Special Business Direktmarketing Neue Instrumente im Direktmarketing Autorin: Sandra Fösken Im Direktmarketing vollzieht sich ein Wandel. Klassische Maßnahmen werden mit digitalen Lösungen ergänzt, aufgewertet oder sogar komplett ersetzt. Von Umfragen in den USA lassen sich die Dienstleister in Deutschland nicht beeindrucken. Laut einer Umfrage des Distributed Marketing Blog unter 190 Marketingführungskräften plant die amerikanische Pharmaindustrie, ihre Budgets für Direktmarketing zugunsten von Mobile-Marketing- und Social-Media-Aktivitäten zu reduzieren. In Deutschland rechnen Experten ebenfalls mit einer Verschiebung in Richtung der digitalen Medien, allerdings nennen sie nicht explizit die SocialMedia- und Mobile-Marketing-Kanäle. „In der Pharmaindustrie hat es schon immer eine Budgetaufteilung gegeben, wie in vielen anderen Industrien und Unternehmen übrigens auch“, sagt Stefan Burckhardt, Leiter strategischer Vertrieb beim Direktmarketingdienstleister Avocis Deutschland. Es sei zeitgemäß, wenn die Industrie in digitale Medien mehr investieren will. Im Ergebnis komme es auf den Return on Investment an, betont der Vertriebsleiter, weist aber gleichwohl darauf hin, dass die klassischen Vertriebskanäle „natürlich weiterhin ihre Bedeutung haben und eingesetzt werden“. Klassisches Direktmarketing wird bei Produktneueinführungen, beim Relaunch von Produkten, Zulassungserweiterungen, Einladungen zu Ver28 pharma marketing journal 3/2012 anstaltungen, internetbasierten Fortbildungen sowie Produktmarketing eingesetzt. Oft wählt die Industrie bei erklärungsbedürftigen Produkten eine Kombination aus Außendienst und Direktmarketing. „Eine gemeinsame Marktbearbeitung, in der unterschiedliche und von den Zielpersonen akzeptierte Anspracheformen eingesetzt werden, bringt einen optimierten Ressourcenmix, der Kosten reduzieren kann“, erläutert Burckhardt. Die Kosten des Kontakts hängen dabei stark von den eingesetzten Kanälen ab. So beginnt der Kontaktpreis pro Arzt bei 0,60 Euro für ein einfaches Mailing, kann aber bis zu 150 Euro pro Kontakt ansteigen, wenn ein Außendienstbesuch integriert werden soll. Einen Bedeutungsverlust für das klassische Direktmarketing kann auch nicht Gottfried Unterweger, Inhaber und Geschäftsführer der gleichnamigen Healthcare-Agentur mit Sitz in Hamburg, beobachten. „Die digitalen Medien sind eine gute Ergänzung zu den klassischen Tools, aber kein Ersatz“, stellt Unterweger fest, „denn Kommunikation ist mittlerweile komplexer und vielfältiger geworden. Es reicht nicht, eins zu können und alles andere abzulehnen.“ Bei seinen Kundenprojekten hält er sein Team an, stets aufs Neue für die jeweilige Zielgruppe und Aufgabe das richtige Tool einzusetzen. Die Kunden öffnen sich zunehmend für digitale Lösungen, auch „weil es aktuell als schick empfunden wird, in diese zu investieren“, berichtet Unterweger aus dem Agenturalltag. Bewegtbilder im Netz sind ein Beispiel dafür, wie Botschaften in nachhaltiger Form vermittelt werden können. Und Apps bieten nicht nur neue Kommunikationsmöglichkeiten, sondern auch ein unbegrenztes Speicherpotenzial. Die Entwicklung in den USA begrüßt Hubert Sichler, Partner der Agentur Serviceplan Health & Life in München, und rechnet künftig mit stärkeren Investitionen auch in Deutschland. „Mobile Marketing und Social Media sind die modernen, auf direkten Response ausgerichteten Dialogformen. Mailings, Callcenter und die weiteren klassischen Direktmarketingkanäle werden an Bedeutung verlieren – auch bei uns in Deutschland“, proklamiert Sichler. Gleichzeitig mahnt er vor Vereinfachung: „Die neuen Medien erfordern eine komplett andere Herangehensweise und andere Inhalte als die Klassik.