S II B Moralphilosophie · Beitrag 4 Was soll ich tun? 1 Was soll ich tun? – Einführung in Grundpositionen der philosophischen Ethik Alexander König (Saarbrücken), Peter Jochum (Merchweiler) und Dr. Dorothee Jungblut (Saarbrücken) U A H C S R O V Zeichnung: Oliver Wetterauer. Klasse: 12/13 Dauer: 12 Stunden Arbeitsbereich: Moralphilosophie / Ansätze philosophischer Ethik Unser Handeln ist nicht beliebig. Jede Entscheidung basiert auf ethisch-moralischen Begründungsmustern. Unterschiedlich sind jedoch die Antworten auf die Frage, welche dies sind. Epikur beschreibt den Menschen in seinem Streben nach dem Glück. Für Bentham hingegen ist gut, was für alle nützlich ist. Und während Kant die Unterwerfung des Einzelnen unter die Gesetzgebung der Vernunft fordert, sieht Sartre den Menschen auf seiner Suche nach Orientierung allein auf sich gestellt, aller normativen Orientierungspunkte beraubt. Die Leitgedanken philosophischer Ethik werden anschaulich visualisiert und methodisch abwechslungsreich aufgearbeitet. zur Vollversion RAAbits Ethik/Philosophie 2 Was soll ich tun? B Moralphilosophie · Beitrag 4 S II Fachwissenschaftliche Orientierung I Moral und Ethik – zwei unterschiedliche Dinge Unser ganzer Alltag ist von Moral und Ethik geprägt. Ob wir uns zu einer Fernsehwerbung abfällig äußern, das Verhalten eines Kollegen missbilligen oder uns über die Benzinpreise ärgern – ständig urteilen wir aufgrund ethisch-moralischer Dispositionen. Gleichwohl sind Moral und Ethik unterschiedliche Dinge. Moral meint die in einer Sozietät normative Gültigkeit beanspruchenden Regularien. Sie geben Antwort auf das moralische Fragen des Individuums „Was soll ich tun?“ in konkreten Situationen. Ethik hingegen bezeichnet die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Prinzipien und Bedingungen, die einer moralischen Entscheidung zu Grunde liegen. Philosophische Ethik beschäftigt sich also vor allem mit der Analyse ethischer Systeme und ihren Begründungsmustern. U A II Ansätze philosophischer Ethik Die Geschichte der Ethik hat unzählige ethische Ansätze hervorgebracht. H C So beschreibt der Hedonismus den Menschen in seinem Streben nach Glück. Teleologisch ist der Mensch auf das Glück hingeordnet. Höchster Wert ist die Glückseligkeit (eudaimonia). Zu ihr gelangen wir nach Epikur (341–270 v. Chr.), indem wir versuchen, Leid und Schmerz zu vermeiden, um größtmögliches Glück zu erreichen. Dies bedeutet aber durchaus auch, Leid in Kauf zu nehmen, wenn daraufhin größere Freude in Aussicht steht. S R Erscheint es auf den ersten Blick so, als sei unsere westliche Gesellschaft mit ihrem breiten Angebot an Genussmöglichkeiten in ihrem Wesen hedonistisch, so lässt sich dies durch eine genauere Betrachtung der Texte von Epikur und seiner Lebenspraxis widerlegen. Nicht Konsumismus steht für ihn im Vordergrund, sondern Selbstgenügsamkeit und intensive zwischenmenschliche Kontakte. O V Als eine Weiterführung der Gedanken Epikurs ist der Utilitarismus des 18. und 19. Jahrhunderts zu betrachten. Allerdings erfolgt eine Akzentverschiebung. Zielt Epikur auf die Glückseligkeit des Individuums, so hat Jeremy Bentham (1748–1832) das Kollektiv im Blick. Es gilt den „größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Zahl“ zu erreichen. Die utilitaristische Position stand in der Spielart des so genannten „Präferenz-Utilitarismus“ in jüngster Zeit in der öffentlichen Diskussion und wurde scharf kritisiert. Bei moralischen Entscheidungen sollen, so Singer, die Interessen der Betroffenen gegeneinander abgewogen werden. An einem Beispiel verdeutlicht, heißt das: Die Lage der Eltern eines voraussichtlich behinderten Kindes soll bei der Entscheidung, ob eine Abtreibung