BMJ – Gutachten UWG Seite 1 von 105 Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage einer Europäisierung des Wettbewerbsrechts _____________________________________________________________ Arbeitsunterlage für die Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz zur Modernisierung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb und zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Harmonisierung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf europäischer Ebene (AG-UWG) erstellt im Auftrag der Bundesministerin der Justiz von Professor Dr. Karl-Heinz Fezer Konstanz, den 15. Juni 2001 BMJ – Gutachten UWG Seite 2 von 105 Inhaltsübersicht Seite Vorbemerkung ..................................................................................................... 6 A. Genesis eines Europäischen Lauterkeitsrechts ............................................ 7 I. Modernisierung des Lauterkeitsrechts der Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Europäisierung kompatibler Schutzstandards ...... 7 Gemeinschaftsrechtliche Rechtsharmonisierung im Lauterkeitsrecht und im Verbraucherschutzrecht ............................................................... 8 III. Europäisches Verbraucherleitbild ............................................................. 9 IV. Europäischer Verhältnismäßigkeitsgrundsatz......................................... 10 V. Europäisches Unionsrecht des Wettbewerbs und mitgliedstaatlicher Beurteilungsspielraum ............................................................................ 12 B. Generalklausel und Spezialtatbestände im Lauterkeitsrecht......................... 14 II. I. Die Generalklausel als Delegationsnorm jurisdiktiver Rechtsetzung ...... 14 II. Das Vordringen von Spezialtatbeständen zur Regelung von Kernbereichen des Lauterkeitsrechts ............................................................. 15 1. Beredte Generalklausel mit einem Beispielskatalog wettbewerbswidrigen Verhaltens .......................................................................... 15 2. Spezialtatbestände zur Normierung der Kernbereiche wettbewerblichen Unrechts............................................................................... 16 Generalklausel, Normzweckklausel und Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts..................................................................................... 18 1. Standortbestimmung des UWG........................................................ 18 2. Zur Dogmatik des Unrechts im Wettbewerbsrecht ........................... 19 3. Normzweckklausel............................................................................ 23 III. BMJ – Gutachten UWG Seite 3 von 105 C. Anwendungsbereich der Generalklausel des § 1 UWG ................................ I. 24 Beeinträchtigung eines lauteren und unverfälschten Wettbewerbs sowie der Belange der Verbraucher ....................................................... 24 Handeln im geschäftlichen Verkehr, Wettbewerbshandlung und Wettbewerbsverhältnis............................................................................ 27 Spürbarkeitsgrenze und Bagatellklausel................................................. 29 1. Stellungnahme der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ (1996).......................................................................... 29 2. Restriktionen des Anwendungsbereichs der Generalklausel des § 1 UWG in der höchstrichterlichen Rechtsprechung....................... 30 3. Wesentliche Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs............... 31 D. Aufhebung wettbewerblichen Ordnungsrechts.............................................. 31 II. III. I. II. Aufhebung des Rechts der Verkaufsveranstaltungen nach den §§ 7 und 8 UWG ............................................................................................. 32 1. Euroinkompatibilität und Inakzeptanz des Verkaufsveranstaltungsrechts nach § 7 UWG .............................................................. 32 2. Räumungsverkäufe nach § 8 UWG.................................................. 34 3. Aufhebung des Verkaufsveranstaltungsrechts in Folge der Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts................................. 35 Aufhebung der Verbote besonderer Werbe- und Vertriebsmethoden .... 36 1. Aufhebung der Verbote der Hersteller- und Großhändlerwerbung nach § 6a UWG und des Verbots des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG als abstrakter Gefährdungstatbestände ......................... 37 a) Gesetzgebungsgeschichte ............................................................... 37 b) Abstrakte Gefährdungstatbestände als unverhältnismäßige Werbe- und Vertriebsverbote im Lauterkeitsrecht...................... 38 2. Aufhebung des Verbots des Kaufscheinhandels in Folge der Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts............................. 39 BMJ – Gutachten UWG Seite 4 von 105 E. Normierung neuer Spezialtatbestände im Lauterkeitsrecht........................... I. II. 40 Leistungsschutz ...................................................................................... 40 1. Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel oder spezialgesetzliche Regelung des Leistungsschutzes im UWG ........ 40 2. Neuorientierung im wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz .......... 42 3. Regelungsbereiche des lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes... 44 a) Die sklavische Nachahmung und die unmittelbare Leistungsübernahme (sklavische und reproduktive Leistungsaneignung).......................................................................................... 44 b) Modeschutzrecht........................................................................ 45 c) Wettbewerbrechtlicher Neuheitenschutz kurzlebiger und langlebiger Produkte (Designschutz) .............................................. 46 4. Spezialtatbestand des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes . 46 5. Vorschlag einer Formulierung eines Spezialtatbestandes des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes...................................... 47 Verbundene Angebote im Leistungswettbewerb..................................... 47 1. Zur gesellschaftlichen Komplexität des modernen Leistungswettbewerb ....................................................................................... 47 2. Das Zugabewesen als Erscheinungsform der Wertreklame ............ 48 3. Die Verbindung mehrerer Angebote zu Koplungsgeschäften........... 49 a) Die zugaberechtliche Problematik des Scheinentgelts .............. 49 b) Offene und verdeckte Kopplungsangebote sowie Vorspannangebote .................................................................................... 50 c) Leistungsgerechte Angebotsverbindung .................................... 52 d) Kurskorrektur der höchstrichterlichen Rechtsprechung ............. 52 4. Preisintransparente, wettbewerbsbehindernde und marktstörende Kopplungsangebote.......................................................................... 56 5. Gesetzliche Regelung der verbundenen Angebote ......................... 58 a) Zugaberechtliche Ersatzregelung............................................... 58 b) Vorschlag einer gesetzlichen Regelung der verbundenen BMJ – Gutachten UWG Seite 5 von 105 Angebote.................................................................................... 58 c) Zugabeorientierte Gesetzesvorschläge...................................... 59 Kundenbindungssysteme........................................................................ 59 1. Kundenbindungsprogramme als systematische Preiswerbung und Wertwerbung .................................................................................... 60 2. Grundsatz der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von preisbezogenen und produktbezogenen Kundenbindungsprogrammen nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO........................... 60 3. Systemtransparenz und Diskriminierungsfreiheit von Kundenbindungsprogrammen....................................................................... 62 4. Gesetzliche Regelung von Kundenbindungsprogrammen ............... 64 a) Rabatt- und zugaberechtliche Ersatzregelung ........................... 64 b) Vorschlag einer gesetzlichen Regelung von Kundenbindungsprogrammen ................................................................ 64 c) Informationspflichten nach europäischem Richtlinienrecht ........ 65 d) Kartellrechtliche Regelung ......................................................... 66 Diskriminierende Werbung...................................................................... 68 1. Diskriminierende Werbung als eigenständige Fallgruppe ................ 68 2. Die Revision der Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung in der Benetton-Entscheidung des BVerfG................................................. 69 3. Arten der diskriminierenden Werbung .............................................. 71 Projektion lauterkeitsrechtlicher Fallkonstellationen ............................... 73 F. Einheitliches Wettbewerbsrecht online und offline ........................................ 73 Zusammenfassung .............................................................................................. 76 III. IV. V. BMJ – Gutachten UWG Seite 6 von 105 Vorbemerkung Die vorliegende Stellungnahme „Modernisierung des deutschen Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf der Grundlage einer Europäisierung des Wettbewerbsrechts“ wird als Arbeitsunterlage für die Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz zur Modernisierung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb und zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Harmonisierung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb auf europäischer Ebene (AG-UWG) im Auftrag der Bundesministerin der Justiz erstellt. Gegenstand der Arbeitsunterlage ist das materielle Lauterkeitsrecht, nicht das Sanktionenrecht und das Wettbewerbsverfahrensrecht. Es ist einleitend zu betonen, dass nach der Intention des Verfassers, die Regelung der Rechtsfolgen und Rechtsbehelfe im Lauterkeitsrecht gleichermaßen einer Modernisierung bedürfen. Das gilt namentlich dann, wenn man einer Verstärkung der Verbraucherrechte im Wettbewerbsrecht und einem originären Verbraucherschutz durch Lauterkeitsrecht das Wort redet. Folge ist eine Anerkennung des Wettbewerbsrechts als Schutzzweckgesetz der Verbraucher im Sinne des Schadensersatzrechts. Die Stellungnahme, die keine Gesamtrevision des Lauterkeitsrechts beabsichtigt, beschränkt sich auf bestimmte Regelungsbereiche des UWG. Die Stellungnahme orientiert sich gleichwohl an der Idee einer einheitlichen Konzeption des Lauterkeitsrechts als Grundlage einer europäischen Rechtsharmonisierung. Bestimmte Regelungsbereiche sollten im Vorgriff auf eine Europäisierung des Lauterkeitsrechts geändert werden, andere Regelungsbreiche sollten im Zusammenhang mit einer EG-Harmonisierungsrichtlinie in das europäische Richtlinienverfahren eingebracht werden. Die Vorgabe des umfänglichen und zeitlichen Rahmens zur Fertigung der Stellungnahme verbietet es, eine Detailanalyse der zu behandelnden Problembereiche unter einer darstellenden Auswertung der Rechtsprechung und des Schrifttums zum Wettbewerbsrecht vorzulegen. Die Schwerpunktbildung der Stellungnahme orientiert sich an dem Versuch einer einheitlichen Konzeption der Modernisierung des Lauterkeitsrechts. Dem Diskussionsstand der AG-UWG entsprechend, können umfas- BMJ – Gutachten UWG Seite 7 von 105 sende Rechtsprechungsberichte und rechtswissenschaftliche Detailanalysen im Verlauf der Beratungen der AG-UWG vorgelegt werden. A. Genesis eines Europäischen Lauterkeitsrechts I. Modernisierung des Lauterkeitsrechts der Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Europäisierung kompatibler Schutzstandards Die Modernisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist Teil einer europäischen Harmonisierung des Wettbewerbsrechts. Die wirtschaftliche Einheit des europäischen Binnenmarktes bedarf der rechtlichen Einheit der Wettbewerbsregeln. Der europäische Binnenmarkt als Wirtschaftsraum erfordert ein einheitliches Wettbewerbsrechtsterritorium als Rechtsraum. Die europäischen Wettbewerbsregeln sind zudem dem Liberalisierungszustand der WTO-Regeln kompatibel zu gestalten. Die Faktizität des europäischen Binnenmarktes ist in den weltwirtschaftlichen Prozess der Globalisierung eingebunden. Die Ausrichtung eines europäischen Wettbewerbsrechts an den Erfordernissen eines globalisierten Welthandelssystems betont das internationale Interesse an einer aktiven Entwicklung, Förderung und Erhaltung effektiver Strukturen im Weltwettbewerb. Elektronischer Welthandel im Internet, und zwar business to consumer sowie business to business, grenzüberschreitende Werbung eines Euro- und auch Globalmarketings und allgemein das Internetrecht verlangen eine Anpassung des europäischen Wettbewerbsrechts an die Bedürfnisse des Waren- und Dienstleistungsverkehrs auf globalen Märkten. Die gemeinschaftsrechtliche Normierung des Herkunftslandprinzips im europäischen Richtlinienrecht wie namentlich in der e-commerce-Richtlinie1 nährt die Befürchtung einer Zweispurigkeit oder gar einer Spaltung des Werberechts im Binnenmarkt in 1. Siehe dazu Staudinger/Fezer, Internationales Wirtschaftsrecht, 2000, Rn 325 ff. (zum Wettbewerbsrecht); zur Stellung des Herkunftslandprinzips im Kollisionsrecht siehe Fezer/Koos, Das gemeinschaftsrechtliche Herkunftslandprinzip und die ecommerce-Richtlinie - Zur dringenden Notwendigkeit einer Harmonisierung des Wettbewerbsrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union als einer gemeinschaftsrechtlichen Aufgabe, IPRax 2000, 349. BMJ – Gutachten UWG Seite 8 von 105 einen traditionellen Handel einerseits und einen elektronischen Handel andererseits. Eine Vereinheitlichung der europäischen Lauterkeitsregeln leistet auch einen Beitrag, ein Auseinanderdriften des Wettbewerbsrechts online und offline zu verhindern. BMJ – Gutachten UWG Seite 9 von 105 II. Gemeinschaftsrechtliche Rechtsharmonisierung im Lauterkeitsrecht und im Verbraucherschutzrecht Gemeinschaftsrechtliche Grundlage einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedstaaten ist die Rechtsharmonisierung durch Richtlinienrecht in der Europäischen Union namentlich auf den Gebieten des Werberechts und des Verbraucherschutzrechts. Gegenstände der Rechtsharmonisierung im Lauterkeitsrecht sind die Richtlinien zur irreführenden Werbung,2 zur vergleichenden Werbung3 und zum elektronischen Handel.4 Gegenstände der Rechtsharmonisierung im Verbraucherschutzrecht sind namentlich die Richtlinien zur Produkthaftung,5 zur Produktsicherheit,6 zu den Haustürgeschäften,7 zum Missbrauch von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Verbraucherverträgen,8 zu Pauschalreisen,9 zu Vertrag- 2 Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. L vom 19. September 1984, 250/17. 3 Richtlinie 97/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Oktober 1997 zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG über irreführende Werbung zwecks Einbeziehung der vergleichenden Werbung, ABl. L vom 23.Oktober 1997, 290/18. 4 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr), ABl. L vom 17. Juli 2000, 178/1. 5 Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. L vom 25. Juli 1985, 210/29. 6 Richtlinie 92/59/EWG des Rates vom 29. Juni 1992 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. L vom 11. August 1992, 228/24. 7 Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABl. L vom 31. Dezember 1985, 372/31. 8 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L vom 21. April 1993, 95/29. 9 Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen, ABl. L BMJ – Gutachten UWG Seite 10 von 105 sabschlüssen im Fernabsatz,10 zum Verbraucherkredit,11 zum Teilzeiteigentum12, zu elektronischen Signaturen13 und zum elektronischen Zahlungsverkehr.14 Die Unterscheidbarkeit der Tätigkeitsbereiche des europäischen Richtliniengebers in Werberecht und Verbraucherschutzrecht befördert den ersten Anschein, Verbraucherschutz sei außerhalb des Lauterkeitsrechts zu lokalisieren. Die Entwicklung des Lauterkeitsrechts zwischen Beginn und Ende des 20. Jahrhunderts, die Rechtsprechung des EuGH zur Verwirklichung des Binnenmarktzieles als eines Rechtsprinzips und zum Schutz der Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, der rechtsund wirtschaftswissenschaftliche Diskurs zur Integration des Verbraucherrechts in das Recht der Wirtschaftsordnung, die Rechtserheblichkeit der Konsumentensouveränität in einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung und die Stellung der Verbraucher als gleichgewichtiger Marktpartner sind schlaglichtartig formulierte Daten eines Paradigmenwechsels zum Schutz der Verbraucherinteressen im Wettbewerbsrecht. Verbraucherschutz ist ein eigenständiger Topos einer europäischen Rechtsharmonisierung im Wettbewerbsrecht. vom 23. Juni 1990, 158/59. 10 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. L vom 4. Juni 1997, 144/19. 11 Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABl. L vom 12. Februar 1987, 42/48. 12 Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilnutzungsrechten an Immobilien, ABl. L vom 29. Oktober 1994, 280/83. 13 Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. L vom 19. Januar 2000, 13/2. 14 Richtlinie 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über grenzüberschreitende Überweisungen, ABl. vom 14. Februar 1997, 43,/25. BMJ – Gutachten UWG Seite 11 von 105 Die ursprünglich individualrechtlich vollzogene Funktionsbestimmung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb diente dem Individualschutz der Mitbewerber. Die Maßgeblichkeit der Interessen der Mitbewerber beruhte auf dem als Verwirklichung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit verstandenen und somit auf der Inanspruchnahme von Individualrechten beruhenden Wettbewerbskonzept als einem selbstregulativen, autonom und herrschaftsfrei gedachten System, das als private Veranstaltung der Konkurrenten seine Funktionsbedingungen aus sich heraus reproduziert und dadurch das soziale Optimum garantiert. Dieser Interessenmonismus im Wettbewerbsrecht wurde schon bald durch den Einbezug der Interessen der Allgemeinheit modifiziert.15 Der sozialrechtliche Aspekt ebnete zum einen den Weg für eine am Schutz des Wettbewerbsbestands orientierte und damit institutionelle Erfassung der Wettbewerbswidrigkeit,16 wie sie auch durch den Einfluss der Wertungen des GWB auf das UWG im Sinne einer Wettbewerbsordnung als einer einheitlichen rechtlichen Gesamtordnung befördert wurde.17 Das ordnungspolitische Moment sollte den Schutz des Wettbewerbs vor Marktstörungen auch innerhalb des Lauterkeitsschutzes rechtfertigen. Zum anderen wird der Schutz der Verbraucherinteressen von den Allgemeininteressen unterschieden und zu einem eigenständigen und unmittelbaren Schutzzweck verselbständigt. Dadurch sollte der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass eine Wettbewerbshandlung sich nicht allein gegen die Mitbewerber richtet, sondern in gleichem Maße die Interessen der Abnehmer berührt, aus deren Kreis die privaten Verbraucher auf Grund ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit eine eigenständige Interessengruppe bilden.18 Die Trias der schutzwürdigen Interessen der Wettbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit bleiben innerhalb des deutschen Lauterkeitsrechts einem am wettbewerblichen Unrecht orientierten Theorieansatz verantwortet. Das originäre Verbraucherinteresse im Sinne eines Verbraucherschutzes durch Lauterkeitsrecht 15 E. Ulmer, Sinnzusammenhänge im modernen Wettbewerbsrecht, 1932, S. 9 ff. 16 L. Raiser, Marktbezogene Unlauterkeit, GRUR Int. 1973, 433. 17 Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, 1958, S. 40 ff., 103 ff. 18 Schricker, GRUR Int. 1970, 32, 38 f.; derselbe, RabelsZ, 1972, S. 315, 316. BMJ – Gutachten UWG Seite 12 von 105 wurde ansatzweise in das Wettbewerbsrecht integriert. Europäische Rechtsharmonisierung im Lauterkeitsrecht bietet die Chance einer Integration der originären Verbraucherinteressen in das Wettbewerbsrecht zur Stärkung des Verbraucherschutzes. III. Europäisches Verbraucherleitbild Grundlage der Rechtsprechung des EuGH19 zum Irreführungsschutz im Lauterkeitsrecht – und das gilt zwischenzeitlich auch im gesamten Kennzeichenrecht20 – ist das Modell des verständigen Verbrauchers.21 Das europäische Verbraucherleitbild orientiert sich an der Rolle des Verbrauchers in einer offenen Marktwirtschaft mit wirksamem Wettbewerb. Der normative Modelladressat eines Europäischen Lauterkeitsrechts ist der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher. Mit dem Modell des verständigen Marktbürgers als Normadressat eines Europäischen Lauterkeitsrechts harmoniert die auf einem Informa- 19 Siehe nur EuGH WRP 1994, 380 - Clinique; GRUR Int. 1995, 804 - Mars; WRP 2000, 289 - Lifting-Creme. 20 Siehe dazu Fezer, Markenrecht, 2. Aufl., 1999, § 14 MarkenG, Rn 123 ff.; Fezer, Erste Grundsätze des EuGH zur markenrechtlichen Verwechslungsgefahr - oder: „Wie weit springt die Raubkatze?“, NJW 1998, 713; Teplitzky, Verwechslungsgefahr und Warenähnlichkeit im neuen Markenrecht, GRUR 1996, 1, 5; Scherer, Normative Bestimmung von Verwechslungs- und Irreführungsgefahr im Markenrecht, GRUR 2000, 273; a. A. Kur, Die Verwechslungsgefahr im europäischen Markenrecht - Versuch einer Bestandsaufnahme, MarkenR 1999, 2, 5. 21 Siehe erstmals zu einem normativen Verbrauchermodell Fezer, Das wettbewerbsrechtliche Irreführungsverbot als ein normatives Modell des verständigen Verbrauchers im Europäischen Unionsrecht, WRP 1995, 671; siehe dazu etwa Doepner, Verbraucherleitbilder zur Auslegung des wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbots, WRP 1997, 999; Beater, Zum Verhältnis von europäischem und nationalem Wettbewerbsrecht - Überlegungen am Beispiel des Schutzes vor irreführender Werbung und des Verbraucherbegriffs, GRUR Int. 2000, 963; aus der Sicht des Wettbewerbsverfahrensrechts Bornkamm, Die Feststellung der Verkehrsauffassung im Wettbewerbsprozess, WRP 2000, 830; auf erheblichen Missverständnissen beruhend und ablehnend Schweizer, Die „normative Verkehrsauffassung“ - ein doppeltes Missverständnis - Konsequenzen für das Leitbild des „durchschnittlich informierten, verständigen und aufmerksamen Durchschnittverbrauchers“, GRUR 2000, 923. BMJ – Gutachten UWG Seite 13 von 105 tionsmodell basierende Theorie der Konsumentensouveränität. Die Steuerungsfunktion der Verbraucherentscheidung bleibt für den auf einem dezentralen Entscheidungssystem basierenden Marktausleseprozess das unabdingbare Ordnungselement einer am Marktwettbewerb orientierten Wirtschaftsordnung. Das macht zur Voraussetzung, der Verbraucherentscheidung des mündigen Marktbürgers den Stellenwert als eines eigenständigen Steuerungsfaktors neben Markt und Wettbewerb zuzuerkennen. Funktional beruht die Verbraucherentscheidung auf einer Vetoposition gegenüber dem Anbieterverhalten auf dem Markt und legitimiert so Marktwettbewerb gesellschaftlich über Teilhabe der Marktgegenseite. Diese Steuerungsfunktion der Verbraucherentscheidung im Wettbe- werbsprozess verlangt Maßnahmen zu einer Fundierung rationaler Verbraucherentscheidung durch Information. Eine Orientierung der lauterkeitsrechtlichen Schutzstandards an den berechtigten Erwartungen eines verständigen Verbrauchers verändert den Schutzinhalt des Lauterkeitsrechts gegenüber der im deutschen Lauterkeitsrecht angewandten Auslegungsdirektive des flüchtigen Verbrauchers, verbunden mit den empirischen Daten eines nicht unerheblichen Teils der relevanten Verbraucherkreise. Folge einer Anhebung des an Verkehrsquoten gemessenen empirischen Schutzniveaus ist zwar zum einen ein Funktionsverlust der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 1 UWG, und zwar nicht nur quantitativ hinsichtlich der prozentualen Irre- führungsschwelle, sondern auch qualitativ hinsichtlich solcher Fallgruppen wie der gefühlsbetonten Werbung oder des übertriebenen Anlockens. Folge ist zum anderen aber auch ein Regelungsbedarf an verbraucherrelevanten Fallkonstellationen im Interesse eines rechtssicheren Lauterkeitsrechts. IV. Europäischer Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Eurokompatible Vorgaben einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsharmonisierung des Lauterkeitsrechts bilden die Maßstäbe, die der EuGH in seiner Rechtsprechung zum Waren- und Dienstleistungsverkehrsrecht des EGV entwickelt hat. In seiner Rechtsprechung zum Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung im Interesse des Schutzes der Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs benennt der EuGH BMJ – Gutachten UWG Seite 14 von 105 lauterkeitsrechtsrechtliche Beurteilungskriterien zur Rechtfertigung von Handelsschranken im europäischen Binnenmarkt. Nach der Cassis-Doktrin22 ist das Verhältnis zwischen der Rechtfertigung einer Maßnahme gleicher Wirkung wegen zwingender Erfordernisse der Mitgliedstaaten nach Art. 28 EGV zu den Rechtfertigungsgründen des Art. 30 S. 1 EGV nicht eindeutig geklärt.23 Der EuGH entschied, dass Belange des Verbraucherschutzes und die Lauterkeit des Handelsverkehrs keine Rechtfertigungsgründe im Sinne des Art. 30 S. 1 EGV darstellten, diese aber als zwingende Erfordernisse innerhalb des Grundtatbestandes der Verbotsnorm nach Art. 28 EGV zu berücksichtigen seien. Das systematische Verhältnis der Art. 28 und 30 EGV sei hier dahingestellt. Entscheidend kommt es darauf an, dass der EuGH Maßstäbe zu den nationalen Lauterkeitsrechten – und zwar auf der Grundlage eines europäischen Verbraucherleitbildes – formuliert. Nicht anders als die Rechtsprechung des EuGH zum spezifischen Gegenstand der Immaterialgüterrechte auch nach der Rechtsvereinheitlichung des Markenschutzes den eurokompatiblen Schutzinhalt des Markenrechts bestimmt, kommt auch der Rechtsprechung des EuGH zum Lauterkeitsrecht und zum Verbraucherschutz als zwingenden Erfordernissen eine Maßgeblichkeit für eurokompatible Schutzstandards zu. Die Einschränkung der Dassonville-Formel24 durch die Keck-Restriktion25 des EuGH und die Unterscheidung zwischen Warenmodalitäten einerseits und Verkaufsmodalitäten andererseits benennt als Lauterkeitsmaßstab die 22 EuGH GRUR Int. 1979, 468 - Cassis de Dijon. 23 Die Rechtsprechung geht bekanntlich davon aus, dass es sich bei der Vorschrift des Art. 30 S. 1 EGV um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handele und deshalb der Katalog der geschützten Rechtsgüter nach Art. 30 S. 1 EGV abschließend normiert und nicht ergänzungsfähig sei; siehe dazu schon Fezer, Zur gemeinschaftsrechtlichen Integration nationaler Markenrechte, Festschrift, 25 Jahre Bundspatentgericht, 1986, 405, 414 ff. 24 EuGH GRUR Int. 1974, 467 - Dassonville. 25 EuGH GRUR Int. 1994, 56 - Keck und Mithouard. BMJ – Gutachten UWG Seite 15 von 105 Diskriminierungsfreiheit von Verkaufsmodalitäten. Die Rechtsprechung des EuGH, in deren Kontext die Entscheidungen Yves Rocher,26 Hünermund27 und GB-INNOBM28 gehören, ist hier nicht näher darzustellen. Als rechtserheblich festzuhalten ist der Prüfungsmaßstab, den der EuGH an das Vorliegen eines zwingenden Erfordernisses im Sinne des Art. 28 EGV anlegt. Lauterkeitsrecht und Verbraucherschutz werden an der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der nationalen Maßnahme gemessen, ergänzt durch die Prüfung, ob die Maßnahme das mildeste Mittel zur Erreichung der nationalen Zielsetzung (Übermaßverbot) darstellt. Vergleichbare Erwägungen stellte der EuGH an, als er in seiner umfänglichen Rechtsprechung den Rechtfertigungsgrund des gewerblichen und kommerziellen Eigentums nach Art. 30 S. 1 EGV konkretisierte.29 Die Rechtsprechung des EuGH bedeutet insgesamt nichts anderes als eine Spezifizierung der Rechtsgrundsätze der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit sowie des Übermaßverbots. Die weitere Frage zum Anwendungsbereich des Waren- und Dienstleistungsverkehrsrechts des EGV geht dahin, ob es nicht sachgerecht ist, das Verbot der Maßnahmen gleicher Wirkung auf solche Formen der Werbung und Methoden der Absatzförderung nicht anzuwenden, die sich auf den innergemeinschaftlichen Warenverkehr nur geringfügig auswirken.30 Der Sache nach handelt es sich bei der vom EuGH in der Entscheidung Keck und Mithouard-Entscheidung des EuGH erstmals vorgenommenen Abgrenzung zwischen reinen Regeln über Verkaufsmodalitäten und produktbezogenen Bestimmungen über Formen der Werbung und 26 EuGH GRUR 1993, 747 mit Anm. Bornkamm. 