“ Sowohl Unterweger als auch Sichler realisieren aktuell eine Reihe von Direktmarketingmaßnahmen mit digitalen Medien. „Wir arbeiten im Moment an einer webbasierten Expertenplattform, die Information, Education und Networking vereint“, berichtet Unterweger. „Das iPad nutzen wir ebenfalls in vielfältiger Weise, zum Beispiel für internetgestütztes E-Learning oder Neue Lösungen für die Industrie: Eine kreative Idee für Ärzte hatte die Healthcare-Agentur Unterweger in Hamburg, die zur Bekanntmachung eines Produkts auf einer Box einen Bildschirm mit einem Anwendungsvideo platzierte. Produktschulungen – das sogenannte E-Detailing. Denn alles, was mit einer „Apple“-Gerätenutzung verbunden ist, kommt bei Ärzten gut an“, weiß der Hamburger. Ärzte und Apotheker gelten als besonders Apple-affin. Allerdings klassif iziert er solche E-DetailingMaßnahmen nicht als dem Direktmarketing zugehörig. Ein sehr erfolgreiches Projekt war eine multimediale Musterbox, die seine Agentur 2011 im Auftrag eines Kunden an 3 000 Ärzte versendete. Die Besonderheit war ein drei Millimeter großer, f lacher Bildschirm, der in die Box integriert war, auf dem die Ärzte ein Anwendungsvideo abspielen konnten. „Diese Idee kam bei den Ärzten in Deutschland und UK sehr gut an“, freut sich Unterweger. Die Empfänger waren so positiv von der Technika angetan, dass sie Filme auch Kollegen und Patienten vorführten. Damit konnte ein klassischer Multiplikatoreneffekt erzielt werden. Und nach wenigen Tagen gingen die ersten Nachbestellungen für diese Boxen in der Agentur ein. Noch Lernbedarf haben die Fachkreise im Umgang mit Social-Media-Netzwerken wie Facebook und auch dem Kurznachrichtendienst Twitter. „Den Ärzten und Apothekern fehlt einfach noch die Affinität zu diesen neuen Medien“, stellt Unterweger fest. Eine Ausnahme bilden geschlossene Communitys wie Facharzt.de, Doccheck.de, Esanum.de oder Coliquio.de. Aber selbst diesen Expertennetzwer- ken begegnen sie mit einer gewissen Zurückhaltung. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betrieb von der Industrie finanziert wird, was bei den Genannten teilweise gegeben ist. Die Vorbehalte unter den Ärzten ist in diesen Fällen zunächst einmal groß. Wie die Überzeugungsarbeit erfolgreich gelingen kann, zeigt das Expertennetzwerk Coliquio.de. Das Unternehmen, das hinter der Expertencommunity steht, ist aus einem Projekt der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz hervorgegangen. »Ärzte sind mit digitalen Medien allein nicht optimal zu erreichen« Das Gespräch führte Sandra Fösken Hubert Sichler, Partner der Agentur Serviceplan Health & Life in München Welche Entwicklungen stellen Sie im Direktmarketing fest? SIEHLER: Die Zielgruppe Arzt steht längst nicht mehr so im Fokus, wie vor ein paar Jahren. Das hat auch mit dem AMNOG und weiteren Restriktionen zu tun. Warum soll beworben werden, was durch Rabattverträge verteilt wurde? Bei den Innovationen und den Spezialitäten sieht das noch anders aus. Hier wird weiterhin „klassisch“ aber auch mit zunehmender Tendenz in Richtung digitaler Kommunikation gearbeitet. Ärzte sind jedoch nach wie vor mit digitalen Medien allein nicht optimal zu erreichen. Welchen Medieneinsatz empfehlen Sie bei der Ansprache von Apothekern? SIEHLER: Die Kommunikationsabsicht bestimmt die Wahl der Medien. Der Apotheker wird in der Selbstmedikation wichtiger und deshalb auch stark umworben, aber sicherlich nicht nur digital. Die Frage nach den richtigen Medien beantwortet der Blick in den Papierkorb der Apotheke. Hier sind immer noch der Außendienstbesuch, Schulungen, Service und der Werbedruck bei Verbrauchern wichtig. Digitale Medien sind aber im Trend… SIEHLER: Die digitalen Medien bieten kein Patentrezept – weder im DirektmarketingBereich, noch in der Business-to-Business- oder der Business-to-CustomerKommunikation. Sie stellen aber eine ideale Bereicherung dar und eröffnen tolle Möglichkeiten, Inhalte interessant und responseorientiert zu verpacken. Nur: Auf den Inhalt und die Idee kommt es an. ← pharma marketing journal 3/2012 29 Special BuSineSS Direktmarketing Gründer und Geschäftsführer sind Felix Rademacher und Martin Drees. Rademacher hat die Idee konsequent verfolgt, eine Community für Ärzte zu entwickeln, die Ärzten bei offenen Fragen zu Diagnose und Therapien hilft. Mit Erfolg: Aktuell sind es über 60 000 aktive deutschsprachige Ärzte. Im Schnitt wächst die Community um monatlich 2 200 Ärzte. Ende des Jahres rechnet