architektur und stadt ein schwieriges verhältnis von anfang an

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ARCHITEKTUR UND STADT
EIN SCHWIERIGES VERHÄLTNIS
VON ANFANG AN
BEISPIELE UND ANMERKUNGEN AUS SICHT
DER ARCHITEKTUR- UND STADTSOZIOLOGIE
Technische Universität Darmstadt
Fachbereich Architektur
Fachgebiet Entwerfen und Stadtentwicklung
Professor Bernhard Schäfers
Gastvortrag am 19. November 2013
"Architektur wird erst vollkommen durch die
Vermittlung des Menschen, der sie erlebt."
Tadao Ando
"Die Architektur ist die einzige Kunst, der der Mensch
nicht entkommt."
Friedrich Achleitner
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ARCHITEKTUR UND STADT. EIN SCHWIERIGES VERHÄLTNIS VON ANFANG AN — SICHT DER ARCHITEKTUR- UND STADTSOZIOLOGIE
I. DEFINITIONEN
Soziologie ist die Wissenschaft vom sozialen Handeln, den Institutionen und Organisationen der Gesellschaft. Die Architektursoziologie fragt:
Welche Relevanz hat die Architektur für die Strukturierung der einzelnen
Handlungsfelder, z.B. für das Wohnen und Arbeiten, für die Formen des Zusammenlebens. In anthropologischer Perspektive ist Architektur „Verortung“
des Menschen im dreidimensionalen Raum. Durch ihre Tektonik gibt sie ihm
Anhaltspunkte für Handlungserwartungen und zur Strukturierung der jeweils relevanten Handlungsfelder.
In kultureller und zivilisatorischer Hinsicht ist Architektur der sichtbarste Ausdruck für die materiellen Grundlagen des Zusammenlebens. Zugleich repräsentiert sie, für das geübte Auge ablesbar, die Sozial- und Kulturgeschichte eines Ortes und ist eine Stütze für das kollektive Gedächtnis. Der
Stellenwert von „guter Architektur“ für das ästhetische Wohlbefinden ihrer
Benutzer und Betrachter kann kaum überschätzt werden.
Stadt ist eine besondere Form des menschlichen Zusammenlebens,
die sich vor gut fünf Tsd. Jahren in Mesopotamien, zumal im Euphrat-TigrisDelta, herausbildete. Charakteristisch sind eine dichtere Bebauung als im
Umland und bis in die frühe Neuzeit des 18. Jh.s hohe Stadt-mauern. Die Stadt
im Okzident ist Marktplatz (Max Weber), Ort der Herausbildung des freien
Bürgers, der Demokratie, der öffentlichen Plätze. Stadt und städtisches Leben
sind geprägt durch differenzierte Funktionen auf dem Gebiet der Versorgung,
der Kultur und Zivilisation.
Architektur und Stadt stehen von Beginn an in einem Spannungsverhältnis. Zunächst waren Ansprüche der gottgleichen Herrschaft, des Militärs
und der damit verbundenen Kulte und Machtdemonstrationen dominant. Am
Tatbestand jedoch, dass einzelne Personen und Gruppen durch repräsentative
Gebäude im begrenzten und besonders attraktiven Stadtraum präsent sein
wollen, hat sich nichts geändert. Dazu werden einige Beispiele aus der Architektur- und Stadtgeschichte angeführt. Bei diesen Beispielen stehen Großbauwerke im Vordergrund, verbunden mit der Frage, wie sie sich in einen vorhandenen städtebaulichen Kontext einfügten und wahrgenommen werden.
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BEISPIELE UND ANMERKUNGEN AUS SICHT DER ARCHITEKTUR- UND STADTSOZIOLOGIE
II. ZUM SPANNUNGSVERHÄLTNIS VON
ARCHITEKTUR UND
STADT
Architektur und Stadt stehen von Beginn an in einem Spannungsverhältnis. Zunächst waren Ansprüche der gottgleichen Herrschaft, des Militärs
und der damit verbundenen Kulte und Machtdemonstrationen dominant. Am
Tatbestand jedoch, dass einzelne Personen und Gruppen durch repräsentative
Gebäude im begrenzten und besonders attraktiven Stadtraum präsent sein
wollen, hat sich nichts geändert. Dazu werden einige Beispiele aus derArchitektur- und Stadtgeschichte angeführt. Bei diesen Beispielen stehen Großbauwerke im Vordergrund, verbunden mit der Frage, wie sie sich in einen vorhandenen städtebaulichen Kontext einfügten und wahrgenommen werden.
