Sensationelle Versteinerungen im Rontal

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Sensationelle Versteinerungen im Rontal Zeugen des letzten Meeresvorstosses ins
Schweizer Mittelland
von Dr. Beat Keller, Geologe, Luzern
Die Tiefbauarbeiten für die Überbauung Obfalken in Ebikon gewährten um die Neujahrszeit 2003 einen überaus
interessanten Einblick in den sonst meist verborgenen
Felsuntergrund und förderten geradezu spektakuläre Versteinerungen zu Tage. Denn die von den kraftvollen Baggern aus dem Felsverband herausgerissenen Gesteinsplatten (Abb. 1) beherbergten eigentliche Friedhöfe
versteinerter Meerestiere. Dank der Umsichtigkeit der
Baggerführer und dem grossen Verständnis der Unternehmung der Firma Lötscher Tiefbau Plus (Littau) sowie
des Bauherrn Schmid Immobilien AG (Buchrain) konnten
grosse Fossilienplatten sichergestellt werden. Vier besonders schöne, schwergewichtige Fossilienplatten wurden
vom Bauherrn und von der Gemeinde Ebikon in weiser
Voraussicht und dank des Engagements deren Vertreter
St. Erni und R. von Euw aufgehoben (Abb. 3) – aber auch
das Gletschergarten Museum Luzern, das Paläontologische Museum der Universität Zürich (Abb. 2) sowie zahlreiche Fossilsammler haben tolles Fossilienmaterial
geborgen.
Abb. 2 Konservator Dr. H. Furrer vom Paläontologischen Museum der
Universität Zürich untersucht die fossilreiche Schicht in der Baugrube.
Abb. 1 Beim Ob Falken rissen Anfang 2003 die riesigen Bagger der
Firma Lötscher Tiefbau Plus mit dem Abbauhammer das fossilreiche
Gestein aus dem Felsgrund.
Lebensgemeinschaft einer Meeresbucht
Friedhof eines Jahrtausendsturms
–
Abb. 3 Präparator Beat Imhof (Geowissenschaftliches Atelier Gebr.
Imhof) und Stefan Erni (Schmid & Partner Planungs AG) bewundern das
Schillpflaster der tollen, noch unpräparierten Fossilienplatten.
Die Fossilienplatten beherbergen bis über 200 versteinerte Muscheln und Schnecken unterschiedlichster Grösse
pro Quadratmeter, wovon vor allem zahlreiche kleinere
der Präparation zum Opfer fielen (Abb. 3 und 5). Grosse,
berippte Kammmuscheln (Pecten helvetiensis, Abb. 5 und
6) – Verwandte der jedem Feinschmecker bekannten
Jakobsmuscheln - bilden sicher die schönsten und auffallendsten Fossilien. Lebend lagen sie einst auf dem Meeresboden und filterten friedlich Plankton aus dem Meer68
wasser. Von deren heute lebenden Verwandten wissen
wir, dass sie viele lichtempfindliche Augen besitzen und
sich durch Auf- und Zuschlagen der Muschelklappen
schwimmend vor Feinden in Sicherheit bringen können.
Auffällig sind auch die zahlreichen, grossen glattschaligen Klaffmuscheln (Panopea, Abb. 5 und 6), die im Sediment eingegraben mit ihren Siphonen (schlauchartige
Organe) ebenfalls Plankton heraussiebten.
Abb. 4 Präparator Rolf Strub vom Geowissenschaftlichen Atelier Gebrüder Imhof bei der konzentrierten Feinarbeit an der Ebikoner Fossilplatte
mit einem Pressluft-Präparationsstichel.