vorgenommen werden soll oder nicht, mit berücksichtigt werden. Singers Ansatz ist höchst problematisch. Sein eng gefasster, auf aktuale Bewusstseinszustände bezogener Personenbegriff spricht nicht nur Embryonen die Präferenz am Weiterleben ab, sondern ebenso einem Schlafenden. Neben diesen empirisch argumentierenden Ansätzen geht der deontologische Ansatz von ganz anderen anthropologischen Voraussetzungen aus. Der Mensch erhält seine Würde durch Freiheit und Moralität. Er ist als in Freiheit agierendes Subjekt autonom. Moralisch zu handeln, wird zur Verpflichtung. Immanuel Kant (1724–1804) verwies diesbezüglich auf die Vernunftbegabung des Menschen und die Möglichkeit, das allgemeine Sittengesetz als kategorischen Imperativ zu erkennen. „Handle stets so, dass dein Handeln allgemein gültigen Gesetzescharakter annehmen kann“ ist die Maxime allen Handelns. RAAbits Ethik/Philosophie zur Vollversion S II B Moralphilosophie · Beitrag 4 Was soll ich tun? 3 Diese Position wird durch den Existentialismus des 19. und 20. Jahrhunderts radikalisiert. Der Einzelne wird zum Maß aller Dinge. Es gibt keine normativen Orientierungspunkte mehr, sie sind fraglich geworden. Offensichtlich gibt es keine Instanz mehr, an der man sein Handeln ausrichten könnte. Jean-Paul Sartre (1905–1980) pointiert diese Auffassung vor dem Hintergrund seiner anthropologischen Prämissen. Der Mensch macht sich zu dem, was er ist. Angesichts der Notwendigkeit, moralische Entscheidungen treffen zu müssen, sieht er sich auf sich selbst zurückgeworfen. Die Verantwortung für sein Handeln trägt er selbst. Hans Jonas greift diesen Gedanken auf. Der Mensch sieht sich angesichts der modernen Technik neuen Herausforderungen gegenüber. Seine Macht ist so gewachsen, dass er nunmehr nicht nur die Verantwortung für sich selbst, sondern für die Menschheit insgesamt zu tragen hat. Didaktisch-methodische Überlegungen U A Die vorliegende Unterrichtsreihe versucht neueren Erkenntnissen der lernpsychologischen Forschung Rechnung zu tragen. Demnach behalten wir 10% von dem, was wir lesen, 20% von dem, was wir hören, und 30% von dem, was wir sehen. Audio-visuelle Reize bleiben bis zu 50% im Gedächtnis, Lerngegenstände, über die wir selbst gesprochen haben, bis zu 70% und auf bis zu 90% steigt der Behaltensquotient, wenn wir selbst experimentiert und evaluiert haben. H C Visualisierung in jeglicher Form hilft, die Chancen auf einen Lernerfolg zu erhöhen. Auch die Aktivierung beider Gehirnhälften, d. h. sowohl der eher kreativ orientierten rechten als auch der eher logisch orientierten linken Hälfte, ist dem Behaltensquotienten zuträglich. S R Lernarrangements und Materialien wurden auf diese Ergebnisse hin abgestimmt. Anschauliche Tafelbilder und vorstrukturierte Arbeitsblätter erhöhen den Lernerfolg. Zusätzlich werden die methodischen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler durch den Einsatz von Bildmaterialien (Abbildungen, Comics, Karikaturen usw.) und Texten geschult. Hinsichtlich der Sozialformen überwiegen Einzelarbeit und Unterrichtsgespräch. Allerdings bieten einzelne Materialien die Möglichkeit, andere kooperative Formen – wie das Gruppenpuzzle – auszuprobieren. O V zur Vollversion RAAbits Ethik/Philosophie 4 Was soll ich tun? B Moralphilosophie · Beitrag 4 S II Materialübersicht Sequenz 1 Unser Handeln ist nicht beliebig – es basiert auf ethischen Prämissen Stunde 1/2 Was sind die Grundlagen unseres Handelns? M 11 (Sp) M 12 (Tx) M 13 (Tx) SOS Schiffbruch – wer geht von Bord? Was sind „Werte“ und „Normen“? Annemarie Pieper: Wie unterscheiden wir Ethik und Moral voneinander? Sequenz 2 Teleologische Ethik – Glück als Ziel allen menschlichen Lebens Stunde 3 Auf