1. Antike
Das Kolosseum, das Amphitheater der flavischen Kaiser, erbaut 72-80
n. Chr., hat eine Länge von 188 m, eine Breite von 156 m und eine Höhe von 57
m. Es steht da, wo Nero ein riesiges, dicht bebautes Areal durch Brand freilegte und seine Kolossalstatue stand (daher der Name), umgeben von einem
künstlichen See. Städtebaulich für das dicht bevölkerte Rom wohl eine bessere
Lösung als das Kolosseum, denn es riegelt das Forum Romanum, die Lebensader des antiken Rom, weitgehend ab. Das war den Herrschern gleichgültig als
es darum ging, das Bedürfnis der unzufriedenen Volksmassen durch neue
Vergnügungen zu befriedigen.
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Colosseum in Rom
Das Kolosseum ist zwar kolossal, aber für das antike Rom nicht ungewöhnlich. Der nicht weit entfernte Circus Maximus, konzipiert für spektakuläre Wagenrennen (Ben Hur!) und recht gut erhalten, hat eine Rennbahnlänge
von 550 m und 80 m Breite im Rennbahnoval. Rund 150 Tsd. Zuschauer fanden Platz. Es gab zusätzlich Foren und Thermen innerhalb des Mauerrings,
die die Grundfläche des Kolosseums übertrafen. Zur Zeit seiner größten baulichen Prachtentfaltung hatte Rom ca. 700 Tsd. bis eine Mio. Einwohner. Mit
der Durchsetzung des Christentums wurden Stadien verboten. Nach einer
Karenzzeit von gut 1500 Jahren erstanden sie neu. Nun waren es die Erfordernisse des Sports, zumal des Fußballs, aber auch die Wiederbelebung der antiken Olympiaden seit Ende des 19. Jh.s. (vgl. Sloterdijk 2004).
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2. Mittelalter
Mittelalterliche Städte bestimmen bis heute bei vielen Menschen das
Bild der idealen Stadt. An diesem Bild haben die frühen Holz- und Kupferstiche, zumal das Teatrum Europaeum der Merians, erheblichen Anteil. Städte
hatten bis ins 19. Jh. eine überschaubare Größe und waren durch einen Mauerring zum umgebenden feudalen Land weithin sichtbar abgegrenzt. Köln hatte
in seinem Mauerring bis ca. 1820 Platz. Der Kölner Dom ist das zweite Beispiel.
Er wurde geplant, nachdem Erzbischof Reinald von Dassel, Kanzler
Friedrich Barbarossas, die Gebeine der hl. drei Könige aus dem zerstörten
Mailand 1162 nach Köln gebracht hatte. Im Jahr 1248 erfolgte die Grundsteinlegung für eine der größten gotischen Kathedralen. Im Jahr 1530 wurden die
Arbeiten bis zum Beginn des 19. Jh.s eingestellt.
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Kölner Dom vor seiner Vollendung 1827
Karl Friedrich Schinkel
Erschien die Größe des Doms mit 145 m Länge und 87 m Breite im
Hinblick auf die damalige Einwohnerzahl von gut 40 Tsd. den damaligen Bewohnern nicht unangemessen? Wir wissen es nicht. Heute fällt das nicht mehr
auf, nicht nur, weil Köln knapp eine Mio. Einwohner hat, sondern vor allem
deshalb, weil der weltbekannte Dom untrennbar zum Stadtbild gehört.
Das zweite Beispiel aus dem Mittelalter ist die toskanische Stadt San
Gimignano. Sie ist berühmt für ihre Geschlechtertürme. Diese finden sich,
zumeist als Stümpfe, auch in anderen italienischen Städten. Nirgends sind sie
so gut erhalten und dicht gedrängt wie in San Gimignano. Mit Anbruch des
modernen Zeitalters geriet die Stadt ins Abseits. Es gab keinen Anlass (und
sicherlich auch kein Geld), Mauern, Türme und Tore abzureißen.
