kapitalbedarf ermittelt, welcher zu decken wäre, um dem Abbau von risikogewichteten Aktiva (RWA) entgegenzuwirken. Eine Kapitalbedarfsberechnung erfolgte auch für verschiedene Leverage Ratio Szenarien. Die Stichprobe umfasst sieben Banken und deckt mehr als die Hälfte des Forderungsbestands gegenüber inländischen Nichtbanken ab. Zweitens wurden auf Grundlage der von der Oesterreichischen Nationalbank veröffentlichten Zeitreihen zu Forderungen gegenüber inländischen Nichtbanken, nichtfinanziellen Unternehmen und privaten Haushalten Schätzungen zu möglichen gesamtwirtschaftlichen Effekten von Kreditvolumensreduktionen durchgeführt. Ziel dieser Schätzungen ist es, einerseits kurz- bis mittelfristige sowie andererseits langfristige makroökonomische Auswirkungen von Kreditreduktionsszenarios, wie sie sich aus der Untersuchung der Bankenstichprobe ergeben, zu quantifizieren. Die kurz- bis mittelfristigen Effekte werden dabei mit Hilfe jenes Modells ermittelt, welches am Institut für Höhere Studien für Simulationen kurz- bis mittelfristiger Wirkungen von wirtschaftspolitischen Maßnahmen sowie für die regelmäßige Prognose im Einsatz ist. In seiner Grundstruktur handelt es sich dabei um ein von der Nachfrageseite gesteuertes Modell, welches allerdings auch angebotsseitige Elemente enthält. Es wird für einen Prognosezeitraum von bis zu fünf Jahren herangezogen. Die Quantifizierung der langfristigen Effekte erfolgt mit einem am Institut entwickelten allgemeinen dynamischen Gleichgewichtsmodell (Dynamic Computable General Equilibrium Model – DCGE). Dieses kann insbesondere für die längerfristige makroökonomische Beurteilung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen und strukturellen Änderungen sowie deren Auswirkungen auf die österreichische Volkswirtschaft eingesetzt werden. Potenzielle Effekte der geplanten Kapitalerfordernisänderungen auf die Entwicklung von Kreditvolumina und den Kapitalbedarf 1 Der Anteil der Forderungen gegenüber inländischen Unternehmen und Retailkunden an den gesamten Forderungen gegenüber inländischen Nichtbanken beträgt in der Stichprobe Ende 2009 knapp neunzig Prozent. 2 Die in der Stichprobe inkludierten Banken hielten zum 31.12.2009 in Summe EUR 432 Mrd. an risikogewichteten Aktiva (ermittelt nach bisherigem regulatorischem Regime), was einem Rückgang im Ausmaß von acht Prozent gegenüber Ende 2008 entspricht. Auch bei den Forderungen an inländische Unternehmen ist im selben Zeitraum ein Rückgang zu beobachten. Die Forderungen an inländische Retailkunden weisen im Vergleich dazu eine nur geringe Reduktion auf. Die RWAgewichtete Kapitalausstattung Kapitalregime durch der Umsetzung Institute verbesserte entsprechender sich nach altem Maßnahmen (wie Kapitalerhöhungen und Aufnahme von staatlichem Partizipationskapital oder Abbau von risikogewichteten Aktiva) im Zeitraum 31.12.2008 bis 31.12.2009 von 6.7 Prozent auf 9.1 Prozent beim Tier 1 Kapital und von 9.8 Prozent auf 12.3 Prozent bei den Eigenmitteln. Nach den geplanten Änderungen in den Kapitalanforderungen würden sich diese Zahlen allerdings auf 7.5 Prozent und 11.3 Prozent für Tier 1 und Eigenmittel reduzieren, die Zahl für das neue Core Tier 1 würde sich auf 5.5 Prozent belaufen. Zieht man weiters das staatliche Partizipationskapital ab, so resultieren für die Berechnung nach den geplanten neuen Vorschriften Kapitalquoten von 4.5 Prozent für