ins Glück M 14 (Bd) M 15 (Tx) M 16 (Bd) Auf der Suche nach dem Glück Epikur – Lust ist das höchste Lebensziel Glück und Vergnügen – wo liegt da der Unterschied? Stunde 4 Gut ist, was nützlich ist M 17 (Tx) M 18 (Ab) M 19 (Bd) Jeremy Bentham: Über das Prinzip der Nützlichkeit Utilitarismus: Jeremy Bentham (1748–1832) Auf dem Weg ins Glück Stunde 5/6 Präferenz-Utilitarismus M M M M Präferenz-Utilitarismus bei Peter Singer (* 1946) Präferenz-Utilitarismus bei Peter Singer Entwicklungsstadien des menschlichen Embryos Robert Spaemann: Wer die Begriffe Mensch und Person trennt, irrt 10 11 12 13 (Tx) (Ab) (Bd) (Tx) Sequenz 3 U A H C S R O V Deontologische Ethik – Handeln aus Pflicht? Stunde 7/8 Es ist unsere Pflicht … M 14 (Tx) M 15 (Bd) Immanuel Kant: Der Mensch als sittliche Persönlichkeit Die Bürde Stunde 9/10 Der Mensch ist frei M M M M 16 17 18 19 (Tx) (Ab) (Tx) (Ab) Das Menschenbild des Existentialismus: Das Subjekt als Entwurf Das Subjekt als Entwurf Der Mensch in der Entscheidung Entscheidungsethik bei Jean-Paul Sartre (1905–1980) Stunde 11 Verantwortung übernehmen M 20 (Tx) Hans Jonas: Das Prinzip der Verantwortung Stunde 12 Klausur M 21 (Tx) Vorschlag für eine Klassenarbeit RAAbits Ethik/Philosophie zur Vollversion 6 Was soll ich tun? M2 B Moralphilosophie · Beitrag 4 S II Was sind „Werte“ und „Normen“? = Die Frage der Moral U A Ehrlichkeit / Wahrhaftigkeit Ein Lehrer darf keinen Schüler bevorzugen! H C S R Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! O V Freiheit Norm = konkrete Handlungsanweisung in der Form von Ge- und Verboten Wert = Orientierungsmaßstab, den ein Individuum oder eine Gesellschaft als erstrebenswert oder verbindlich anerkennt Aufgaben (M 2) 1. Finden Sie die fehlenden Normen bzw. Werte heraus! Beratschlagen Sie sich hierzu mit Ihrem Banknachbarn bzw. ihrer Nachbarin! Unterschiedliche Lösungen sind möglich! 2. Finden Sie noch weitere Beispiele für Werte und Normen? Ergänzen Sie das Schaubild. RAAbits Ethik/Philosophie zur Vollversion 8 Was soll ich tun? B Moralphilosophie · Beitrag 4 S II Lösungsvorschlag zu Arbeitsblatt M 2 Was soll ich tun? = Die Frage der Moral Du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten! U A Ehrlichkeit / Wahrhaftigkeit Ein Lehrer darf keinen Schüler bevorzugen! H C S R Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! O V Fleiß Gleichheit / Gerechtigkeit Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden! Freiheit Norm = konkrete Handlungsanweisung in der Form von Ge- und Verboten Wert = Orientierungsmaßstab, den ein Individuum oder eine Gesellschaft als erstrebenswert oder verbindlich anerkennt RAAbits Ethik/Philosophie zur Vollversion Ethik H C Normativität Unbedingtheit Qualität des Handelns b) Moralität / Sittlichkeit Charakter B Moralphilosophie · Beitrag 4 U A • ist diejenige Wissenschaft, die sich mit Moral und Moralität beschäftigt. • untersucht die einer Handlung zu Grunde liegenden Prinzipien und ihre Bedingungen. • fragt nach den Kriterien zur Beurteilung einer Handlung. Handlungsmuster in einer Gemeinschaft von Menschen a) Moral = Sitte mos / mores Ethos Der Zusammenhang zwischen Moral und Ethik O V S R Universalität a) Gewohnheit / Sitte / Brauch Vorschlag für ein Tafelbild zu M 3 S II Was soll ich tun? 11 zur Vollversion RAAbits Ethik/Philosophie M4 Was soll ich tun? B Moralphilosophie · Beitrag 4 S II Auf der Suche nach dem Glück Aus: Huismann, Denis: Philosophie für Einsteiger. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 49. 12 U A H C S R O V Aufgaben (M 3) 1. Beschreiben Sie den Comicstrip. 2. Wie beurteilt der Zeichner die unterschiedlichen Dimensionen des Begriffs „Glück“? 