27 EuGH GRUR Int. 1994, 170 - Hünermund. 28 EuGH GRUR Int. 1990, 955 - GB-INNO-BM. 29 Siehe dazu schon Hefermehl/Fezer, Der Schutz der Marke im Gemeinsamen Markt in: Hefermehl/Ipsen/Schluep/Sieben, Nationaler Markenschutz und freier Warenverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, 1979, S. 1 ff. 30 Siehe dazu auch die Überlegungen von Reich, ZIP 1993, 1815; Jestaedt/Kästle, Kehrtwende oder Rückbesinnung der Anwendung von Art. 30 EGV: Das KeckUrteil, EWS 1994, 26, 28. BMJ – Gutachten UWG Seite 16 von 105 Methoden der Absatzförderung um nichts anderes als die Einführung eines Spürbarkeitstests im Anwendungsbereich des Verbots der Maßnahmen gleicher Wirkung nach Art. 28 EGV.31 Diskriminierungsfreie Verkaufsmodalitäten wie etwa die Vorschriften über den Ladenschluss beschränken per se den innergemeinschaftlichen Warenverkehr nicht spürbar. In diesem Sinne verbirgt sich hinter der Abgrenzung zwischen Verkaufs- und Produktmodalitäten eine der Sache nach angemessene Restriktion des Anwendungsbereichs des Verbots der Maßnahmen gleicher Wirkung durch die Keck und Mithouard-Entscheidung. Ein solches Verständnis der Rechtsentwicklung in der Rechtsprechung des EuGH entspricht auch eine Parallelwertung zwischen Warenverkehrsrecht und Wettbewerbsrecht32 zum Schutz eines unverfälschten und unbehinderten Leistungswettbewerbs in der EG. V. Europäisches Unionsrecht des Wettbewerbs und mitgliedstaatlicher Beurteilungsspielraum Rechtstheoretische Grundlage der Konzeption eines Europäischen Lauterkeitsrechts bildet das Binnenmarktziel als Rechtsprinzip und der Binnenmarkt als Rechtsbegriff.33 Gemeinschaftsrechtliche Folge der Einheit der Wettbewerbsordnung des Binnenmarktes ist eine diskriminierungsfreie Geltung der gemeinschaftsrechtlichen Rechtssätze im Binnenmarkt. Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbot sind der Binnenmarktrechtsordnung immanent. Die Genesis eines Europäischen Lauterkeitsrechts beruht auf konsensfähigen Prinzipien eines Rechtsrahmens für Wettbewerb und Werbung. Die Entwicklung darf nicht dahin gehen, das Wettbewerbsrecht auf einem Mindeststandard zu lokalisieren und den kleinsten gemeinsamen Nenner der nationalen Wettbewerbsordnungen in den Mitgliedstaaten zum Maßstab zu machen. Notwendig ist vielmehr, dass in der Europäischen Union gleichsam ein integrativer 31 Siehe dazu ausführlich Fezer, Europäisierung des Wettbewerbsrechts, JZ 1994, 317. 32 Siehe dazu erstmals VerLoren van Themaat, Zum Verhältnis zwischen Artikel 30 und Artikel 85 EWG-Vertrag, Festschrift für Günther, 1976, 373, 384 ff. 33 Siehe dazu nur Reich, Binnenmarkt als Rechtsbegriff, EuZW 1991, 203, 204 f.; Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, 1989, S. 36 f. BMJ – Gutachten UWG Seite 17 von 105 Diskurs über die nationalen Zielsetzungen in den Mitgliedstaaten stattfindet. Gleichsam im Wege der praktischen Konkordanz sind die Prinzipien eines freien Binnenmarktes mit den Prinzipien der Freiheit und Lauterkeit des Wettbewerbs sowie eines effektiven Verbraucherschutzes in Einklang zu bringen.34 Die die Rechtsprechung des EuGH regelnden Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit sowie des Übermaßverbots sind sachangemessene Leitlinien einer solchen gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgestaltung. Die Vereinheitlichung der Wettbewerbsregeln innerhalb der Europäischen Union wird mit dem Instrument des gemeinschaftsrechtlichen Richtlinienrechts erfolgen. Eine europäische Harmonisierungsrichtlinie zum Lauterkeitsrecht wird den nationalen Gesetzgebern in den Mitgliedstaaten einen eigenen nationalen Beurteilungsspielraum einräumen. Die Lauterkeitsmaßstäbe sind auch als Ausdruck landesweiter kultureller und sozialer Besonderheiten zu begreifen.35 Ein mitgliedstaatlicher Beurteilungsspielraum als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips bedarf aber der Begrenzung durch das Binnenmarktziel als Rechtsprinzip. Europäisches Lauterkeitsrecht darf nicht zum Nischenrecht nationaler Liebhaberei im Wettbewerb werden. Die Freiheit und Fairness im Handel und Wettbewerb sind allgemein gültige Prinzipien, auf deren konkrete Inhalte sich eine Binnenmarktordnung für freie Wirtschaftssubjekte einigen kann. In der Rechtsprechung des EuGH zur Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs sind Verbraucherinformation und Markttransparenz die wettbewerbsrelevanten Topoi. Der verständige Verbraucher als mündiger Bürger ist als Referenzmodell einer freien und fairen Wettbewerbsordnung angemessener als ein durch Lauterkeitsrechtssätze bevormundeter, um nicht zu sagen ein, weil als flüchtiger verstanden, weithin entmündigter Durchschnittsverbraucher. Ein Europäisches Lauterkeitsrecht als Teilmenge eines Europäischen Wettbewerbsrechts basiert auf binnenmarktrechtlichen Prinzipien einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung in der Europäischen Union. 34 Siehe dazu Joerges, Die Europäisierung des Privatrechts nalisierungsprozess und als Streit der Disziplinen, ZEuP 1995, 181. als Ratio- 35 Siehe dazu Steindorff, Unlauterer Wettbewerb im System des EG-Rechts, WRP 1993, 139, 150 f. BMJ – Gutachten UWG Seite 18 von 105 B. Generalklausel und Spezialtatbestände im Lauterkeitsrecht I. Die Generalklausel als Delegationsnorm jurisdiktiver Rechtsetzung Sowohl in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten als auch im Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union bilden Generalklauseln36 ein rechtstechnisches Instrument einer generalisierenden Normierung komplexer Lebensbereiche. Das gilt namentlich im Lauterkeitsrecht, das in Deutschland von der im Jahre 1909 eingeführten Generalklausel des § 1 UWG als der Fundamentalnorm des Wettbewerbsrechts nachhaltig geprägt wird. Generalklauseln kommt eine Brückenfunktion zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung zu, deren Verhältnis von dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Gewaltenteilung bestimmt wird. Generalklauseln sind zu flexiblen und zeitnahen Problemlösungen von Rechtskonflikten befähigt. Ihrer rechtlichen Struktur nach sind Generalklauseln als Delegationsnormen37 zu verstehen, die die Jurisdiktive als Institution zur Bildung von Rechtsätzen anhand einer einen einzelnen Rechtsfall entscheidenden Rechtsprechung ermächtigen. Die Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel bedeutet eine richterrechtliche Rationalisierung von Verhaltensstandards im Wettbewerbsrecht. Auch wenn die Rechtssicherheit im Sinne einer Vorhersehbarkeit richterlichen Urteilens zum einen und die Rechtsbeständigkeit im Sinne einer Abhängigkeit der richterrechtlichen Reaktion vom zu entscheidenden Sachverhalt zum anderen Kritik an der Methode der Rechtsfindung durch Generalklauseln formulieren, so besteht doch im Wettbewerbsrecht weithin Konsens über die Methode der richterlichen Rechtsgestaltung des Wettbewerbs38 als eines Erfolgsmodells. 36 Roth, Generalklauseln im Europäischen Privatrecht - Zur Rollenverteilung zwischen Gerichtshof und Mitgliedstaaten bei ihrer Konkretisierung, Festschrift für Drobnig, 1998, S. 135. 37 Grundlegend Teubner, Standards und Direktiven in Generalklauseln, 1971. 38 Siehe dazu nur Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, Einl UWG, Rn 71 f. BMJ – Gutachten UWG Seite 19 von 105 Im europäischen Privatrecht, in dem Generalklauseln weite Verbreitung gefunden haben und weithin auch als Ermächtigungsnormen an die europäische Gerichtsbarkeit verstanden werden, kommt der Konkretisierung gemeinschaftsrechtlicher Generalklauseln zudem die Aufgabe zu, anhand konsensfähiger und eurokompatibler Prinzipien schrittweise ein europäisches Privatrecht im Interesse einer Rechtsharmonisierung auszubilden (creeping harmonisation).39 Diesen Prozess der europäischen Rechtsharmonisierung durch die richterrechtliche Konkretisierung gemeinschaftsrechtlicher Generalklauseln entspricht in den Mitgliedstaaten die richtlinienkonforme und gemeinschaftsrechtkonforme Auslegung des nationalen Rechts. Die Generalklausel als ein rechtstechnisches Instrument der Rechtsgestaltung im Wettbewerbsrecht hat sich nicht nur als eine zentrale Vorschrift des deutschen Lauterkeitsrechts bewährt, sondern wird auch in einem europäischen Wettbewerbsrecht als Teil einer Rechtsharmonisierung konsensfähig sein. II. Das Vordringen von Spezialtatbeständen zur Regelung von Kernbereichen des Lauterkeitsrechts 1. Beredte Generalklausel mit einem Beispielskatalog wettbewerbswidrigen Verhaltens Sowohl im Interesse der Rechtssicherheit im Sinne der Vorhersehbarkeit richterlicher Rechtsfindung im Lauterkeitsrecht als auch im Interesse einer Garantie der parlamentarischen Prärogative im Sinne einer Konstituierung wettbewerbsrechtlicher Prinzipien und Wertungen wird immer wieder der Versuch unternommen, die Generalklausel anhand eines Beispielskatalogs von Fallkonstellationen wettbewerblichen Unrechts den tatsächlichen Entwicklungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Medien anzupassen.40 Ein Vorteil einer beredten Generalklausel ist es, dem Richter 39 Siehe dazu Ehricke, Die richtlinienkonforme und die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationalen Rechts, RabelsZ 59 (1995), S. 598. 40 Siehe zur Ergänzung der Generalklausel durch Regelbeispiele den Bericht der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ vom 17. Dezember 1996, S.10. BMJ – Gutachten UWG Seite 20 von 105 wettbewerbsrechtliche Wertmaßstäbe und Beurteilungskriterien als Auslegungsdirektiven bei der Konkretisierung der Generalklausel an die Hand zu geben. Ein Nachteil eines Beispielskatalogs ist es, dass die Normierung von exemplarischen Fallkonstellationen zeitbedingt ist und die Flexibilität der Generalklausel als Instrument der Rechtsfindung beschränkt wird. Es ist zudem ein bekanntes Phänomen des Richterrechts, dass es an einem dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren vergleichbar legitimierten und transparenten Verfahren einer Anpassung oder gar Aufhebung richterrechtlicher Rechtsätze im Wege der Jurisdikative ermangelt. Innerhalb einer europäischen Rechtsharmonisierung des Lauterkeitsrechts wird deshalb kaum konsensfähig und innerhalb einer Modernisierung des deutschen Lauterkeitsrechts kaum zu empfehlen sein, eine beredte Generalklausel mit einem Beispielskatalog wettbewerbswidrigen Verhaltens einzuführen. 2. Spezialtatbestände zur Normierung der Kernbereiche wettbewerblichen Unrechts Im deutschen Lauterkeitsrecht wie auch in anderen europäischen Staaten hat sich als Gesetzgebungstechnik ein duales System von Generalklausel und Spezialtatbeständen zur Erfassung der Vielfalt wettbewerbswidrigen Marktverhaltens weithin durchgesetzt. Die funktionale Ergänzung einer Allgemeinnorm durch Sondernormen gewährleistet vor allem dann Rechtssicherheit im Richterrecht im Lichte des Prinzips der Gewaltenteilung zum einen und eine zeitnahe und sachgerechte Anpassung des Wettbewerbsrechts an den Wandel der Angebots- und Nachfragestrukturen auf dem Markt zum anderen, wenn die Spezialtatbestände der Regelung von Kernbereichen des Wettbewerbsunrechts dienen. Im deutschen Lauterkeitsrecht ergänzen die wettbewerbsrechtliche Generalklausel die Spezialtatbestände der vergleichenden Werbung nach § 2 UWG und der irreführenden Werbung nach § 3 UWG. Einen eigenen Regelungsbereich bildet die Normengruppe der Anschwärzung nach § 14 UWG, der geschäftlichen Verleumdung nach § 15 UWG, des Geheimnisverrats nach § 17 UWG und der Vorlagenfreibeuterei nach § 18 UWG. Neben der Normierung solcher Kernbereiche wettbewerblichen Unrechts stehen Regelungsbereiche an den Randzonen einer Ordnung der Wettbewerbsverhältnisse. Anlass für deren gesetzliche Regelung war zumeist ein zeitgebundener Hand- BMJ – Gutachten UWG Seite 21 von 105 lungsbedarf des Gesetzgebers. Dazu rechnen zum einen die Gefährdungstatbestände der Hersteller- und Großhändlerwerbung nach § 6a UWG und des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG. Die Werbeverbote der mengenmäßigen Abgabebeschränkung und des Abgabeausschlusses an Wiederverkäufer nach § 6d UWG und der Werbung mit Preisgegenüberstellungen nach § 6e UWG wurden aufgehoben. Dazu rechnet zum anderen ein als wettbewerbliches Ordnungsrecht zu verstehender Regelungsbereich. Das sind einmal die wettbewerbsrechtlichen Nebengesetze des Rabattrechts und des Zugaberechts, deren Aufhebung im Laufe des Jahres 2001 vorgesehen ist. Das ist weiter das Recht der Verkaufsveranstaltungen, das die Sonderveranstaltungen, Jubiläumsverkäufe und Schlussverkäufe nach § 7 UWG und die Räumungsverkäufe nach § 8 UWG regelt. Symptomatisch belegt die Reglementierungsdichte solcher Ordnungsvorschriften der Umstand, dass es zur Regelung der Räumungsverkäufe in § 8 UWG mehr Wörter bedarf als zur Regelung des Kernbestands des Wettbewerbsrechts in den §§ 1 bis 3 UWG. Es ist einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts angemessen, die wettbewerbsrechtliche Generalklausel durch solche Spezialtatbestände zu ergänzen, die die Kernbereiche des wettbewerblichen Unrechts entsprechend der Gegenwart der Marktverhältnisse auf einem eurokompatiblen Schutzniveau beschreiben. Der Normierung von Spezialtatbeständen als einer Aufgabe des Gesetzgebers kommen gegenwärtig über den eigentlichen Rechtsetzungsakt hinsichtlich des wettbewerblichen Kernunrechts hinaus weitere Funktionen zu, die nicht immer hinreichend beachtet werden und namentlich im Zusammenhang mit der Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts von Bedeutung sind. Solcherart Regelungstechnik ist an der Einführung der Regelung der vergleichenden Werbung in das deutsche Lauterkeitsrecht in Umsetzung der europäischen Richtlinie über die vergleichende Werbung41 zu beobachten. Zum einen kann der Normierung eines Spezialtatbestandes, auch wenn er eine Verbotsnorm darstellt, eine die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Unternehmen erweiternde und sichernde Funktion zukommen. Die Regelung der vergleichenden Werbung erweiterte den unternehmerischen Handlungsspielraum im Wettbewerb gegenüber dem aus der Generalklausel abgeleiteten Verbot der ver- 41 Siehe Fn. 3. BMJ – Gutachten UWG Seite 22 von 105 gleichenden Werbung. Der Spezialtatbestand schneidet gleichsam einen Verbotsbereich aus der Generalklausel heraus und steckt zugleich die erweiterten Handlungsgrenzen ab. Der Gesetzgeber wird diese rechtssichernde Funktion der Normierung eines Spezialtatbestandes zu berücksichtigen haben, wenn es die Frage zu beantworten gilt, ob nach Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts ein Handlungsbedarf des Gesetzgebers zur Normierung bestimmter Fallkonstellationen besteht. Es wird zu beachten sein, dass es bei der Normierung von Spezialtatbeständen nicht darum geht, das der Aufhebung verfallene Recht im Wege von Ersatzregelungen aufzufangen, sondern darum, die Anwendung der Generalklausel und auch des geltenden Rechts im übrigen zu entlasten und rechtssicher zu gestalten, um auch die Gefahr zu bannen, den aufgehobenen Verboten entsprechende Rechtssätze aus dem geltenden Wettbewerbsrecht abzuleiten. Zum anderen kann der Normierung eines Spezialtatbestandes eine die Wettbewerbswidrigkeit konkretisierende Funktion zukommen, wenn auf Grund der Regelungstechnik des Spezialtatbestands eine Integration der als wettbewerbswidrig normierten Fallkonstellation in das wettbewerbliche Unrecht der Generalklausel stattfindet. Der Spezialtatbestand der vergleichenden Werbung nach § 2 UWG beschreibt nicht nur die einzelnen Tatbestandsmerkmale der vergleichenden Werbung, sondern integriert die Grenzen der vergleichenden Werbung als einen Verstoß gegen die guten Sitten in die Generalklausel des § 1 UWG. Als Teilmenge der Generalklausel konkretisiert der Spezialtatbestand das Wettbewerbsunrecht. Der Handlungsbedarf des Gesetzgebers zur Normierung von Spezialtatbeständen sollte deshalb nicht allein hinsichtlich einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts in Bezug auf die Realität der Marktverhältnisse und einer europäischen Rechtsharmonisierung, sondern auch hinsichtlich einer rechtssicheren Konkretisierung der Kernbereiche des wettbewerblichen Unrechts beurteilt werden. III. Generalklausel, Normzweckklausel und Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts 1. Standortbestimmung des UWG BMJ – Gutachten UWG Seite 23 von 105 Der Normzweck des Lauterkeitsrechts wird im wesentlichen der Generalklausel des § 1 UWG entnommen. Die nahezu einhundertjährige Geschichte der Generalklausel des deutschen Lauterkeitsrechts ist ein Lehrstück für die rechtstheoretische Innovationskraft der Rechtstechnik einer als Generalklausel formulierten Grundsatznorm eines Gesetzes auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts. Der Paradigmenwechsel, den das Lauterkeitsrecht als einen Funktionswandel vollzog, ist vielfach beschrieben worden. Das Vorhaben einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts bedarf einer Standortbestimmung des UWG, deren sich auch eine europäische Rechtsharmonisierung zu vergewissern hat. Ohne sich in einer Grundsatzdebatte zu verlieren, kommt man nicht umhin, den Normzweck und Anwendungsbereich des UWG zu bestimmen und damit die rechtlichen Wertungen des Lauterkeitsrechts als Maßstäbe sowohl für das Handeln des Gesetzgebers als auch für die richterrechtliche Konkretisierung der Generalklausel offenzulegen. Der geschichtliche Rekurs der folgenden Ausführungen dient einer zukunftsgerichteten Legitimierung eines modernen Lauterkeitsrechts. 2. Zur Dogmatik des Unrechts im Wettbewerbsrecht Seiner ursprünglichen Anlage nach war das Wettbewerbsrecht individualrechtlich konzipiert. Das Gesetz zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896, das der Vorläufer des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb vom 7. Juli 1909 war, verfolgte nach der Begründung zum Ersten Entwurf das begrenzte Ziel, gegen „gewisse Mittel, welche moralisch verwerflich, wenngleich vom Gesetz bisher nicht verboten sind“, Abhilfe zu schaffen, wenn die Mittel „zu dem Zwecke angewendet werden, um unberechtigte Vorteile gegenüber den Konkurrenten zu gewinnen“.42 In den Worten des RG bezweckte das Gesetz, „die besonders ausgeprägt zu Tage tretenden Auswüchse des missbräuchlichen Wettbewerbs abzuschneiden“.43 Das UWG 1896 normierte im wesentlichen das Verbot unwahrer Reklame und einiger anderer 42 Begründung zum ersten Entwurf des UWG vom 27. Mai 1986, Stenographische Berichte der Verhandlungen des Reichstags, 9. Legislaturperiode, IV. Session, 1895/97, Band 151, Berlin, 1896, Anlage Nr. 35, 1. Anlageband, S. 99 ff., 101. 43 RGZ 48, 114, 119. BMJ – Gutachten UWG Seite 24 von 105 Erscheinungsformen des unlauteren Wettbewerbs. Es diente allein dem Individualschutz der einzelnen Mitbewerber. Das spricht deutlich eine vielzitierte Wendung aus der Begründung aus.44 „Der Schutz des konsumierenden Publikums gegen Übervorteilung ist nicht der unmittelbare Zweck eines gegen den unlauteren Wettbewerb gerichteten Gesetzes, wenngleich Maßregeln, die in den gegenseitigen Beziehungen der Gewerbetreibenden Treu und Glauben zu befestigen bestimmt sind, mittelbar auch dem Interesse ihrer Abnehmer entgegenkommen werden.“ Die Bestimmungen des UWG von 1896 hinterließen zahlreiche Lücken im Schutzsystem gegen Schädigungen durch unlauteren Wettbewerb. Nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs sah sich das RG veranlasst, neben dem deliktsrechtlichen Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB auf dem Gebiet der Wettbewerbshandlungen ergänzend § 826 BGB anzuwenden. Nach Ansicht des RG diente § 826 BGB dazu, „eine Schutzwehr gegen illoyale Handlungen in umfassender Weise zu gewähren“.45 Schließlich ersetzte das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von 1909 die kleine Generalklausel des § 1 Abs. 1 S. 1 UWG 1896 durch die große Generalklausel des § 1 UWG. Das UWG 1909 behielt aber die Schutzrichtung eines ausschließlichen Konkurrentenschutzes bei.46 Das individualrechtliche Verständnis des Wirtschaftsdeliktsrechts erklärt sich aus der allgemeinen Zentralstellung, die zur Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert das subjektive Recht als eine Rechtsinstitution des Privatrechts in der Zivilrechtslehre einnimmt. Ziviles Unrecht wurde notwendig als die Verletzung eines subjektiven Rechts gedacht. Der rechtstheoretische Ausgangspunkt machte der Lehre zur Aufgabe, das Schutzobjekt im Wettbewerbsrecht aufzufinden. Denn erst der Eingriff eines Wettbewerbers in das rechtlich geschützte Rechtsgut eines Mitbewerbers konstituierte 44 Siehe Fn 42. 45 RGZ 48, 114, 119. 46 Repräsentativ Baumbach, Kommentar zum Wettbewerbsrecht, 1. Aufl. Berlin, 1929, S. 128: „Es ist ein grundlegender Irrtum, dass das deutsche Wettbewerbsrecht auch das Publikum schütze“. BMJ – Gutachten UWG Seite 25 von 105 das wettbewerbsrechtliche Unrecht. So waren Wettbewerbsrechtstheorien notwendigerweise Individualrechtstheorien. Es nimmt nicht wunder, dass der Meinungsstreit um das im Wettbewerbsrecht geschützte Rechtsgut die Kontroverse um das Wesen des subjektiven Privatrechts im ausgehenden 19. Jahrhundert widerspiegelt.47 Die Vielfalt der frühen wettbewerbsrechtlichen Theorien war in zwei Lager gespalten: in eine persönlichkeitsrechtliche und in eine unternehmensrechtliche Richtung.48 Die einen verstanden das Wettbewerbsrecht als Persönlichkeitsschutz, das den Schutz der Person im Bereich ihrer wirtschaftlichen Betätigung bezweckte, die anderen als Unternehmensschutz, das dem Schutz der in einem Unternehmen verkörperten, wirtschaftlichen Werte diente. In beiden Theorien ist Grundlage des wettbewerblichen Unrechts die Verletzung eines subjektiven Rechts. Ansatz der Vertreter einer persönlichkeitsrechtlichen Theorie, zu denen etwa Otto von Gierke, Josef Kohler, Adolf Lobe und Alfred Rosenthal rechneten, war die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines subjektiven Privatrechts. Anders entwickelte sich später die unternehmensrechtliche Theorie, zu deren Vertretern etwa Adolf Baumbach, Rudolf Callmann, Rudolf Isay und Hans Oppikofer zählten, in Fortbildung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anerkennung eines subjektiven Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB. Indem beide wettbewerbstheoretischen Richtungen das Wettbewerbsrecht auf subjektivrechtlicher Grundlage aufbauten - sei es, dass der das wettbewerbliche Unrecht begründende Erfolg der Wettbewerbshandlung in der Verletzung eine subjektiven Rechts an der eigenen Person, sei es am Unternehmen erblickt wird -, entsprachen sie den privatrechtstheoretischen Grundströmungen ihrer Zeit. Allein Ursprung und Verankerung im Naturrecht unterscheidet das subjektivrechtliche Rechtsdenken der persönlichkeitsrechtlichen von der unternehmensrechtlichen Lehre. Richtig bemerkt Wolfgang Hefermehl, es lasse sich, ausgehend von beiden Theorieansätzen, ein 47 Siehe dazu Fezer, Teilhabe und Verantwortung - Die personale Funktionsweise des subjektiven Privatrechts, München 1986, S. 205 ff., 215 ff. 48 Siehe die Darstellung des Meinungsstands bei BaumbachHefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, Einl UWG, Rn . 44 ff. BMJ – Gutachten UWG Seite 26 von 105 Wettbewerbsrecht konzipieren, zumal in der Zwischenzeit ein von jedermann zu achtendes, subjektives Privatrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zum Schutz des gesamten Ausstrahlungs- und Wirkungskreises der Person anerkannt sei, zumal aber auch dem Unternehmensschutz in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Verfassungsrang zukomme. Anfang der 30er Jahre verhalf vornehmlich Eugen Ulmer dem Gedanken zum Durchbruch, dass das Wettbewerbsrecht nicht allein dem Schutz der einzelnen Mitbewerber oder der Gesamtheit der Mitbewerber dient, sondern dass die Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs auch im Interesse der Allgemeinheit liegt.49 Es ist das Verdienst von Wolfgang Hefermehl, die rechtstheoretischen Folgerungen aus dem Wandel der Schutzrichtung des Wettbewerbsrechts gezogen zu haben.50 Er beobachtete an der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass bei der Anwendung des § 1 UWG in der Regel ein Eingriff in ein Individualrecht des Mitbewerbers nicht mehr festgestellt werde. Seine Lehre vom Interessenschutz im Wettbewerbsrecht geht dahin, das Kennzeichen des unlauteren Wettbewerbs liege nicht in der Verletzung eines subjektiven Rechts oder Rechtsguts, sondern in dem Verstoß gegen objektive Verhaltensnormen. Die Institution des Wettbewerbs als einer selbständigen Ordnungseinheit des sozialen Lebens sei das übergeordnete Schutzgut des gesamten Wettbewerbsrechts. Es widerspreche dem Wesen des Wettbewerbs, einem Wettbewerber ausschließliche Herrschaftspositionen zuzuweisen. So sei es bei der Verhinderung unlauteren Wettbewerbsverhaltens gleichgültig, ob die Persönlichkeit eines Mitbewerbers in seiner wirtschaftlichen Betätigung, das Unternehmen oder die Wettbewerbsstellung eines Mitbewerbers verletzt werden. Der Funktionwandel im Wettbewerbsrecht dehnte den Bereich des wettbewerblichen Unrechts aber nicht allein hinsichtlich eines an objektivrechtlichen Verhaltensnormen ausgerichteten Interessenschutzes aus. Er macht auch zur Aufgabe, solche neuen 49 E. Ulmer, Wandlungen und Aufgaben im Wettbewerbsrecht, GRUR 1937, 769, 772. 50 Dazu und zum folgenden Hefermehl, Der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts, in: Festschrift für Hans Carl Nipperdey zum 60. Geburtstag, München, Berlin 1955, S. 283 ff. BMJ – Gutachten UWG Seite 27 von 105 Erscheinungsformen unlauteren Wettbewerbs zu beschreiben, die subjektivrechtliche Rechtslagen berühren und auf einer Ausdehnung der Schutzsubjekte des Wettbewerbs wie namentlich der Verbraucher beruhen. Das wettbewerbliche Unrecht im Kontext der Rolle der Verbraucher als Marktpartner im Wettbewerbsprozess zu bestimmen, ist ein Versuch, die Entwicklung von einer individualrechtlichen zu einer sozialrechtlichen und institutionellen Funktionsausrichtung der wettbewerbsrechtlichen Normen zu einer pluralistischen Wettbewerbstheorie51 fortzuschreiben, die den Wettbewerb und damit das Marktverhalten anhand der Kategorien des Gegengewichts und der gesellschaftlichen Teilhabe nicht allein sittlichrechtlich und objektivrechtlich, sondern auch subjektivrechtlich legitimiert.52 Der Wandel in den Funktionen und Strukturen des Wettbewerbsrechts von einem rein individualrechtlichen zu einem sozialrechtlichen Wettbewerbsrecht führte zu der heute nahezu allgemein anerkannten Erkenntnis, dass das Wettbewerbsrecht die individuellen und sozialen Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher und der übrigen Marktbeteiligten sowie der Allgemeinheit schützt. Das Lauterkeitsrecht basiert gleichermaßen auf individualrechtlichen wie sozialrechtlichen Funktionselementen. Der Vorrang der Wertungskriterien wird anhand einer marktbezogenen Güter- und Interessenabwägung bestimmt. Folge der Einbeziehung der Interessen der Verbraucher und der Allgemeinheit ist eine Entwicklung des Wettbewerbsrechts von einem deliktischen Verhaltensrecht der Mitbewerber zu einem Marktverhaltensrecht aller Marktbeteiligten. Der sozialrechtliche Aspekt ebnete zum einen den Weg für eine am Schutz des Wettbewerbsbestands orientierte und damit institutionelle Erfassung der Wettbewerbswidrigkeit.53 Nach Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen wurde eine solche Tendenz durch den Einfluss der 51 Siehe dazu Fezer, Die Pluralität des Rechts, Prolegomena zu einer pluralistischen Privatrechtstheorie, JZ 1985, 762; Fezer, Verantwortete Marktwirtschaft, JZ 1990, 657. 