Core Tier 1, 6.4 Prozent für Tier 1 sowie 10.3 Prozent für die Eigenmittel. Die stichprobenbasierten Berechnungen zum potenziellen Forderungsabbau wurden für ausgewählte Szenarien durchgeführt. Dabei ergibt ein Szenario von 4, 6 und 8 Prozent Mindestquote für Core Tier 1, Tier 1 und Eigenmittel in Verbindung mit oberhalb der Mindestquote zu haltenden Kapitalpuffern und unter Abzug des derzeit gewährten staatlichen Partizipationskapitals einen Forderungsrückgang gegenüber inländischen Unternehmen und Retailkunden von etwa 20 Prozent. Für Berechnungen unter Heranziehung strengerer Mindestquoten würde höherer Abbaubedarf resultieren. Für ein Mindestquotenszenario von 6, 8 und 10 Prozent für Core Tier 1, Tier 1 und Eigenmittel entstünde bei Mindestquoteneinhaltung (ohne zusätzliche Kapitalpuffer) und ohne staatliches Partizipationskapital ein Abbaubedarf von etwa 26 Prozent, der sich unter Zielquotenverfolgung entsprechend weiter erhöhen würde. Anzumerken ist, dass die Notwendigkeit zum Forderungsabbau in den hier analysierten Szenarien immer von Core Tier 1 bzw. von Tier 1 Kapital induziert wird. 3 Dieser Umstand spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Berechnungen zum Kapitalbedarf wider: Der größte Kapitalaufbringungsbedarf besteht für die analysierten Konstellationen in Bezug auf Core Tier 1 und Tier 1 Kapital. Die Schätzungen des Kapitalbedarfs für die Stichprobe hängen neuerlich sehr stark von den unterstellten Konstellationen ab und belaufen sich beispielsweise für das Mindestquotenszenario 6, 8 und 10 Prozent bei Mindestquotenerfüllung ohne Kapitalpuffer und bei Abzug des staatlichen Kapitals auf rund EUR 8 Mrd. Core Tier 1 (die Stichprobe deckt etwas mehr als die Hälfte der Kredite an inländische Nichtbanken ab). Bei Zielquotenverfolgung würden sich die Zahlen entsprechend erhöhen. Der Kapitalbedarf wurde auch für verschiedene Leverage Ratio Szenarien ermittelt. Die diesbezüglichen Ergebnisse legen nahe, dass Kapitalbeschränkungen, wie sie auf Basis von heute erwarteten Formulierungen der Leverage Ratio für die Stichprobe resultieren würden, im Vergleich zu den Restriktionen, die infolge der Kapitalerfordernisänderungen entstehen könnten, nicht von dominierender (im Sinne von ausschlaggebender) Rolle sein dürften. Welche makroökonomischen Effekte könnten aus den geplanten Regulierungsmaßnahmen über den Kanal des Kreditvolumens resultieren? Für die Simulation möglicher kurz- bis mittelfristiger makroökonomischer Effekte wird davon ausgegangen, dass Eigenkapitalanforderungen ihr die Banken als Kreditvolumen Reaktion auf reduzieren. die Dabei strengeren werden die Forderungen gegenüber inländischen nichtfinanziellen Unternehmen und privaten Haushalten betrachtet. Um eine Bandbreite an Entwicklungen abzubilden, wurden die Berechnungen für zwei Szenarien durchgeführt. Die Formulierung dieser Szenarien fand auf Basis der Ergebnisse der Stichprobenuntersuchung statt. In der ersten Simulation wird unterstellt, dass das Kreditvolumen um 10 Prozent sinkt, im zweiten Szenario wird von einer Reduktion um 20 Prozent ausgegangen. Die Simulationen ergeben, dass als Folge des verringerten Kreditvolumens die Bruttoinvestitionen im niedrigeren Szenario bereits im ersten Jahr um 5.6 Prozent zurückgehen – bis zum fünften Jahr erhöht sich dieser negative Effekt auf 7.5 Prozent. Reduziert sich das Kreditvolumen hingegen um 20 