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3. Architektur und Stadt seit der Doppelrevolution
Mit der politischen Revolution 1789 ff. und der seit ca.1770 in England
und Schottland einsetzenden industriellen Revolution, vom engl. Sozialhistoriker Eric Hobsbawm als sich wechselseitig verstärkende Doppelrevolution
bezeichnet, stehen Architektur, Stadt und Gesellschaft vor völlig neuen Herausforderungen. Aus der feudalen Agrargesellschaft wurde die bürgerlich-industrielle Gesellschaft. Die Revolution der Produktion und der Fortbewegung
durch Dampfk raft waren zusammen mit den Emanzipations- und Freiheitsbewegungen und der enormen Bevölkerungsvermehrung Hauptantriebskräfte. Das entstehende, in dieser Größe und Struktur bisher unbekannte
Industrieproletariat führte zur sprunghaften Vergrößerung der Städte in den
Industriezentren. Essen vergrößerte sich von 1820 bis 1900 von 4 auf 443 Tsd.
Einwohner, incl. Eingemeindungen.
Die Expansion des Eisenbahnnetzes wurde zum Schlüssel der Industrialisierung und der Schaff ung neuer Arbeitsplätze. Im Jahr 1840 betrug
das deutsche Streckennetz 500 km, im Jahr 1910 hatte es mit 63 Tsd. km seine
größte Ausdehnung. Anfänglich zerschnitt es die Städte nach den Erfordernissen des Abbaus und der Verarbeitung von Kohle und Eisenerz, ohne übergreifenden Plan und schon gar nicht nach städtebaulichen Kriterien. In Dortmund zerteilten insgesamt sechs Eisenbahnlinien mit eigenen Bahnhöfen das
innere Stadtgebiet. Es entstanden Bauwerke von bisher unbekannter Art und
Größe, zumal die Bahnhöfe.
Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), Preußens und Berlins großer Architekt, unternahm im Jahr 1826 eine Rundreise durch England, Schottland
und Wales. Er war beeindruckt von der rasanten industriellen Entwicklung
und den baulichen Leistungen, die dafür gefunden wurden. Reiseeindrücke
hielt er in zahlreichen Zeichnungen fest. Sein Freund Peter Beuth, der ihn
begleitete, hatte ihm bereits im Jahr 1823 aus Manchester geschrieben: „Die
Wunder neuerer Zeit sind hier die Maschine und die Gebäude dafür, Faktoreien genannt. So ein Kasten ist acht, auch neun Stockwerke hoch…Eine Masse solcher Kästen steht auf sehr hohen Punkten, die die Gegend dominieren“.
– Nicht nur die Gegend, sondern das bisherige Stadtbild.
1845 gab Friedrich Engels (1820-1895), der in einer Fabrik des Vaters in
Manchester seine Ausbildung abschloss, in „Die Lage der arbeitenden Klasse
in England“ einen Anschauungs-bericht über die Umwandlung Manchesters,
auch der Altstadt, durch den Einbruch der Industrie und des „ManchesterLiberalismus“ als der ungeschminkten Form des Kapitalismus. „Alles, was
unseren Abscheu…am heftigsten erregt, ist neueren Ursprungs, gehört der
industriellen Epoche an. Die paar hundert Häuser, die dem alten Manchester
angehören, sind von ihren ursprünglichen Bewohnern längst verlassen; nur
die Industrie hat sie mit ihren Scharen von Arbeitern voll gepfropft; nur die
Industrie hat jedes Fleckchen zwischen diesen alten Häusern verbaut“.
Nehmen wir als Beispiel das „Hineinpflanzen“ der Fa. Zeiss-Optik in
das alte Jena.
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Das Zeisswerk in Jena um 1910
Postkart
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Auf die historisch völlig neue Situation der industriellen Stadt und
Gesellschaft gab es Reaktionen sehr unterschiedlicher Art und geistiger Herkunft. Gemeinsam war das Credo, für alle Menschen, nicht nur für die schwer
arbeitende Bevölkerung in Bergbau und Industrie, Wohnungen mit mehr
Licht, Luft und Sonne zu bauen. Entsprechende Planungen gab es von den
Frühsozialisten, von denen die von Charles Fourier (1772-1837) am bekanntesten sind.
Aber auch die Initiativen der Industrie, für „ihre“ Berg- oder Stahlarbeiter eigene Siedlungen zu bauen und die in ganz Europa erfolgreiche Idee
der Gartenstadt von Ebenezer Howard (1850-1928) sind zu nennen. Am wichtigsten war jedoch die Umgestaltung der chaotischen Situation in den großen Industriezentren und neuen städtischen Ballungsgebieten durch unterirdischen Stadtausbau und ordnende Stadtplanung. Beispielhaft waren London,
Paris und Barcelona, in Deutschland Hamburg, Berlin und nicht zuletzt das
Ruhrgebiet.
