14. bis 20. Februar 2013 /// Ein unabhängiges Engagement des Vereins Berner Kulturagenda /// www.kulturagenda.be /// 3 Anzeiger Region Bern 23 Zu Besuch bei der blinden Dame ZVG Ein Tagebuch sorgt für ein moralisches Dilemma: «Die Nadel der Kleopatra» von Philipp Moog und Frank Röth kommt in einer berndeutschen Fassung auf die Bühne des Theaters Matte. Oliver Stein führt Regie. Taugenichts Marc gedenkt, sich Charlottes Monet unter den Nagel zu reissen. Sophie (Nina Bühlmann) ist eine junge erfolglose Schauspielerin. Ihr Freund Marc (Adamo Guerriero) ein Taugenichts. Als Sophie auf ein Inserat stösst, in dem eine sprachgewandte Vorleserin gesucht wird, lässt sie sich von ihrem Freund und dessen schlitzohrigem Kumpel (André Ilg) überreden und nimmt den Job an. Die Auftraggeberin ist Charlotte (Marianne Tschirren), eine alte blinde Dame, die sich das Tagebuch vorlesen lassen will, das ihr heimlicher Geliebter ihr kurz vor seinem Tod übergeben hat. Sophie liest das Tagebuch heimlich vorab und gerät bald in ein moralisches Dilemma: Wie viel Wahrheit verträgt die Realität? «Heute gibt man nur noch Highlights preis» Oliver Stein inszeniert «Die Nadel der Kleopatra», ein Stück der deutschen Autoren Philipp Moog und Frank Röth, in einer berndeutschen Fassung von Livia Anne Richard. «Heute gibt man nur noch Highlights aus seinem Leben via Facebook und Twitter preis», sagt Stein. Das Thema Tagebuch habe ihn darum interessiert, weil es im Gegensatz zu den sozialen Medien eine ganze Lebensgeschichte erzählen könne. Er habe ein paar Details dazu erfunden, verrät Stein. So ertönt von der Blindenuhr der alten Dame eine Zeitangabe, während nebenan Sophie nach Hause kommt und ihr Freund aufwacht. Die Bühne des Matte-Theaters ist zweigeteilt und zeigt die Wohnzimmer von Sophie und Charlotte. Die beiden Kerle planen einen Kunstraub Die Geschichte, die Sophie aus dem Tagebuch erfährt, ist berührend, brisant und bedrohlich. Der Titel «Die Nadel der Kleopatra» spielt auf jene gleichnamigen Obelisken in Ägypten an, die zusammengehören und von denen doch jeder für sich allein steht – ein Sinnbild für die Beziehung zwischen Charlotte und ihrem einstigen Geliebten. Während Sophie immer mehr in die Vergangenheit der faszinierenden Charlotte eintaucht, denken ihr Freund und dessen Kumpel darüber nach, den echten Monet im Haus von Charlotte zu stehlen. Schliesslich kann die Blinde das Bild ja sowieso nicht sehen. Ob das gut geht? Stein verknüpft die verschiedenen Szenen mit Musik, deren Spektrum von Paganini über Rockabilly bis zu Nina Hagen reicht. Deren Tochter Cosma Shiva Hagen spielte 2009 die Sophie in der Berliner Uraufführung, während Ingrid van Bergen Charlotte verkörperte. Auch im Theater Matte stehen keine Unbekannten auf der Bühne. Die 28-jährige Bernerin Nina Bühlmann hat man unter anderem als Annemarie in der Dällebach-Kari-Inszenierung auf dem Gurten (2006) sehen können. Marianne Tschirren ist bekannt durch ihre eigenen Theaterprojekte vom Okaytheater. Für Spannung ist gesorgt, denn Regisseur Stein will es partout nicht verraten: Was zum Teufel steht in diesem Tagebuch? Helen Lagger \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\ Theater Matte, Bern. Premiere: Sa., 16.2. Weitere Vorstellungen bis 