52 Siehe zu diesem wettbewerbstheoretischen Ansatz Fezer, Teilhabe und Verantwortung - Die personale Funktionsweise des subjektiven Privatrechts, 1986, S. 524 ff., 539 ff. 53 Raiser, Marktbezogene Unlauterkeit, GRUR Int. 1973, 433 ; K. Simitis, Gute Sitten und ordre public, 1960, S. 51 ff. BMJ – Gutachten UWG Seite 28 von 105 Wertungen des GWB auf das UWG im Sinne einer Wettbewerbsordnung als einer einheitlichen rechtlichen Gesamtordnung befördert. Das ordnungspolitische Moment rechtfertigte den Schutz des Wettbewerbs vor schweren Marktstörungen nunmehr auch innerhalb des Lauterkeitsschutzes. Zum anderen wird der Schutz der Verbraucherinteressen von den Allgemeininteressen unterschieden und zu einem eigenständigen und unmittelbaren Schutzzweck verselbständigt. Topoi eines modernen Wettbewerbsrechts sind neben dem Mitbewerberschutz der Schutz des Leistungswettbewerbs, der Schutz der Verbraucherinteressen und der Schutz des Wettbewerbs in seinem Bestand. Den Anwendungsbereich eines modernen Lauterkeitsrechts bestimmt das Verhältnis zwischen wettbewerbsrechtlichem Verbraucherschutz und Schutz des Leistungswettbewerbs. Ausgehend von der sozialen Rolle des Verbrauchers in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, ist der Begriff des Leistungswettbewerbs nicht primär an den wirtschaftlichen Interessen der Anbieter auszurichten, sondern ist gleichrangig aus der Perspektive der Marktgegenseite zu bestimmen. Im Schutz des Leistungswettbewerbs liegt der Schutz der Leistungskontrolle der Marktgegenseite. Leistungswettbewerb ist Ausdruck der besseren Leistungsfähigkeit des Anbietenden auf dem Markt der zum Vergleich stehenden Leistungen. Leistungswettbewerb kann nur dann bestehen, wenn die Entscheidung der Marktgegenseite über die im Wettbewerb stehenden Angebote der Mitbewerber als ein Urteil der Verbraucher über die unternehmerische Leistung fallen kann. Denn der Nutzen für den Verbraucher legitimiert den Wettbewerb, der die beste Leistung auf dem Markt zur Geltung bringen soll. Verbraucherschutz und Schutz des Leistungswettbewerbs erscheinen so als zwei Seiten ein und derselben Medaille, wenn man den kollektiven Entscheidungsprozess der Marktgegenseite als Teilhabe und äquivalente Mitgestaltung am Sozialprozess Wettbewerb begreift. 3. Normzweckklausel Die Wettbewerbsgesetze der Mitgliedstaaten kennen keine den Anwendungsbereich des Gesetzes selbständig bestimmende Normzweckklausel. Im europäischen Gemeinschaftsrecht dient das Instrument der Präambel und im Recht der Mitgliedstaaten namentlich die Gesetzesbegründung der Vergewisserung über den Normzweck BMJ – Gutachten UWG Seite 29 von 105 des Lauterkeitsrechts, der im Wege der Auslegung der Spezialtatbestände und der Konkretisierung der Generalklausel bestimmt wird. Der im schweizerischen Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb aus dem Jahre 1986 dem UWG vorangestellte Zweckartikel, der wie ein Paukenschlag empfunden wurde und im internationalen Vergleich eine Singularität darstellt, wird gesetzgebungstechnisch für die europäische Rechtsharmonisierung kein Vorbild sein.54 Ein Europäisches Lauterkeitsrecht bedarf gleichwohl einer Präzisierung des Normzwecks und sollte die rechtlichen Topoi des Lauterkeitsrechts benennen. Eine Normzweckklausel ist gleichsam in eine erläuternde Generalklausel zu integrieren. 54 Art. 1 schweiz. UWG lautet: „Dieses Gesetz bezweckt, den lauteren und unverfälschten Wettbewerb im Interesse aller Beteiligten zu gewährleisten.“ BMJ – Gutachten UWG Seite 30 von 105 C. Anwendungsbereich der Generalklausel des § 1 UWG I. Beeinträchtigung eines lauteren und unverfälschten Wettbewerbs sowie der Belange der Verbraucher Das deutsche Lauterkeitsrecht umschreibt das wettbewerbliche Unrecht als einen Verstoß gegen die guten Sitten.55 Die guten Sitten als Maßstab der Wettbewerbswidrigkeit sind vielfacher Kritik unterzogen worden. Die Kritik gipfelt in dem Vorhalt, es handele sich um eine Leerformel. Den berechtigten Kern der Kritik veranschaulicht die Umschreibung der guten Sitten im Wettbewerb als das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Wettbewerber.56 Der Kritik ist zuzugeben, dass der in der Guten-Sitten-Norm enthaltene Verweis auf die Sozialmoral unzureichend ist. Eine solche Ausrichtung des Lauterkeitsrechts wird weder der Pluralität der Wertvorstellungen in einer offenen Gesellschaft noch den Funktionsbedingungen einer Wettbewerbsordnung gerecht. Teil einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts sollte es sein, das Referenzmodell der Wettbewerbswidrigkeit transparent zu machen. Ein normatives Leitbild des Lauterkeitsrechts sollte Auslegungsdirektiven zur Konkretisierung der Generalklausel vorgeben. Es mangelt nicht an Versuchen, den Begriff der guten Sitten durch andere Umschreibungen wie den Begriff des ordre public, die Formel von Treu und Glauben (good faith) oder ein Abstellen auf die anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel zu ersetzen. Jede Art einer solchen Umformulierung der sprachlichen Umschreibung des wettbewerblichen Unrechts vermag aber dann nicht zu überzeugen, wenn kein funktionales Referenzsystem angegeben wird, das anhand von Auslegungsdirektiven den Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts präzisiert. Wenn dieses Vorhaben als Teil einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts verstanden wird, dann ist an den Funktionswandel des Lauterkeitsrechts anzuknüpfen. Die 55 Siehe dazu im einzelnen Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, Einl UWG, Rn 66 ff. 56 So schon RGZ 48, 114, 124; 80, 219, 221; auch BGHZ 10, 228, 232; 17, 327, 332. BMJ – Gutachten UWG Seite 31 von 105 Konkretisierung der Generalklausel zentriert gegenwärtig um die Trias der Interessenkreise der Wettbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit. Der Wettbewerbsbezug der Güter- und Interessenabwägung fundiert den sittlichrechtlichen Gehalt der Wettbewerbswidrigkeit. Folge dieser Methode der Rechtsfindung ist die Bildung plausibler Fallgruppen des wettbewerblichen Unrechts. Verbreitet ist die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des Marktverhaltens anhand der gleichsam prototypisch verstandenen Fallkonstellationen des wettbewerblichen Unrechts des Kundenfangs, der Behinderung, der Ausbeutung, des Rechtsbruchs und der Marktstörung. Das Hefermehl’sche System der fünf Fallgruppen bildet als eine Typik der Phänomene wettbewerblichen Unrechts auch das Fundament eines national modernisierten und europäisch rechtsvereinheitlichten Lauterkeitsrechts. Eine solch rechtssichere Basis bilden allerdings nicht die Vielfalt der verzweigten Untergruppen und Fallvarianten, in die sich die Systematik ausdifferenziert hat. Das erscheint als der wesentliche Grund, den im Wettbewerbsrecht anhand der Konkretisierung der Generalklausel vollzogenen Funktionswandel gesetzgeberisch aufzugreifen, das Referenzsystem des Lauterkeitsrechts zu formulieren und die normativen Leitlinien als Auslegungsdirektiven zu benennen. Es sind namentlich drei materiellrechtliche Entwicklungen des Lauterkeitsrechts, die als Auslegungsdirektiven die Normativität des wettbewerblichen Unrechts bestimmen. Zum ersten vermag die Theorie des Leistungswettbewerbs in ihrer normativteleologischen Gestalt57 im Sinne der Zielsetzung des Wettbewerbsprozesses den Begriff des Wettbewerbs im Lauterkeitsrecht inhaltlich auszufüllen. Das gilt unabhängig von den wirtschaftswissenschaftlichen Wettbewerbstheorien sowie der Lehre von den Marktformen und zwar unbeschadet namentlich aus der Sicht neoklassischer und ordoliberaler Wettbewerbstheorien vorgetragener Kritik am theoretischen Modell des Leistungswettbewerbs.58 Unter Leistungswettbewerb ist der Wettbewerb 57 Siehe dazu grundlegend P. Ulmer, Der Begriff „Leistungswettbewerb“ und seine Bedeutung für die Anwendung von GWB und UWG-Tatbeständen, GRUR 1977, 565. 58 Siehe dazu Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kommentar, 3. Aufl., 2001, § 19 GWB, Rn 102 ff.; Markert, in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kom- BMJ – Gutachten UWG Seite 32 von 105 mit dem Preis und der Qualität der Ware oder Dienstleistung einschließlich der Nebenleistungen zu verstehen. Leistungswettbewerb dient dem Leistungsvergleich am Markt. Der Wettbewerber soll das Angebot der Waren oder Dienstleistungen am Markt unbehindert und unverfälscht zur Geltung bringen können. Der Verbraucher soll zwischen den verschiedenen Angeboten am Markt vergleichend entscheiden können. Nach Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts kommt etwa bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Kopplungsgeschäften und Kundenbindungssystemen sowie der Wertreklame dem Leitbild des Leistungswettbewerbs als Auslegungsdirektive Rechtserheblichkeit zu. Zum zweiten sollte der Verbraucherschutz als eine originäre Aufgabe des Lauterkeitsrechts verstanden werden. Die Verstärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbsrecht vollendet die Entwicklung von einem individualrechtlichen zu einem sozialrechtlichen Verständnis des wettbewerblichen Unrechts und harmoniert zudem mit einer allgemeinen Entwicklung im europäischen Privatrecht. Eine Verstärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbsrecht sollte sich in der Formulierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel niederschlagen. Mit einer solchen Verankerung des Verbraucherschutzes als eine der normativen Leitlinien des Lauterkeitsrechts im materiellen Wettbewerbsrecht sollte eine Verstärkung des Verbraucherschutzes im wettbewerblichen Sanktionenrecht einhergehen. Es ist ein Versäumnis des Verbraucherschutzrechts, dass sowohl ein individueller Schadensersatzanspruch der Verbraucher als auch ein kollektiver Schadensersatzanspruch in Gestalt der class action selbst nach intensiver Diskussion im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts keinen Eingang in das UWG gefunden hat. Die Anerkennung eines originären Verbraucherschutzes durch Lauterkeitsrecht transformiert das Wettbewerbsrecht zu einem Schutzzweckgesetz im Sinne des Schadensersatzrechts. Zum dritten sollte der ordnungsrechtliche Gehalt des Lauterkeitsrechts, wie er in der Anerkennung der Fallgruppe der Marktstörung anschaulich wird, im Wortlaut der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel zum Ausdruck kommen. Eine solche Einheit mentar, 3. Aufl., 2001, § 20 GWB, Rn 138 ff.; Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 5. Aufl., 1998, S. 44 f. BMJ – Gutachten UWG Seite 33 von 105 von UWG und GWB, die beide den Schutz eines wirksamen Wettbewerbs bezwecken, überwindet die künstliche Antinomie zwischen Freiheit und Lauterkeit des Wettbewerbs, die sich als wettbewerbsrechtliche Prinzipien gegenseitig bedingen. Der Vorschlag geht dahin, das Lauterkeitsrecht als eine integrative Einheit von Mitbewerberrecht, Verbraucherrecht und Marktordnungsrecht zu verstehen. Die Art und Weise der sprachlichen Umsetzung dieses Vorschlags innerhalb der Generalklausel kann auf verschiedenem Wege erfolgen. Auszugehen ist von einem Verzicht auf den Begriff der guten Sitten oder einer vergleichbaren, nicht wettbewerbsbezogenen Begriffsbildung. In dem Begriff der Lauterkeit des Wettbewerbs (concurrence déloyale, unfair competition) kommt der tradierte Kerngehalt des wettbewerblichen Unrechts und zwar rechtsvergleichend einheitlich in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Ausdruck. In dem Begriff des Leistungswettbewerbs wird die Zielsetzung des Wettbewerbsprozesses, im Interesse aller Marktbeteiligten den Leistungsvergleich am Markt zur Geltung zu bringen, ausgedrückt. In dem Begriff eines unverfälschten Wettbewerbs wird der Ordnungsgehalt des Lauterkeitsrechts ausgedrückt, den Wettbewerb als Institution in seinem Bestand zu schützen und bei der Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel von einer Parallelwertung zwischen Freiheitsschutz nach dem GWB und Lauterkeitsschutz nach dem UWG auszugehen. Eine Implementierung des Verbraucherschutzes als eines eigenständigen Schutzzwecks der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel kommt als Auslegungsdirektive bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung neuer Marktstrategien eine besondere Bedeutung zu. Mein Vorschlag geht dahin, in der Generalklausel des § 1 UWG nicht auf einen Verstoß gegen die guten Sitten, sondern auf eine Beeinträchtigung des lauteren und unverfälschten Leistungswettbewerbs sowie der Belange der Verbraucher abzustellen. II. Handeln im geschäftlichen Verkehr, Wettbewerbshandlung und Wettbewerbsverhältnis Eine Anwendungsschranke der Generalklausel des § 1 UWG stellt die Tatbestandsvoraussetzung eines Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs dar. Das Vor- BMJ – Gutachten UWG Seite 34 von 105 liegen einer Wettbewerbshandlung ist Anwendungsvoraussetzung auch in den Vorschriften der §§ 3, 6b, 14, 17, 18 und 20 UWG. Unter einer Wettbewerbshandlung wird ein Verhalten verstanden, durch das ein Wettbewerber auf den aktuellen oder potentiellen Kundenkreis Einfluss zu nehmen sucht.59 Der Förderung eigenen Wettbewerbs wird die Förderung des Wettbewerbs eines Dritten gleichgestellt. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr als solches stellt noch keine Wettbewerbshandlung dar. In ständiger Rechtsprechung seit Inkrafttreten der Generalklausel wird das Tatbestandsmerkmal eines Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs nicht nur im Sinne einer Wettbewerbshandlung verstanden, sondern das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses, das zwischen dem wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen und dem von der wettbewerbswidrigen Handlung betroffenen Unternehmen vorliegt, verlangt. Die Anwendungsschranke des Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs im Sinne eines Wettbewerbsverhältnisses führt zu einer unangemessenen Begrenzung des Anwendungsbereichs des Lauterkeitsrechts. Auch wenn sich diese Restriktionen in der Praxis der Rechtsprechung kaum auswirkten, da der Begriff des Wettbewerbsverhältnisses extensiv verstanden und faktisch gleichsam bedeutungslos wurde, wurde das Erfordernis eines Wettbewerbsverhältnisses im Schrifttum nachhaltig kritisiert und dessen Aufhebung verlangt.60 Es wurde zudem erkannt, dass ein konkretes oder spezielles Wettbewerbsverhältnis zwischen dem verletzenden Unternehmen und dem verletzten Unternehmen nur für die Zuerkennung der Aktivlegitimation und nicht auch für die materielle Qualifikation wettbewerblichen Unrechts rechtserheblich sein kann.61 Die Regelung der Aktivlegitimation und zwar auch die Aktivlegitimation des unmittelbar verletzten Unternehmens sollte nicht mit der Regelung des materiellen Wettbewerbsunrechts verbunden und einheitlich mit der Zuerkennung der Klagebefugnis im Wettbewerbsrecht in Zusammenhang mit dem Sanktionenrecht geregelt werden. 59 Siehe dazu nur Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, Einl UWG, Rn 214 ff. 60 Siehe dazu den Bericht der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ vom 17. Dezember 1996, S. 9. 61 Wegbereitend Hefermehl, Das Prokrustesbett „Wettbewerbsverhältnis“, in: Festschrift für Kummer, 1980, S. 345 ff. BMJ – Gutachten UWG Seite 35 von 105 Das den Anwendungsbereich des materiellen Wettbewerbsrechts begrenzende Erfordernis eines Wettbewerbsverhältnisses unter Konkurrenten ist mit dem Funktionswandel des Lauterkeitsrechts von einem Recht des Konkurrentenschutzes zu einem Recht, das nicht nur die Interessen der konkurrierenden Unternehmen, sondern auch die Interessen der Verbraucher sowie der Allgemeinheit schützt, nicht vereinbar. Dem mit der Erweiterung der Schutzfunktion des Lauterkeitsrechts verbundenen Verbraucherbezug und Marktbezug einer Wettbewerbshandlung widerspricht es, das Wettbewerbsunrecht anhand eines Konkurrentenbezugs materiellrechtlich zu bestimmen. Die Unangemessenheit des Erfordernisses eines Wettbewerbsverhältnisses wird umso deutlicher, wenn man den Verbraucherschutz als eine dem Konkurrentenschutz gleichwertige Aufgabe des Wettbewerbsrechts versteht. Auch wenn man erkennt, dass sich die Bedeutung eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses auf die Begründung der Aktivlegitimation des unmittelbar verletzten Mitbewerbers beschränkt und das materielle Wettbewerbsunrecht nicht nur anhand der innerhalb eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses berührten Interessen zu bestimmen ist, dann ist es gleichwohl sachgerecht, als Anwendungsvoraussetzung des Lauterkeitsrechts das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung zu verlangen. Gegenstand des UWG als eines Wettbewerbsgesetzes ist nicht allgemein das Handeln eines Unternehmens im geschäftlichen Verkehr. Der Maßstab des Lauterkeitsrechts ist nur an marktbezogenes Verhalten eines Unternehmens anzulegen. Der Marktbezug des Handelns eines Unternehmens im geschäftlichen Verkehr wird mit dem Begriff der Wettbewerbshandlung umschrieben. Eine Wettbewerbshandlung liegt vor, wenn das Verhalten des Unternehmens objektiv geeignet ist, die Marktverhältnisse zu beeinflussen. Die Marktverhältnisse werden von den Interessen der Konkurrenten, der Verbraucher und der Allgemeinheit bestimmt. An dem Erfordernis einer Wettbewerbshandlung als Anwendungsvoraussetzung des Lauterkeitsrechts ist deshalb festzuhalten, da es sich nur dann im materiellrechtlichen Sinne um ein Wettbewerbsgesetz handelt, das eine Parallelwertung zwischen UWG und GWB rechtfertigt und eine Abgrenzung zu den besonderen Verbraucherschutzgesetzen ermöglicht. BMJ – Gutachten UWG Seite 36 von 105 Auch wenn das Tatbestandsmerkmal des Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs im geltenden UWG als eine Wettbewerbshandlung im engeren Sinne verstanden werden kann, sollte innerhalb einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts auf das Tatbestandsmerkmal des Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs verzichtet werden. Das Erfordernis einer Wettbewerbshandlung wird schon dadurch zum Ausdruck gebracht, dass auf eine Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs abgestellt wird. Der Wettbewerbsbezug des Marktverhaltens eines Unternehmens kann auch dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass auf eine Beeinflussung der Wettbewerber und der Verbraucher abgestellt wird. III. Spürbarkeitsgrenze und Bagatellklausel 1. Stellungnahme der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ (1996) In der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“62 wurde der allgemeine Vorschlag, eine Spürbarkeitsgrenze bei Anwendung der Generalklausel des § 1 UWG einzuführen, kontrovers diskutiert. Gegen den Vorschlag, Wettbewerbsverstöße nur dann zu berücksichtigen, wenn sie den Wettbewerb wesentlich beeinträchtigten, wurde eingewandt, die Rechtsprechung nehme stets eine Gesamtwürdigung des Sachverhalts vor; es wurde befürchtet, eine Änderung des Wortlauts der Generalklausel werde Rechtsunsicherheit und Einbußen an Verbraucherschutz mitsichbringen. Die Diskussion in der Arbeitsgruppe zeichnete sich besonders dadurch aus, dass die Problematik der Einführung einer Spürbarkeitsgrenze in Zusammenhang mit der Rechtsprechung zu der Fallgruppe des Rechtsbruchs diskutiert wurde. Es bestand insoweit Einigkeit, dass nicht jeder Verstoß eines Wettbewerbers gegen eine Rechtsnorm als ein Wettbewerbsverstoß im Sinne des § 1 UWG beurteilt werden dürfe. Es wurde erwogen, bei Gesetzesverstößen gegen eine den Wettbewerb regelnde Norm auf die Spürbarkeit abzustellen. Dazu wurde die Frage aufgeworfen, für wen der Wettbewerbsverstoß spürbar sein müsse. 62 Siehe den Bericht der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ vom 17. Dezember 1996, S. 8 f. BMJ – Gutachten UWG Seite 37 von 105 2. Restriktionen des Anwendungsbereichs der Generalklausel des § 1 UWG in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Die Diskussion, den Anwendungsbereich des § 1 UWG dahin einzuschränken, dass auf eine spürbare Auswirkung der Wettbewerbshandlung auf dem Markt abzustellen ist, hat aus zwei Gründen an Aktualität verloren. Der BGH schränkte zum einen seine Rechtsprechung zur Annahme der Wettbewerbswidrigkeit eines Gesetzesverstoßes namentlich dahin ein, es seien die Auswirkungen des Gesetzesverstoßes auf den Wettbewerb zu berücksichtigen. Der Grundsatz, ein Verstoß gegen wettbewerbsbezogene Vorschriften sei per se unlauter, gilt nach diesem Wandel der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr uneingeschränkt.63 Der BGH berücksichtigt das Vorliegen einer allenfalls geringen Gefahr einer Beeinträchtigung der durch § 1 UWG geschützten Interessen auf Grund des Normverstoßes einerseits und ein Handeln in Wahrnehmung berechtigter Interessen andererseits. Bei solchen Fallkonstellationen eines Bagatellverstoßes sei eine Prüfung des Gesamtverhaltens des Wettbewerbers nach seinem konkreten Anlaß, Zweck und Mittel, seinen Begleitumständen und Auswirkungen geboten. Folge des europäischen Verbraucherleitbildes64 eines verständigen Verbrauchers ist es zum anderen, dass - namentlich bei Anwendung des Irreführungsverbots nach § 3 UWG - ein Abstellen auf die Erheblichkeit einer Irreführungsgefahr eine normative Korrektur hinsichtlich der Wesentlichkeit des Wettbewerbsverstoßes bedeutet. Das europäische Verbraucherleitbild kann als eine Ausprägung des europäischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes65 in einem eurokompatiblen66 Lauterkeitsrecht verstanden werden.67 63 Siehe dazu die Grundsatzentscheidung BGH WRP 1999, 643 - Hormonpräparate; siehe ferner BGH GRUR 2000, 237 - Giftnotruf-Box. 64 Siehe zum europäischen Verbraucherleitbild oben A III. 65 Siehe zum europäischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oben A IV. 66 In der Lifting-Creme-Entscheidung führt der EuGH den Verbraucherbegriff aus- BMJ – Gutachten UWG Seite 38 von 105 3. Wesentliche Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs Die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgenommene Restriktion der Fallgruppe des Rechtsbruchs als Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG sowie die Anwendung des europäischen Verbraucherleitbilds und des europäischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind Daten, die eine Änderung des Lauterkeitsrechts dahin, als Anwendungsvoraussetzung eine spürbare Auswirkung der Wettbewerbshandlung auf dem Markt einzuführen, zwar nach wie vor als sachgerecht, nicht aber in gleicher Weise mehr als aktuell erscheinen lassen. Ob innerhalb einer europäischen Rechtsharmonisierung des Lauterkeitsrechts eine ausdrückliche Regelung im Sinne einer Bagatellklausel erforderlich wird, oder ob auf die ausdrückliche Normierung einer Spürbarkeitsgrenze deshalb verzichtet werden kann, weil Konsens über die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in einem Europäischen Lauterkeitsrecht besteht, sei dahin gestellt. Gesetzestechnisch kann eine Spürbarkeitsgrenze dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass auf eine wesentliche (erhebliche oder unverhältnismäßige) Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs innerhalb der Generalklausel des § 1 UWG abgestellt wird. Eine solche Spürbarkeitsgrenze könnte auch als eine allgemeine Vorschrift für das gesamte Lauterkeitsrecht normiert werden. D. Aufhebung wettbewerblichen Ordnungsrechts Das Recht der Verkaufsveranstaltungen nach den §§ 7 und 8 UWG sowie die Gefährdungstatbestände der Hersteller- und Großhändlerwerbung nach § 6a UWG und drücklich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurück (EuGH WRP 2000, 289 Lifting-Creme). 67 Auch Hefermehl versteht die europäische Dimension des Verbraucherleitbildes dahin, es setze keine höhere Irreführungsquote voraus, die eine quantitative Einschränkung des Verbraucherschutzes bewirken würde, sondern verlange eine Prüfung der Notwendigkeit des Verbraucherschutzes unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit; siehe dazu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, Einl UWG, Rn 649. BMJ – Gutachten UWG Seite 39 von 105 des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG rechnen nicht zum Kern des Wettbewerbsunrechts im Lauterkeitsrecht. Sie werden deshalb als wettbewerbliches Ordnungsrecht bezeichnet. BMJ – Gutachten UWG Seite 40 von 105 I. Aufhebung des Rechts der Verkaufsveranstaltungen nach den §§ 7 und 8 UWG 1. Euroinkompatibilität und Inakzeptanz des Verkaufsveranstaltungsrechts nach § 7 UWG Das Recht der Verkaufsveranstaltungen (Sonderveranstaltungen, Jubiläums- verkäufe, Schlussverkäufe und Räumungsverkäufe) geht auf die Verordnung zum Schutz der Wirtschaft vom 9. März 193268 und das Gesetz vom 26. Februar 193569 zurück. Durch das Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. Juli 198670 wurde das Recht der Verkaufsveranstaltungen des Handels in den Vorschriften der §§ 7 und 8 UWG zusammengefasst. Das Ordnungswidrigkeitenrecht wurde aufgehoben und die Regelung auf die Verbotstatbestände mit den zivilrechtlichen Sanktionen des Anspruchs auf Unterlassung und Schadensersatz beschränkt. Sonderveranstaltungen nach § 7 UWG sind Verkaufsveranstaltungen im Sinne des § 7 Abs. 1 UWG, Winter- und Sommerschlussverkäufe im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 1 UWG und Jubiläumsverkäufe im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Die Ankündigung und Durchführung von Sonderveranstaltungen ist nach § 7 Abs. 1 UWG dann verboten, wenn es sich um Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel handelt, die außerhalb des regelmäßigen Geschäftsverkehrs stattfinden, der Beschleunigung des Warenabsatzes dienen und den Eindruck der Gewährung besonderer Kaufvorteile hervorrufen. Von den unzulässigen Sonderveranstaltungen sind die zulässigen Sonderangebote abzugrenzen, die den Begriff der Sonderveranstaltung einschränken. Das grundsätzliche Verbot der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel als unzulässige Sonderveranstaltungen stellt eine unangemessene Reglementierung der 68 RGBl. I, S. 121. 69 RGBl. I, S. 311; siehe dazu die Amtliche Begründung, DJ 1935, 424. 70 BGBl. I, S. 1169. BMJ – Gutachten UWG Seite 41 von 105 Verkaufsaktionen und Werbestrategien im Handel dar.71 Das Verbot der Sonderveranstaltungen, dessen Ursprung im Konkurrentenschutz liegt, ist im Interesse der Verbraucher nicht geboten, deren angemessenen Schutz die wettbewerbsrechtliche Generalklausel und die Spezialtatbestände des Lauterkeitsrechts gewährleisten. Die Begriffsmerkmale einer Verkaufsveranstaltung im Einzelhandel behindern die Entwicklung von den Wettbewerb fördernden Marketingstrategien. Sowohl das Stattfinden außerhalb des regelmäßigen Geschäftsverkehrs als auch der Zweck einer Beschleunigung des Warenabsatzes bergen die Gefahr, innovative Angebotsstrategien zu behindern, wenn die Einführung neuartiger Wettbewerbsmethoden daran zu messen ist, ob sie eine vernünftige und billigenswerte Fortentwicklung des bisher branchenüblichen Geschäftsverkehrs darstellen.72 Bei der Auslegung des geltenden Rechts wurde zudem schon zwischen den verschiedenen Betriebsformen und Vertriebsarten wie stehendes Gewerbe, Ladengeschäfte oder Versandhandel unterschieden. Das Verbot der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel wird zukünftig nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO geradezu anachronistisch wirken. Es wird zudem eine wesentliche Folge des Verbots der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel sein, dass der elektronische Handel gegenüber dem herkömmlichen Handel in der Gestaltung seines Verkaufsmarketings privilegiert wird und das Wettbewerbsrecht online und offline auf dem Gebiet der Sonderveranstaltungen auseinander driftet. Unabhängig von e-commerce und innovativem Marketing ist das Recht der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel auch deshalb als nicht mehr zeitgemäß zu beurteilen, weil sich die Abgrenzung zwischen unzulässiger Sonderveranstaltung und zulässigem Sonderangebot im Sinne des § 7 Abs. 2 UWG als rechtlich kaum praktikabel und wirtschaftlich kaum sinnvoll darstellen lässt. Das Verbot der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel in Abgrenzung zu den alltäglichen Sonderangeboten wird in der Werbe- und Verkaufspraxis im Handel weithin nicht 71 In der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ wurde die Berechtigung eines grundsätzlichen Verbots der Sonderveranstaltungen nach den §§ 7 und 8 UWG eingehend diskutiert, Änderungen der nicht mehr zeitgemäßen Regelungen vorgeschlagen, aber an dem grundsätzlichen Verbot von Sonderveranstaltungen festgehalten (Bericht S. 17 ff.). 