4. Die Auflösung der Stadt durch Architektur
Trotz großartiger Leistungen des Städtebaus zwischen 1840 und dem
Ersten Weltkrieg waren die Probleme nicht gelöst. Das innerstädtische Wohnen war noch weit davon entfernt, für die Bewohner Licht, Luft und Sonne zu
bringen, von hygienischen Zuständen in den meisten Städten zu schweigen.
Man solle diese Städte, so dachten nicht wenige, mit den Mitteln der technischen Zivilisation neu aufbauen.
Ein Protagonist dieser Auffassung war der Gründer des Bauhauses,
Walter Gropius (1883-1969). Im Vorwort seines 1925 erschienenen Bauhausbuches, „Internationale Architektur“, schrieb er: „Die knappe Ausnutzung
von Zeit, Raum, Stoff und Geld in Industrie und Wirtschaft bestimmt entscheidend die Faktoren der Gesichtsbildung für alle modernen Bauorganismen: Exakt geprägte Form, Einfachheit im Vielfachen, Gliederung aller
Baueinheiten nach den Funktionen der Baukörper, der Straßen und Verkehrsmittel, Beschränkung auf typische Grundformen und ihre Reihung und Wiederholung…Die Baumeister dieses Buches (zu nennen sind neben Gropius
Peter Behrens, Marcel Breuer, Le Corbusier, Tony Garnier, Ludwig Hilberseimer, Adolf Loos, Erich Mendelsohn, Hans Poelzig, Bruno Taut, Henry van de
Velde, Frank Lloyd Wright; B. Sch.) bejahen die heutige Welt der Maschinen
und Fahrzeuge und ihr Tempo, sie streben nach immer kühneren Gestaltungsmitteln, um die Erdenträgheit in Wirkung und Erscheinung schwebend
zu überwinden“.
In der zweiten Auflage von 1927 ergänzte Gropius: „Während Gotik,
Barock, Renaissance einst intereuropäische Geltung besaßen, beginnt der
neue Baugeist unseres technischen Zeitalters unaufhaltsam die ganze zivilisatorische Welt zu erobern, getragen von den kühnen Errungenschaften der
internationalen Technik“. Es gehe letztlich um „Gestaltung von Lebens-vorgängen nach völlig neuen Maßstäben und mit völlig neuen Mitteln“.
Noch deutlicher wird dieser Form- und Gestaltungswille aus dem
Geist der Technik und Industrie bei Le Corbusier. Im Abbildungsverzeichnis des Gropius-Buches ist er mit „Entwürfen zu einer Stadt“ aus dem Jahr
1922 vertreten. Seit seiner Aufsatzsammlung aus dem Jahr 1922/23, Vers une
archtecture, war der 1887 im Schweizer Jura, in La Chaux-de-Fonds geborene
Charles-Edouard Jeanneret, der sich ab 1923 Le Corbusier nannte, eine Autorität auf dem Gebiet der Architektur und der neuen, rein funktional gedachten
Stadt. Nur sie allein schaffe Ordnung. „Wo Ordnung herrscht, entsteht Wohlbefinden“, schrieb er in Vers une architecture (dt.: „Ausblick auf eine Architektur“).
Le Corbusier war nicht nur fasziniert von der technischen und sozialen Funktionalität der Ozeandampfer und anderer Erzeugnisse moderner
Technik, zumal des Autos, sondern auch von ihrer Ästhetik. In: Vers une Ar-
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chitecture findet sich die Gegenüberstellung des Parthenon-Tempels in Athen
mit einer eleganten Limousine, verbunden mit der Behauptung, sie sei von
gleicher Schönheit wie der Tempel.
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Plan Voisin 1925
Le Corbusier
Großes Aufsehen erregte sein Plan Voisin von 1925. Zur Verwirklichung sollten alte Stadtviertel in Paris abgerissen werden, um sie durch „Die
Strahlende Stadt“, La Ville Radieuse, zu ersetzen. Sonnenlicht sollte es für
jeden Bewohner der kreuzförmigen Türme geben. Vom Gesamtareal durften
nur 5% überbaut werden. Die großen Freiflächen um die Türme waren Parks
und Infrastruktur vorbehalten.