Prozent, sinken sie bis zum fünften Jahr um 14.8 Prozent. Da die Investitionen nur einen Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ausmachen und die Investitionsgüter zu einem nicht unerheblichen Teil importiert werden, ist die Auswirkung auf das 4 Bruttoinlandsprodukt (BIP) deutlich geringer. Im niedrigeren Szenario sinkt das reale BIP im ersten Jahr um 0.85 Prozent, über einen Zeitraum von fünf Jahren um 1.26 Prozent. Im höheren Szenario ist mit einer Verringerung des realen BIP um 1.7 Prozent im ersten und um 2.5 Prozent bis zum fünften Jahr zu rechnen. Mit der niedrigeren Produktion sinkt auch die Beschäftigung. Dies in Kombination mit den sinkenden Einkommen pro Beschäftigtem hat weiters eine Reduktion des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte und damit des realen privaten Konsums zur Folge. Die langfristigen makroökonomischen Wirkungen sind vor allem vom Rückgang des Kapitalstocks und dem damit verbundenen Zurückbleiben der Produktivität der Beschäftigung geprägt. Nimmt man an, dass der mittelfristig geschätzte Investitionsrückgang dauerhaft bestehen bleibt, sind die akkumulierten längerfristigen Wirkungen im Vergleich zu den kurz- bis mittelfristigen Effekten deutlich stärker. Allerdings ist auf lange Frist davon auszugehen, dass ein Teil des Kreditvolumenrückgangs substituiert werden kann, 2 was kompensatorische Effekte hätte. Zur Abschätzung der langfristigen Wirkungen werden folglich ebenfalls zwei Szenarien simuliert – eines unter der Annahme, dass keine Substitution der Bankkredite stattfindet und der mittelfristige Investitionsrückgang in vollem Umfang zum längerfristigen Absinken des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks führt, ein zweites unter der Annahme, dass die Hälfte des Kreditvolumenrückgangs langfristig substituiert werden kann. Wenn keine Kapitalsubstitution vorgenommen wird, resultiert eine 10-ProzentKreditvolumsreduktion bis zum 10. Jahr in einem Rückgang des Kapitalstocks um knapp 5 Prozent. Die Arbeitsproduktivität nimmt um etwa 4 Prozent ab. Sie hinterlässt deutliche Spuren in der Lohnentwicklung – die Löhne sinken ebenfalls um 4 Prozent. Die Beschäftigung geht um 1.1 Prozent zurück. Geringere Beschäftigung sowie der Rückgang der Löhne und Gewinneinkommen implizieren auch ein deutliches Zurückbleiben des verfügbaren Haushaltseinkommens, sodass der private Konsum bis zum 10. Jahr um 4.4 Prozent sinkt. Der Rückgang des BIP würde in 2 Einerseits könnten Banken auf lange Frist Eigenkapital friktionsfrei aufbauen und dieserart Beschränkungen in ihrer Veranlagungspolitik entgegenwirken, andererseits könnten sich Unternehmen andere Finanzierungsquellen erschließen und Bankkredite dadurch ersetzen. 5 dieser Konstellation etwa 2.8 Prozent betragen. 3 Bei einer Kreditvolumensreduktion von 20 Prozent könnte sich der BIP Rückgang bis zum 10. Jahr auf ca. 5.6 Prozent und der Anstieg der Arbeitslosenquote auf rund 0.9 Prozentpunkte belaufen. Unterstellt man hingegen, dass rund die Hälfte der durch die Einschränkung der Kreditvergabemöglichkeiten weggefallenen Finanzierung von Investitionen substituiert werden kann, sind die Effekte zwar merklich geringer, allerdings noch immer erheblich – in Summe etwa halb so stark wie ohne Kapitalsubstitution. 3 Möchte man die Effekte einer 20-Prozent-Kreditvolumsreduktion ermitteln, müssen diese Werte entsprechend skaliert werden. 6