72 Siehe dazu die Rechtsprechungsbeispiele bei Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 7 UWG, Rn 9. BMJ – Gutachten UWG Seite 42 von 105 anerkannt. In der forensischen Praxis sind die Abgrenzungen den Parteien kaum mehr vermittelbar. Die wirtschaftlichen Nachteile treffen weithin die Kleingewerbetreibenden, die sich zumeist den juristischen Rat im Abmahnwesen nicht zu leisten vermögen. Dem Verbraucher ist die Reglementierung von Sonderverkäufen und Sonderangeboten kaum plausibel zu machen. Die allgemeinen Gründe, die zur Unangemessenheit eines Verbots der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel in Abgrenzung zu Sonderangeboten vorgetragen wurden, gelten nicht anders für die Reglementierung des Sommer- und Winterschlussverkaufs als Schlussverkäufe nach § 7 Abs. 3 Nr. 1 UWG. Schon der Warenkatalog der schlussverkaufsfähigen Waren (Textilien, Bekleidungsgegenstände, Schuhwaren, Lederwaren und Sportartikel) wird weder den Angebotsinteressen des Handels noch den Nachfrageinteressen der Verbraucher gerecht. In einem modernen Lauterkeitsrecht mutet seltsam an, einen Borsalino, nicht aber einen Motorradhelm als schlussverkaufsfähige Ware anzuerkennen. Die Lebenswirklichkeit, die jeder sehenden Auges beobachten kann, veranschaulicht die vielfältigen Formen einer Umgehung der reglementierten Schlussverkäufe in Form vorgezogener Aktionen. Nichts anderes gilt für die Jubiläumsverkäufe nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Die Lebenswirklichkeit im Handel, die das Verbot der Sonderveranstaltungen Lügen straft und die Innovationen des elektronischen Handels sind zureichende Gründe, das Recht der Sonderveranstaltungen nach § 7 UWG aufzuheben. Innerhalb einer Rechtsharmonisierung ist das Recht der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel nicht eurokompatibel. 2. Räumungsverkäufe nach § 8 UWG Die Generalklausel des § 1 UWG sowie das Irreführungsverbot nach § 3 UWG sind geeignet, einen Missbrauch bei der Veranstaltung von Räumungsverkäufen zu verhindern. Die Gründe, die hinsichtlich einer Euroinkompatibilität und einer Inakzeptanz des Verkaufsveranstaltungsrechts vorgetragen wurden, gelten nicht minder für die Reglementierung der Räumungsverkäufe. BMJ – Gutachten UWG Seite 43 von 105 In der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“73 wurde zwar an einer Normierung des Räumungsverkaufsrechts festgehalten, allerdings für eine Verbesserung der Überwachungsmöglichkeiten der Industrie- und Handelskammern votiert. Wenn eine Aufhebung des Räumungsverkaufsrechts nicht beschlossen wird, dann ist zumindest eine grundlegende Reform und Liberalisierung des Räumungsverkaufsrechts erforderlich. 3. Aufhebung des Verkaufsveranstaltungsrechts in Folge der Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts Die Aufhebung der Reglementierung des Rabatt- und Zugabewesens bezweckt zum einen die Wirksamkeit des Wettbewerbs mit innovativen Verkaufsmethoden und Marketingstrategien zu beleben, zum anderen die Stellung der Verbraucher als Marktpartner zu stärken und schließlich ein unterschiedliches Schutzniveau des Lauterkeitsrechts online und offline zu verhindern. Nach der ersatzlosen Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts werden die tatsächlichen Entwicklungen in Angebot und Werbung aufzeigen, welche Kernbereiche des Lauterkeitsrechts einer eigenständigen Regelung zum Schutze des Leistungswettbewerbs bedürfen. Unabhängig von der Euroinkompatibilität und Inakzeptanz des Verkaufsveranstaltungsrechts konterkariert der Fortbestand des Verkaufsveranstaltungsrechts die Intention einer ersatzlosen Aufhebung des Rabattrechts und Zugaberechts, indem die Entwicklung innovativer Verkaufsmethoden und Werbestrategien den ohnehin einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts inadäquaten Schranken des Verkaufsveranstaltungsrechts unterworfen werden. Die Entwicklung innovativer Verkaufsmethoden und Werbestrategien – und zwar gerade im Sinne einer Wettbewerbskonformität im Interesse des Leistungswettbewerbs und des Verbraucherschutzes – wird nachhaltig behindert und in eine Richtung nach den Vorgaben des tradierten Verkaufsveranstaltungsrechts kanalisiert. 73 Siehe den Bericht der Arbeitsgruppe „Überprüfung des Wettbewerbsrechts“ vom 17. Dezember 1996, S. 20. BMJ – Gutachten UWG Seite 44 von 105 Nach der Aufhebung des Rabatt- und Zugabeverbots unterliegt die Ankündigung und Gewährung von Rabatten und Zugaben den wettbewerbsrechtlichen Grenzen einer Ankündigung oder Durchführung von Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel.74 Da sich das Sonderveranstaltungsverbot nur auf den Verkauf von Waren, nicht auch auf die Erbringung von Dienstleistungen bezieht, werden sonderveranstaltungsrechtlich begründete Unterschiede im lauterkeitsrechtlichen Schutzniveau des Marketings von Rabatt- und Zugabesystemen zwischen Warenhandel und Dienst- leistungsverkehr bestehen. In einer modernen Dienstleistungsgesellschaft ist die Abgrenzung zwischen Verkaufsveranstaltungen, Dienstleistungsveranstaltungen und Werbeveranstaltungen sachwidrig, zudem die Zuordnung von Mischveranstaltungen als kaum plausibel zu erklärendes Abgrenzungsproblem des Verkaufsveranstaltungsrechts in das moderne Lauterkeitsrecht übertragen wird.75 Es kommt hinzu, dass das Verkaufsveranstaltungsverbot grundsätzlich nur für den Einzelhandel, nicht auch für die Wirtschaftsstufen des Großhandels und der Herstellung gilt. Das Verkaufsveranstaltungsverbot wird aber dann auch auf die vorgelagerten Wirtschaftsstufen angewandt, wenn sich die Aktion des Herstellers oder Einzelhändlers nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar an den Verbraucher richtet und daher den Wettbewerb auf der Einzelhandelsstufe beeinflusst. Diese Verbotsabgrenzung auf den liberalisierten Rechtszustand zu übertragen, widerspricht der Organisation eines einheitlichen Marktauftritts von Markenartikeln sowie der Kooperation zwischen den Wirtschaftsstufen namentlich im Bereich von Vertriebssystemen. Als Beispiel seien nur Umtauschaktionen,76 die vom Hersteller organisiert und vom Einzelhandel durchgeführt werden, und Garantiesysteme,77 die den Gewährleistungsschutz des 74 Siehe dazu auch Berneke, Zum Lauterkeitsrecht nach einer Aufhebung von Zugabeverordnung und Rabattgesetz, WRP 2001, 615, 619 f. 75 So wurde die Werbeanzeige Die große Schau der Pelze als Ankündigung einer Verkaufsveranstaltung, nicht nur einer reinen Werbeveranstaltung beurteilt (BGH GRUR 1981, 284 – Pelzfestival; siehe zum Abgrenzungsproblem der gemischten Veranstaltungen Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 7 UWG, Rn 5b. 76 Siehe dazu nur BGH GRUR 1973, 416 – Porzellan-Umtausch. 77 Siehe zu einer zeitlich unbegrenzten Rückgabegarantie OLG Saarbrücken WRP 1999, 224 – Lands’ End. Die Werbung mit einem auf 14 Tage befristeten Rückga- BMJ – Gutachten UWG Seite 45 von 105 Verbrauchers erweitern, erwähnt, deren wettbewerbsrechtliche Beurteilung nicht durch Anwendung des Sonderveranstaltungsrechts verfälscht werden sollte. Die Tatbestandsmerkmale einer unzulässigen Verkaufsveranstaltung im Einzelhandel, die außerhalb des regelmäßigen Geschäftsverkehrs stattfindet und der Beschleunigung des Warenabsatzes dienen muss, in Abgrenzung zu den zulässigen Sonderangeboten sind auf die Branchenübung und die Berücksichtigung einer wirtschaftlich vernünftigen Fortentwicklung des Einzelhandels bezogen. Schon darin liegt eine hemmende Wirkung für die Entwicklung neuer Angebotsformen. Das systematische Anbieten und Gewähren von Rabatten und Zugaben ist sonderverkaufsveranstaltungsrechtlich bedenklich, da zwar eine auffallend günstige Preisbildung nicht die Annahme einer Sonderveranstaltung rechtfertigt,78 eine besondere Häufung von Sonderangeboten aber die Annahme einer Sonderveranstaltung zu rechtfertigen vermag.79 Auch die Zeitdimension einer Rabatt- oder Zugabeaktion kann deren Charakter als einer unzulässigen Sonderveranstaltung begründen. Zeitbezogene und saisonbezogene sowie auch warenbezogene Angebotsdifferenzierungen der Rabatte und Zugaben können als Veranstaltungen außerhalb des regelmäßigen Geschäftsverkehrs als unzulässige Sonderveranstaltungen zu beurteilen sein.80 II. Aufhebung der Verbote besonderer Werbe- und Vertriebsmethoden berecht beim Kauf von Fotoartikeln, Geräten der Unterhaltungselektronik und elektrischen Haushaltsgeräten stellt grundsätzlich kein Anbieten einer verbotenen Zugabe dar, BGH GRUR 2001, 358 - Rückgaberecht. 78 Siehe dazu BGH GRUR 1979, 55 – Tierbuch. 79 Siehe dazu BGH GRUR 1984, 590 – Sonderangebote auf 3000 qm. 80 Siehe zu Vorsaisonpreisen für Farbfilme BGH GRUR 1975, 144 - Vorsaison-Preis und zu Vorzugspreisen an Dienstagen BGH GRUR 1975 , 491 – Schräger Dienstag (unzulässig); siehe zu Sommerpreisen für Pelze BGH GRUR 1981, 284 – Pelz-Festival, auch BGH GRUR 1982, 56 – Sommerpreis und zu Winterpreisen für Motorräder BGH GRUR 1984, 664 – Winterpreis (zulässig); siehe dazu im einzelnen Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 7 UWG, Rn 24 ff. BMJ – Gutachten UWG Seite 46 von 105 Das Verbot der irreführenden Werbung nach § 3 UWG wird von den vier Spezialtatbeständen der §§ 6, 6a, 6b und 6c UWG ergänzt, nach denen bestimmte Werbeund Vertriebsmethoden verboten sind. Es handelt sich um das Verbot der öffentlichen Ankündigung des Verkaufs von Waren, die aus einer Insolvenzmasse stammen nach § 6 UWG, das Verbot der Werbung im geschäftlichen Verkehr mit dem letzten Verbraucher mit dem Hinweis auf die Hersteller- oder Großhändlereigenschaft in Zusammenhang mit dem Verkauf von Waren nach § 6a UWG, das Verbot des Kaufscheinhandels im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs mit dem letzten Verbraucher nach § 6b UWG und das Verbot der progressiven Kundenwerbung im geschäftlichen Verkehr nach § 6c UWG. Bei den Verboten handelt es sich um eine Vorverlagerung des Irreführungsschutzes der Verbraucher. Eingreifschwelle der Verbote ist die Annahme einer typischen Eignung der Werbe- und Vertriebsmethoden zu einer Irreführung der Verbraucher. Gegenstand des vorliegenden Arbeitspapiers ist nicht der Insolvenzwarenverkauf nach § 6 UWG, der in Absatz 2 den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit enthält, und nicht der Straftatbestand der progressiven Kundenwerbung nach § 6c UWG. 1. Aufhebung der Verbote der Hersteller- und Großhändlerwerbung nach § 6a UWG und des Verbots des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG als abstrakter Gefährdungstatbestände a) Gesetzgebungsgeschichte Die Novellierung des UWG durch das am 1. Juli 1969 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb81 sollte zum einen den Schutz der Verbraucher gegen Täuschungen im geschäftlichen Verkehr verbessern und zum anderen den Gefahren begegnen, die sich aus neuartigen Werbemethoden für den Verbraucher ergeben. Zentrale Bedeutung kam der Novellierung des § 3 UWG zu, der zu einem allgemeinen Verbot der Irreführung im geschäftlichen 81 BGBl. I, S. 633. BMJ – Gutachten UWG Seite 47 von 105 Verkehr, dem die bloße Gefahr einer Irreführung genügte, ausgestaltet wurde. Die UWG Novelle 1969 ergänzte das allgemeine Irreführungsverbot des § 3 UWG durch die beiden Sondertatbestände der §§ 6a und 6b UWG, die neu in das Gesetz eingefügt wurden. Die Vorschriften untersagen bestimmte Werbe- und Vertriebsmethoden, die nach dem Ergebnis der Gesetzesberatungen typischerweise in der Praxis des Wirtschaftslebens zur Täuschung des Verkehrs führen sollen. Rechtsdogmatisch handelt es sich bei beiden Vorschriften um abstrakte Gefährdungstatbestände. Bei Anwendung der Vorschriften macht die typisierte Irreführungsgefahr den Nachweis einer Eignung zur Irreführung im konkreten Fall entbehrlich. In § 6a UWG ist die Herstellerwerbung (Abs. 1) und die Großhändlerwerbung (Abs. 2) gegenüber dem letzten Verbraucher geregelt; § 6b UWG enthält ein grundsätzliches Verbot des Kaufscheinhandels. b) Abstrakte Gefährdungstatbestände als unverhältnismäßige Werbe- und Vertriebsverbote im Lauterkeitsrecht Die Normierung abstrakter Gefährdungstatbestände als lauterkeitsrechtsrechtliche Verbote besonderer Werbe- und Vertriebsmethoden ist seit der UWG-Novelle des Jahres 1969 umstritten.82 Von Anfang an konnte zudem die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit abstrakter Gefährdungstatbestände im Wettbewerbsrecht mit guten Gründen bezweifelt werden.83 Abstrakte Gefährdungstatbestände als Werbeverbote bilden allgemein im Lauterkeitsrecht einen Fremdkörper. Eine solche Vorverlagerung des Irreführungsschutzes der Verbraucher ist mit dem europäischen Verbraucherleitbild eines mündigen Marktbürgers kaum vereinbar. Der eine europäische Recht- 82 Kritisch und teilweise ablehnend Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 6 UWG, Rn 1, Emmerich, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs, 5. Aufl., 1998, S. 92; Fezer, Der Kaufscheinbegriff, 1989, S. 24 ff.; Gröner/Köhler, Der Selbstbedienungsgroßhandel zwischen Rechtszwang und Wettbewerb, 1986, S. 69 ff.; Kilian, Schutz der Verbraucher oder der Handelsstrukturen?, 1987, S. 11 ff.; Schricker/Lehmann, Der Selbstbedienungsgroßhandel, 1976, S. 94 ff.; Kirchner, Fehlentwicklungen im Recht des unlauteren Wettbewerbs, AG 1986, 205. 83 Siehe dazu nur Leisner, Der mündige Verbraucher in der Rechtsprechung des EuGH - Zur europarechtlichen Zulässigkeit abstrakter Gefährdungstatbestände (§§ 6a, 6b UWG), EuZW 1991, 498. BMJ – Gutachten UWG Seite 48 von 105 sharmonisierung des Lauterkeitsrechts bestimmende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerstreitet einer solchen Reglementierung der Werbung und des Vertriebs im scheinbaren Verbraucherinteresse. Das gilt gleichermaßen für das Verbot der Hersteller- und Großhändlerwerbung nach § 6a UWG als auch für das Verbot des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG. Das Verbot irreführender Werbung nach § 3 UWG gewährleistet einen effektiven Verbraucherschutz im Bereich der Hersteller- und Großhändlerwerbung. Die Hersteller- und Großhändlerwerbung als Verbraucherwerbung ist nicht nur dann irreführend, wenn dem Werbenden nicht die Funktion eines Herstellers oder Großhändlers zukommt, sondern auch dann, wenn die Werbung mit einem Hersteller- oder Großhandelspreis den Verbraucher über die Preisbemessung irreführt. Die Werbung mit dem Funktionshinweis als Hersteller oder Großhändler als abstrakt irreführend zu verbieten, entzieht dem Verbraucher zutreffende Informationen über die Vertriebswege in den Handelsstufen. Verbraucherschutz wird gleichsam vorgeschoben, um Strukturen in den Wirtschaftsstufen zu verfestigen und die Bildung neuer Angebotsformen und Vertriebsmethoden zu erschweren. Hinzu kommt, dass selbst eine objektiv wahre Werbeangabe nach § 3 UWG unzulässig ist, wenn sie zu einer Irreführung der Verbraucher geeignet ist. Eine Hersteller- und Großhändlerwerbung, die nicht zur Irreführung geeignet ist, mit der Behauptung zu verbieten, auch mit dem wahren Hinweis auf die Hersteller- oder Großhändlereigenschaft sei die Gefahr einer Irreführung des Verbrauchers typischerweise verbunden, bevormundet den Verbraucher im Interesse einer Stabilisierung tradierter Handelsstrukturen. Es sei nur erwähnt, dass die Benetton-Entscheidung des BVerfG,84 die zwar nicht allgemein die Werbung, sondern eine Fallkonstellation des meinungsbildenden Äußerungsrechts betrifft, dem Wettbewerbsrecht ein Deutungsmonopol mehrdeutiger Äußerungen abspricht.85 Sowohl die Rechtsprechung des BVerfG als auch der in der Rechtsprechung des EuGH zunehmend betonte Informationsanspruch des Verbrauchers sind Daten, die eine Überprüfung der Anwendung des 84 BVerfG GRUR 2001, 170 - Schockwerbung. 85 Siehe dazu Fezer, Imagewerbung mit gesellschaftskritischen Themen im Schutzbereich der Meinungs- und Pressefreiheit, NJW 2001, 580, 582. BMJ – Gutachten UWG Seite 49 von 105 Verbots irreführender Angaben nach § 3 UWG bei der Werbung mit wahren Tatsachen rechtfertigen, ohne dass dies im vorliegenden Zusammenhang einer näheren Darstellung bedarf. Die vorgetragenen Gründe, die gegen die Aufrechterhaltung eines abstrakten Verbots der Hersteller- und Großhändlerwerbung gegenüber dem Verbraucher sprechen, gelten gleichermaßen für das Verbot des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG. Die nachhaltige Veränderung der gegenwärtigen Absatzmethoden und Vertriebssysteme haben zu ökonomischen Strukturen des Distributionsprozesses geführt, die das Verbot des Kaufscheinhandels als eine isolierte Reglementierung innerhalb veränderter Marktverhältnisse erscheinen lassen. Hinzu kommt, dass eine Verkehrsgewöhnung der Verbraucher an Kundenkarten und Legitimationskarten eingetreten ist, die einen abstrakten Gefährdungstatbestand hinsichtlich der Ausgabe von Berechtigungsscheinen, Ausweisen oder sonstigen Bescheinigungen an Verbraucher nicht mehr rechtfertigen. 2. Aufhebung des Verbots des Kaufscheinhandels in Folge der Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts Vergleichbar dem Verbot der Sonderveranstaltungen im Einzelhandel,86 ist das Verbot des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG geeignet, die Einführung und Durchführung wettbewerbskonformer Rabatt- und Zugabemethoden dann zu behindern, wenn die Teilnahme an dem Marketingsystem mit einer Karte im Sinne eines Berechtigungsscheins, eines Ausweises oder einer sonstigen Bescheinigung im Sinne des § 6b UWG verbunden wird.87 Eine restriktive Auslegung des Verbots des Kaufscheinhandels beschränkt zwar den Anwendungsbereich des § 6b UWG88, der nur in wenigen Fallkonstellationen von mit einem Ausweis verbundenen Zugabe- und 86 Siehe dazu oben D I 2. 87 Siehe dazu Berneke, Zum Lauterkeitsrecht nach einer Aufhebung von Zugabeverordnung und Rabattgesetz, WRP 2001, 615, 620. 88 Siehe dazu BGH GRUR 1985, 292 – Code-Karte. BMJ – Gutachten UWG Seite 50 von 105 Rabattsystemen eingreifen wird. Die Anwendung eines funktionalen Kaufscheinbegriffs erlaubt zudem, zwischen verbotenen Kaufscheinen und erlaubten Legitimationskarten zu unterscheiden, die beim Bezug von Waren Verwendung finden. Beispiele solcher Legitimationskarten sind etwa Mitglieds- und Clubkarten,89 Tankkarten,90 Bank- und Geldautomatenkarten, Kreditkarten sowie Kunden- und Kontrollkarten.91 Trotz dieser Restriktion des Kaufscheinverbots nach § 6b UWG ist nicht von vornherein ausgeschlossen, die Verwendung von Kundenkarten zur Organisation eines Rabatt- und Zugabesystems unter den Begriff des verbotenen Kaufscheins zu subsumieren, wenn auf Grund einer abstrakten Beurteilung eine mit der Ausgabe von Kaufscheinen typischerweise verbundene Irreführungsgefahr anzunehmen ist. Das Kaufscheinverbot des § 6b UWG könnte so zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Behinderung der Einführung der verschiedenen Arten von Bonus- und Prämiensystemen als Kundenbindungssysteme führen. E. Normierung neuer Spezialtatbestände im Lauterkeitsrecht I. Leistungsschutz 1. Anwendung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel oder spezialgesetzliche Regelung des Leistungsschutzes im UWG Über die Notwendigkeit eines wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes in Ergänzung des besonderen Immaterialgüterrechtsschutzes scheint international weithin, wenn auch nicht allgemein Konsens zu bestehen. Die Wege, die eingeschlagen werden, um den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz zu normieren, sind unterschiedlich.92 89 Siehe dazu BGH GRUR, 1982, 613 – Buchgemeinschafts-Mitgliedsausweis. 90 Siehe dazu BGH GRUR 1985, 292 – Code-Karte. 91 Siehe dazu ausführlich Fezer, Der Kaufscheinbegriff, 1989, S. 86 ff., 91. 92 Siehe zu dieser Kontroverse Fezer, Markenschutz durch Wettbewerbsrecht - Anmerkungen zum Schutzumfang des subjektiven Markenrechts, GRUR 1986, 485 BMJ – Gutachten UWG Seite 51 von 105 In historischer Betrachtung entwickelte sich der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz als eine eigene Fallgruppe unter dem Dach der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des UWG. In neueren Wettbewerbsgesetzen, wie etwa in der Schweiz,93 in Italien94 und in Schweden95 erfährt der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz eine eigenständige gesetzliche Regelung. In Deutschland hatte es Anfang der neunziger Jahre bei den Beratungen zum Produktpirateriegesetz Bestrebungen gegeben, den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz in einer eigenen Vorschrift des UWG zu verankern.96 Aus rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Gründen lehnte es der Gesetzgeber damals ab, in das UWG einen Tatbestand der unerlaubten Verwertung fremder Leistung oder der sklavischen Nachahmung als gesetzliche Regelbeispiele wettbewerbswidrigen Verhaltens im Sinne der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel aufzunehmen. Die wettbewerbsrechtliche Generalk- ff.; englische Fassung: Trademark Protection under Unfair Competition Law, IIC 1988, S. 192 ff.; Fezer, Der wettbewerbsrechtliche Schutz der unternehmerischen Leistung, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland, Festschrift, Bd. II, 1991, S. 939, 952 ff.; Fezer, Leistungsschutz im Wettbewerbsrecht, WRP 1993, 138 ff. 93 Nach Art. 5 schweiz. UWG, der die Verwertung fremder Leistung regelt, handelt insbesondere unlauter, wer das marktreife Arbeitsergebnis eines anderen ohne angemessenen eigenen Aufwand durch technische Reproduktionsverfahren als solches übernimmt oder verwertet. 94 Nach Art. 2598 Codice Civile, der die Handlung unlauteren Wettbewerbs regelt, handelt unlauter im Wettbewerb, wer die Erzeugnisse eines Konkurrenten sklavisch nachahmt oder durch irgend ein anderes Mittel Handlungen vornimmt, die geeignet sind, eine Verwechslung mit den Erzeugnissen und der Tätigkeit eines Konkurrenten herbeizuführen. 95 Nach § 8 schwed. Marktgesetz darf ein Gewerbetreibender beim Vertrieb keine Nachahmungen verwenden, die dadurch, dass sie leicht mit den bekannten und eigenartigen Produkten eines anderen Gewerbetreibenden verwechselt werden können, irreführend sind. Dies gilt jedoch nicht für Nachahmungen, deren Gestaltungen im wesentlichen dazu dienen, das Produkt funktionell zu machen. 96 Die Diskussion drehte sich um die Normierung eines Tatbestands der unerlaubten Verwertung fremder Leistung oder der sklavischen Nachahmung als eines gesetzlichen Regelbeispiels wettbewerbswidrigen Verhaltens im Sinne des § 1 UWG (s. dazu die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Produktpiraterie, BT-Drucks. 11/4792 vom 15. Juni 1989, VI 6 S. 1, 19 f. BMJ – Gutachten UWG Seite 52 von 105 lausel habe sich bewährt und biete einen wirksamen Schutz gegen Produktpiraterie. Die Aufnahme von Regelbeispielen in die wettbewerbsrechtliche Generalklausel behindere die Entwicklung der Rechtsprechung im Hinblick auf neue Erscheinungsformen der Leistungsübernahme. In jüngerer Zeit plädierte auch Köhler für eine gesetzliche Regelung des ergänzenden Leistungsschutzes in Deutschland.97 Nach der von ihm vorgeschlagenen Regelung soll auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer zu Zwecken des Wettbewerbs oder aus Eigennutz das von einem anderen geschaffene Leistungsergebnis verwertet und dadurch dessen berechtigte Interessen verletzt, soweit sich aus den Gesetzen zum Schutze des geistigen Eigentums nichts anderes ergibt. Die beiden wesentlichen Tatbestandsmerkmale des Gesetzesvorschlages sind zum einen die Verwertung eines von einem anderen geschaffenen Leistungsergebnisses und zum anderen die Verletzung eines berechtigten Interesses. Es handelt sich bei dem Gesetzesvorschlag nicht um eine Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel dahin, dass ein Regelbeispiel sittenwidrigen Wettbewerbs geschaffen wird. Es wird vielmehr ein eigenständiger Tatbestand der unberechtigten Leistungsübernahme normiert. Der Vorschlag von Köhler entspricht der vorgeschlagenen Normstruktur nach den von mir als rechtliche Voraussetzungen analysierten Tatbestandsmerkmalen des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, auch wenn Köhler nicht auf diese rechtsdogmatische Analyse des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes rekuriert. Nach meiner Analyse der Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung soll es auf zwei Tatbestandsmerkmale ankommen: auf die Schutzwürdigkeit der Leistung (Schutztatbestand) und auf die Rechtfertigung der Leistungsaneignung (Rechtfertigungstatbestand).98 97 Köhler, Der ergänzende Leistungsschutz: Plädoyer für eine gesetzliche Regelung, WRP 1999, 1075 ff. 98 Siehe dazu Fezer, Der wettbewerbsrechtliche Schutz der unternehmerischen Leistung, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland, Festschrift, Bd. II, 1991, S. 939, 964; Fezer, Leistungsschutz im Wettbewerbsrecht, BMJ – Gutachten UWG Seite 53 von 105 Die neue Regelung im schweizerischen UWG geht einen anderen Weg.99 Nach Art. 5 UWG, der die Verwertung fremder Leistung behandelt, handelt insbesondere unlauter, wer ein ihm anvertrautes Arbeitsergebnis wie Offerten, Berechnungen oder Pläne unbefugt verwertet (lit.a), ein Arbeitsergebnis eines Dritten wie Offerten, Berechnungen oder Pläne verwertet, obwohl er wissen muss, dass es ihm unbefugterweise überlassen oder zugänglich gemacht worden ist (lit. b) oder das marktreife Arbeitsergebnis eines anderen ohne angemessenen eigenen Aufwand durch technische Reproduktionsverfahren als solches übernimmt und verwertet. Die Regelung des schweizerischen UWG unterscheidet sich im dogmatischen Ansatz von dem Gesetzesvorschlag von Köhler, da der materiellrechtliche Tatbestand der Verwertung fremder Leistung in das Unlauterkeitsurteil eingebunden wird. Die gemeinsamen Tatbestandsmerkmale der Anwendungsfälle des Art. 5 schweiz. UWG sind das Vorliegen eines Arbeitsergebnisses, die unlautere Übernahme und nachfolgende gewerbliche Verwertung und der Wettbewerbsvorteil für den Verletzer. Ich selbst plädiere für eine originäre Regelung des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes, die das Leistungsschutzrecht unabhängig von dem Vorliegen weiterer, den Vorwurf sittenwidrigen Wettbewerbsverhaltens begründender Umstände normiert. 