17.3. www.theatermatte.ch Tradition ist, was man daraus macht Mechanisches Rattern dringt aus einem Ausstellungsraum des Kunstmuseums Thun. Angelockt von der Geräuschquelle, steht man bald vor einem riesigen Tisch. Darauf schlängeln sich auf einem Förderband metallene Türme hin und her. Das Werk «Faith Matters» (2007–2008) ist ästhetisch und fasziniert mit seiner Bewegung. Die Silhouetten könnten Modelle von Hochhäusern einer futuristischen Grossstadt sein. Tatsächlich sind die Türme aber nichts anderes als aufeinandergestapelte traditionelle indische Kochgefässe. Die Vermischung von Moderne und Tradition ist allgegenwärtig in der farbenfrohen Ausstellung «Spirit Eaters» von Subodh Gupta. Der Inder ist ein Aushängeschild der zeitgenössischen Kunst seiner Heimat. Nun ist im Kunstmuseum Thun erstmals in der Schweiz eine Ausstellung des 48-Jährigen zu sehen. Progressiver Bewahrer Gupta, der in einfachen Verhältnissen im Nordosten Indiens aufwuchs, wurde vor allem durch seine monumentalen, strahlenden Skulpturen weltweit bekannt. Diese erzielten in den vergange- Reflektierte Spiritualität Der Künstler weilte für die Vorbereitung der Ausstellung mehrere Wochen in Thun. Zusammen mit Helen Hirsch, der kuratierenden Direktorin des Kunstmuseums Thun, nahm er einige Anpassungen vor. «Ich lernte einen sensiblen, stark in seiner Heimat verwurzelten Künstler kennen», erzählt Hirsch im Gespräch. Bei der Ausstellung stellt sie denn auch diesen «anderen Gupta» in den Mittelpunkt. Jenen Gupta, der sich fernab des Glamours internationaler Kunstmärkte ven Videoinstallationen und beeindruckenden, raumfüllenden Werken. Das Gesamtbild der ausgestellten Werke zeigt einen vielseitigen, reflektierten Künstler – und einen detailversessenen: So liess Gupta eigens für die Ausstellung Blätter der im Buddhismus heiligen Pappelfeige aus Indien anliefern. Auf dem Boden eines der Ausstellungs- räume verteilt, sorgen sie nun für meditatives Blätterrascheln – und passen so hervorragend in diese die Sinne anregende Ausstellung. Basil Weingartner \\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\\ Kunstmuseum Thun. Vernissage: Fr., 15.2., 18.30 Uhr. Ausstellung bis 28.4. www.kunstmuseumthun.ch In der Installation «Faith Matters» macht Subodh Gupta aus traditionellen indischen Gefässen und einem Förderband moderne Kunst. zum Stadt-Land-Graben (III) mit Peter Leu ZVG Klartext nen Jahren immer wieder Verkaufserlöse jenseits der Millionengrenze. In Thun sind sie allerdings nicht zu sehen. Guptas Lebensgeschichte steht sinnbildlich für den raschen Wandel seiner Heimat. Rasante Veränderungen stellen immer auch die Identität einer Gesellschaft auf die Probe. Deshalb ist das Erhalten des Traditionellen für den in Neu-Delhi lebenden Künstler sehr wichtig. Er tut dies etwa, indem er aus herkömmlichen indischen Alltagsgegenständen Kunstwerke erschafft. Mit diesem Prinzip arbeitet er beim eingangs erwähnten Beispiel ebenso wie bei seinen Hochglanzskulpturen. mit Themen wie Spiritualität, Agrarkultur und den Folgen der Globalisierung auseinandersetzt. Die Ausstellung geizt aber dennoch nicht mit optischen Reizen: Die Bandbreite der Objekte – manche sind zum ersten Mal ausgestellt – reicht von glitzernden Wandskulpturen über intime Malereien und