Zu Le Corbusiers Credo gehörte: „Der Architekt plant die Gemeinschaft“. Ausdruck dieses Credos ist die Unité d’Habitation, die „Wohneinheit“.
Planungen dazu ließen sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg verwirklichen.
Das erste und bis heute bekannteste Beispiel steht in Marseille, unter großen
Mühen der Materialbeschaffung in den Jahren 1947-1952 erstellt. Eine zweite
„Wohneinheit“ findet sich in Berlin, unweit des Olympia-Stadions. Sie war für
die Internationale Städtebauausstellung Berlin 1957 im Hansa-Viertel vorgesehen, wurde aber wegen ihrer Dimensionen in die Nähe des Olympia-Stadions
„ausgelagert“. Abb. Marseille
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Unité d´Habitation
Marseille 1952
Le Corbusier
Die Unité d’Habitation in Marseille hat eine Länge von 137 m, bei einer
Breite von 24 m und 56 m Höhe. Mit 23 Grundrissvariationen für insgesamt
337 Wohneinheiten hoffte Le Corbusier alle Wünsche vom Ein-PersonenHaushalt bis zu einer Familie mit acht Kindern erfüllen zu können. Die Unité
war für insgesamt 1600 Menschen geplant – just jene Größen-ordnung, die
Charles Fourier für die von ihm geplanten integralen Siedlungs-, Arbeits- und
Lebensgemeinschaften, die Phalanstères, vorgesehen hatte. Phalanstère ist ein
Kunstwort aus Phalanx und Monastère.
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Unité d´Habitation Marseille 1952
Dachterrasse
Le Corbusier
Le Corbusier hatte die Hoffnung, dass sich in der katastrophalen
Nachkriegssituation die Wohneinheiten mit einem neuen Stadt- und Gemeinschaftsgedanken verbinden ließen. Dieses „Wohnkonzept für das Maschinenzeitalter“ (Le Corbusier) sollte alles unter einem Dach bzw. auf dem riesigen
Dachgarten vereinen: Wohnen, Einkaufen, sich erholen, sich bewegen. Auf
dem Dachgarten gab es einen Freiluftplatz, eine Turnhalle, Platz für Sonnenanbeter und eine Trainingsbahn zum Laufen – neben Buffets.
5. Türme: Dominante oder architektonischer Störenfried?
Mit dem Thema Türme in der Stadt bzw. als städtebauliche Dominante ließe sich das ganze Referat bestreiten. Es würde mit dem Turmbau zu Babel
beginnen, in späterer Epoche die Kathedralen des Mittelalters hervorheben,
die Geschlechtertürme in San Gimignano streifen, den Eiffelturm – erbaut
zur 100-Jahr-Feier der Revolution von 1789 – und die seinerzeit aufgeregten
Debatten um dieses für einige Jahrzehnte höchste Gebäude der Welt kommentieren. Zu dieser Zeit gab es auch heftige Kontroversen um die Höhe der
Rathäuser im Vergleich zu dominanten mittelalterlichen Sakralbauten. Wien,
Hamburg, München und Hannover könnten als Beispiele genannt werden.
Zeitgleich beginnt mit den ersten Hochhäusern in Chicago seit Mitte
der 80er Jahre des 19. Jh.s eine neue Epoche. Sie führt, trotz der Tragik um das
World-Trade-Center in New York, fast jedes Jahr zu neuen Rekorden: von Kuala Lumpur zu Taipeh und nun in Dubai, wo 810 m erreicht wurden.
Das gewählte Beispiel im Hinblick auf die Frage, ob Hochhäuser eine
bestimmte Stadtgestalt unzulässig beeinträchtigen, ist The Shard von Renzo
Piano (geb. 1937 in Genua) in London. Der Maßstab für zulässige Gebäudehöhen war lange Zeit St. Paul’s Cathedral aus dem letzten Drittel des 17. Jh.s., mit
einer Kuppel von 111 m Höhe.