3. Teilen Sie seine Meinung? RAAbits Ethik/Philosophie zur Vollversion M6 O V RAAbits Ethik/Philosophie B Moralphilosophie · Beitrag 4 U A H C S R zur Vollversion 1. Beschreiben Sie die dargestellte Szene! 2. Vergleichen Sie die in dieser Abbildung zum Ausdruck kommende Freude mit der Vorstellung Epikurs von dem, was Glück bedeutet. Bild: dpa / picture-alliance. Was soll ich tun? Aufgaben (M 6) Glück und Vergnügen – wo liegt da der Unterschied? 14 S II Bedingung Schmerzlosigkeit Selbstgenügsamkeit • „Glückseligkeit“ (gr. eudaimonia) • „Freude, Lust“ (gr. hedoné) U A zur Vollversion • Rückzug aus dem öffentlichen Leben • Pflege der Freundschaft • • H C „Windstille der Seele“ Ziel (gr. telos) des menschlichen Lebens B Moralphilosophie · Beitrag 4 Konsequenz für Epikur • Tugendhaftigkeit (= Suche nach wahrer und dauerhafter Lust) • Befreiung von Leidenschaften • Vermeidung von Schmerz S R Erstrebenswerter Zustand Einsicht Der Hedonismus Epikurs (341–270 v. Chr.) O V Vorgaben für die Praxis • Gebrauch der Vernunft Voraussetzung Vorschlag für ein Tafelbild zu Stunde 3 S II Was soll ich tun? 17 RAAbits Ethik/Philosophie 18 Was soll ich tun? M7 B Moralphilosophie · Beitrag 4 S II Jeremy Bentham: Über das Prinzip der Nützlichkeit 1. Die Natur hat die Menschheit unter die Herrschaft zweier souveräner Gebieter – Leid und Freude – gestellt. Es ist an ihnen allein aufzuzeigen, was wir tun sollen, wie auch zu bestimmen, was wir tun werden. Sowohl der Maßstab für richtig und falsch als auch die Kette von Ursachen und Wirkungen sind an ihrem Thron festgemacht. Sie beherrschen uns in allem, was wir sagen, was wir denken: Jegliche Anstrengung, die wir auf uns nehmen können, um unser Joch von uns zu schütteln, wird lediglich dazu dienen, es zu beweisen und zu bestätigen. [...] Das Prinzip der Nützlichkeit erkennt dieses Joch an und übernimmt es für die Grundlegung jenes Systems, dessen Ziel es ist, das Gebäude der Glückseligkeit durch Vernunft und Recht zu errichten. […] U A 2. Das Prinzip der Nützlichkeit ist die Grundlage des vorliegenden Werkes. Es wird daher zweckmäßig sein, mit einer ausdrücklichen und bestimmten Erklärung dessen zu beginnen, was mit ihm gemeint ist. Unter dem Prinzip der Nützlichkeit ist jenes Prinzip zu verstehen, das schlechthin jede Handlung in dem Maß billigt oder missbilligt, wie ihr die Tendenz innezuwohnen scheint, das Glück der Gruppe, deren Interesse infrage steht, zu vermehren oder zu vermindern, oder – das Gleiche mit anderen Worten gesagt – dieses Glück zu befördern oder zu verhindern. Ich sagte: Schlechthin jede Handlung, also nicht nur jede Handlung einer Privatperson, sondern auch jede Maßnahme der Regierung. H C 3. Unter Nützlichkeit ist jene Eigenschaft an einem Objekt zu verstehen, durch die es dazu neigt, Gewinn, Vorteil, Freude, Gutes oder Glück hervorzubringen […], oder […] die Gruppe, deren Interesse erwogen wird, vor Unheil, Leid, Bösem oder Unglück zu bewahren; sofern es sich bei dieser Gruppe um die Gemeinschaft im Allgemeinen handelt, geht es um das Glück der Gemeinschaft; sofern es sich um ein bestimmtes Individuum handelt, geht es um das Glück dieses Individuums. S R O V 4. „Das Interesse der Gemeinschaft“ ist einer der allgemeinsten Ausdrücke, die in den Redeweisen der Moral vorkommen können. Kein Wunder, dass sein Sinn oft verloren geht. Wenn er einen Sinn hat, dann diesen: Die Gemeinschaft ist ein fiktiver Körper, der sich aus den Einzelpersonen zusammensetzt [...]. Was also ist das Interesse der Gemeinschaft? Die Summe der Interessen der verschiedenen Glieder, aus denen sie sich zusammensetzt. 