Abb.6 Detailansicht der grossen Fossilplatte der Gemeinde Ebikon mit
Nebst verschiedenen gerippten Herzmuschel-Arten
(Trachycardium, Cardium) finden sich etwa ein halbes
Dutzend weiterer Muschelarten. Neben den Muscheln
erkennen wir auch vereinzelte Turmschnecken (Turritella,
Abb. 6), die ebenfalls im Sediment eingegraben nach
Plankton fischten. Selten sind auch Gehäuse räuberischer
Nabelschnecken (Natica) vorhanden, die durch die Kalkschalen ihrer Opfer ein Loch bohrten, den Verdauungssaft
in das Opfer einspritzten, um das vorverdaute Tier anschliessend auszuschlürfen. Als seltenes Fossil konnte
auch ein Zahn eines Sandtigerhais (Odontaspis) herauspräpariert werden (Abb. 7). All diese versteinerten Meerestiere zeugen von einer längst vergangenen marinen
Lebensgemeinschaft, wie sie für untiefe, schlammig-sandige Meeresböden mit reichem Nahrungsangebot typisch
ist.
zwei herauspräparierten Turmschnecken (Turritella, Mitte oben und Mitte links), einer schönen Kammmuschel (Pecten, Mitte unten) sowie mehreren glattschaligen Klaffmuscheln (Panopea). sowohl die hellbraune
Kammmuschel als auch die Klaffmuscheln besitzen noch ursprüngliche
Farbpigmente.
Wie erklärt es sich aber, dass sich auf den Fossilienplatten von Ebikon so viele gut erhaltene Muscheln wie von
Geisterhand fein säuberlich ausgelegt präsentieren? Die
Paläontologen bezeichnen Schichten, in denen die
Muscheln mit der gewölbten Seite nach oben dicht
aneinander ordentlich ausgelegt sind, als Schillpflaster.
Beobachtungen in heutigen Meeren zeigen, dass solche
Schillpflaster durch die bodenberührenden Wellenbewegungen grosser Orkane entstehen. Auch die beeindruckenden Fossilienplatten von Ebikon verdanken ihre
Entstehung wohl einem Jahrtausendsturm, der vor rund
18 Millionen Jahren den Meeresgrund aufgewühlt und
die freigelegten Muscheln mit der gewölbten Schalenseite nach oben fein säuberlich wieder abgelagert hatte.
Danach wurde das Massengrab von dem aus der Wassertrübe ausfallenden Schlick zugedeckt. Entlang dieser
dünnen Schlickschicht – heute als toniger Siltstein vorliegend - spalteten denn auch die Gesteinsplatten beim
Rippern durch den Bagger auf und gaben die Fossillagerstätten zum Einblick frei. Im dunkelgrauen siltigen Feinsandstein unterhalb des Schillpflasters finden sich die
Muscheln oft noch in ihrer Lebensstellung.
Alter von 17.2 Millionen Jahren durch
Strontiumisotopen genau belegt
Abb.5
Ansicht der grossen, fertig präparierten Muschelplatte der
Gemeinde Ebikon. Gut sichtbar sind die grossen, berippten Kammmuscheln (Pecten) sowie glattschalige Klaffmuscheln (Panopea), Ausschnitt
Einzigartig ist nicht nur der Fossilreichtum der Schichten
von Ebikon, sondern ebenso die ausserordentlich gute
Erhaltung ihrer Schalen. Der Paläontologe spricht hier
von Schalenerhaltung. Das heisst, dank der günstigen
Fossilisationsbedingungen im sauerstoffarmen, schlickigen Sand am Meeresgrund sind die ursprünglichen
ca. 0.8m x 0.8m)
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Abb.7
Zahn eines Sandrigerhais (Odontaspis) auf der grossen Fossilplatte der Gemeinde Ebikon (Massstab in Millimetern).
Schalen in ihrer originalen Zusammensetzung erhalten
geblieben. Dabei haben sogar die empfindlichen Farbpigmente die Jahrmillionen teilweise überdauert. Eine solch
gute Erhaltung von Fossilien ist selten – meist liegen nur
noch Ausgüsse der längst zersetzten Schalen vor – wir
sprechen dabei von Steinkernen.
Jahrzehntelange Forschungen an Tiefseesedimenten aller
Ozeane haben gezeigt, dass das Verhältnis der beiden
Strontium-Isotope Sr86/Sr87 über Jahrmillionen hinweg
einer kontinuierlichen Änderung unterworfen ist. Diese
Veränderungen sind als sogenannte Eichkurven dokumentiert. 1988 hat Dr. H. Fischer der ETH Zürich erstmals
an Schalen von Kammmuscheln von Ebikon (Schachen-
Abb.8 Blick auf die Bauchseite einer versteinerten Krabbe (Brachyura,
cf. Dorippe) vom Schmiedhof (Ebikon). Deutlich sichtbar sind nebst den
Beinen (rechts) die kräftigen Scheren. Grösse des Panzers ca. 2.5 cm.