2. Neuorientierung im wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz Im wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzrecht ist ein Paradigmenwechsel zu beobachten. Rechtstatsächliches Phänomen ist eine unverkennbare Ausdehnung des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes. Weltweit geht es um den wettbewerbsrechtlichen Schutz der Innovation vor Imitation. Die Notwendigkeit eines WRP 1993, 138 ff.; Fezer, Wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz, in: Baudenbacher/Simon, Neueste Entwicklungen im europäischen und internationalen Immaterialgüterrecht, 2000, S. 167 ff. 99 Siehe dazu Guyet, in: von Büren/David, Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 5. Band, 1. Teilband, Lauterkeitsrecht, 2. Aufl., 1998, S. 209 ff.; Baudenbacher, Lauterkeitsrecht, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 2001, S. 714 ff. BMJ – Gutachten UWG Seite 54 von 105 Schutzes vor Imitatoren, Schmarotzern oder Trittbrettfahrern, wie die Nachahmungswettbewerber apostrophiert werden, steht außer Streit. Kontrovers diskutiert wird der einzuschlagende Weg zur Verbesserung des Rechtsschutzes kreativer und innovativer Unternehmer am Markt. Die Frage geht dahin, ob das Wettbewerbsrecht das geeignete Instrument darstellt, oder ob nicht der Weg in die Sonderrechtsgesetze des gewerblichen Rechtsschutzes zu beschreiten ist. Fundament der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Ausbeutung ist der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit. Es wird von dem Rechtssatz ausgegangen, der nachahmende Wettbewerb sei grundsätzlich erlaubt, wenn nicht besondere Ausschlussrechte verletzt seien. Aus der gesetzlichen Anerkennung besonderer Ausschließlichkeitsrechte für technische und geistige Schöpfungen wird weithin gefolgert, dass die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen außerhalb der geschützten Sonderrechtsbereiche frei sei. Die sondergesetzlichen Immaterialgüterrechte präjudizierten die Anwendung des Wettbewerbsrechts. Notwendigerweise erfasse das Wettbewerbsrecht die Ausnutzung einer fremden Arbeitsleistung unter einem anderen Aspekt als das Sonderschutzrecht. Die besonderen Immaterialgüterrechte schützten die in einem Arbeitsergebnis zum Ausdruck kommende schöpferische Leistung als solche; insoweit regelten die gewerblichen Schutzrechte den Leistungsschutz abschließend. Das Wettbewerbsrecht habe mit dem Schutz der schöpferischen Leistung als solcher nichts zu tun. Der Leistungsschutz sei allenfalls ein Reflex des Wettbewerbsschutzes, wenn dieser einem Arbeitsergebnis zu Gute komme. Das Wettbewerbsrecht ergänzt den Leistungsschutz mit anderer Schutzrichtung. Daraus wird abgeleitet, die unternehmerische Leistung als solche sei nicht Gegenstand der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung. Der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz knüpfe vielmehr an die Art und Weise der Ausnutzungshandlung an. Die Wettbewerbswidrigkeit folge aus dem Einsatz verwerflicher Mittel. Im Wettbewerbsrecht gehe es nicht um den Schutz fremder Leistungen, sondern um die Abgrenzung zwischen lauteren und unlauteren Ausnutzungshandlungen. Folge dieses Theorieansatzes ist es, das bloße Nachahmen eines nicht unter Sonderrechtsschutz stehenden Arbeitsergebnisses könne nicht unlauter sein. BMJ – Gutachten UWG Seite 55 von 105 Die Regelungsbereiche, in denen die höchstrichterliche Rechtsprechung einen ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz anerkennt, zeigen aber, dass es sich der Sache nach längst um den Schutz der unternehmerischen Leistung als solcher im Wettbewerbsrecht handelt. Meine These geht dahin, der Schutz der unternehmerischen Leistung im Wettbewerbsrecht sei originär zu begründen und es handele sich um eine eigenständige Aufgabe des Lauterkeitsrechts. Der Anwendungsbereich der Sonderrechtsgesetze bestimmt sich nach deren jeweiligem immaterialgüterrechtlichen Normzweck und damit nach dem Schutzbereich der einzelnen gewerblichen Schutzrechte. Der wettbewerbsrechtliche Schutz der unternehmerischen Leistung dient einem anderen Schutzzweck. Schon insoweit normieren die Sonderrechtsgesetze den unternehmerischen Leistungsschutz nicht abschließend. Das Wettbewerbsrecht dient der Abwehr von Behinderungswettbewerb zum Schutz des Leistungswettbewerbs. Damit rückt die Schutzwürdigkeit einer unternehmerischen Leistung an sich in den Mittelpunkt der wettbewerbsrechtlichen Bewertung zur Abwehr von Behinderungen im Leistungswettbewerb. 3. Regelungsbereiche des lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutzes a) Die sklavische Nachahmung und die unmittelbare Leistungsübernahme (sklavische und reproduktive Leistungsaneignung) Im Zentrum des wettbewerbsrechtlichen Sachverhalts der Ausbeutung einer fremden Leistung stehen die beiden Fallgruppen der Nachahmung einer fremden Leistung, prägnant sklavische Nachahmung genannt, und der unmittelbaren Übernahme einer fremden Leistung. Wer technische Erzeugnisse sklavisch nachbaut oder nichttechnische Erzeugnisse sklavisch nachahmt, bildet die wesentlichen Teile eines Erzeugnisses maßstabsgetreu ab. Wer unmittelbar eine fremde Leistung übernimmt, eignet sich ein fremdes Leistungsergebnis durch ein technisches Reproduktionsverfahren unmittelbar an. Ich nenne diese beiden bedeutsamen Fallgruppen der Ausbeutung einer fremden Leistung die sklavische Leistungsaneignung zum einen, die reproduktive Leistungsaneignung zum anderen. BMJ – Gutachten UWG Seite 56 von 105 Nach allgemeiner Auffassung ist der sklavische Nachbau technischer Erzeugnisse sowie die sklavische Nachahmung nichttechnischer Erzeugnisse nur dann wettbewerbswidrig, wenn besondere wettbewerbsrechtlich erhebliche Umstände vorliegen, die die Sittenwidrigkeit der Wettbewerbshandlung begründen. Als Unlau- terkeitskriterien sind vor allem anerkannt die Begründung der Gefahr einer vermeidbaren, betrieblichen Herkunftstäuschung,100 aber auch bei Waren von wettbewerblicher Eigenart das Erschleichen der fremden Leistung sowie der Vertrauensbruch. Auch das systematische Nachahmen als eine Strategie des Behinderungswettbewerbs oder Täuschungshandlungen zur Erlangung etwa von Betriebsgeheimnissen können die Wettbewerbswidrigkeit der sklavischen Leistungsaneignung begründen. b) Modeschutzrecht Das innerhalb der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Modeschutzrecht veranschaulicht exemplarisch den Schutz der unternehmerischen Leistung vor Behinderungswettbewerb innerhalb des Lauterkeitsrechts. Der BGH gewährt der Mode wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz gegen eine identische oder eine nahezu identische Nachahmung. Als Voraussetzung des wettbewerbsrechtlichen Modeschutzes genügt es, wenn das Modeerzeugnis eine ästhetische Eigenart aufweist. Nach diesem Ausgangspunkt der 100 Siehe zur Beurteilung der Herkunftstäuschung im Sinne einer Annahme des Verkehrs, es handele sich bei dem nachgeahmten Produkt oder der nachgeahmten Kennzeichnung um eine Zweitmarke des Originalherstellers, oder im Sinne der Annahme, es bestünden geschäftliche oder organisatorische Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen (BGH GRUR 2001, 251 - Nachahmung einer Messerserie). Bei Produkten des täglichen Bedarfs, die sich in der äußeren Erscheinungsform und insbesondere in der Gestaltung ihrer Verpackung von einer Fülle ähnlicher Produkte nur wenig unterscheiden, geht der BGH im Rahmen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes bei der Beurteilung einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im allgemeinen davon aus, der Verkehr orientiere sich in erster Linie an der Produktbezeichnung und der Herstellerangabe und unterscheide die verschiedenen Erzeugnisse nicht ausschließlich nach der äußeren Gestaltung der Ware oder der Verpackung; nur im Falle einer identischen Übernahme aller wesentlichen Gestaltungsmerkmale könne eine Herkunftstäuschung trotz unterschiedlicher Produkt- oder Herstellerbezeichnungen nahe liegen; siehe zu einer Eiscreme in Haushaltspackungen BGH GRUR 2001, BMJ – Gutachten UWG Seite 57 von 105 höchstrichterlichen Rechtsprechung wird der wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz der Mode unabhängig vom Vorliegen einer objektiven Neuheit eines Modeerzeugnisses im Sinne des Geschmacksmusterrechts gewährt. Es ist allein das Vorliegen einer ästhetischen Eigenart der Modeschöpfung an sich, die den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz der Mode rechtfertigt. Es ist zu betonen, dass es wettbewerbsrechtlich unerheblich ist, ob weitere besondere Umstände vorliegen, die die Art und Weise der Nachahmung prägen und erst die Unlauterkeit der Wettbewerbshandlung zu begründen vermögen. Der Wettbewerbsschutz der Unternehmensleistung Mode besteht originär. Rechtserheblich ist allein die Schutzwürdigkeit der unternehmerischen Leistung des Wettbewerbers sowie das Fehlen einer Rechtfertigung der Leistungsübernahme durch den Mitbewerber. Im Kern begründet der BGH den wettbewerbsrechtlichen Schutz von Modeschöpfungen mit der folgenden Überlegung: Der wettbewerbliche Vorsprung, der grundsätzlich dem gebühre, auf dessen Initiative die Modeneuheit zurückgehe, werde diesem abgeschnitten. Er werde um die Früchte seiner Arbeit gebracht, wenn Mitbewerber ihm in der gleichen Saison mit identischen oder nahezu identischen Nachahmungen unter Einsparung der Entwurfskosten Konkurrenz machten. Mit dieser Begründung wird der wettbewerbsrechtliche Schutz von Modeschöpfungen als ein Tatbestand der Behinderung des Wettbewerbers bei der Vermarktung seiner unternehmerischen Leistung verstanden. In seiner Darstellung der Schutzvoraussetzungen eines Moderechts stellt der BGH im übrigen klar, dass die Wettbewerbswidrigkeit der Nachahmung einer Modeneuheit nicht aus der Herbeiführung einer vermeidbaren Herkunftstäuschung folge.101 443 - Viennetta. 101 Siehe die Grundsatzentscheidungen BGHZ 60, 168 - Modeneuheit; BGH GRUR 1984, 453 - Hemdblusenkleid; siehe die instanzgerichtliche Rechtsprechung zum Modeschutzrecht HansOLG Hamburg GRUR 1986, 83 - Übergangsbluse; LG Düsseldorf GRUR 1989, 122 - Sweat-Shirt; siehe dazu auch Weber, Mode- und Designschutzrecht, Dissertation Konstanz, 1992. BMJ – Gutachten UWG Seite 58 von 105 c) Wettbewerbrechtlicher Neuheitenschutz kurzlebiger und langlebiger Produkte (Designschutz) Der wettbewerbsrechtliche Neuheitenschutz sollte im Grundsatz nicht auf das Gebiet der Textilien beschränkt werden. Die Rechtssätze zum Saisonschutz der Mode sind auf den Neuheitenschutz anderer kurzlebiger Produkte zu übertragen.102 Sowohl in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wie im wettbewerbsrechtlichen Schrifttum ist noch weithin ungeklärt, inwieweit sich der wettbewerbliche Neuheitenschutz nicht nur auf kurzlebige, sondern auch auf langlebige Produkte übertragen lässt. Zu denken ist etwa Möbel, Porzellan und allgemein an Design.103 Ein zeitlich begrenzter Neuheitenschutz ist in keiner Branche prinzipiell ausgeschlossen.104 4. Spezialtatbestand des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes Bei der Normierung des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes als einer eigenen Aufgabe des Wettbewerbsrechts in einem eigenen Spezialtatbestand kommt es auf die Unterscheidung zwischen der Schutzwürdigkeit der Leistung (Schutztatbestand) und der Rechtfertigung der Leistungsaneignung (Rechtfertigungstatbestand) an. Die 102 Die instanzgerichtliche Rechtsprechung verhält sich gegenüber einem allgemeinen Neuheitenschutz nach Wettbewerbsrecht noch zögerlich und uneinheitlich; siehe dazu OLG Frankfurt GRUR 1982, 175 ff. – Rubik’s Cube; siehe ferner die Entscheidungen ÖOGH GRUR Int. 1982, 64 ff. – Zauberwürfel; schweiz BG GRUR Int. 1983, 754 f. – Rubik-Würfel; OLG Frankfurt GRUR 1983, 757 f. – Donkey King Junior I; GRUR 1984, 509 – Donkey King Junior II.; GRUR 1983, 753 ff. – Pengo. 103 Die instanzgerichtliche Rechtsprechung zögert noch, einen wettbewerbsrechtlichen Designschutz langlebiger Produkte anzuerkennen; siehe dazu etwa OLG Düsseldorf WRP 1978, 378 - Polstermöbel. 104 Zu verweisen ist auf den Wettbewerbsschutz von Verkaufs- und Werbeideen sowie auf den Leistungsschutz von Modeschmuck; siehe zur Ideenfreiheit als Schranke des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes Fezer, Der wettbewerbsrechtliche Schutz der unternehmerischen Leistung, in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht in Deutschland, Festschrift, Bd. II, 1991, S. 939, 950 f. Zu erwähnen ist auch die Entscheidung des BGH zum Rechtsschutz von Notenstichbildern, BGH GRUR 1986, 985 - Notenstichbilder. BMJ – Gutachten UWG Seite 59 von 105 rechtlichen Voraussetzungen der wettbewerbsrechtlichen Schutzwürdigkeit einer unternehmerischen Leistung sind in Abgrenzung zu den Normzwecken und Schutzbereichen der verschiedenen Immaterialgüterrechte zu entwickeln. Die Gründe einer sachlichen Rechtfertigung der Aneignung an einer fremden Leistung sind in Abgrenzung zum Schutz der Nachahmungsfreiheit auszubilden. Für die Entwicklung von rechtserheblichen Kriterien der wettbewerbsrechtlichen Schutzwürdigkeit von unternehmerischen Leistungen (schutzwürdige Innovationen), sowie für die Herausbildung von Gründen der sachlichen Rechtfertigung einer Inanspruchnahme fremder Leistungen (gerechtfertigte Imitationen), können die bislang gefundenen Unlauterkeitskriterien im Recht der Ausbeutung fremder Leistung herangezogen werden. 5. Vorschlag einer Formulierung eines Spezialtatbestandes des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes Wer eine schutzwürdige Leistung eines anderen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar übernimmt oder wesentlich nachahmt, handelt unlauter im Sinne des § 1 UWG. II. Verbundene Angebote im Leistungswettbewerb 1. Zur gesellschaftlichen Komplexität des modernen Leistungswettbewerbs Gegenstand des Leistungswettbewerbs ist das Produkt eines Unternehmens am Markt. Grundlage der Verbraucherentscheidung ist der Produktvergleich. In einem wirksamen Leistungswettbewerb entscheidet der Verbraucher nach dem Preis und der Qualität der Ware oder Dienstleistung sowie den mit dem Produkt verbundenen Nebenleistungen wie etwa Finanzierung, Service und Gewährleistung. In der Gegenwart ist eine Erweiterung des Leistungsinhalts eines unternehmerischen Produkts zu beobachten, die etwa mit den Stichworten Umweltverträglichkeit, Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit benannt werden kann. Die Produktleistung eines Unternehmens als Gegenstand der Verbraucher- BMJ – Gutachten UWG Seite 60 von 105 entscheidung gewinnt an gesellschaftlicher Komplexität. Innerhalb der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Leistungsangebots eines Unternehmens werden Verbraucherinformation und Markttransparenz zunehmend rechtserheblich. Die Variabilität der Leistungsmerkmale eines unternehmerischen Produkts beeinflussen die Gestaltung von Produktverbindungen als Angebote differierender Leistungskataloge an den Verbraucher. 2. Das Zugabewesen als Erscheinungsform der Wertreklame Die Zugabe wird als eine besondere Form der Wertreklame105 im Gegensatz zur Wort- und Bildreklame verstanden. Zwar weiß ein jedes Kind, ein Kaufmann habe nichts zu verschenken, doch erhält ein kleines Geschenk dem Kaufmann den Kunden. Die Zugabe ist die unentgeltliche Zuwendung zum Produkt. Im Rechtssinne der ZugabeVO ist unter einer Zugabe eine Ware oder Leistung zu verstehen, die neben einer Hauptware oder Hauptleistung ohne besonderes Entgelt angeboten, angekündigt oder gewährt wird, um den Absatz der Hauptware oder der Hauptleistung zu fördern.106 Die ZugabeVO verbietet einen Ausschnitt aus der Wertreklame. Die Wertwerbung als solche ist wettbewerbsrechtlich zulässig. Der Wettbewerber darf dem Verbraucher von seinem Produktangebot unabhängige Vorteile zukommen lassen. Das sind vor allem Werbegeschenke und Gratisverlosungen, Preisausschreiben und Gewinnspiele, Freifahrten und vieles mehr. Das herkömmliche Verständnis der Wertwerbung wird von dem zugaberechtlichen Verdikt über die akzessorische Zuwendung unentgeltlicher Leistungen bestimmt. Wertreklame wird zwar als solche nicht als wettbewerbswidrig beurteilt. An die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Wertwerbung wird aber ein strengerer Beurteilungsmaßstab angelegt als an die Wort- und Bildwerbung, da die Wertreklame nicht dem Leitbild des Leistungswettbewerbs entspreche.107 105 Siehe dazu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 85 ff. 106 BGHZ 11, 274, 278 – Orbis-Reisemarken; 34, 264, 267 – Einpfennig-Süßwaren. 107 BGH GRUR 1974, 345 – Geballtes Bunt); WRP 1976, 172 – Versandhandelspreisausschreiben; siehe zum österreichischen Recht ÖOGH Öbl. 1995, 211 – BMJ – Gutachten UWG Seite 61 von 105 Die Unentgeltlichkeit der akzessorischen Zuwendung ist das allgemeine Merkmal der Zugabe und der Wertwerbung. Die Aufhebung der ZugabeVO stellt deshalb zunächst nur eine Veränderung der Rechtslage in Bezug auf die Zulässigkeit der unentgeltlichen Zuwendung akzessorischer Waren und Dienstleistungen dar. Da der solcherart unentgeltlichen und akzessorischen Zuwendung ein einzelnes Angebot einer Ware oder Dienstleistung zu Grunde liegt, wirkt sich die Aufhebung der ZugabeVO zwar nicht unmittelbar auf die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Verbindung von mehreren Angeboten zu sogenannten Kopplungsgeschäften aus. Es ist aber eine andere Frage, ob die Aufhebung der ZugabeVO nicht allgemein einen Wandel der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Wertwerbung verlangt, da nunmehr die unentgeltliche und akzessorische Zuwendung einer Ware oder Dienstleistung als grundsätzlich wettbewerbskonform zu verstehen ist. Ein solcher Beurteilungswandel harmoniert mit einem erweiterten Verständnis vom Begriff des Leistungswettbewerbs. 3. Die Verbindung mehrerer Angebote zu Kopplungsgeschäften a) Die zugaberechtliche Problematik des Scheinentgelts Nach § 1 Abs. 1 S. 2 ZugabeVO liegt eine Zugabe auch dann vor, wenn die Zuwendung nur gegen ein geringfügiges, offenbar bloß zum Schein verlangtes Entgelt gewährt wird. Der Umgehungstatbestand einer Tarnung der Zugabe durch ein Scheinentgelt verlangt, dass trotz der Verbindung der mehreren Angebote der Zugabecharakter im Sinne eines Verhältnisses von Hauptware und Nebenware (Hauptleistung und Nebenleistung) aufrecht erhalten bleibt. Das zugaberechtliche Scheinentgeltverbot hindert den Kaufmann nicht, bei verbundenen Angeboten den Preis der einen Ware oder Dienstleistung niedriger zu kalkulieren als bei einem unverbundenen Angebot. Nach der ZugabeVO sind Kopplungsgeschäfte dahin zu beurteilen, ob bei verdeckten Kopplungsgeschäften der Gesamtpreis einer Verschleierung der Zugabe dient, und ob bei offenen Kopplungsgeschäften ohne Einzelabgabe der verbundenen Waren oder Dienstleistungen der für die als Nebenware Falschparkzettel; 1996, 38 – Städteflugreisen. BMJ – Gutachten UWG Seite 62 von 105 oder Nebenleistung zu verstehende Zugabe bestimmte Preis als Scheinentgelt zu beurteilen ist. Mit der Aufhebung der ZugabeVO entfällt die Beurteilung verbundener Angebote als Verstoß gegen das Scheinentgeltverbot. Da nach der Aufhebung der ZugabeVO die unentgeltliche und akzessorische Zuwendung einer Ware oder Dienstleistung grundsätzlich wettbewerbsrechtlich zulässig ist, gilt dies gleichermaßen für solche Kopplungsgeschäfte, bei denen für das eine der verbundenen Angebote nur ein geringfügiges Entgelt verlangt wird. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von verbundenen Angeboten im Leistungswettbewerb nach § 1 UWG stellt sich unabhängig von der Aufhebung der ZugabeVO. b) Offene und verdeckte Kopplungsangebote sowie Vorspannangebote Ein verbundenes Angebot (Kopplungsangebot, Kopplungsgeschäft) liegt vor, wenn mehrere Waren oder Leistungen zu einem Gesamtpreis angeboten werden. Unterschieden werden verdeckte und offene Kopplungsangebote.108 Die Unterscheidung zwischen einer offenen oder verdeckten Angebotsverbindung wird wettbewerbsrechtlich überwiegend109 danach getroffen, ob die Einzelpreise der verbundenen Angebote genannt werden oder nicht. Ein verdecktes Kopplungsangebot liegt vor, wenn die verbundenen Waren oder Dienstleistungen nur zusammen zu einem Gesamtpreis abgegeben werden, ohne dass Einzelpreise der verbundenen Waren oder Dienstleistungen benannt werden. Ein offenes Kopplungsangebot liegt vor, wenn die Einzelpreise der verbundenen Waren oder Dienstleistungen benannt werden und die Abgabe der Waren oder Dienstleistungen entweder nur zusammen oder auch getrennt erfolgt.110 108 Siehe dazu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 127 ff. 109 Von einem offenen Kopplungsangebot wird teilweise nur dann ausgegangen, wenn auch eine getrennte Abgabe der verbundenen Waren oder Dienstleistungen zu den benannten Einzelpreisen erfolgt. 110 In der Rechtsprechung des BGH wurde die Abgrenzung zwischen verdeckter BMJ – Gutachten UWG Seite 63 von 105 Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung verbundener Angebote hat von dem Grundsatz der Freiheit der Preisgestaltung, der Sortimentsgestaltung und der Angebotsgestaltung im Handel auszugehen. Auch wenn die Handelsfreiheit den Ausgangspunkt der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung bestimmte, so wurden verdeckte Kopplungsgeschäfte gleichwohl hinsichtlich der Gesamtpreisbildung wettbewerbsrechtlich streng beurteilt. Das gilt hinsichtlich der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest für die Zeit zwischen den 60er Jahren bis Mitte der 90er Jahre. Die Wettbewerbswidrigkeit verdeckter Kopplungsangebote wurde namentlich aus einer Erschwerung des Preisvergleichs abgeleitet.111 Als rechtserheblich wurde die Branchenidentität, Branchennähe oder Branchenverschiedenheit der verbundenen Waren oder Dienstleistungen angesehen.112 Die wettbewerbsrechtliche Restriktion der Handelsfreiheit bei der Beurteilung verbundener Angebote erklärt sich zum einen aus dem überkommenen Verbraucherleitbild des unkritischen und flüchtigen Verbrauchers, sowie zum anderen aus einer Reduktion des Leistungswettbewerbs auf den Vergleich von Preis und Qualität der einzelnen Waren und Dienstleistungen als solcher. Offene Kopplungsangebote wurden eher als wettbewerbskonform zumindest dann beurteilt, wenn die verbundenen Waren oder Dienstleistungen zumindest eine ge- und offener Kopplung offen gelassen (BGH GRUR 1962, 415 – Glockenpackung). 111 Siehe zur Preisverschleierung bei der Verbindung des Angebots von 50 g Tee zusammen mit einer Teetasse in einem Zellophanbeutel, da die Angabe des Teepreises auf der Teepackung innerhalb des Beutels nicht vor dem Kauf ohne weiteres wahrgenommen werden konnte, BGH GRUR 1962, 415 – Glockenpackung I; siehe zu einer Angebotsverbindung bei Sukzessivlieferungen im Kaffeehandel BGH GRUR 1971, 582 – Kopplung im Kaffeehandel. 112 Siehe zu einer als wettbewerbswidrig beurteilten Kopplung des Angebots von Urlaubsreisen und Skiausrüstungen LG Köln WRP 1983, 178; siehe zur Verbindung des Angebots eines Hotelaufenthalts und der Benutzung eines Pkw als gezielte Preisverschleierung OLG Hamm GRUR 1989, 923 – Auto und Urlaub; siehe zu einem als aufgedrängte sachfremde Koppelung als unzulässig beurteilten Angebot eines Kfz-Händlers zum Verkauf eines Autos und einer Malaysia-Reise zu einem Komplettpreis OLG München WRP 2001, 319 - Auto und Reise. BMJ – Gutachten UWG Seite 64 von 105 wisse Gebrauchsnähe aufwiesen, auch wenn sie als branchenfremd zu bezeichnen waren, und so von einer Gebrauchseinheit ausgegangen werden konnte. Als eine Sonderform eines offenen Kopplungsangebots wurde allerdings das Vorspannangebot als solches als wettbewerbswidrig beurteilt. Die Wettbe- werbswidrigkeit des Vorspannangebots wurde mit dessen Zugabeeffekt begründet, obgleich es sich weder um eine unentgeltliche noch um eine scheinentgeltliche Zuwendung, sondern um ein entgeltliches Angebot handelte. Entscheidend kam es auf das Verhältnis der Vorspannware als einer zumeist branchenfremden Nebenware zu der Hauptware an. Aus der Zuordnung des Vorspannangebots zur Wertreklame wurde gefolgert, es bestehe kein überzeugender Grund, die strenge Beurteilung der Wertreklame auf solche Vorteile zu beschränken, die ohne besondere Gegenleistung zugewendet würden. Der Anreizeffekt könne bei preisgünstigen Vorspannangeboten ungleich größer sein als bei nicht besonders berechneten Zugaben. Aus der Akzessorietät als dem rechtlichen Bedingungszusammenhang zwischen dem Erwerb der regulären Hauptware und dem Erwerb der Vorspannware wurde der Zugabecharakter des Vorspannangebots abgeleitet.113 Wenn die durch ein Vorspannangebot bewirkte psychologische Beeinflussung einen Grad erreicht habe, der die für den Wettbewerb wesentliche freie Entschließung des Verbrauchers in unsachlicher Weise hindere oder praktisch ausschließe, so sei sein Kaufentschluss verfälscht. Es wurde zudem auf die Gefahr der Nachahmung und die mit ihr notwendig verbundene Übersteigerung verwiesen, wenn der Wettbewerb um die Hauptware aus dem Grundsortiment auf branchenfremde Vorspannwaren verlagert werde. Das Vorspannangebot wurde als Werbemethode beurteilt, die dem Leitbild des Leistungswettbewerbs widerspreche und zu einem Wettbewerb um Vorspannprodukte führe.114 Folge einer Aufhebung der ZugabeVO ist es, dass der Zugabecharakter im 113 Grundlegend Hefermehl, Werbung mit Vorspannangeboten, GRUR 1974, 542; zur Vorspannwerbung siehe Fezer, Unlauterer Wettbewerb durch Werbung mit Vorspannangeboten, BB 1975, 1500 ff.; siehe auch Hoth, Kopplungs- und Vorspannangebot, GRUR 1976, 219 ff.; kritisch Götting, Die neuere Entwicklung des Zugaberechts in Deutschland, Belgien, Frankreich und Schweden - Zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Rechtsprechung zur Vorspannwerbung, 1986, S. 117 ff. 114 Zur Rechtsprechung siehe BGHZ 65, 68 - Vorspannangebot; BGH GRUR 1976, BMJ – Gutachten UWG Seite 65 von 105 Sinne des Verhältnisses der verbundenen Angebote als Hauptware und Nebenware (Hauptleistung und Nebenleistung) es nicht mehr rechtfertigt, Vorspannangebote als per se wettbewerbswidrig115 und damit strenger als offene Kopplungsangebote zu beurteilen. 637 - Rustikale Brettchen; 1977, 110 - Kochbuch. 115 So wohl auch Berlit, Auswirkungen der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung auf die Auslegung von § 1 UWG und § 3 UWG, WRP 2001, 349, 351. BMJ – Gutachten UWG Seite 66 von 105 c) Leistungsgerechte Angebotsverbindung Das Verhältnis der zu einem Angebot verbundenen Waren oder Dienstleistungen wird nicht nur in Deutschland, sondern auch im Lauterkeitsrecht anderer europäischer Staaten als rechtserheblich beurteilt.116 Das nimmt nicht Wunder, da die wettbewerbsrechtliche Sanktionierung des Zugabewesens und der branchenübergreifenden Angebotsverbindung in bestimmten Mitgliedstaaten der Europäischen Union traditionell verankert ist. Ein solcher rechtsvergleichender Befund, der das überkommene Wettbewerbsrecht beschreibt, steht einer Modernisierung des nationalen Lauterkeitsrechts und einer europäischen Rechtsharmonisierung im Sinne einer Liberalisierung und Deregulierung des Leistungsangebots im Handel nicht entgegen. Ein wesentliches Wertungskriterium der Wettbewerbswidrigkeit verbundener Angebote ist weithin die Art und Weise des Verhältnisses der zu einem Gesamtangebot gekoppelten Waren oder Dienstleistungen zueinander. Abgestellt wird auf den sachlichen Zusammenhang der Waren oder Dienstleistungen, deren Branchennähe oder Gebrauchsnähe, die Funktionsgerechtheit der Angebotsverbindung, die Handelsüblichkeit oder Verkehrsüblichkeit des Kopplungsgeschäfts und auch die Beurteilung der Handelsentwicklung als wirtschaftlich vernünftig. Die Umschreibungen veranschaulichen, dass es zum einen um den Inhalt des Leistungswettbewerbs und damit darum geht, ob und in wieweit ein verbundenes Angebot Ausdruck der besseren Leistungsfähigkeit eines Unternehmens am Markt ist, zum anderen darum, von welchem Maß an Rationalität der Verbraucherentscheidung wettbe- werbsrechtlich auszugehen ist. d) Kurskorrektur der höchstrichterlichen Rechtsprechung In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird die an dem Verständnis als Wertreklame und an der zugaberechtlichen Akzessorietät orientierte strenge Beurteilung der Kopplungsangebote seit Mitte der 90er Jahre korrigiert. Die Rechtsprechung gibt 116 Siehe dazu rechtsvergleichend Bodewig/Henning-Bodewig, Rabatte und Zugaben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, WRP 2000, 1341 ff.; auch Meyer, Rabatt- und Zugabe-Regulierung auf dem Prüfstand, GRUR 2001, 98. BMJ – Gutachten UWG Seite 67 von 105 der Handelsfreiheit der Angebotsstrukturen im Leistungswettbewerb mehr Raum und vertraut stärker auf die Rationalität der Entscheidung des mündigen Verbrauchers. Gegenstand der Entscheidung des BGH „Saustarke Angebote“ war die reißerische Werbung mit dem Schlagwort „Saustarke Angebote„ des Media Marktes, der im Einzelhandel vorwiegend Unterhaltungselektronik, Elektrogeräte und Computer vertreibt.117 Angeboten war eine Tiefkühltruhe inklusive eines halben Schweines zu dem Abholpreis von 599 DM, wobei wegen der erforderlichen fachgerechten Lagerung die Schweinehälfte auf Wunsch auch grob zerlegt gegen Gutschein in der Fleischerabteilung des Gigant Marktes erhalten werden konnte. Der BGH beurteilte dieses als verdecktes Kopplungsangebot bezeichnete Angebot der verschiedenen Waren Gefriertruhe und Schweinehälfte, die zu einem Gesamtpreis angeboten wurden, ohne den Einzelpreis der Waren erkennen zu lassen, dann als wettbewerbskonform, wenn der angesprochene Verkehr die Einzelpreise ohne weiteres in Erfahrung bringen könne. Es könne im allgemeinen nicht als ein Verstoß gegen die Grundsätze des Leistungswettbewerbs angesehen werden, Qualität und Preiswürdigkeit des Angebots durch die Attraktivität eines Kombinationsangebots aus verschiedenen Waren hervorzuheben. Verdeckte Kopplungsgeschäfte könnten dann als wettbewerbswidrig zu beurteilen sein, wenn die Einzelpreise nicht bekannt seien und der Verkäufer sie auch nicht in Erfahrung bringen könne, weil er keinerlei Anhaltspunkte für deren Berechnung habe und er deshalb die Preisgestaltung des Angebots nicht mit Konkurrenzangeboten vergleichen könne. Der BGH geht zwar von einem Gebrauchszusammenhang zwischen Gefriertruhe und Schweinehälfte aus, den das OLG Hamm verneint hatte, da es sich um unterschiedliche Leistungsgegenstände handele, die nicht miteinander in Zusammenhang stünden, und dass die Möglichkeit der Aufbewahrung des Schweinefleischs in der Tiefkühltruhe keine Zweckverbundenheit beider Leistungen im Sinne einer Gebrauchseinheit bedinge; der BGH hält der Rechtsauffassung des OLG Hamm entgegen, die Truhe diene der mit dem Kauf der Schweinehälfte beabsichtigten Vorratshaltung und ermögliche dem Käufer damit sogleich eine sinnvolle Verwendung. 