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The Shard London
Renzo Piano 2009-2012
The Shard steht am südlichen Ufer der Themse, hat 95 Stockwerke, ist
310 m hoch und wurde vor gut einem Jahr eingeweiht. Der Turm wirkt wie
eine moderne gläserne Pyramide. Das untere Drittel ist Büroraum, darüber
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sind Restaurants und ganz oben Luxuswohnungen mit Preisen von unvorstellbarer Höhe. Es gibt nur wenige Parkplätze, um alle Nutzer und Bewohner
auf öffentliche Verkehrsmittel zu verweisen. Das Gebäude soll ökologisch effizient sein. Renzo Piano gehört hier ja mit Richard Rogers und Norman Foster
zu den Pionieren.
An Kritik fehlte es nicht: Hybris, Inbegriff von Habgier und kapitalistischer Dekadenz, Zerstörung des Stadtbildes. Zur Kritik gehört auch, dass der
Turm die soziale Trennung zwischen Arm und Reich veranschauliche, steht
er doch in einem der ärmsten Stadtbezirke Londons. Dessen Gentrifizierung
wird die Folge sein. Dem Projekt kam zugute, dass die Ausdehnung Londons
ins weitere Umland vermieden werden soll. Neue urbane Dichte ist die Parole. London war übrigens die erste Stadt der Neuzeit, die Ende des 18. Jh.s die
Millionen-grenze überschritt und bis 1925 die größte Stadt der Welt blieb.
6. Stararchitekten und Stadtgestalt
Stararchitekten können sich vieles erlauben und architektonischstädtebaulich auch Fragwürdiges durchsetzen. Das wurde mit dem Beispiel
The Shard von Renzo Piano bereits angedeutet. Es gibt andere Gründe als die
bereits genannten, einen international renommierten Architekten mit einem
spektakulären Gebäude zu beauftragen. Gehen wir wieder nach Jena, wo der
Jentower als Beispiel dienen kann. Abb. Jentower
Der Jentower wurde1969 bis 1972 errichtet und war vom renommiertesten Architekten der DDR, Hermann Henselmann (1905-1995), geplant.
Mit 145 m war es das zweithöchste Gebäude der DDR. Der Jentower sollte ein
Fernrohr symbolisieren und war als Forschungs-zentrum der Zeiss-Optik
vorgesehen. Da hierfür ungeeignet, überließ man den Turm der Universität.
Für den Bau wurde Altstadtgelände frei geräumt. Die Technik und eine neue
Architektur sollten im Sozialismus über den Bürgergeist triumphieren, der
sich in den verbliebenen Altstadtbauten noch heute kundtut.
Oft liegt die erzeugte Dissonanz an den jeweiligen Städten selbst: Sie
wollen einen vermeintlichen Modernisierungsstau mit einem extravaganten
Bau kompensieren und vor allem für Touristen attraktiv werden. Dies gilt z.B.
für die „Grüne Zitadelle“ von Friedensreich Hundertwasser in Magdeburg,
in unmittelbarer Nähe zum Domplatz und Landtag – mit Bäumen auf dem
Dach und Spuren des vom Architekten propagierten „Fensterrechts“, d.h. der
Gestaltung der Fassade durch jeden Bewohner – soweit der Arm reicht. Aber
der Bilbao-Effekt mit dem Museum von Frank O. Gehry (geb. 1929 in Kanada)
gelingt nicht überall: Durch außergewöhnliche Architektur die Umwandlung
herunter gekommenen Industrieviertels zu initiieren.
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Bilbao
Guggenheim-Museum
Frank O. Gehry 1997
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6. Kein Fazit
Große gotische Kathedralen in zumeist sehr kleinen Städten – waren
sie akzeptiert auch aus Gründen der Konkurrenz zu anderen Orten mit bedeutenden Reliquien? Die Geschlechter-türme von San Gimignano: waren sie
nur der Stolz von 72 Geschlechtern oder aller Bewohner? Die radikalen baulichen und infrastrukturellen Veränderungen in zumeist noch mittelalterlichen, kleinen Städten im Industriezeitalter – war das nicht notwendig und
letztlich auch die Not wendend im Hinblick auf die rasch wachsenden labouring poor, das „Lumpen-proletariat“, wie sie Karl Marx (1818-1883) nannte?
Die Fragen deuten an: Ein Fazit im Hinblick auf das Thema lässt sich
nicht ziehen, am wenigsten für die Vergangenheit. Das Kolosseum war sicherlich von der plebs erwünscht. Heute sind fußballbegeisterte Massen zusammen mit korrupten Staatslenkern, dem IOC und der FIFA dafür verantwortlich, dass es hinsichtlich des Baus neuer Stadien zugeht wie im alten Rom.