Installationen bis hin zu provokati- ZVG Subodh Guptas Sinnbilder des gesellschaftlichen Wandels in Indien funkeln und rattern. Im Kunstmuseum Thun ist erstmals in der Schweiz eine Einzelausstellung des vielseitigen Künstlers zu sehen. Wie ernst steht es um den Stadt-LandGraben? Nach den Interviews mit der Thuner Nationalrätin Ursula Haller (BKA vom 30.1.) und mit dem Berner Regierungspräsidenten Andreas Rickenbacher (BKA vom 6.2.) sprechen wir mit einem Kulturveranstalter aus der Region: Peter Leu führt in Biglen die Kulturfabrikbigla. Peter Leu, Sie führen in Biglen ein Kleintheater, die Kulturfabrik. Sind Sie ein Landei? Nein, ich bin in der Agglomeration Bern aufgewachsen und wohne noch immer in Muri. Ich bin zugleich Städter mit Flair fürs Land und Landei mit Flair für die Stadt. Kommen Städter zu Ihnen ins Theater? Rund die Hälfte des Publikums kommt aus der Stadt und der Agglomeration. Der Rest vom Land, allerdings nicht nur aus Biglen selbst. Die Stadtbewohnerinnen und -bewohner fahren gerne aufs Land. Beim Freilichttheater, das wir jeweils im Sommer auf der Moosegg produzieren, ist der Anteil der Landbewohner etwas höher. In der Regionalen Kulturkonferenz (RKK) von Thun haben die umliegenden Gemeinden eine moderate Beitragserhöhung an die städtischen Kulturinstitutionen abgelehnt. Ursula Haller sieht darin ein Misstrauensvotum gegenüber der Stadt. Verstehen Sie die naserümpfenden Landbewohner? Ja, die verstehe ich schon. Die Städte haben das Gefühl, sie versorgten als Einzige den Kanton mit Kultur. Das stimmt aber nicht. Auch auf dem Land gibt es kulturelle Angebote. Klar gibt es ungute Gefühle, wenn man das ganze Geld für die Kultur in die Stadt abliefern sollte. Braucht es eine Stärkung des Angebots auf dem Land? Die Städter argumentieren zu kurzfristig: Die Stadt sei der Wirtschaftsmotor, darum müsse dort das Kulturangebot sein. Aber die Leute aus der Agglomeration und vom Land, die täglich in die Stadt pendeln, besuchen am Abend nicht noch in der Stadt Veranstaltungen. Sie fahren auf das Land zurück und möchten da etwas unternehmen. Die Arroganz der Städter. Zumindest besteht eine Ignoranz. Sie können sich auch nicht vorstellen, dass Leute aus der Stadt aufs Land fahren, um Kultur zu konsumieren. Hier findet man einen Parkplatz, und die Leute fühlen sich sicher. Solche Aspekte spielen eine Rolle. Die Städter kommen gerne aufs Land, auch eine Mühle Hunziken beweist das. Regierungspräsident Rickenbacher sagte im Gespräch, die Lebenswelten in Land und Stadt würden sich mehr und mehr voneinander entfernen. Beobachten Sie das auch? Ich sehe, dass diese Gefahr besteht. Sie bestätigt aber genau das Argument, dass die Stadt etwas mehr zum Land schauen müsste. Ich versuche, Kultur, die man meist in der Stadt sieht, auf das Land zu bringen. Wenn man das Gefühl hat, das Land werde abgehängt, muss man aus der Stadt heraus etwas machen, sonst rächt sich das langfristig. Betreiben wir nicht etwas gar viel Heimatschutz, wenn die Städte so viel Geld in die ländlichen Regionen pumpen? Nein. Die Städter nutzen ja ihre «heimatgeschützten» Gegenden als ihr Naherholungsgebiet. Und auf dem Land wohnen Menschen, die in der Stadt Wertschöpfung generiern. Das Jammern ist nicht gerechtfertigt. Interview: Michael Feller