117 BGH GRUR 1996, 363 - Saustarke Angebote. BMJ – Gutachten UWG Seite 68 von 105 Es kann die Entscheidung nicht dahin verstanden werden, es komme für die Zulässigkeit eines Kopplungsgeschäfts darauf an, dass bei der Verbindung des Angebots branchenverschiedener Waren zumindest ein Gebrauchszusammenhang bestehen müsse. Der BGH lässt nämlich ausdrücklich dahinstehen, ob der Gesichtspunkt des Gebrauchszusammenhangs oder der Gebrauchsnähe für die Frage der Zulässigkeit eines Kopplungsangebots überhaupt von Bedeutung sein könne. Entscheidend kommt es für den BGH darauf an, ob für den Verkehr die Beurteilung der Preiswürdigkeit der zu einem Gesamtpreis angebotenen Waren Gefriertruhe und Schweinehälfte erheblich erschwert ist. Der BGH geht davon aus, dass die an einem Preisvergleich interessierten potentiellen oder tatsächlichen Käufer die Preise für die Gefriertruhe und die Schweinehälfte am Ort der Werbung ohne Schwierigkeiten hätten in Erfahrung bringen können. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Preisvergleichsmöglichkeit das rechtserhebliche Beurteilungskriterium der Kopplungsgeschäfte. Das entspricht dem Zweck des Leistungswettbewerbs, dem Verbraucher den Leistungsvergleich am Markt zu gewährleisten, ohne den Handel in der Freiheit der Gestaltung von Sortiment, Angebot und Preis unangemessen zu beeinträchtigen. In der Entscheidung „Saustarke Angebote“ war ausschließlich über den Sachverhalt eines verdeckten Kopplungsangebots zu entscheiden, dessen Merkmale in der Bildung eines Gesamtpreises und (dahingestellt) im Gebrauchszusammenhang oder der Gebrauchsnähe liegen. Gegenstand der Entscheidung war nicht ein Vorspannangebot, bei dem eine Vorspannware zu einem Einzelpreis als Werbung für eine Hauptware zu einem Einzelpreis einseitig akzessorisch verbunden wird. Zu bedenken ist aber, dass die in der Entscheidung „Saustarke Angebote“ als rechtserheblich angesehene Preisvergleichsmöglichkeit im Verkehr bei einem die Einzelpreise benennenden Vorspannangebot grundsätzlich nicht problematisch ist. Wenn nach Aufhebung der ZugabeVO der Zugabecharakter eines Vorspannangebots dessen Wettbewerbswidrigkeit nicht zu begründen vermag, dann wird zukünftig von dem Grundsatz der Zulässigkeit von Vorspannangeboten auszugehen sein, wenn nicht BMJ – Gutachten UWG Seite 69 von 105 einer irgendwie gearteten Funktionseinheit der verbundenen Angebote Rechterheblichkeit zukommt. In seiner „Handy“-Rechtsprechung geht der BGH noch einen Schritt weiter im Sinne einer freien Gestaltung der Angebotsstruktur im Handel.118 Der BGH verneint zunächst den Zugabecharakter des unentgeltlichen oder nahezu unentgeltlichen Angebots eines Mobiltelefons im Hinblick auf den Abschluss eines Telefonkartenvertrages. Die Funktionseinheit von Telefon und Netzzugang spreche dagegen, das eine als Hauptleistung und das andere als Nebenware anzugeben. Es ist von besonderer Bedeutung für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Kopplungsangeboten, dass der BGH in den „Handy“-Fallkonstellationen das Vorliegen eines übertriebenen Anlockens nach § 1 UWG verneinte. In der Ankündigung eines besonders günstigen Preises für einen Teil der zu erbringenden Gesamtleistung, um die es sich bei dem mit dem Abschluss eines Netzkartenvertrages gekoppelten Erwerb eines Mobiltelefons aus der Sicht des Verkehrs handelt, könne kein unsachliches Mittel erblickt werden, denn die Werbung mit der fast kostenlosen oder besonders günstigen Abgabe eines Mobiltelefons stelle sich als ein legitimer Hinweis auf den günstigen, durch verschiedene Bestandteile geprägten Preis der angebotenen Gesamtleistung und damit als ein Hinweis auf die eigene Leistungsfähigkeit dar. Die Anlockwirkung, die von einem attraktiven Angebot ausgehe, sei nicht wettbewerbswidrig, sondern gewollte Folge des Leistungswettbewerbs. Der BGH weist ausdrücklich den Einwand zurück, mit dem Angebot eines fast kostenlosen Mobiltelefons werde nicht die Leistungsfähigkeit des Anbietenden unter Beweis gestellt, sondern nur der Umstand verschleiert, dass im Rahmen eines Netzkartenvertrages überhöhte Entgelte verlangt würden. Wenn die unentgeltliche oder fast unentgeltliche Abgabe von Mobiltelefonen untersagt würde, würde mit Hilfe der Generalklausel des § 1 UWG in einen Marktmechanismus eingegriffen, dem vernünftige wirtschaftliche Erwägungen zu Grunde lägen. Der Rechtssatz des BGH, die Anlockwirkung, die von einem attraktiven Angebot ausgehe, sei grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, sondern gewollte Folge des 118 BGH WRP 1999, 505 - Nur 1 Pfennig; 1999, 509 - Kaufpreis je nur 1,- DM; BMJ – Gutachten UWG Leistungswettbewerbs, Seite 70 von 105 gewinnt in der jüngsten Rechtsprechung des BGH zunehmend an Rechtserheblichkeit. Der BGH geht davon aus, dass ein wettbewerbswidriger Anlockeffekt erst durch den Einsatz zusätzlicher, unsachlicher Mittel entstehen kann. Kennzeichen solcher Mittel sei es, dass sie nicht Preiswürdigkeit oder Qualität des Angebotes steigerten, sondern Kunden von einer preis- und qualitätsbewußten Prüfung verschiedener Angebote durch werbendes Herausstellen leistungsfremder Vergünstigungen abhielten.119 1999, 512 - Aktivierungskosten; 1999, 517 - Am Telefon nicht süss sein? 119 BGH WRP 2000, 1138 - Null-Tarif; siehe auch BGH GRUR 2001, 446 - 1Pfennig-Farbbild. BMJ – Gutachten UWG Seite 71 von 105 4. Preisintransparente, wettbewerbsbehindernde und marktstörende Kopplungsangebote Die Verbindung mehrerer Waren oder Dienstleistungen zu einem einheitlichen Angebot ist Teil der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit im Handel. Verbundene Angebote sind grundsätzlich Ausdruck der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Kopplungsangebote sind nicht als Wertwerbung strenger als andere Formen der Werbung wie die Wort- und Bildwerbung zu beurteilen. Es besteht zudem kein wettbewerbsrechtlicher Branchenschutz im Handel. Die Freiheit der Sortimentsgestaltung, der Angebotsstrukturen und der Preisbildung bedingt die Wirtschaftsstufen. Kopplungsangebote sind deshalb grundsätzlich wettbewerbsrechtlich zulässig, seien die verbundenen Waren oder Dienstleistungen brancheneigen, branchennah oder branchenfern, sei es, dass die verbundenen Waren oder Dienstleistungen eine Gebrauchseinheit oder Funktionseinheit bilden, sei es, dass die verbunden Waren oder Dienstleistungen mit oder ohne Nennung der Einzelpreise nur zu einem Gesamtpreis oder auch zu Einzelpreisen angeboten werden, sei es, dass eine Ware oder Dienstleistung unentgeltlich oder zu einem geringen Entgelt mit dem Angebot einer entgeltlichen Ware oder Dienstleistung verbunden wird (Vorspannangebote nach Aufhebung der ZugabeVO). Einer solchen wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der verschiedenen Formen von Kopplungsangeboten stehen die in manchen Mitgliedstaaten der Europäischen Union geltenden Vorschriften, die verbundene Angebote restriktiv regeln, nicht entgegen, da diese Gesetze einem herkömmlichen Verständnis vom Zugabewesen und der Wertreklame sowie einem engen Begriff des Leistungswettbewerbs verantwortet sind, um dessen Diskussion und inhaltliche Modernisierung es gerade geht. Die Generalklausel des § 1 UWG setzt der Verbindung von Waren und Dienstleistungen zu einem Gesamtangebot zureichend wettbe-werbsrechtliche Grenzen. Ein verbundenes Angebot ist dann wettbewerbswidrig, wenn eine der drei Fallkonstellationen einer Preisintransparenz, einer individuellen Wettbewerbsbehinderung oder einer allgemeinen Marktstörung vorliegt, oder wenn das Kopplungsangebot in ein System unverhältnismäßiger Kundenbindung integriert ist. Diese wettbewerbsrechtlichen Schranken verbundener Angebote konkretisieren das Prinzip des BMJ – Gutachten UWG Seite 72 von 105 Leistungswettbewerbs, verstanden als individueller Wettbewerberschutz, originärer Verbraucherschutz und institutioneller Wettbewerbsschutz. Nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO wird dem Gebot der Preistransparenz im Interesse des Verbraucherschutzes bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Marktverhaltens eines Unternehmens zentrale Bedeutung zukommen. Preistransparenz im Lauterkeitsrecht bedeutet, dass einem Verstoß gegen den Grundsatz der Preisklarheit und Preiswahrheit das Wettbewerbsunrecht konstituierende Bedeutung zukommt. Der nach der PAngV anzugebende Endpreis eines Angebots wird für den Verbraucher als Verhandlungspreis Grundlage der Vertragsverhandlungen hinsichtlich des von dem einzelnen Verbraucher individuell zu zahlenden Vertragspreises. Der Gesamtpreis eines verbundenen Angebots unterliegt der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle hinsichtlich der Preiswahrheit und Preisklarheit. Die Bildung eines Gesamtpreises, der bei einem verständigen Verbraucher eine Preisverschleierung bewirkt, ist wettbewerbswidrig. Der Grundsatz zumutbarer Preisinformation über den Marktpreis gilt für alle Marktpartner. Im Leistungswettbewerb entsprechen einem informierten Verbraucher transparente Informationen der Unternehmen. Die Abgrenzung preistransparenter Kopplungsangebote als wettbewerbskonform von preisintransparenten Kopplungsangeboten als wettbewerbswidrig ist eine von der judikativen Konkretisierung der Generalklausel zu lösende Regelungsaufgabe, die in der jüngsten Rechtsprechung des BGH erste Ansätze gefunden hat.120 Die Wettbewerbswidrigkeit eines verbunden Angebots kann aus einer individuellen Wettbewerbsbehinderung folgen. Die Kopplung einer Ware oder Dienstleistung kann eine Fallkonstellation des Behinderungswettbewerbs darstellen. Rechtserhebliche Umstände sind die systematische Anlage des Kopplungsangebots hinsichtlich des Anbieters der verbundenen Ware oder Dienstleistung, die Marktmacht des Angebote verbindenden Unternehmens, die Art des verbundenen Produkts (vertriebsgebun- 120 Wer eine aus einzelnen Bestandteilen zusammengesetzte Gesamtleistung anbietet, darf, wenn sich hierfür ein Gesamtpreis bilden läßt, nicht den besonders günstigen Preis einzelner Leistungsbestandteile herausstellen, sondern muß nach§ 1 Abs. 1 S. 1 PAngV den Gesamtpreis angeben (BGH GRUR 2001, 446 - 1- BMJ – Gutachten UWG Seite 73 von 105 dene Produkte), wie auch die lokalen und regionalen Marktverhältnisse. Der BGH nimmt eine unlautere individuelle Behinderung von Mitbewerbern dann an, wenn eine unentgeltliche Leistung gezielt dazu benutzt wird, bestimmte Mitbewerber vom Markt zu verdrängen, und sie eine konkrete Marktbehinderung zur Folge hat.121 Folge des systematischen Einsatzes etwa eines branchenfremden Produkts kann auch eine allgemeine Marktstörung im Sinne einer Gefährdung des Bestands des Wettbewerbs auf dem relevanten Markt sein. Nach der Rechtsauffassung des BGH kann eine wettbewerbswidrige allgemeine Behinderung des Marktes dann gegeben sein, wenn die Gewährung einer kostenlosen Leistung die ernstliche Gefahr begründet, dass der Leistungswettbewerber auf einem bestimmten Markt in nicht unerheblichem Maße eingeschränkt wird.122 Die Wettbewerbswidrigkeit als solcher zulässiger Kopplungsangebote kann sich aus deren Integration in ein unzulässiges Kundenbindungssystem ergeben. 5. Gesetzliche Regelung der verbundenen Angebote a) Zugaberechtliche Ersatzregelung Es ist nicht zu empfehlen, nach Aufhebung der ZugabeVO eine zugaberechtliche Ersatzregelung im UWG zu schaffen. Es liegt sowohl im Interesse eines wirksamen Leistungswettbewerbs als auch im Interesse der Verbraucher, die Entwicklung von Kopplungsangeboten im Sinne innovativer Produktverbindungen am Markt zuzulassen. Die Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel wird der Aufgabe gerecht, preisverschleiernde, wettbewerbsbehindernde und marktstörende Kopplungsangebote als unlauter zu verbieten. Pfennig-Farbbild). 121 BGH GRUR 2001, 80 - Ad-hoc-Meldung; siehe schon BGH GRUR 1991, 616, 617 - Motorboot-Fachzeitschrift. 122 BGH GRUR 2001, 80 - Ad-hoc-Meldung; siehe schon BGH GRUR 1991, 616, 617 - Motorboot-Fachzeitschrift. BMJ – Gutachten UWG Seite 74 von 105 b) Vorschlag einer gesetzlichen Regelung der verbundenen Angebote Eine andere Frage ist es, ob nicht eine Regelung der verbundenen Angebote deshalb vorzuschlagen ist, um nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO zu verhindern, dass über eine Anwendung der Generalklausel des § 1 UWG dem alten Rechtszustand vergleichbare Rechtssätze geschaffen werden. Zweck einer solchen Regelung der Kopplungsangebote ist es, den Leistungswettbewerb mit verbundenen Angeboten zu sichern und dessen wettbewerbsrechtliche Grenzen abzustecken. Gesetzestechnisch kann eine Regelung der verbundenen Angebote entsprechend der Regelung der vergleichenden Werbung nach § 2 UWG normiert werden. In einem ersten Absatz ist der Tatbestand der verbundenen Angebote und in einem zweiten Absatz die Wettbewerbswidrigkeit preisintransparenter, wettbewerbsbehindernder und marktstörender Kopplungsgeschäfte zu normieren. c) Zugabeorientierte Gesetzesvorschläge Vorschläge einer zugaberechtlichen Regelung im UWG orientieren sich an den geltenden Regelungen des Zugabewesens in den nationalen Lauterkeitsrechten der Mitgliedstaaten. Regelungsgegenstände sind zumeist die herkömmlichen Zugabesachverhalte, die sich an den Wertungskriterien der Geringwertigkeit, Stoffgleichheit und Handelsüblichkeit der Zugabe sowie der Scheinentgeltlichkeit und Preisverschleierung des Gesamtpreises ausrichten.123 Solche Vorschläge stellen ge- 123 Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE), der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Zentralverband Gewerblicher Verbundgruppen (ZGV) schlagen in ihrer Stellungnahme „Keine ersatzlose Streichung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung – Vorschläge zur begleitenden Änderung des UWG und des GWB“ die folgende Neuregelung vor: „Wer im geschäftlichen Verkehr mit dem Verbraucher neben einer Ware oder Dienstleistung (Hauptleistung) mit einer Zugabe wirbt, kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, es sei denn, 1. sie ist von geringem Wert und dies ist deutlich erkennbar oder 2. sie besteht aus einer Ware oder Dienstleistung, die mit der Hauptleistung identisch ist oder mit ihr sachlich oder handelsüblich in Beziehung steht. Eine Zugabe liegt auch dann vor, wenn die Unentgeltlichkeit durch die Forderung eines Scheinentgelts oder die Bildung eines Gesamtpreises verschleiert wird.“ BMJ – Gutachten UWG Seite 75 von 105 genüber dem gegenwärtigen Stand der höchstrichterlichern Rechtsprechung des BGH zum Recht der Kopplungsangebote und Vorspannangebote aus Sicht eines wirksamen Leistungswettbewerbs mit innovativen Produktverbindungen einen Rückschritt dar. III. Kundenbindungssysteme 1. Kundenbindungsprogramme als systematische Preiswerbung und Wertwerbung Zweck eines Kundenbindungsprogramms eines Anbieters ist es, den Verbraucher als Kunden umsatzbezogen und zeitbezogen an den entgeltlichen Erwerb der angebotenen Ware oder Dienstleistung zu binden. Gegenstand eines Kundenbindungsprogramms ist die Gewährung von Vorteilen an den Kunden, die sich nach Anzahl und Umsatz des Erwerbs der Waren oder Dienstleistungen bestimmen. Die Art der Vorteilsgewähr an den Kunden kann eher preisbezogen oder eher produktbezogen sein und damit sowohl rabattrechtliche als auch zugaberechtliche Elemente aufweisen. Preisvorteile können sich sowohl auf das eigene Produktangebot (Rabattsysteme) oder auch auf den preisgünstigen Erwerb von Produkten anderer Anbieter (Rabattkooperationen, Payback-Systeme) beziehen. Produktvorteile können sich auf das eigene Angebot an Waren und Dienstleistungen beziehen, branchenidentische, branchennahe und branchenfremde Waren oder Dienstleistungen betreffen und Waren oder Dienstleistungen anderer Anbieter einbeziehen (Prämien- und Bonussysteme). Siehe dazu den von Köhler, BB 2001, 265, 271 gemachten Vorschlag einer Zugaberegelung im UWG, der sich an einer Übersetzung des innerhalb der Expert Group On Commercial Communication gemachten Vorschlags orientiert und weithin dem Vorschlag des HDE, ZDH und ZGV entspricht. Die vorgeschlagene Regelung lautet: „Wer im geschäftlichen Verkehr mit dem Verbraucher mit einer Zugabe wirbt, kann auf Unterlassung dieser Werbung in Anspruch genommen werden, es sei denn, 1. sie ist im Vergleich zum Wert der Hautpleistung erkennbar von geringem Wert, oder 2. sie ist mit der Hauptleistung stoffgleich oder 3. sie steht mit der Hauptleistung sachlich oder handelsüblich in Beziehung. Eine Zugabe liegt auch dann vor, wenn die Untgeltlichkeit durch die Forderung eines Scheinentgelts oder die Bildung eines Gesamtpreises verschleiert wird.“ BMJ – Gutachten UWG Seite 76 von 105 Kundenbindungssysteme, die preisbezogene Vorteile gewähren, sind dem Preiswettbewerb zuzurechnen. Kundenbindungssysteme, die produktbezogen Vorteile gewähren, sind der Wertwerbung zuzurechnen. Kundenbindungssysteme kanalisieren Kundenströme mit dem Instrument preisbezogener und produktbezogener Vorteilsgewähr (Sogwirkung von Kundenbindungsprogrammen). Kundenbindungsprogramme können aus einer Kombination „rabattrechtlicher“ und „zugaberechtlicher“ Bestandteile bestehen. Ein Kundenbindungssystem kann mit einem Kopplungsangebot verbunden werden. Kundenbindungsprogramme werden regelmäßig mit der Ausgabe von Kundenkarten organisiert. Kundenbindungsprogramme stellen Formen einer systematischen Preiswerbung und Wertwerbung dar. 2. Grundsatz der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von preisbezogenen und produktbezogenen Kundenbindungsprogrammen nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO Das Rabattverbot und das Zugabeverbot setzen der Organisation von Kundenbindungsprogrammen sowohl preisbezogen (Rabattmarkensysteme) als auch produktbezogen (Prämiensysteme) enge Grenzen. Das gilt namentlich für die zugaberechtliche Beurteilung von Sammelgutscheinen,124 die im Schrifttum zum Zugabewesen nahezu einhellig gebilligt wurde.125 Der BGH hat ein Bonus-Meilen-System eines Kreditkartenunternehmens als einen Zugabeverstoß beurteilt.126 Das Bonus- 124 Siehe dazu nur BGHZ 11, 274 - Orbis-Reisemarken; BGH GRUR 1957, 378 Bilderschecks; 1963, 322, 324 - Mal- und Zeichenschule; 1972, 428 - Bilderpunkte. 125 Droste, Sammelbildzugaben und Wettbewerbsrecht, MA 1952, 247; Krieger, Zur Gutscheinwerbung und zum Verhältnis der Zugabeverordnung zu den §§ 1 und 3 UWG, 826 BGB, GRUR 1953, 109; Hefermehl, Sammelzugaben im Wettbewerb, WuW 1953, 266; Heydt/Hefermehl, Gutachten zur Reisegutscheinwerbung, MA 1954, 15; anders nur Knöpfle, Zur Anwendung der Zugabeverordnung auf Sammelgutscheine und Sammelzugaben, NJW 1993, 246. 126 BGH WRP 1999, 424 - Bonus-Meilen; siehe zur Zulässigkeit eines Bonus- BMJ – Gutachten UWG Seite 77 von 105 Meilen-System wurde als eine besondere Nebenleistung zum Kreditkartenvertrag angesehen, da die zusätzliche Gewährung von Bonus-Meilen mit dem Geschäftsinhalt an sich nichts zu tun habe. Das Angebot an Bonus-Meilen sei nicht Bestandteil der Hauptleistung des Kreditkartenleistungspakets. Nach Aufhebung des Rabatt- und Zugabeverbots sind preisbezogene und produktbezogene Kundenbindungsprogramme127 wettbewerbsrechtlich grundsätzlich zulässig. Da produktbezogene Prämiensysteme eine Form der Wertwerbung darstellen, unterliegen sie an sich der strengeren Beurteilung nach den nach bisheriger Rechtsprechung zur Wertreklame geltenden Grundsätzen. Nach dieser wettbewerbsrechtlichen Beurteilung lag es nahe, das „Meilensammeln“ gleichsam als eine besonders intensive Form der Wertreklame mit Sammelprämien zu verstehen. Die Kombination aus rechtlicher Akzessorietät, übertriebenem Anlocken sowie der Kundenbindung auf Grund der mit dem Sammeleffekt verbundenen Sogwirkung konnte als die Wettbewerbswidrigkeit begründende Umstände eines solchen Kundenbindungssystems verstanden werden. In der Bonus-Meilen-Entscheidung hatte der BGH innerhalb der zugaberechtlichen Beurteilung der Zulässigkeit des Bonus-Meilen-Systems eines Kreditkartenunternehmens die Handelsüblichkeit einer solchen Nebenleistung zu beurteilen. Nach ständiger Rechtsprechung können auch neue Erscheinungsformen dann als handelsüblich angesehen werden, wenn sie sich nach den Anschauungen der beteiligten Meilen-Systems wegen der Besonderheit, das der von der konkreten Ausgestaltung des Angebots angesprochene Verkehr, nämlich die Leser des Handelsblattes und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wisse, dass die Jahresgebühr, die er für die beworbene, als Lufthansa-Miles & More Card bezeichnete VISA-Karte zahlen müsse, wie überlicherweise für eine VISA-Kreditkarte oder auch andere Kreditkarten zu zahlende Jahresgebühr um ein Mehrfaches übersteige, OLG Köln WRP 2001, 721 - Miles & More Card. 127 Siehe dazu auch Berlit, Auswirkungen der Aufhebung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung auf die Auslegung von § 1 UWG und § 3 UWG, WRP 2001, 349; Berneke, Zum Lauterkeitsrecht nach einer Aufhebung von Zugabeverordnung und Rabattgesetz, WRP 2001, 615; Köhler, Rabattgesetz und Zugabeverordnung: ersatzlose Streichung oder Gewährleistung eines Mindestschutzes für Verbraucher und Wettbewerber?, BB 2001, 265. BMJ – Gutachten UWG Seite 78 von 105 Verkehrskreise im Rahmen vernünftiger kaufmännischer Gepflogenheiten halten.128 Nach der zur ZugabeVO ergangenen Entscheidung findet die Zulässigkeit einer solchen Weiterentwicklung ihre rechtliche Grenze allerdings dort, wo sie im Widerspruch zu den Grundsätzen der Wettbewerbsordnung stehe. Da zu diesen Grundsätzen der Wettbewerbsordnung nach der Rechtsprechung des BGH insbesondere die Erscheinungsformen der Wertreklame gehören, könnten werbliche Maßnahmen, die nach Art, Umfang und Zweck einer unzulässigen Wertreklame zuzuordnen seien, nicht mehr als handelsübliche Nebenleistung angesehen werden.129 Wenn nach der Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO die wettbewerbsrechtlichen Grundsätze sowohl zur Wertreklame als auch zum übertriebenen Anlocken in der höchstrichterlichen Rechtsprechung beibehalten werden, dann werden Kundenbindungsprogramme zwar nicht mehr den rabattrechtlichen und zugaberechtlichen Schranken unterworfen sein, gleichwohl aber nach wie vor den engen wettbewerbsrechtlichen Grenzen der Wertreklame und des übertriebenen Anlockens unterliegen. Es ist aber nach Aufhebung des RabattG und namentlich der ZugabeVO allgemein ein Wandel der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des übertriebenen Anlockens und namentlich der Wertwerbung geboten. Wenn der Grundsatz der Freiheit von Rabatt und Zugabe gilt, dann ist die akzessorische Gewährung eines unentgeltlichen oder entgeltlichen Vorteils als grundsätzlich wettbewerbskonform zu verstehen. Ein solcher Beurteilungswandel harmoniert mit einem erweiterten Verständnis vom Begriff des Leistungswettbewerbs. Nach Aufhebung des Rabatt- und Zugabeverbots von einem Grundsatz der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von preisbezogenen und produktbezogenen Kundenbindungsprogrammen auszugehen, verlangt auch, Angebot und Werbung im herkömmlichen Handel nicht anders als im elektronischen Handel des Internets zu behandeln. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Wertreklame nach strengeren Grundsätzen als die Wort- und Bildreklame zu behandeln, wird nach der Geltung des 128 Siehe zu dieser ständigen Rechtsprechung BGH GRUR 1991, 329 - FamilyKarte; 1994, 230 - Euroscheck-Differenzzahlung; 1998, 502 - Umtauschrecht I. 129 BGH WRP 1999, 424, 428 - Bonus-Meilen. BMJ – Gutachten UWG Seite 79 von 105 Herkunftslandprinzips nach Umsetzung der e-commerce-Richtlinie bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Internetwerbung nicht mehr möglich sein. Kundenbindungsprogramme werden nach den allgemeinen Grundsätzen des Wettbewerbsrechts einheitlich online und offline zu beurteilen sein. 3. Systemtransparenz und Diskriminierungsfreiheit von Kundenbindungsprogrammen Ausgehend von der grundsätzlichen Wettbewerbskonformität von preisbezogenen und produktbezogenen Kundenbindungsprogrammen und einer Revision der strengen Beurteilungsgrundsätze der Wertreklame und des übertriebenen Anlockens, sind Kundenbindungsprogramme nach den allgemeinen Regeln des Wettbewerbsrechts zu beurteilen. Das Verbot der irreführenden (§ 3 UWG) und täuschenden (§ 1 UWG) Werbung setzt Kundenbindungsprogrammen wettbewerbsrechtliche Grenzen. Die mit einem Kundenbindungsprogramm verbundene Bündelung der Verbrauchernachfrage (Sogwirkung) stellt eine wettbewerbseigene Folge eines Kundenbindungsprogramms dar und vermag die Wettbewerbswidrigkeit als solche nicht zu begründen. Kundenbindungsprogramme sind Teil des Leistungsangebots eines Unternehmens im Sinne eines Verständnisses vom Leistungswettbewerb, das den Wettbewerb nicht allein auf Preis und Qualität der Ware des primären Angebots beschränkt. Der Wettbewerb um leistungsgerechte Kundenbindungsprogramme liegt im Interesse der Verbraucher. Der Preis- und Qualitätswettbewerb wird nicht auf einen Prämienwettbewerb verlagert, sondern der Leistungswettbewerb wird durch einen Wettbewerb um sekundäre Vorteile des Kunden erweitert. Die Wettbewerbskonformität eines Kundenbindungssystems setzt dessen Diskriminierungsfreiheit und Systemtransparenz voraus. Diskriminierungsfreiheit eines Kundenbindungsprogramms verlangt, dass jeder Verbraucher als Kunde gleichen Zugang zu dem Kundenbindungsprogramm hat. Die Diskriminierungsfreiheit der Teilnahmebedingungen eines Kundenbindungsprogramms ist rechtliche Voraussetzung dessen Wettbewerbskonformität. Auch wenn im Wettbewerbsrecht (UWG und GWB) ein allgemeines Diskriminierungsverbot nicht besteht, ist das Verbot der Verbraucherdiskriminierung im Zusammenhang mit dem Produktmarketing eines Kundenbindungssystems aus der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 1 BMJ – Gutachten UWG Seite 80 von 105 UWG abzuleiten. Ein solches Diskriminierungsverbot stellt gleichsam eine flankierende Konkretisierung des Leistungswettbewerbs im Sinne des § 1 UWG dar, das eine Liberalisierung der strengen Grundsätze zur Wertreklame und zum übertriebenen Anlocken sachgerecht ausgleicht. Es wird zudem erst die Praktizierung verschiedener Kundenbindungssysteme im Wettbewerb erweisen, ob und inwieweit die Gefahr einer Diskriminierung verschiedener Gruppen von Verbrauchern bei der Anlage und Handhabung von Kundenbindungsprogrammen sich als begründet erweist. Die Systemtransparenz stellt eine wesentliche Voraussetzung der Wettbewerbskonformität eines Kundenbindungsprogramms dar. Das Transparenzgebot besteht hinsichtlich des gesamten Inhalts des Kundenbindungsprogramms, der für die Entscheidung des Verbrauchers erheblich ist. Das gilt nicht nur für das Preistransparenzgebot, an dessen Einhaltung aus Gründen der Preiswahrheit und Preisklarheit ein strenger Maßstab anzulegen ist, sondern auch für die Transparenz von Art und Umfang der Vorteilsgewährung sowie der Teilnahmebedingungen hinsichtlich der Berechtigung zum Vorteilserwerb. Die einzelnen Anforderungen, die an ein systemtransparentes Kundenbindungsprogramm anzulegen sind, ergeben sich aus einer Konkretisierung eines lauteren und unverfälschten Leistungswettbewerbs nach § 1 UWG. Auf die reichhaltige Rechtsprechung zu den verschiedenen Formen irreführender Praktiken, die als ein Verstoß gegen die Guten Sitten nach § 1 UWG beurteilt werden, kann zurückgegriffen werden. Das gilt etwa für die Werbung mit falschen Hinweisen, dem Hervorrufen von Missdeutungen, dem Vortäuschen von Einkaufsvorteilen, der Verschleierung von Verkaufsmaßnahmen und einer unterlassenen Belehrung.130 4. Gesetzliche Regelung von Kundenbindungsprogrammen a) Rabatt- und zugaberechtliche Ersatzregelung Es ist nicht zu empfehlen, nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO eine rabattrechtliche und zugaberechtliche Ersatzregelung im UWG zu schaffen. Es liegt 130 Siehe zu den verschiedenen Formen irreführender Praktiken Baum- BMJ – Gutachten UWG Seite 81 von 105 sowohl im Interesse eines wirksamen Leistungswettbewerbs als auch im Interesse der Verbraucher, die Entwicklung von leistungsgerechten Kundenbindungsprogrammen im Sinne innovativer Marketingstrategien am Markt zuzulassen. Die Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel wird der Aufgabe gerecht, diskriminierende und systemintransparente Kundenbindungsprogramme als unlauter zu verbieten. b) Vorschlag einer gesetzlichen Regelung von Kundenbindungsprogrammen Eine andere Frage ist es, ob nicht eine Regelung der Kundenbindungsprogramme deshalb vorzuschlagen ist, um nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO zu verhindern, dass über eine Anwendung der Generalklausel des § 1 UWG dem alten Rechtszustand vergleichbare Rechtssätze geschaffen werden. Zweck einer solchen Regelung der Kundenbindungsprogramme ist es, leistungsgerechte Kundenbindungsprogramme im Interesse der Verbraucher zu sichern und deren wettbewerbsrechtliche Grenzen abzustecken. Gesetzestechnisch kann eine Regelung der Kundenbindungsprogramme entsprechend der Regelung der vergleichenden Werbung nach § 2 UWG normiert werden. In einem ersten Absatz ist der Tatbestand eines Kundenbindungsprogramms und in einem zweiten Absatz die Wettbewerbswidrigkeit diskriminierender und systemintransparenter Kundenbindungsprogramme zu normieren. bach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 10 ff. BMJ – Gutachten UWG Seite 82 von 105 c) Informationspflichten nach europäischem Richtlinienrecht Teil der europäischen Verbraucherschutzpolitik ist es, Markttransparenz und Verbraucherinformation im europäischen Binnenmarkt zu verbessern. Ein Regelungsgegenstand sind die Informationspflichten der kommerziellen Kommunikationen im elektronischen Geschäftsverkehr (Art. 6 e-commerce-Richtlinie). Nach Art. 6 lit. a ecommerce-Richtlinie besteht ein allgemeines Transparenzgebot, nach dem kommerzielle Kommunikationen klar als solche zu erkennen sein müssen. Art. 6 lit. c ecommerce-Richtlinie enthält eine Konkretisierung des allgemeinen Transparenzgebots für Maßnahmen der Verkaufsförderung im elektronischen Geschäftsverkehr. Soweit Angebote zur Verkaufsförderung wie Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke im Mitgliedstaat der Niederlassung des Diensteanbieters zulässig sind, müssen sie klar als solche erkennbar und die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme leicht zugänglich sein, sowie klar und unzweideutig angegeben werden. Art. 6 e-commerce-Richtlinie normiert einen Mindeststandard an Verbraucherinformation im elektronischen Geschäftsverkehr. Nach der Umsetzung der e-commerce-Richtlinie innerhalb der Wettbewerbsordnungen der Mitgliedstaaten wird im elektronischen Geschäftsverkehr für den gesamten Bereich der Verkaufsförderung ein Mindeststandard für Informationspflichten der Anbieter gelten. Das gilt nicht nur für das Angebot von Rabatten, Zugaben und Geschenken, die nur erläuternd als Beispiele von Angeboten zur Verkaufsförderung in der e-commerce-Richtlinie genannt werden, sondern allgemein auch für Kundenbindungsprogramme. Eine am Normzweck des Verbraucherschutzes orientierte Auslegung der e-commerce-Richtlinie verlangt zudem, die Informationspflichten der kommerziellen Kommunikationen auf den Bereich der verbundenen Angebote anzuwenden. Ein solches Verständnis des Anwendungsbereichs der Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr nach der e-commerce-Richtlinie erscheint schon deshalb geboten, um nicht die Abgrenzung zwischen Hauptleistung und Nebenleistung (primärem und sekundärem Angebot) in das Europäische Wettbewerbsrecht zu übertragen. Dem entspricht es, als Gegenstand des Leistungswettbewerbs das gesamte Angebot eines Unternehmens als Leistungseinheit zu verstehen. BMJ – Gutachten UWG Seite 83 von 105 Wenn innerhalb einer UWG-Reform und einer europäischen Rechtsharmonisierung im Wettbewerbsrecht Spezialtatbestände der verbundenen Angebote und der Kundenbindungsprogramme normiert werden,131 dann sollte eine Konkretisierung des Transparenzgebots ein Regelungsgegenstand sein. Unabhängig von einer wettbewerbsrechtlichen Kodifizierung der verbundenen Angebote und namentlich der Kundenbindungsprogramme allgemein im Wettbewerbsrecht, erscheint eine allgemeine Regelung der Informationspflichten bei Maßnahmen der Verkaufsförderung im UWG nicht schon deshalb geboten, weil die Umsetzung der e-commerce-Richtlinie eine entsprechende Regelung für den elektronischen Geschäftsverkehr verlangt.132 Ein solcher Mindeststandard an Informationspflichten ergibt sich ohne weiteres aus einer Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel schon unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannten Grundsätze.133 Eine Regelung der Informationspflichten ausschließlich für Maßnahmen der Verkaufsförderung erscheint auch nicht sachgerecht, da nur ein Ausschnitt der Fallkonstellationen betroffen ist, auf die sich das Transparenzgebot im Interesse der Verbraucherinformation bezieht. Eine in Umsetzung der e-commerce-Richtlinie erfol- 131 Siehe dazu oben E II 5 und E III 4. 132 Siehe dazu § 7 Entwurf eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG). 133 Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE), der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und der Zentralverband Gewerblicher Verbundgruppen (ZGV) schlagen in ihrer Stellungnahme „Keine ersatzlose Streichung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung – Vorschläge zur begleitenden Änderung des UWG und des GWB“ die folgende Neuregelung vor: „Wer im geschäftlichen Verkehr mit dem Verbraucher mit einer Vergünstigung beim Erwerb von Waren oder Dienstleistungen, insbesondere einem Preisnachlass oder einer Zugabe, wirbt, kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, es sei denn, Art, Ausmaß und Wert der Vergünstigung und die Voraussetzungen für ihre Gewährung sind deutlich erkennbar.“ Eine inhaltlich vergleichbare und nur sprachlich sich unterscheidende Neuregelung schlägt Köhler, BB 2001, 265, 270 vor; „Wer im geschäftlichen Verkehr mit dem Verbraucher mit Angeboten zur Verkaufsförderung wie Preisnachlässen, Zugaben und Geschenken wirbt, kann auf Unterlassung dieser Werbung in Anspruch genommen werden, es sei denn, die Angebote sind klar als solche erkennbar und die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme sind leicht zugänglich und klar und unzweideutig angegeben.“ BMJ – Gutachten UWG Seite 84 von 105 gende Regelung der Verbraucherinformation bei Angeboten zur Verkaufsförderung im Sinne des Art. 6 lit. c e-commerce-Richtlinie gefährdet nicht die Einheit des Wettbewerbsrechts online und offline, da der normierte Mindeststandard an Verbraucherinformation im elektronischen Geschäftsverkehr bei der Auslegung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 1 UWG zu Grunde zu legen ist und als Mindeststandard auch außerhalb des elektronischen Geschäftsverkehrs gelten wird. d) Kartellrechtliche Regelung Es ist vorgeschlagen worden, zum Schutz kleiner und mittlerer Wettbewerber vor einer unbilligen Behinderung Kundenbindungsprogramme kartellrechtlich zu sanktionieren. Vorgeschlagen wird eine Ergänzung des § 20 Abs. 4 GWB. Nach S. 1 der Vorschrift dürfen Unternehmen mit gegenüber kleinen und mittleren Wettbewerbern überlegener Marktmacht ihre Marktmacht nicht dazu ausnutzen, solche Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Nach S. 2 der Vorschrift liegt eine unbillige Behinderung im Sinne des S. 1 insbesondere vor, wenn ein Unternehmen Waren oder gewerbliche Leistungen nicht nur gelegentlich unter Einstandspreis anbietet, es sei denn dies ist sachlich gerechtfertigt. Der Regelung der Untereinstandspreisangebote134 vergleichbar sollen Kundenbindungssysteme als eine weitere Fallkonstellation der unbilligen Behinderung normiert werden. Eine unbillige Behinderung im Sinne des S. 1 soll auch dann vorliegen, wenn ein Unternehmen für die Erreichung bestimmter Umsätze oder einer bestimmten Zahl von Geschäftsabschlüssen eine Vergünstigung von erheblichem Wert anbietet, es sei denn dies ist sachlich gerechtfertigt.135 134 Siehe dazu Markert, in: Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 3. Aufl., 2001, § 20 GWB, Rn 295 ff. 135 Eine solche kartellrechtliche Regelung wird vorgeschlagen in der Stellungnahme des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE), des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) und des Zentralverbands Gewerblicher Verbundgruppen (ZGV) „Keine ersatzlose Streichung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung – Vorschläge zur begleitenden Änderung des UWG und des GWB“ vom Dezember 2000. Eine identische Regelung schlägt Köhler, Rabattgesetz und Zugabeverordnung: Ersatzlose Streichung oder Gewährleistung eines Mindestschutzes für Verbraucher und Wettbewerber?, BB 2001, 265, 272 vor. BMJ – Gutachten UWG Seite 85 von 105 Ohne die kartellrechtliche Problematik einer unbilligen Behinderung kleiner und mittlerer Wettbewerber durch den Einsatz von Rabatt-, Kopplungs- und Kundenbindungssystemen allgemein zum Gegenstand der vorliegenden Arbeitsunterlage zu machen, halte ich den Vorschlag einer kartellrechtlichen Regelung der Kundenbinungsprogramme der konkreten Art und Form nach nicht für sachgerecht. Die Fallkonstellationen eines Untereinstandspreisangebots und eines Kundenbindungssystems sind hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Problematik nicht ohne weiteres vergleichbar. Der Umstand, dass der Einsatz eines jeden Wettbewerbsparameters die Problematik der Marktmacht sowie der unbilligen Behinderung aufwirft, rechtfertigt es nicht, den Kartellrechtstatbestand des § 20 Abs. 4 GWB zum Sammelbecken einer Wettbewerbsregulierung zu machen. Es gibt kaum eine wettbewerbsrechtliche Diskussion innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union – und das gilt namentlich für Deutschland -, die eine heftigere Kontroverse auslöste, als die Suche nach den wettbewerbsrechtlichen Grenzen der Preisunterbietung im Handel. Untereinstandspreisangebote liegen per se an der Grenze der Wettbewerbskonformität, und zwar je nach dem Vorverständnis auf der einen oder der anderen Seite der Grenze. Eine Variationsbreite von Kundenbindungsprogrammen sind als solche wettbewerbskonform und sollten nicht als Regelbeispiel einer unbilligen Behinderung, die der sachlichen Rechtfertigung bedürfen, normiert werden. Es kommt hinzu, dass innerhalb einer europäischen Rechtsharmonisierung des Lauterkeitsrechts eine Regelung der Preisunterbietung unausweichlich sein wird. Der kartellrechtliche Ansatz des § 20 Abs. 4 S. 2 GWB hat im übrigen seine Bewährungsprobe als einer effektiven Eingreifnorm noch nicht bestanden, zumal es sich um eine das Verbot der unbilligen Behinderung nur konkretisierende und damit gleichsam deklaratorische Regelung handelt. Kundenbindungssysteme, die eine individuelle Wettbewerberbehinderung oder eine institutionelle Marktstörung darstellen,136 sind zudem nach § 1 UWG wettbewerb- 136 Siehe vergleichbar zu systemintransparenten, wettbewerbsbehindernden und BMJ – Gutachten UWG Seite 86 von 105 swidrig.137 Der richtige Weg scheint mir die Anerkennung des Lauterkeitsrechts als ein originäres Verbraucherschutzrecht zu sein. IV. Diskriminierende Werbung 1. Diskriminierende Werbung als eigenständige Fallgruppe Im deutschen Lauterkeitsrecht stellt die diskriminierende Werbung keine eigene Fallgruppe sittenwidrigen Wettbewerbs innerhalb der Generalklausel des § 1 UWG dar. Fallkonstellationen diskriminierender Werbung werden teilweise unter dem Titel der anstößigen oder geschmacklosen Werbung behandelt.138 Die Realität der Werbung, wie sie namentlich in den Jahresberichten des Deutschen Werberates als dem selbstdisziplinären Organ des Zentralverbands der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) veranschaulicht wird, belegt ein vielfältiges Bild diskriminierender Werbeinhalte, die zu einem erheblichen Teil frauendiskriminierende Werbemaßnahmen betreffen. Diskriminierende Werbung stellt einen Kernbereich wettbewerblichen Unrechts dar. Die wettbewerbsrechtliche Problemstellung geht dahin, unter welchen Voraussetzungen der Kommunikationsprozess Werbung als diskriminierend zu beurteilen ist. marktstörenden Kopplungsangeboten oben E II 4. 137 Das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot nach § 20 Abs. 1 und 2 GWB allgemein von Unternehmen auf Verbraucher auszudehnen, erscheint allein aus Gründen einer Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO mehr als bedenklich; so schlägt Köhler, WRP BB 2001, 265, 271 einen kartellrechtlichen Schutz des Verbrauchers durch die folgende Vorschrift vor: „Unternehmen, von denen Verbraucher als Nachfrager bei einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten, auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen, dürfen diese nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar unterschiedlich behandeln.“ 138 Siehe dazu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 84. BMJ – Gutachten UWG Seite 87 von 105 In den nordischen Ländern bestehen teilweise gesetzliche Regelungen eines Verbots der geschlechterdiskriminierenden Werbung.139 In der dortigen Praxis haben sich als Beurteilungskriterien die kränkende Darstellung, die herabsetzende Beurteilung und der Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung herausgebildet. Als gesetzwidrig gilt etwa weiter die Reduktion einer Person zum Sexualobjekt; die Darstellung, die Position eines Geschlechts sei derjenigen des anderen Geschlechts in sozialer, kultureller oder wirtschaftlicher Hinsicht unterlegen; oder die Darstellung, eines der Geschlechter besitze besondere Persönlichkeitsmerkmale oder Eigenschaften. In Deutschland ist im Zusammenhang mit Überlegungen zu einem Antidiskriminierungsgesetz auch ein Werbeverbot der Darstellung von Frauen und Männern in entwürdigender Form diskutiert worden.140 Im polnischen Gesetz über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 16. April 1993 gilt nach Art. 16 Abs. 1 Nr. 1 als eine unlautere Wettbewerbshandlung im Bereich der Werbung nicht nur eine dem Gesetz oder den guten Sitten widersprechende, sondern auch eine die Würde des Menschen verletzende Werbung.141 Mein Vorschlag geht dahin, die diskriminierende Werbung als einen Spezialtatbestand im UWG zu regeln oder zumindest als eine eigenständige wettbewerbsrechtliche Fallgruppe innerhalb der Generalklausel des § 1 UWG anzuerkennen.142 Das 139 Siehe dazu die Übersichten bei Kur, Die „geschlechtsdiskriminierende Werbung“ im Recht der nordischen Länder, WRP 1995, 790; Kur, Das Recht des unlauteren Wettbewerbs in Finnland, Norwegen und Schweden, GRUR Int.1996, 38, 44 f. 140 Siehe dazu Pfarr/Bertelsmann, Gleichbehandlungsgesetz – Zum Verbot der unmittelbaren und der mittelbaren Diskriminierung von Frauen im Erwerbsleben, 1985; Gitter, Gleichberechtigung der Frau: Aufgaben und Schwierigkeiten - Eine Erörterung von Überlegungen über ein „Antidiskriminierungsgesetz“, NJW 1982, 1567. 141 Siehe dazu Wiszniewska, Novellierung des polnischen Gesetzes über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs, GRUR Int. 2001, 213, 218. 142 Siehe zu den Fallkonstellationen der diskriminierenden Werbung als einer eigenständigen wettbewerbsrechtlichen Fallgruppe erstmals Fezer, Diskriminierende Werbung - Das Menschenbild der Verfassung im Wettbewerbsrecht, JZ 1998, 265; siehe ferner Wassermeyer, Diskriminierende Werbung - Die konträre Behandlung personenspezifischer Gruppen im Wettbewerbsrecht, Dissertation Konstanz, 2000. BMJ – Gutachten UWG Seite 88 von 105 Gewicht des wettbewerblichen Unrechts einer diskriminierenden Werbung rechtfertigt es, die diskriminierende Werbung in einem Spezialtatbestand gleichwertig neben der vergleichenden und der irreführenden Werbung zu normieren. 2. Die Revision der Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung in der BenettonEntscheidung des BVerfG Bei der Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel im Wege der Fallgruppenbildung hat sich in einer jahrzehntelangen Rechtsentwicklung die Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung herausgebildet.143 Mitleid und Hilfsbereitschaft, soziale Verantwortung und Umweltbewusstsein, Frömmigkeit, Trauer und Angst sind nur einige der Gefühlslagen, die namentlich in den Bereichen der Karitas und des Umweltschutzes werblich instrumentalisiert werden. Gefühlsbetonte Werbung ist aber nicht an sich wettbewerbswidrig. Auch sensitive Werbung steht unter dem Schutz der Kommunikationsfreiheit. Die Zuordnung einer Werbemaßnahme zur Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung hilft wenig weiter. Wenn eine Werbung suggeriert, der Erwerb des beworbenen Produkts diene karikativen Zwecken und leiste eine Beitrag zum Umweltschutz, so reicht allein dieser Kausalzusammenhang zwischen der werblichen Ansprache des Gefühls und der positiven Verbraucherentscheidung nicht aus, um die Wettbewerbswidrigkeit einer sensitiven Marketingstrategie zu begründen. Zur Begründung der Wettbewerbswidrigkeit ist das Vorliegen weiterer Umstände erforderlich, etwa eine Irreführung des Verbrauchers über die karikative Stellung des Werbenden oder über die von dem werbenden Unternehmen vorgenommenen Umweltleistungen. 143 Siehe dazu im einzelnen Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 185 ff. BMJ – Gutachten UWG Seite 89 von 105 In den Benetton-Entscheidungen nahm der BGH eine bedenkliche Zuordnung der Werbebilder zu der Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung vor.144 Nach der Entscheidung „Ölverschmutzte Ente“ liegt der Kern des sittenwidrigen Wettbewerbsverhaltens darin begründet, dass der Werbende mit der lediglich auf ihn als publizierendes Unternehmen hinweisenden Darstellung des Elends geschundener Kreatur bei einem nicht unerheblichen Teil der Verbraucher starke Gefühle des Mitleids und der Ohnmacht über die Umweltzerstörung wecke, sich dabei als gleichermaßen betroffen darstelle und damit eine Solidarisierung der Einstellung solchermaßen berührter Verbraucher mit dem Namen und zugleich mit der Geschäftstätigkeit seines Unternehmens herbeiführe. Wer im geschäftlichen Verkehr Gefühle des Mitleids oder der Solidarität mit sozialem Engagement ohne sachliche Veranlassung145 zu Wettbewerbszwecken ausnutze, setze sich dem Vorwurf sittenwidrigen Handelns im Wettbewerb aus. In der Benetton-Entscheidung wendet sich das BVerfG nachdrücklich gegen die Rechtserheblichkeit dieser Unlauterkeitskriterien im Wettbewerbsrecht.146 Zwar räumt das BVerfG ein, ein solches Sittenwidrigkeitsurteil sei als Anstandsregel durchaus billigenswert und dürfte als solches von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert werden. Dahinter stecke der Wunsch, in einer Gesellschaft zu leben, in der auf Leid nicht mit gefühllosem Gewinnstreben, sondern mit Empathie und Abhilfe- 144 BGHZ 130, 196 - Ölverschmutzte Ente; 1995, 595 - Kinderarbeit; siehe weiter BGH GRUR 1995, 600 - H.I.V. POSITIVE. 145 Siehe zum wettbewerbsrechtlichen Sachlichkeitsgrundsatz (Sachzusammenhang) allgemein Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 175 ff.; Jacobs, in: Gloy, (Hrsg.), Handbuch des Wettbewerbsrechts, 2. Aufl., 1997, § 50, Rn 22; zur Kritik am Produktbezug des Sachlichkeitsgrundsatzes im Weltwerberecht siehe Fezer, Umweltwerbung mit unternehmerischen Investitionen in den Nahverkehr, JZ 1992, 443, 448; Federhoff-Rink, Umweltschutz und Wettbewerbsrecht - Wettbewerbsrechtliche Prinzipien umweltbezogener Unternehmenskommunikation im europäischen Binnenmarkt, 1994, S. 169 f.; siehe dazu Ullmann, - Spenden - Sponsern - Werben, in: Festschrift für Traub, 1994, 411, 419 f.; Teichmann/Krüchten, Kriterien gefühlsbetonter Werbung, WRP 1994, 704. 146 BVerfG GRUR 2001, 170 - Schockwerbung; siehe dazu Fezer, Imagewerbung mit gesellschaftskritischen Themen im Schutzbereich der Meinungs- und Pressefreiheit, NJW 2001, 85. BMJ – Gutachten UWG Seite 90 von 105 maßnahmen, also in einer primär auf das Leid bezogenen Weise reagiert werde. Es sei aber nicht ohne weiteres erkennbar, ob damit zugleich hinreichend gewichtige öffentliche oder private Belange geschützt würden. In aller Deutlichkeit wird festgestellt: Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers sei kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken dürfe. Anders könne es zu beurteilen sein, wenn ekelerregende, furchteinflößende oder jugendgefährdende Bilder gezeigt würden. Angemessen wird die Werbelandschaft dahin umschrieben, ein Großteil der heutigen Werbung sei durch das Bestreben gekennzeichnet, durch gefühlsbetonte Motive Aufmerksamkeit zu erregen und Sympathie zu gewinnen. Kommerzielle Werbung mit Bildern, die mit suggestiver Kraft libidinöse Wünsche weckten, den Drang nach Freiheit und Ungebundenheit beschwörten oder den Glanz gesellschaftlicher Prominenz verhießen, sei gegenwärtig. Der Fallgruppe der gefühlsbetonten Werbung wird künftig keine - oder zumindest kaum mehr eine147 - wettbewerbsrechtliche Relevanz zukommen. Die wettbewerbsrechtlichen Schranken der sensitiven Werbung sind an Hand verfassungsrechtlich erheblicher Schutzpositionen in Bezug auf die Rechtsbetroffenheit des einzelnen Bürgers oder der Allgemeinheit zu bestimmen. 3. Arten der diskriminierenden Werbung Bei dem gegenwärtigen Stand der Diskussion in der Arbeitsgruppe UWG-Reform scheint es mir noch nicht geboten, die Arten der diskriminierenden Werbung im einzelnen zu begutachten. Auf fünf Fallgruppen der diskriminierenden Werbung möchte ich verweisen: rassendiskriminierende, ausländerdiskriminierende, religionendiskriminierende, behindertendiskriminierende und geschlechterdiskriminierende Werbung.148 147 So sind Fallkonstellationen wettbewerbswidriger Werbung mit der Angst möglich; siehe dazu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 176a f. 148 Siehe zu den Fallgruppen der diskriminierenden Werbung erstmals Fezer, Diskriminierende Werbung - Das Menschenbild der Verfassung im Wettbewerbsrecht, JZ 1998, 265, 272 ff.; siehe dazu weiter Wassermeyer, Diskriminierende BMJ – Gutachten UWG Seite 91 von 105 Werbung, die die Problematik der Rassendiskriminierung thematisiert und auch polarisierend diskutiert, ist als solche nicht wettbewerbswidrig. Wettbewerbswidrig ist eine Werbung erst dann, wenn sie einen Beitrag zur Diskriminierung der Rassen leistet und damit Rassendiskriminierung gesellschaftlich fördert oder positiv beurteilt. Werbung ist ausländerdiskriminierend, wenn sie die Gleichheit und Gleichwertigkeit eines Menschen auf Grund seiner Nationalität bezweifelt oder leugnet. Dies kann in subtiler Form geschehen, ohne dass dies der Werbung ihren diskriminierenden Unrechtsgehalt nimmt. Bei der Werbung mit religiösen Begriffen, Bildern und Symbolen kommt gegenüber dem allgemeinen Verbot einer Diskriminierung der Menschen aus Gründen der Religiosität hinzu, dass die öffentliche Diskussion im Kontext kommerzieller Interessen die Religiosität der einzelnen Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft zu verletzen in der Lage ist. So verlangt die verfassungsrechtlich gebotene Achtung der Religiosität Andersgläubiger, diese nicht in der Werbung verächtlich zu machen, auch wenn zugleich die religiöse Vorstellungswelt nicht der Maßstab für die Welt der Konsumgütergesellschaft sein kann. Auch religiöse Themen müssen in der Werbung als ein politisches und soziales Anliegen kommunikativ transportiert werden können. Die Werbung, die einzelne Behinderungen von Menschen sowie Behinderte als Gruppen diskriminiert, zeugt von einem besonderen Mangel an Sensibilität und Verantwortung gegenüber den Behinderungen von Menschen und ist als solche als wettbewerbswidrig zu beurteilen. Die geschlechterdiskriminierende Werbung stellt sich ganz überwiegend als frauendiskriminierende Werbung149 dar. Ein Verbot geschlechterdiskriminierender Werbung - Die konträre Behandlung personenspezifischer Gruppen im Wettbewerbsrecht, Dissertation Konstanz, 2000. 149 Siehe zum Rollenbild der Frau in der Werbung nur Goffman, Geschlecht und Werbung, 1981; Gregory, Sex, Race and the law, 1987, Hering, Weibs-Bilder, Zeugnisse zum öffentlichen Ansehen der Frau, Ein hässliches Bilderbuch, 1979; BMJ – Gutachten UWG Seite 92 von 105 Werbung redet nicht der Prüderie in der Werbung das Wort. Die Darstellung von Nacktheit und Sexualität ist in der Werbung zulässig. Das gilt auch dann, wenn kein Sachzusammenhang zu dem beworbenen Produkt besteht. Diskriminierungskriterien sind etwa die Degradierung eines Menschen zum Sexualobjekt, die Leugnung der sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Gleichwertigkeit eines Menschen auf Grund seiner geschlechtsspezifischen Eigenschaften, wie auch erniedrigende oder verächtlichmachende Darstellungen geschlechtsspezifischen Inhalts. Als diskriminierende Werbung beurteile ich zusammenfassend eine die Gleichheit und Gleichwertigkeit der Menschen leugnende Werbung, eine die Integrität des Menschen verletzende Werbung, eine die soziale Stigmatisierung von Menschen intendierende Werbung, eine die Verächtlichmachung des Menschen in seinen angeborenen oder sozial erworbenen Eigenschaften fördernde Werbung, eine die geschlechtsspezifische oder geschlechtsbezogene Verobjektivierung des Menschen instrumentalisierende Werbung. Bei der Formulierung eines Spezialtatbestandes der diskriminierenden Werbung kann auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die das BVerfG in seiner BenettonEntscheidung formuliert hat.150 Das BVerfG betont zu Recht, die sich aus dem Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG ergebende Verpflichtung des Staates, alle Menschen gegen Angriffe auf die Menschenwürde wie Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung und Ächtung zu schützen. Werbeanzeigen, die einzelne Personen oder Personengruppen in einer die Menschwürde verletzenden Weise ausgrenzten, verächtlich machten, verspotteten oder sonst wie herabwürdigten, können daher grundsätzlich auch dann wettbewerbsrechtlich untersagt werden, wenn sie den Schutz der Kommunikationsgrundrechte des Art. 5 GG oder anderweitigen Grundrechtsschutz genießen. Kisseler, Das Bild der Frau in der Werbung, in: Festschrift für Gaedertz, 1992, S. 283 ff.; Lautmann, Die Gleichheit der Geschlechter und die Wirklichkeit des Rechts, 1990; Pross, Harry, Moral der Massenmedien, Prolegomena zu einer Theorie der Publizistik, 1967; Pross, Helge, Gleichberechtigung im Beruf? - Eine Untersuchung mit 7000 Arbeitnehmerinnen in der EWG, 1973; Schmerl, (Hrsg.), Frauenzoo der Werbung - Aufklärung über Fabeltiere, 1992. 