Denken wir an die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika. Die Olympiade
in Athen bzw. in Griechenland im Jahr 2004 trug in einem Land mit 11 Mio.
Einwohnern wohl mehr zum Beginn des ökonomischen Niedergangs bei, als
allgemein bewusst ist.
Auch künftighin werden einzelne Bauwerke im Hinblick auf eine gegebene Stadtgestalt strittig bleiben. Als aktuelle Beispiele sind zu nennen:
Die im August nach langer Bauzeit fertig gestellte Waldschlösschenbrücke in
Dresden, die zum Verlust des UNESCO-Labels „Weltkulturerbe“ (für Dresden
und das Elbtal) führte. Köln war klüger: Die Androhung, dass der Welterbetitel verloren gehe, wenn geplante Hochhäuser auf der Deutzer Rheinseite, also
mit Blick auf Dom und Stadtsilhouette gebaut würden, führte zur Revision.
Die Diskurse um spektakuläre Bauwerke können beitragen, die
Grundlagen der Baukultur (Durth/Sigel) zu verbessern, das kulturelle Erbe
der Stadt lebendig zu erhalten und über zukünftige Entwicklungen bei Bürgerinnen und Bürgern einen breiten Konsens herbei zu führen.
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LITERATURHINWEISE
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Werner Durth/Niels Gutschow, Träume in Trümmern, 2. Bde., Braunschweig/
Wiesbaden, 1988 (in Bd. I zu Scharouns „Kollektivplan“)
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Berlin, 2010
Joachim Fischer/Heike Delitz, Hrg., Die Architektur der Gesellschaft. Theorien für die Architektursoziologie, Bielefeld, 2009
Walter Gropius, Internationale Architektur, München, 1925 (Reprint 1981)
Le Corbusier, Ausblick auf eine Architektur, 1969 (frz. 1922)
Bernhard Schäfers, Architektursoziologie. Grundlagen – Epochen –Themen,
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Bernhard Schäfers, Stadtsoziologie. Stadtentwicklung und Theorien, Grundlagen und Praxisfelder, 2. Aufl. 2010
Bernhard Schäfers, Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland, 9.
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Karl Friedrich Schinkel, Reise nach England, Schottland und Paris im Jahre
1826, 2. Aufl. 2006
Peter Sloterdijk, Sphären III, 2004 (darin über Renaissance der Stadien). Max
Weber, Die Stadt (Bd. 5 aus: Wirtschaft und Gesellschaft), 1999
ERGÄNZENDE
LITERATURHINWEISE
Bernhard Schäfers, Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland, 7.
überarb u. erw. Auflage, UTB 2186, Stuttgart 2002
Bernhard Schäfers, Architektursoziologie. Grundlagen - Epochen Themen, Leske + Budrich, Opladen 2003
Bernhard Schäfers, (Hg.): Grundbegriffe der Soziologie, 8. aktualisierte
Auflage, UTB 1416, Opladen 2003
Bernhard Schäfers, Politischer Atlas Deutschland, 2. verb. Aufl. Bonn 1998
(auch auf engl. und frz.)
Bernhard Schäfers, (Hg., zs. mit W. Zapf): Handwörterbuch zur Gesellschaft
Deutschlands, 2. verb. Aufl. Opladen 2001
Bernhard Schäfers, Sozialstruktur und sozialer Wandel in Deutschland, 8.
verb. Aufl. Stuttgart 2004
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Bernhard Schäfers, (Hg., zs. mit H. Korte): Hauptbegriffe der Soziologie, 8.
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Bernhard Schäfers, (Hg., zs. mit J. Kopp): Grundbegriffe der Soziologie, 10.
Aufl. Wiesbaden 2010
Bernhard Schäfers, Stadtsoziologie. Stadtentwicklung und Theorien –
Grundlagen und Praxisfelder, 2. verb. Aufl. Wiesbaden
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ABBILDUNGSVERZEICHNIS
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PROFESSOR DR. BERNHARD SCHÄFERS
Prof. em. am Institut für Soziologie der Universität
Karlsruhe (jetzt KIT)
Mitglied der Fakultät für Architektur und der Deutschen
Akademie für Städtebau und Landesplanung
HERAUSGEBER
Fachbereich Architektur
Fachgebiet Entwerfen und Stadtentwicklung
Prof. Dr.-Ing. Annette Rudolph-Cleff
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