5. Es hat keinen Sinn, vom Interesse der Gemeinschaft zu sprechen, ohne zu wissen, was das Interesse des Individuums ist. Man sagt von einer Sache, sie sei dem Interesse förderlich oder zu Gunsten des Interesses eines Individuums, wenn sie dazu neigt, zur Gesamtsumme seiner Freuden beizutragen: oder, was auf das Gleiche hinausläuft, die Gesamtsumme seiner Leiden zu vermindern. 6. Man kann also von einer Handlung sagen, sie entspreche dem Prinzip der Nützlichkeit oder – der Kürze halber – der Nützlichkeit (d. h. in Bezug auf die Gemeinschaft insgesamt), wenn die ihr innewohnende Tendenz, das Glück der Gemeinschaft zu vermehren, größer ist als irgendwie andere ihr innewohnende Tendenzen, es zu vermindern. […] 7. Man kann von jemandem sagen, er sei ein Anhänger des Prinzips der Nützlichkeit, wenn die Billigung oder Missbilligung, die er mit einer Handlung oder Maßnahme verbindet, durch die Tendenz bestimmt ist und der Tendenz entspricht, die ihr nach seiner Ansicht innewohnt, um das Glück der Gemeinschaft zu vermehren oder zu vermindern. Oder mit anderen Worten, wenn seine Billigung oder Missbilligung von der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der Handlung mit den Gesetzen oder Geboten der Nützlichkeit abhängt. Aus: Bentham, Jeremy: Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung. In: Otfried Höffe (Hrsg.): Einführung in die utilitaristische Ethik. A. Francke Verlag, Tübingen/Basel, 3. Auflage 2003, S. 55–58. RAAbits Ethik/Philosophie zur Vollversion 20 Was soll ich tun? B Moralphilosophie · Beitrag 4 S II Erläuterungen (M 7) Stunde 4: Gut ist, was nützlich ist In der vierten Stunde lernen die Schülerinnen und Schüler das System des Utilitarismus als weitere Spielart teleologischer Ethik kennen. M 7 sollte bereits am Ende der dritten Stunde als Hausaufgabe ausgeteilt werden, um die nachfolgende Stunde zu entlasten. Sinnvoll ist es, das Arbeitsblatt M 8 gleichzeitig mit dem Text auszugeben. Zu 1: Der vorliegende Text lässt sich in vier Abschnitte untergliedern. Zeile 1–7: Freude und Leid bestimmen das Handeln des Menschen. Deshalb ist das Prinzip der Nützlichkeit Grundlage des philosophischen Systems Benthams, das Glückseligkeit durch vernünftiges Handeln zu erreichen sucht. Zeile 8–25: Unter dem Prinzip der Nützlichkeit versteht Bentham dabei dasjenige Prinzip, das unser Handeln in dem Maße billigt bzw. mißbilligt, wie es das Glück des Einzelnen bzw. einer Gruppe befördert oder vermindert. Zeile 26–35: Das Interesse der Gemeinschaft ergibt sich dabei aus der Summe der Interessen jedes Einzelnen. Zeile 36–45: Eine Handlung entspricht demzufolge dem Prinzip der Nützlichkeit, wenn sie das Glück der Gemeinschaft eher befördert als es zu mindern. Anhänger dieses Prinzips ist, wer Handlungen, die das größtmögliche Glück der größtmöglichen Menge befördern, befürwortet und sucht, danach zu handeln. U A H C Zu 2: Die doppelt umrandeten Kästchen sind folgendermaßen zu beschriften: 1.) 2.) 3.) 4.) S R Individuum Gruppe Freude Leid Zu 3: Die Abbildung illustriert die Philosophie Benthams. Jeder Einzelne steht unter der Herrschaft zweier Gebieter: Freude und Leid. Sie bestimmen das Handeln des Menschen, auch das ethische. Deshalb ist das „Prinzip der Nützlichkeit“ Maßstab allen unseren Handelns, denn dieses billigt oder mißbilligt jede Handlung in dem Ausmaß, indem sie das Glück des Einzelnen bzw. der Gruppe mehrt oder mindert. Gut ist, was nützt. O V Zu 4: a) Freude und Leid bestimmen unser Handeln, insofern wir Freude erstreben und Leid zu mindern suchen. Dies ist in der Natur des Menschen angelegt. b) Das Prinzip der Nützlichkeit bemisst eine Handlung danach, ob sie das Glück des Einzelnen bzw. der Gemeinschaft mehrt oder vermindert. c) Das Interesse der Gemeinschaft ergibt sich nach Bentham aus der Summe der Interessen jedes einzelnen Mitgliedes. Zu 