Rademacher mit 75 000 aktiven Medizinern. Das Mitgliederwachstum entwickelte sich anfangs erst langsam. „Es war schwierig, die Ärzte für eine Community zu gewinnen“, bekennt Rademacher. Doch das transparente Geschäftsmodell und der hohe Nutzwert für Ärzte, „Fragen unter Kollegen in einem geschlossenen digitalen Raum zu stellen, die innerhalb von 24 Stunden qualifiziert beantwortet werden können“, überzeugte die Mediziner ebenso wie Erfolgsbeispiele. So hat ein mit einer Leukämiepatientin bekannter Arzt aus Villach (Österreich) wichtige Informationen für eine lebensrettende Knochenmarkspende in der Onlinecommunity Coliquio.de generiert. Hintergrund war, dass er die finalen Aussagen der behandelnden Klinikärzte nicht akzeptieren wollte, wonach potenzielle Spender aus dem Familienkreis allein aufgrund ihres Alters ausgeschlossen werden sollten. Zu seiner Frage nach der Berechtigung der Altersgrenze (50 Jahre) meldeten sich innerhalb von 24 Stunden zahlreiche Arztkollegen zu Wort. Richtlinien, Risi- ken für den Spender sowie die Qualität der Spenderzellen wurden diskutiert. Ebenso berichteten die Mediziner von ihren Erfahrungen mit der Stammzellentransplantation. Motiviert durch die geschöpften Informationen wurde ein Klinikwechsel der Patientin nach Wien veranlasst. Dort erhielt sie die lebensrettende Knochenmarkspende ihres 62-jährigen Verwandten. „Wir versprechen einen schnellen, verlässlichen und transparenten Austausch zwischen Experten in über 70 verschiedenen Fachrichtungen“, sagt Rademacher. Außerdem erhalten die Ärzte Neuigkeiten aus der Pharmabranche, Studien, Fortbildungstermine. Die Industrie hat keinen Zugang zu dem Ärztedialog. Die Mitglieder können sicher sein, dass der medizinische Austausch nicht von der Pharmaindustrie eingesehen werden kann. Für die Pharmaindustrie hat das Unternehmen eigene Bereiche und Möglichkeiten vorgesehen, die ihnen einen direkten Kontakt zu den Medizinern nach Fachbereichen und Positionen bieten. Sie können bestimmte Arztzielgruppen zu Produkten, Diagnose- und Therapieverfahren befragen, Meinungsführer identifizieren und Neuigkeiten gezielt streuen. Die Erkenntnisse sind für die Industrie von hohem Nutzen. Zum Beispiel können Meinungsbildner ermittelt werden, die sehr viele positive Äußerungen in einer Indikation getätigt haben und dabei viel positive EXPERTENNETZWERK COLIQUIO Das Ärztenetzwerk Coliquio.de: Ärzte aus 70 Fachgebieten sind dort aktiv. Es sind sehr erfahrene Ärzte mit einem Altersdurchschnitt von 49,8 Jahren, die sich über Patientenfälle austauschen. 30 pharma marketing journal 3/2012 Infocenter auf Coliquio.de: In extra ausgewiesenen Bereichen darf die Industrie Ärzte in dem Netzwerk kontaktieren und mit Informationen versorgen. Zustimmung durch andere Ärzte in der Community erfahren haben. Die Industrie kann hier direkt mit den Meinungsbildnern in Kontakt treten und muss nicht mehr die Schleife über den Außendienst drehen. Auch Diskussionen zu bestimmten Themen kann die Industrie anregen und Meinungen einsammeln. Coliquio analysiert im Auftrag der Kunden auch das Potenzial für Marktforschungsprojekte und Marketingaktionen. So fragen Kunden nach, mit welchem Anteil die Vielverschreiber oder Wenigverschreiber im Hinblick auf einen Wirkstoff in der Community vertreten sind, sodass die Industrie gezielte Direktmarketingmaßnahmen einleiten kann. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Industrie ihre Kundendaten zur Verfügung stellt. „Schnellabstimmungen sind ebenfalls möglich, Kongresse können beworben werden und CMEFortbildungen eingestellt werden“, nennt Rademacher weitere Vorteile dieses Mediums. Das Who‘s who der großen Pharmariesen ist dort mittlerweile präsent. Das war anfangs nicht der Fall, „erst als wir die kritische Masse von 15 000 bis 20 000 registrierten Ärzten durchbrochen haben“, erzählt Rademacher. Die Maßnahmen werden auch einer monatlichen Erfolgsmessung mit Reporting unterzogen. Die Industrie sieht dadurch sehr schnell, ob sich beispielsweise das Verordnungsverhalten oder die Weiterempfehlungsbereitschaft verändert hat. ←