150 BVerfG GRUR 2001, 170, 174 - Schockwerbung. BMJ – Gutachten UWG Seite 93 von 105 V. Projektion lauterkeitsrechtlicher Fallkonstellationen Innerhalb einer europäischen Rechtsharmonisierung des Lauterkeitsrechts wird es erforderlich sein, solche wettbewerbsrechtlichen Fallkonstellationen zu diskutieren und gegebenenfalls gesetzliche Regelungen zu verabschieden, die zwar nicht von der Tagesaktualität bestimmt werden, deren wettbewerbspolitischer Regelungsbedarf aber nicht minder von Bedeutung erscheint. Dazu gehören namentlich eine Regelung der wettbewerbsrechtlichen Schranken der Umweltwerbung, der Kinderwerbung und des wettbewerbserheblichen Rechtsbruchs. F. Einheitliches Wettbewerbsrecht online und offline Die Gefahr einer Zweispurigkeit im Wettbewerbsrecht des elektronischen Handels zum einen und des herkömmlichen Handels zum anderen besteht nicht allein aus Gründen einer Umsetzung des Herkunftslandsprinzips im elektronischen Geschäftsverkehr der kommerziellen Kommunikationen, sondern auch aus Gründen innovativer Angebots- und Verkaufsmethoden, die sich als Folge des Einsatzes der Internettechniken im elektronischen Geschäftsverkehr ergeben. Es besteht die Notwendigkeit einer einheitlichen Geltung der wettbewerbsrechtlichen Regeln online und offline. Die berechtigten Interessen der Verbraucher und Unternehmen sind online und offline gleichwertig. Der institutionelle Schutz des Wettbewerbs in seinem Bestand besteht unabhängig von der elektronischen oder herkömmlichen Marktbeziehung. Virtuelle Verkaufsmethoden des Internets sind gegenwärtig Gegenstand zahlreicher instanzgerichtlicher Entscheidungen,151 die deren wettbewerbsrechtliche Zulässig- 151 Siehe zum Co-Shopping OLG Hamburg GRUR 2000, 549; LG Hamburg CR 2000, 774; LG Köln CR 2000, 318; LG Köln CR 2001, 44; LG Nürnberg-Fürth MMR 2000, 640; siehe zur Internet-Auktion OLG Frankfurt WRP 2001, 557; OLG MÜnchen CR 2001, 338; OLG Hamm MMR 2001, 105; LG Münster MMR 2000, 280; LG Wiesbaden CR 2000, 317; AG Wiesbaden CR 2001, 52. BMJ – Gutachten UWG Seite 94 von 105 keit zu beurteilen haben und Anlaß für eine breite Diskussion im Schrifttum152 sind. Eine solche Verkaufsmethode im Internet stellt das Community-Shopping (Coshopping, Powershopping, Powerbuying) dar; das Coshopping kann die Form von Auktionen im Internet annehmen. Unter Coshopping ist das Geschäftsmodell des Angebots von Waren oder Dienstleistungen im Internet zu verstehen, bei dem die Interessenten eines solchen Produkts eine virtuelle und informelle Gruppe bilden, deren Summe der Angebote innerhalb einer bestimmten Zeit den Preis der Ware oder Dienstleistung bestimmt. In Rechtsprechung und Schrifttum wird die Zulässigkeit von Coshopping und Internetauktionen unterschiedlich beurteilt. Insoweit die Unzulässigkeit mit einem Rabattverstoß begründet wird, entfällt die rabattrechtliche Problematik nach Aufhebung des RabattG. Die Beurteilung des Coshoppings als eine unzulässige Sonderveranstaltung nach § 7 Abs. 1 UWG verlagert die wettbewerbsrechtliche Problematik auf einen nicht eurokompatiblen Normbereich. Die wettbewerbsrechtlichen Grenzen des Coshopping sind nach den allgemeinen Regeln des Wettbewerbsrechts zu bestimmen. Das Verbot irreführender Werbung nach § 3 UWG setzt dem Coshopping wettbewerbsrechtliche Schranken. Der Grundsatz der Preisklarheit und Preiswahrheit (Preistransparenz) verlangt gerade im Internet eine sorgfältige Prüfung der Angaben über die Preisbildung. Die Fallgruppe des übertriebenen Anlockens nach § 1 UWG, deren Fortgeltung ohnehin zweifelhaft ist, wird nur in eklatanten Fallkonstellationen eingreifen. Das gilt vor allem dann, wenn man von einem Modell des verständigen Verbrauchers als informiertem Internetnutzer ausgeht. Das gilt insbesondere für die Begründung der Wettbewerbs- 152 Siehe zum Co-Shopping Menke, Community Shopping und Wettbewerbsrecht, WRP 2000, 337; Leible/Sosnitza, Virtuelle Einkaufsgemeinschaften - Zur wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von „Powershopping“ im Internet, ZIP 2000, 17; Huppertz, Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Verbraucher-Einkaufsgemeinschaften im Web, MMR 2000, 329; Ernst, Rechtliche Zulässigkeit von Preisnachlässen an virtuelle Kaufgemeinschaften im Internet, CR 2000, 239; siehe zu Internet-Auktionen, Ernst, Die Online-Versteigerung, CR 2000, 304; Huppertz, Rechtliche Probleme von Online-Auktionen, MMR 2000, 65; Bullinger, InternetAuktionen - Die Versteigerung von Neuwaren im Internet aus wettbewerbsrechtlicher Sicht, WRP 2000, 253; Wiebe, Vertragsschluß bei Online-Auktionen, MMR 2000, 323; Spindler, Vertragsschluß und Inhaltskontrolle bei Internet-Auktionen, ZIP 2001, 809; siehe umfassend zu den rechtlichen Rahmenbedingungen von Internet-Auktionen Spindler/Wiebe, Internet-Auktionen, 2001. BMJ – Gutachten UWG Seite 95 von 105 widrigkeit im Hinblick auf die Fallkonstellation der Ausnutzung der Spiellust.153 Die Grundsätze der aleatorischen Werbung werden den internetspezifischen Marketingstrategien nicht gerecht. Ein spielerisches Element ist dem Internet als Kommunikationsmedium eigen und wird von den Internetnutzern angenommen. Die Fallkonstellation der Laienwerbung154 stellt keine angemessene Würdigung des Coshoppings dar und wird nur in seltenen Fallkonstellationen eingreifen. Das Coshopping, das die Anforderungen der PAngVO erfüllt, unterliegt gleichwohl dem wettbewerbsrechtlichen Grundsatz der Preiswahrheit und Preisklarheit. Die Bezeichnung eines Verkaufs gegen Höchstgebot im Internet unter der Bezeichnung Auktion oder Versteigerung stellt keine Versteigerung im Sinne des § 34b GewO dar und ist nur bei Hinzutreten weiterer Umstände irreführend.155 Zusammenfassung 1. Die Modernisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist eine Aufgabe der Europäisierung kompatibler Schutzstandards. Die europäische Rechtsharmonisierung im Lauterkeitsrecht bietet die Chance einer Integration der originären Verbraucherinteressen in das Wettbewerbsrecht zur Stärkung des Verbraucherschutzes. Der normative Modelladressat eines europäischen Lauterkeitsrechts ist der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher. Eurokompatible Schutzstandards im Lauterkeitsrecht sind an den berechtigten Erwartungen eines verständigen Verbrauchers zu orientieren. 153 Siehe dazu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 142 ff. 154 Siehe dazu Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., 2001, § 1 UWG, Rn 200 ff. 155 OLG Frankfurt WRP 2001, 557 - Internetauktion; siehe auch OLG Hamm MMR 2001, 105 - ricardo.de. 155 BMJ – Gutachten UWG Seite 96 von 105 Grundlage der Rechtsprechung des EuGH ist ein europäischer Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Maßnahmen zum Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher werden an der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit sowie dem Übermaßverbot gemessen. Eine europäische Harmonisierungsrichtlinie zum Lauterkeitsrecht wird den nationalen Gesetzgebern in den Mitgliedstaaten einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumen. Ein Europäisches Lauterkeitsrecht als Teilmenge eines Europäischen Wettbewerbsrechts basiert auf binnenmarktrechtlichen Prinzipien einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung in der Europäischen Union. Das ist der Ort der Genesis eines Europäischen Lauterkeitsrechts. 2. Die wettbewerbsrechtliche Generalklausel als eine Delegationsnorm jurisdiktiver Rechtsetzung wird durch solche Spezialtatbestände ergänzt, die die Kernbereiche des wettbewerblichen Unrechts entsprechend der Gegenwart der Marktverhältnisse auf einem eurokompatiblen Schutzniveau beschreiben. Die Zweispurigkeit von Generalklausel und Spezialtatbeständen ist einer beredten Generalklausel mit einem Beispielskatalog wettbewerbswidrigen Verhaltens vorzuziehen. Der Normierung eines Spezialtatbestandes kommt zum einen, auch wenn er eine Verbotsnorm darstellt, eine die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Unternehmen erweiternde und sichernde Funktion zu. Entsprechend der Regelung der vergleichenden Werbung schneidet ein Spezialtatbestand gleichsam einen Verbotsbereich aus der Generalklausel heraus und steckt zugleich die erweiterten Handlungsgrenzen ab. Zum anderen kann der Normierung eines Spezialtatbestandes eine die Wettbe- werbswidrigkeit konkretisierende Funktion zukommen, wenn auf Grund der Regelungstechnik des Spezialtatbestandes eine Integration der als wettbewerbswidrig normierten Fallkonstellation in das wettbewerbliche Unrecht der Generalklausel stattfindet. Eine gegenüber der Generalklausel eigenständige Normzweckklausel zur Umschreibung des Normzwecks des Lauterkeitsrechts ist nicht zu empfehlen. Die Normzweckklausel ist gleichsam in eine erläuternde Generalklausel zu integrieren. Topoi eines modernen Wettbewerbsrechts sind auf Grund eines Paradigmenwechsels des Lauterkeitsrechts neben dem Mitbewerberschutz der Schutz des Leistungswettbewerbs, der Schutz der Verbraucherinteressen und der Schutz des Wettbewerbs in seinem Bestand. 3. Das deutsche Lauterkeitsrecht umschreibt das wettbewerbliche Unrecht als einen BMJ – Gutachten UWG Seite 97 von 105 Verstoß gegen die guten Sitten. Die Konkretisierung der Generalklausel zentriert gegenwärtig um die Trias der Interessenkreise der Wettbeerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit. Der Wettbewerbsbezug der Güter- und Interessenabwägung fundiert den sittlichrechtlichen Gehalt der Wettbewerbswidrigkeit. Der innerhalb der Generalklausel vollzogene Funktionswandel des Lauterkeitsrechts sollte im Wortlaut der Generalklausel zum Ausdruck kommen. Es sind namentlich drei materiellrechtliche Entwicklungen des Lauterkeitsrechts, die als Auslegungsdirektiven die Normativität des wettbewerblichen Unrechts bestimmen. Zum Ersten vermag die Theorie des Leistungswettbewerbs in ihrer normativ-teleologischen Gestalt im Sinne der Zielsetzung des Wettbewerbsprozesses den Begriff des Wettbewerbs im Lauterkeitsrecht inhaltlich auszufüllen. Zum Zweiten sollte der Verbraucherschutz als eine originäre Aufgabe des Lauterkeitsrechts verstanden werden. Die Anerkennung eines originären Verbraucherschutzes durch Lauterkeitsrecht transformiert das Wettbewerbsrecht zu einem Schutzzweckgesetz im Sinne des Schadensersatzrechts. Zum Dritten sollte im Sinne einer Einheit von UWG und GWB der ordnungsrechtliche Gehalt des Lauterkeitsrechts, wie er in der Anerkennung der Fallgruppe der Marktstörung anschaulich wird, in der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel ausgedrückt werden. Das Lauterkeitsrecht ist als eine integrative Einheit von Mitbewerberrecht, Verbraucherrecht und Marktordnungsrecht zu verstehen. Mein Vorschlag geht dahin, in der Generalklausel des § 1 UWG nicht auf einen Verstoß gegen die guten Sitten, sondern auf eine Beeinträchtigung des lauteren und unverfälschten Leistungswettbewerbs sowie der Belange der Verbraucher abzustellen. 4. Auf das Tatbestandsmerkmal eines Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs sollte verzichtet werden. Das Erfordernis einer Wettbewerbshandlung wird schon dadurch zum Ausdruck gebracht, dass auf eine Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs abgestellt wird. Der Wettbewerbsbezug des Marktverhaltens eines Unternehmens kann auch dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass auf eine Beeinflussung der Wettbewerber und der Verbraucher abgestellt wird. 5. Restriktionen des Anwendungsbereichs der Generalklausel des § 1 UWG in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Annahme der Wettbewerbswidrigkeit eines BMJ – Gutachten UWG Seite 98 von 105 Gesetzesverstoßes zum einen (Fallgruppe des Rechtsbruchs) und die Orientierung an dem europäischen Verbraucherleitbild eines verständigen Verbrauchers zum anderen haben eine normative Korrektur hinsichtlich der Wesentlichkeit des Wettbewerbsverstoßes zur Folge. Die Normierung einer Spürbarkeitsgrenze oder Bagatellklausel ist insoweit nicht mehr von besonderer Aktualität. Ob innerhalb einer europäischen Rechtsharmonisierung des Lauterkeitsrechts eine ausdrückliche Regelung im Sinne einer Bagatellklausel erforderlich wird, oder ob auf die ausdrückliche Normierung einer Spürbarkeitsgrenze deshalb verzichtet werden kann, weil Konsens über die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in einem Europäischen Lauterkeitsrecht besteht, wird dahingestellt. Gesetzestechnisch kann eine Spürbarkeitsgrenze dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass auf eine wesentliche (erhebliche oder unverhältnismäßige) Beeinträchtigung des Leistungswettbewerbs innerhalb der Generalklausel des § 1 UWG abgestellt wird. 6. Das Recht der Verkaufsveranstaltungen (Sonderveranstaltungen, Jubiläumsverkäufe, Schlussverkäufe) nach § 7 UWG sollte schon wegen der Euroinkompatibilität und der Inakzeptanz im Verkehr aufgehoben werden. Das grundsätzliche Verbot der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel als unzulässige Sonderveranstaltungen stellt eine unangemessene Reglementierung der Verkaufsaktionen und Werbestrategien im Handel dar. Die Lebenswirklichkeit im Handel sowie die Innovationen des elektronischen Handels sind zureichende Gründe, das Recht der Verkaufsveranstaltungen nach § 7 UWG aufzuheben. Innerhalb einer Rechtsharmonisierung ist das Recht der Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel nicht eurokompatibel. Die Aufhebung des Verkaufsveranstaltungsrechts ist auch eine notwendige Folge der Aufhebung des Rabattrechts und des Zugaberechts. Der Fortbestand des Verkaufsveranstaltungsrechts unterwirft die Entwicklung innovativer Verkaufsmethoden und Werbestrategien den ohnehin einer Modernisierung des Lauterkeitsrechts inadäquaten Schranken dieser den Wettbewerb reglementierenden Vorschriften. Nach der Aufhebung des Rabatt- und Zugabeverbots unterliegt die Ankündigung und Gewährung von Rabatten und Zugaben den wettbewerbsrechtlichen Grenzen einer Ankündigung oder Durchführung von Verkaufsveranstaltungen im Einzelhandel. 7. Die Gründe, die hinsichtlich einer Euroinkompatibilität und einer Inakzeptanz des BMJ – Gutachten UWG Seite 99 von 105 Verkaufsveranstaltungsrechts vorgetragen wurden, gelten nicht minder für die Reglementierung der Räumungsverkäufe nach § 8 UWG. Die Generalklausel des § 1 UWG sowie das Irreführungsverbot nach § 3 UWG sind geeignet, einen Missbrauch bei der Veranstaltung von Räumungsverkäufen zu verhindern. Wenn eine Aufhebung des Räumungsverkaufsrechts nicht beschlossen wird, dann ist zumindest eine grundlegende Reform und Liberalisierung des Räumungsverkaufsrechts erforderlich. 8. Die verbotene Hersteller- und Großhändlerwerbung nach § 6a UWG und das Verbot des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG stellen als abstrakte Gefährdungstatbestände unverhältnismäßige Werbe- und Vertriebsverbote im Lauterkeitsrecht dar. Das Verbot irreführender Werbung nach § 3 UWG gewährleistet einen effektiven Verbraucherschutz sowohl im Bereich der Hersteller- und Großhändlerwerbung als auch im Bereich des Kaufscheinhandels. Vergleichbar dem Verbot der Sonderveranstaltungen im Einzelhandel, ist das Verbot des Kaufscheinhandels nach § 6b UWG geeingnet, die Einführung und Durchführung wettbewerbskonformer Rabatt- und Zugabemethoden dann zu behindern, wenn die Teilnahme an dem Marketingsystem mit einer Karte im Sinne eines Berechtigungsscheins, eines Ausweises oder einer sonstigen Bescheinigung im Sinne des § 6b UWG verbunden wird. Das Kaufscheinverbot des § 6b UWG könnte zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Behinderung der Einführung der verschiedenen Arten von Bonussystemen als Kundenbindungssysteme führen. 9. Die Ausdehnung des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes nach § 1 UWG stellt ein rechtstatsächliches Phänomen dar. Weltweit geht es um den wettbewerbsrechtlichen Schutz der Innovation vor Imitation. Auch wenn Fundament der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Fallgruppe der Ausbeutung der Grundsatz der Nachahmungsfreiheit ist, rückt die Schutzwürdigkeit einer unternehmerischen Leistung an sich in den Mittelpunkt der wettbewerbsrechtlichen Bewertung zur Abwehr von Behinderungen im Leistungswettbewerb. Bei der Normierung des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes als einer eigenen Aufgabe des Wettbewerbsrechts in einem eigenen Spezialtatbestand ist zwischen der Schutzwürdigkeit der Leistung (Schutztatbestand) und der Rechtfertigung der Leistungsaneignung BMJ – Gutachten UWG Seite 100 von 105 (Rechtfertigungstatbestand) zu unterscheiden. Vorgeschlagen wird die Normierung eines Spezialtatbestandes des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes: Wer eine schutzwürdige Leistung eines anderen ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar übernimmt oder wesentlich nachahmt, handelt unlauter im Sinne des § 1 UWG. 10. Die Aufhebung der ZugabeVO verlangt einen Wandel in der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der Wertwerbung, da nunmehr die unentgeltliche und akzessorische Zuwendung einer Ware oder Dienstleistung als sätzlich wettbewerbskonform zu verstehen ist. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung verbundener Angebote (Kopplungsangebot, Kopplungsgeschäft) hat von dem Grundsatz der Freiheit der Preisgestaltung, der Sortimentsgestaltung und der Angebotsgestaltung im Handel auszugehen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird die an dem Verständnis als Wertreklame und an der zugaberechtlichen Akzessorietät orientierte, strenge Beurteilung der Kopplungsangebote korrigiert. Die Rechtsprechung gibt der Handelsfreiheit der Angebotsstrukturen im Leistungswettbewerb mehr Raum und vertraut stärker auf die Rationalität der Entscheidung des mündigen Verbrauchers. Die Verbindung mehrerer Waren oder Dienstleistungen zu einem einheitlichen Angebot ist Teil der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit im Handel. Verbundene Angebote sind grundsätzlich Ausdruck der Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Kopplungsangebote sind nicht als Wertwerbung strenger als andere Formen der Werbung wie die Wort- und Bildwerbung zu beurteilen. Es besteht zudem kein wettbewerbsrechtlicher Branchenschutz im Handel. Kopplungsangebote sind deshalb grundsätzlich wettbewerbsrechtlich zulässig. Die Generalklausel des § 1 UWG setzt der Verbindung von Waren und Dienststleistungen zu einem Gesamtangebot zureichend wettbewerbsrechtliche Grenzen. Ein verbundenes Angebot ist dann wettbewerbswidrig, wenn eine der drei Fallkonstellationen einer Preisintransparenz, einer individuellen Wettbewerbsbehinderung oder einer allgemeinen Marktstörung vorliegen, oder wenn das Kopplungsangebot in ein System unverhältnismäßiger Kundenbindung integriert ist. Preisintransparente, wettbewerbsbehindernde und marktstörende Kopplungsangebote BMJ – Gutachten UWG Seite 101 von 105 sind nach § 1 UWG wettbewerbswidrig. Es ist nicht zu empfehlen, nach Aufhebung der ZugabeVO eine zugaberechtliche Ersatzregelung im UWG zu schaffen. Eine andere Frage ist es, ob nicht eine Regelung der verbundenen Angebote deshalb vorzuschlagen ist, um nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO zu verhindern, dass über eine Anwendung der Generalklausel des § 1 UWG dem alten Rechtszustand vergleichbare Rechtssätze geschaffen werden. Zweck einer solchen Regelung der Kopplungsangebote ist es, den Leistungswettbewerb mit verbundenen Angeboten zu sichern und dessen wettbewerbsrechtliche Grenzen abzustecken. 11. Zweck eines Kundenbindungsprogramms eines Anbieters ist es, den Verbraucher als Kunden umsatzbezogen und zeitbezogen an den entgeltlichen Erwerb der angebotenen Waren oder Dienstleistungen zu binden. Gegenstand eines Kundenbindungsprogramms ist die Gewährung von Vorteilen an den Kunden, die sich nach Anzahl und Umsatz des Erwerbs der Waren oder Dienstleistungen bestimmen. Die Art der Vorteilsgewähr an den Kunden kann preisbezogen und produktbezogen sein. Kundenbindungssysteme, die preisbezogene Vorteile gewähren, sind dem Preiswettbewerb zuzurechnen. Kundenbindungssysteme, die produktbezogene Vorteile gewähren, sind der Wertwerbung zuzurechnen. BMJ – Gutachten UWG Seite 102 von 105 Nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO ist von dem Grundsatz der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit von preisbezogenen und produktbezogenen Kundenbindungsprogrammen auszugehen. Die mit einem Kundenbindungsprogramm verbundene Bündelung der Verbrauchernachfrage (Sogwirkung) stellt eine wettbewerbseigene Folge eines Kundenbindungsprogramms dar und vermag als solche die Wettbewerbswidrigkeit nicht zu begründen. Kundenbindungsprogramme sind Teil des Leistungsangebots eines Unternehmens im Sinne eines Verständnisses vom Leistungswettbewerb, das den Wettbewerb nicht allein auf Preis und Qualität der Ware des primären Angebots beschränkt. Der Wettbewerb um leistungsgerechte Kundenbindungsprogramme liegt im Interesse der Verbraucher. Die Wettbewerbskonformität eines Kundenbindungssystems setzt dessen Diskriminierungsfreiheit und Systemtransparenz voraus. Diskriminierungsfreiheit eines Kundenbindungsprogramms verlangt, dass jeder Verbraucher als Kunde gleichen Zugang zu dem Kundenbindungsprogramm hat. Das Systemtransparenzgebot besteht hinsichtlich des gesamten Inhalts des Kundenbindungsprogramms, der für die Entscheidung des Verbrauchers erheblich ist. Das gilt nicht nur für das Preistransparenzgebot, an dessen Einhaltung aus Gründen der Preiswahrheit und Preisklarheit ein strenger Maßstab anzulegen ist, sondern auch für die Transparenz von Art und Umfang der Vorteilsgewährung sowie der Teilnahmebedingungen der Berechtigung zum Vorteilserwerb. Es ist nicht zu empfehlen, nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO eine rabattrechtliche und zugaberechtliche Ersatzregelung im UWG zu schaffen. Es liegt sowohl im Interesse eines wirksamen Leistungswettbewerbs als auch im Interesse der Verbraucher, die Entwicklung von leistungsgerechten Kundenbindungsprogrammen im Sinne innovativer Marketingstrategien am Markt zuzulassen. Die Konkretisierung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel wird der Aufgabe gerecht, diskriminierende und systemintransparente Kundenbindungsprogramme als unlauter zu verbieten. Eine andere Frage ist es, ob nicht eine Regelung der Kundenbindungsprogramme deshalb vorzuschlagen ist, um nach Aufhebung des RabattG und der ZugabeVO zu verhindern, dass über eine Anwendung der Generalklausel des § 1 UWG dem alten BMJ – Gutachten UWG Seite 103 von 105 Rechtszustand vergleichbare Rechtsätze geschaffen werden. Zweck einer solchen Regelung der Kundenbindungsprogramme ist es, leistungsgerechte Kundenbindungsprogramme im Interesse der Verbraucher zu sichern und deren wettbewerbsrechtliche Grenzen abzustecken. 12. Teil der europäischen Verbraucherschutzpolitik ist es, Markttransparenz und Verbraucherinformation im europäischen Binnenmarkt zu verbessern. Nach der Umsetzung der e-commerce-Richtlinie innerhalb der Wettbewerbsordnungen der Mitgliedstaaten wird im elektronischen Geschäftsverkehr für den gesamten Bereich der Verkaufsförderung ein Mindeststandard an Informationspflichten der Anbieter gelten. Eine Regelung der Informationspflichten ausschließlich für Maßnahmen der Verkaufsförderung erscheint nicht sachgerecht, da nur ein Ausschnitt der Fallkonstellationen betroffen ist, auf die sich das Transparenzgebot im Interesse der Verbraucherinformation bezieht. Eine in Umsetzung der e-commerce-Richtlinie erfolgende Regelung der Verbraucherinformation bei Angeboten zur Verkaufsförderung im Sinne des Art. 6 lit. c e-commerce-Richtlinie gefährdet nicht die Einheit des Wettbewerbsrechts online und offline, da der normierte Mindeststandard an Verbraucherinformation im elektronischen Geschäftsverkehr bei der Auslegung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 1 UWG zugrunde gelegt und als Mindeststandard auch außerhalb des elektronischen Geschäftsverkehrs gelten wird. 13. Es ist nicht zu empfehlen, zum Schutz kleiner und mittlerer Wettbewerber vor einer unbilligen Behinderung Kundenbindungsprogramme kartellrechtlich zu sanktionieren und eine Ergänzung des § 20 Abs. 4 GWB zu normieren. Der Umstand, dass der Einsatz eines jeden Wettbewerbsparameters die Problematik der Marktmacht sowie der unbilligen Behinderung aufwirft, rechtfertigt es nicht, den Kartellrechtstatbestand des § 20 Abs. 4 GWB zum Sammelbecken einer Wettbewerbsregulierung zu machen. Eine Variationsbreite von Kundenbindungsprogrammen sind als solche wettbewerbskonform und sollten nicht als Regelbeispiel einer unbilligen Behinderung, die der sachlichen Rechtfertigung bedürfen, normiert werden. Kundenbindungssysteme, die eine individuelle Wettbewerberbehinderung oder eine institutionelle Marktstörung darstellen, sind zudem nach § 1 UWG wettbewerbswidrig. BMJ – Gutachten UWG Seite 104 von 105 14. Die diskriminierende Werbung sollte als eine eigenständige Fallgruppe innerhalb der Generalklausel des §1 UWG anerkannt werden. Fallkonstellationen diskriminierender Werbung werden unter dem Titel einer anstößigen oder geschmacklosen Werbung nicht angemessen behandelt. Als Arten der diskriminierenden Werbung kann man die rassendiskriminierende, ausländerdiskriminierende, religionendiskriminierende, behindertendiskriminierende und geschlechterdiskriminierende Werbung unterscheiden. Das Gewicht des wettbewerblichen Unrechts einer diskriminierenden Werbung rechtfertigt es, innerhalb einer europäischen Rechtsharmonisierung des Lauterkeitsrechts die diskriminierende Werbung in einem Spezialtatbestand gleichwertig neben der vergleichenden und der irreführenden Werbung zu normieren. 15. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung innovativer Angebots- und Ver- kaufsmethoden, die sich als Folge des Einsatzes der Internettechniken im elektronischen Geschäftsverkehr ergeben, begründen die Gefahr einer Zweispurigkeit im Wettbewerbsrecht des elektronischen Handels zum einen und des herkömmlichen Handels zum anderen. Es besteht die Notwendigkeit einer einheitlichen Geltung der wettbewerbsrechtlichen Regeln online und offline. Die berechtigten Interessen der Verbraucher und Unternehmen sind online und offline gleichwertig. Der institutionelle Schutz des Wettbewerbs in seinem Bestand besteht unabhängig von der elektronischen oder herkömmlichen Marktbeziehung. Community-Shopping und Internet-Auktionen sind Geschäftsmodelle des Angebots von Waren oder Dienstleistungen im Internet. Die wettbewerbsrechtlichen Grenzen des Co-Shoppings und der Internet-Auktionen sind nach den allgemeinen Regeln des Wettbewerbsrechts zu bestimmen. Das Verbot der irreführenden Werbung nach § 3 UWG setzt dem Co-Shopping wettbewerbsrechtliche Schranken. Der Grundsatz der Preisklarheit und Preiswahrheit (Preistransparenz) verlangt gerade im Internet eine sorgfältige Prüfung der Angaben über die Preisbildung (§ 1 UWG). Eine Regelung der Internet-Geschäftsmodelle in einem wettbewerbsrechtlichen Spezialtatbestand ist im Interesse eines einheitlichen Wettbewerbsrechts online und offline nicht zu empfehlen. BMJ – Gutachten UWG Seite 105 von 105