5: Es liegt im Interesse der Gemeinschaft, das Glück jedes Einzelnen zu mehren und sein Leid zu mindern. Gleichwohl gibt bei der Entscheidung für oder gegen eine Handlung die numerische Mehrheit den Ausschlag. Nützlich ist diejenige Handlung, die das Glück der größtmöglichen Menge fördert. Zu 6: Epikurs Ansatz zielt auf die Glückseligkeit jedes Individuums. Bentham hat das Kollektiv im Blick. RAAbits Ethik/Philosophie zur Vollversion S II 15 B Moralphilosophie · Beitrag 4 Was soll ich tun? 25 Diese Bedeutung des Begriffs haben wir vor Augen, wenn wir von jemand sagen, er sei ein „wirklich menschliches Wesen“. […] Damit meinen wir natürlich nicht, dass die Person der Spezies Homo sapiens angehört, was eine biologische Tatsache ist […]; wir implizieren vielmehr, dass menschliche Wesen gewisse charakteristische Eigenschaften besitzen und dass die betreffende Person sie in einem hohen Maße besitzt. Die beiden Bedeutungen von „menschliches Wesen“ überschneiden sich, aber sie fallen nicht zusammen. […] Für die erste, biologische Bedeutung werde ich den schwerfälligen, aber präzisen Begriff „Mitglied der Spezies Homo sapiens“ verwenden, für die zweite Bedeutung den Begriff „Person“. […] Auf jeden Fall schlage ich vor, „Person“ in der Bedeutung eines rationalen und selbstbewussten Wesens zu gebrauchen, um jene Elemente der landläufigen Bedeutung von „menschliches Wesen“ zu erfassen, die von „Mitglieder der Spezies Homo sapiens“ 25 nicht abgedeckt werden. […] 20 Gruppe 3: Recht und Unrecht des Tötens im Präferenz-Utilitarismus U A Nach dem Präferenz-Utilitarismus ist eine Handlung, die der Präferenz1 irgendeines Wesens entgegensteht, ohne dass diese Präferenz durch entgegengesetzte Präferenzen ausgeglichen wird, moralisch falsch. Eine Person zu töten, die es vorzieht weiterzuleben, ist daher – gleiche Umstände vorausgesetzt – unrecht. […] H C Für die Präferenz-Utilitaristen ist die Tötung einer Person in der Regel schlimmer als die Tötung eines anderen Wesens, weil Personen in ihren Präferenzen sehr zukunftsorientiert sind. Eine Person zu töten bedeutet darum […] nicht nur eine, sondern eine Vielzahl der zentralsten und bedeutendsten Präferenzen, die ein Wesen haben kann, zu verletzen. Sehr oft wird dadurch alles, was das Opfer in den vergangenen Tagen, Monaten oder sogar Jahren zu tun bemüht 10 war, ad absurdum geführt. 5 S R Im Gegensatz dazu kann ein Wesen, das sich nicht selbst als Entität 2 mit einer Zukunft sehen kann, keine Präferenz hinsichtlich seiner eigenen zukünftigen Existenz zu haben. Damit wird nicht bestritten, dass ein solches Wesen gegen eine Situation ankämpfen kann, in der sein Leben in Gefahr ist, so wie ein Fisch kämpft, um sich von dem Angelhaken in seinem Maul zu 15 befreien; aber dies bezeichnet lediglich eine Präferenz für das Aufhören eines Zustands, der als schmerzlich und bedrohend empfunden wird. Kampf gegen Gefahr und Schmerz bedeutet nicht, dass der Fisch fähig ist, seine eigene künftige Existenz der Nicht-Existenz vorzuziehen. […] O V Aus: Singer, Peter: Praktische Ethik. Reclam Verlag, Stuttgart 1994, S. 29–30, 118–120, 128–129. Anmerkungen 1 2 Präferenz (von lateinisch: praeferre = vorziehen): bei Singer Vorzug, Interesse Entität: Dasein im Unterschied zum Wesen eines Dinges (Sosein) Aufgaben (M 10) 1. Unterstreichen Sie im Text alle Stellen, an denen etwas zu den Stichworten „Gleichheit“, „Interesse“ und „Person“ ausgesagt wird. 2. Fassen Sie Singers Aussagen zu den genannten Begriffen auf dem Arbeitsblatt in eigenen Worten zusammen! 3. Formulieren Sie die sich ergebenden ethischen Schlussfolgerungen in der daneben liegenden Spalte. 4. Formulieren Sie die Grundposition Singers abschließend in eigenen Worten. 