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weid) und vom Kantonsspital Luzern die Strontium-Isotopen exakt bestimmen können. Dies war nur möglich,
weil die Tiere zu Lebzeiten in ihren Kalkschalen auch das
Erdalkalimetall Strontium einbauen und die Schalen dank
der hervorragenden Erhaltung während der Fossilisation
kaum verändert wurden, so dass auch das einstige Strontium-Isotopen-Verhältnis des damaligen Meerwassers
exakt konserviert wurde. Ein Vergleich der Messungen an
den Schalen der Kammmuscheln von Ebikon (Schachenweid) mit den internationalen Eichkurven lässt auf ein
Alter von 17.2 Millionen Jahren schliessen. Dank der einzigartigen Schalenerhaltung konnte so das Alter der Oberen Meeresmolasse erstmals genauer ermittelt werden.
Der Fossilienreichtum von Ebikon
Der Fossilreichtum der Gesteine südlich des Rotsees faszinierte schon die Luzerner Naturforscher Niklaus Lang
(1670-1741) und Franz Joseph Kaufmann (1825-1892).
Letzterer sammelte aus den bekannten
Fundstellen Krummflue bei Luzern und
Tabakstampfe beim Maihof systematisch
Fossilien und bestimmte 84 verschiedene
Arten von Meeresbewohnern (Teile der
Sammlung Kaufmanns werden im Naturmuseum Luzern aufbewahrt). Des Fossilreichtums südlich des Rotsees wegen wurden
diese Schichten der Oberen Meeresmolasse
lange Zeit Rotseeschichten (sog. Helvetien)
genannt. Heute allerdings werden diese
Schichten nach ihrer Typlokalität als St.
Galler-Formation bezeichnet. Damit wird
gesagt, dass sich diese fossilreichen Ablagerungen der jüngeren Oberen Meeresmolasse von Bern (Belpberg) über Luzern und
Ebikon bis hin nach St. Gallen erstrecken.
Die fossilreichen Gesteine verlaufen im
Raum Luzern von der Fluhmühle über das
Kantonsspital und entlang der Luzernerstrasse durch Ebikon bis zum Längenbold
bei Root. Sie sind bekannt durch viele Fossilfundstellen wie Reussporttunnel, Kantonsspital, Kleiderfabrik Rotsee, Schachenweid, Schindler Ebikon oder jüngst die
Überbauung Schmiedhof an der Luzernerstrasse, wo auch
eine sensationelle versteinerte Krabbe (Abb. 8) geborgen
werden konnte.
Ebikon an der subtropischen Meeresküste
Die Lebensgemeinschaft der versteinerten Meerestiere
vom Obfalken bei Ebikon erzählt uns von einer von Palmen umsäumten Meeresbucht, die sich vor gut 17 Millionen Jahren zwischen den damaligen Deltas des Napf im
Westen und des Hörnli im Osten erstreckte (Abb. 9). Die
Flüsse dieser riesigen Deltas transportierten den Abtragungsschutt der sich damals zu einem Hochgebirge auftürmenden jungen Alpen ans Südufer der schmalen,
seichten Meeresstrasse – der Paratethys -, die zu dieser
Zeit dem Alpennordfuss entlang von Wien über das
schweizerische Mittelland und das Rhonetal bis zum
Urmittelmeer (Tethys) reichte (Abb. 10).
Die sandsteinreichen Ablagerungen dieser Meeresstrasse
bezeichnen wir als Obere Meeresmolasse. Diese Meeresablagerungen bauen den Hügelzug des Dietschibergs und
Roter Bergs auf, wo deren harte Strandsandsteine in den
Steinbrüchen von Emilio Stecher auch heute noch zu
Bau-, Steinhauer- und Renovationszwecken gebrochen
werden.