5. Vermerken Sie eventuelle Einwände gegen seine Position. zur Vollversion RAAbits Ethik/Philosophie Zentrale Thesen Erstrebenswert sind die besten Konsequenzen für alle (utilitaristisches Moment) Meine Interessen zählen nicht einfach aus dem Grund, dass sie meine sind, mehr als die Interessen der anderen. Anstelle der eigenen Interessen muss – wer ethisch denkt – die Interessen aller berücksichtigen, die von der Entscheidung betroffen sind. ( = Prinzip der gleichen Interessenabwägung) S R ➜ Merkmale: Rationalität, Selbstbewusstsein, Sinn für Zukunft, Beziehungsfähigkeit, Sozialität, Kommunikation ➜ Bewusstsein über die Möglichkeit der eigenen Nichtexistenz: Präferenz des Weiterlebens ➜ Verneinung des Lebensinteresses von Ungeborenen, Hirntoten, Schwerbehinderten und Komapatienten Der Mensch ist eine Spezies unter anderen. Ob ein Wesen Mitglied einer bestimmten Spezies ist, lässt sich wissenschaftlich bestimmen. Folgerungen Betroffen sind alle Wesen einer Gattung (Spezies) mit vergleichbaren Interessen. O V Person Interesse (Präferenz) Gleichheit Kernbegriffe Lösungsvorschlag zu Arbeitsblatt M 11 H C Verneinung des klassischen Verständnisses von Menschenwürde durch Unterscheidung von Person (als reflexes Individuum) und Mensch (als Mitglied der Gattung homo sapiens) Grundposition Singers: U A Menschsein ist ein kontinuierlicher Entwicklungs- und Veränderungsprozess problematische Bestimmung von „Person“ Verabsolutierung der Sicht des Gesunden und Stigmatisierung von Normabweichungen (z. B. Behinderung) entwickeln.) B Moralphilosophie · Beitrag 4 Potentialitätsargument (Ein ungeborenes Kind hat alle Anlagen, sich zu einer bewussten Person zu Einwände: ➜ moralische Legitimation für Abtreibung und Euthanasie S II Was soll ich tun? 29 zur Vollversion RAAbits Ethik/Philosophie S II B Moralphilosophie · Beitrag 4 Was soll ich tun? 33 Erläuterungen (M 13) M 13 kann als Hausaufgabe gegeben werden, um die Auseinandersetzung mit der Position Spaemanns zu vertiefen. Zu 1: Zeile 1–2: Zeile 3–13: Zeile 14–23: Zeile 24–29: Nach Auffassung Robert Spaemanns unterliegen diejenigen, welche die Begriffe „Mensch“ und „Person“ trennen, einem Irrtum. Denn wenn eine Person sich über Ich-Bewusstsein und Rationalität definiert, so ist jeder Schlafende – gemäß dieser Definition – zum Zeitpunkt des Schlafens keine Person. Die Reduktion des Begriffes „Person“ auf zeitlich begrenzte Zustände löst den Begriff „Person“ auf. Dies jedoch ist wider jede Intuition und in sich widersprüchlich, da wir personale Bewusstseinszustände nicht beschreiben können, ohne die Identität von Mensch und Person vorauszusetzen. Jede Mutter begreift ihr Kind von Beginn an als Person. Gerade dies ist Voraussetzung für den Erwerb von Ich-Bewusstsein. Personalität ist folglich keine Eigenschaft, die man jemandem wahlweise zuoder absprechen kann. Sie kommt allen Individuen zu, ganz gleich, ob sie sich ihrer selbst schon oder nicht mehr bewusst sind. U A H C Position Peter Singers – Singer trennt die Begriffe „Mensch“ und „Person“. – Personen zeichnen sich durch Ich-Bewusstsein und Rationalität aus. S R – Singer reduziert Personsein auf aktuale Zustände von Ich-Bewusstsein und Rationalität. Position Robert Spaemanns – Für Robert Spaemann sind die Begriffe „Mensch“ und „Person“ nicht trennbar. Er setzt auf die unbedingte Würde des Menschen, die durch sein Personsein definiert wird. – Ich-Bewusstsein ist allerdings ohne die Identität von Mensch und Person nicht zu denken. O V – Alle Mitglieder der Species Homo sapiens geben sich als Personen zu erkennen und müssen als Personen betrachtet werden, auch wenn sie aktual zu einer Artikulation ihrer Mitgliedschaft nicht im Stande sind. – Personalität ist keine Wesenverfassung oder eine erwerbbare Eigenschaft, sondern ein Beziehungsbegriff. Personsein wird als unbedingter Anspruch zugesprochen. Lehrerinfo zur Person Robert Spaemanns Robert Spaemann wurde 1927 in Berlin als Sohn des katholischen Priesters und Schriftstellers Heinrich Spaemann geboren. Er promovierte Anfang der 50er Jahre an der Universität Münster. Nachdem er im Lektorat eines Verlages beschäftigt war, arbeitete er als Assistent an der Universität Münster. Dort habilitierte er 1962 und lehrte von 1962 bis 1992 Philosophie an der TH Stuttgart sowie den Universitäten Heidelberg und München, wo er 1992 emeritierte. 1997–2000 lehrte er Philosophie an der Universität Dortmund, seit 2000 an der Ruhr-Universität Bochum. Sein Arbeitsfeld sind ethische Fragen. In seinem Ansatz ist der Kantianer einem christlichen Menschenbild verhaftet. Aufgrund seiner philosophischen Position und konservativen Ausrichtung übte er Kritik an der Atomkraft, Euthanasie und am Utilitarismus. zur Vollversion RAAbits Ethik/Philosophie S II B Moralphilosophie · Beitrag 4 Was soll ich tun? 47 Anmerkungen 1 2 3 4 5 Prometheus: Gott aus der griechischen Mythologie, der dem Menschen das Feuer bringt Heuristik: methodische Anleitung zur Gewinnung neuer Erkenntnisse qua (lateinisch): in der Eigenschaft als anthropozentrisch: den Menschen in den Mittelpunkt stellend Entität: Wesenheit Aufgaben (M 20) 1. Beschreiben Sie die Merkmale der klassischen Ethik aus Sicht von Hans Jonas! 2. Benennen Sie die beiden Faktoren, die ein Umdenken im ethischen Denken zur Folge haben müssen! 3. Charakterisieren Sie in Grundzügen die moderne Ethik aus Sicht von Hans Jonas! 4. Versuchen Sie den kategorischen Imperativ Kants zu modifizieren und so zu formulieren, dass den Erkenntnissen von Hans Jonas Rechnung getragen wird! U A Erläuterungen (M 20) Stunde 11: Verantwortung übernehmen H C In der elften Stunde beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Ansatz von Hans Jonas. In Einzelarbeit wird der Text anhand der Leitfragestellungen erarbeitet. Die Sicherung der Ergebnisse erfolgt im Unterrichtsgespräch und mithilfe der Erarbeitung eines Tafelbildes. Zu 1: Alle techne galt bisher als neutral. Nichtmenschliche Objekte waren kein Gegenstand der Ethik. Die Ethik dachte bisher immer vom Menschen aus. Der Mensch galt als Konstante. Dass er selbst und sein Wesen in Zukunft von der alles verändernden techne betroffen sein könnten, wurde nicht in Betracht gezogen. Vielmehr bezog sich Ethik nie auf die Zukunft, sondern immer nur auf den unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Nahbereich. S R Zu 2: Der Machtzuwachs des Menschen und die Errungenschaften der modernen Technik, die zur Bedrohung werden mussten, bedingen ein Umdenken im ethischen Denken. O V Zu 3: Der Mensch muss sich selbst Grenzen setzen, um die Schöpfung und sich selbst nicht zu gefährden. Nicht alles, was menschenmöglich ist, ist in der Umsetzung ethisch vertretbar. Hierbei kommt der Furcht eine neue Rolle zu. Die vorauszusehende Verzerrung des Menschen und seiner Welt verweist auf das zu bewahrende Bild, den zu sichernden Zustand. Die Ethik muss nun nicht nur eine der Klugheit, sondern auch der Ehrfurcht sein. Diese neue Methodik nennt Jonas „Heuristik der Furcht“. Zu 4: Möglichkeiten eines neuen Kategorischen Imperativs nach Hans Jonas: – „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ – „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit menschlichen Lebens.“ – „Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit auf Erden.“ – „Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deines Wollens ein.“ zur Vollversion RAAbits Ethik/Philosophie