Die Fossilien von Ebikon sind also Zeugen des letzten
Meeresvorstosses in das schweizerische Mittelland. Dieser begann vor etwa 22 Millionen Jahren mit der Flutung
des Alpenvorlandes und endete vor knapp 17 Millionen
Jahren mit der raschen Hebungen des Untergrundes in
Folge der zügig voranschreitenden Alpenfaltung. Das Klima damals war ein feucht-subtropisches - vergleichbar
mit der heutigen Region Kwangtung in Südost-China
oder Virginia und Carolina im Südosten der U.S.A., wovon
auch andernorts geborgene versteinerte Zimtbaum- und
Palmblätter zeugen.
Abb. 9 Darstellung der paläogeographischen Situation der Schweiz vor
18 Millionen Jahren im Blockmodell (aus KELLER 1993). der Blick Richtung Süden zeigt im Hintergrund die jungen Alpen, im Vordergrund das
Gebiet des künftigen Jura. Davor ist die zwischen den beiden grossen
Deltas des Napf (rechts) und des Hörnli (links) gelegene Luzerner Meeresbucht am Südrand des schmalen Meeresarmes sichtbar, in der die
Lebensgemeinschaft vom Obfalken lebte.
Wertvolle Schätze offenbaren sich erst durch
eine professionelle Präparation
Die Ebikoner Funde sind wohl ebenso attraktiv wie diejenigen im Gletschergarten Museum ausgestellten Fossilienplatten vom Kantonsspital, über die der bekannte
Paläontologieprofessor Fritz Steininger aus Wien urteilte,
sie seien die schönsten Fossilienplatten aus der ganzen
Oberen Meeresmolasse des Alpennordrandes von Savoyen bis Wien.
Ihre volle Schönheit entfalteten die Fossilien aber erst
durch die zeitaufwändige, minuziöse Feinarbeit der professionellen Präparatoren des Geowissenschaftlichen
Ateliers Gebrüder Imhof (Trimbach b. Olten) in diesem
Frühjahr im alten Armeegebäude gegenüber dem
Reitzentrum. Mit kleinen Meisseln, scharfen Sticheln und
einem Miniatur-Presslufthammer legen sie die über Millionen von Jahren im dunklen Gestein eingeschlossenen
Überreste einstiger Meerestiere sorgfältig frei – immer
auf der Hut, dass ja keine Schale zerspringe und oftmals
unter den Augen gwundriger Spaziergänger und wissensdurstiger Schulklassen. Eine der Platten (Abb. 3, 5 und 6)
wird künftig beim neuen Gemeindehaus Ebikon zu
bestaunen sein, die andere inmitten der Wohnüberbauung Obfalken.
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Das Rontal vor 18 Millionen Jahren
Abb. 10 Karte des Mittelmeerraumes vor 18 Millionen Jahren mit den
Die Geologie von Luzern und Umgebung ist in der neuen Abteilung
Umrissen der heutigen Küstenlinien. Sichtbar ist das Urmittelmeer
«GeoWorld» im Gletschergarten Luzern anschaulich erklärt. Wie die
(Tethys), von dem aus sich ein schmaler Meeresarm (Paratethys) vom
Landschaft von Luzern zur Zeit der Ablagerung der Ebikoner-Fossilien
Rhonetal via das schweizerische Mittelland bis ins Wiener Becken
ausgesehen hat, zeigt ein grosses Wandgemälde (unten) «Luzern vor 20
erstreckte (aus KELLER 1989). Die Kontinente besassen damals noch
Millionen Jahren» und ein Molasse-Relief. Die packende Jahrmillionen-
eine andere Anordnung und wurden erst durch plattentektonische
Show versetzt den Besucher zurück in die Zeit der Meeresperiode.
Bewegungen in ihre heutige Position gerückt, in deren Folge der Alpen-
Ausserdem sind prächtige Fossilienplatten ausgestellt, die beim Kan-
bogen aufgefaltet wurde.
tonsspital Luzern entdeckt wurden.
Die Abbildungen 1-10 wurden uns freundlicherweise vom Autor zur Verfügung gestellt.
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