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Überlegungen zu buddhologischen Grundlagen des
modernen Tempelbaus
am Beispiel des Honpukuji von Andō Tadao
Jonas GERLACH
Universität Köln
Sophia University
Die Aufgabe, einen Ort der Religion zu bauen und zu gestalten,
umfasst mehr als den Auftrag an einen Architekten, ein Gebäude zu
errichten und ein Gelände zu formen. Sie besteht auch nicht darin,
sich durch die Gestaltung als Künstler zu verwirklichen, sondern sie
verlangt, den dort gefeierten Liturgien einen angemessenen Rahmen
zu geben und es den Menschen, die dort ansässig sind oder diesen Ort
besuchen, zu ermöglichen, das zu finden und zu erleben, was sie in
ihrem Glauben dort suchen. Auch die Gestaltung eines buddhistischen Tempels (tera 寺) 1 orientiert sich an den Anforderungen der
Liturgie und der Gläubigen und hat in dieser rahmengebenden Funktion ihre gestalterische Freiheit und formgebende Verantwortung.
Die Geschehnisse des vergangenen Jahrhunderts haben das
Leben der buddhistischen Gemeinden in Japan verändert. Nationale
Interessen, technologische Entwicklungen, Inspirationen durch interkulturellen Austausch, aber auch Kriege boten Anlass zum Wandel
des buddhistischen Selbstverständnisses, was sich auch in der Gestaltung der Tempel ausdrückte. Die Verwendung neuer Baumaterialien
und Formensprachen, gestiegene Komfort-, Hygiene- und Sicherheitsansprüche und nicht zuletzt ein neues Kunstverständnis stellen heute
den traditionellen Bauweisen neue Lösungen gegenüber.
Vor allem neue religiöse Bewegungen in Japan nutzen die
Gestaltung ihrer Tempel, um einerseits zeitgemäß und ansprechend zu
sein, andererseits um sich als neue Religion von den alten abzugrenzen. Aber auch in den älteren buddhistischen Schulen gibt es
Ideen für neue Gestaltungen, doch sind diese in den wenigsten Fällen
so umfangreich und augenscheinlich wie z. B. im europäischen
1
Das japanische Wort tera bezeichnet nicht nur das Tempelgebäude, sondern das
gesamte Tempelgelände.
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Jonas GERLACH
Kirchenbau. Nur sehr wenige Bauten verzichten in markanter Weise
auf eine konventionelle Gestaltung und geben neue Impulse.
In diesem Beitrag sollen den wissenschaftlichen Studien über
diese neuen Tempelbauten, die meist kunst- oder architekturwissenschaftliche Untersuchungen sind, 2 Überlegungen aus buddhologischer
Perspektive gegenübergestellt werden. Das soll am Beispiel der
Haupthalle (hondō 本堂) des Tempels Honpukuji 本福寺 geschehen,
die 1991 nach Plänen von Andō Tadao 安藤忠雄 (1941–) in der Stadt
Awaji errichtet worden ist. Aufgrund ihrer Bauart trägt die Halle den
Namen Mizumidō 水御堂 („Wasserhalle“, s. u.). Der Tempel gehört
einer Lehrtradition innerhalb der Shingon-Schule an.
Gestalt und Aufbau des Honpukuji
Über das Gelände des kleinen Tempels führt ein schmaler Pfad
zwischen einem Friedhof, älteren Tempelgebäuden und Kiesflächen
eine Anhöhe hinauf, auf der zwei breite Betonwände die Sicht auf die
dahinter liegende Haupthalle verdecken. Die erste Wand wird durch
ein kleines Tor durchschritten, um die zweite führt der Weg außen
herum. Dort öffnet sich der Blick auf ein ovales Wasserbecken, in
dem in regelmäßigem Muster Lotus gepflanzt ist. Der Weg führt über
eine schmale Treppe – scheinbar in das Becken hinein – in die
darunter gelegene Tempelhalle (Abb. 1). Das Wasserbecken ist das
Dach und Namensgeber der Halle.
Der Innenraum ist kreisrund (Abb. 2). Er ist von einem Umgang
umgeben und mit schwachem Licht erfüllt, das durch die einzige
Lichtquelle des Raums hinter dem Altar einfällt. In den runden Raum
ist ein quadratischer Einbau eingeschrieben, der durch einen Lettner
in zwei rechteckige Hälften geteilt wird und mit Tatami-Matten
ausgelegt ist. Sowohl der Lettner als auch der Einbau reicht bis an die
Raumwände heran und ist durch mannshohes Fachwerk gegliedert.
Bis auf den oberen Abschluss des Einbaus sind die Gefache
transparent, da sie entweder ungefüllt oder mit Gitterwerk versehen
sind. Das Fachwerk und die runden Raumwände sind rot gefasst, so
dass der gesamte Raum durch das schwache Licht rot zu leuchten
scheint.
2
Z. B. Graham 2007, Löffler 2008.
52
Überlegungen zu buddhologischen Grundlagen des modernen Tempelbaus
Der für Laien nicht zugängliche Altarbereich (naijin 内陣, Abb.
3) hinter dem Lettner hebt sich deutlich von der Gestaltung des
übrigen Gebäudes ab. Sein Aufbau wurde nicht von Andō gestaltet,
sondern folgt der für die Liturgie notwendigen Ordnung in
traditioneller Gestaltung und Ornamentik. 3 Am höchsten Punkt des
Altars steht ein „Arzt-Buddha“ („Heilkraftlehrer-Buddha“, Yakushinyorai 薬師如来 4 ), zu dessen Füßen Platz für Opfergaben, liturgische
Gerätschaften und die Priester ist. Der Altarbereich wird beidseitig
von den zwei „Mandalas der beiden Welten“ (ryōkai-mandara 両界曼荼
羅, s. u., Abb. 4) flankiert.
Versuch einer buddhologischen Interpretation
Die Shingon-Schule ist eine der tantrischen Lehrtraditionen (mikkyō
密教, wörtl. „Geheimlehre“) des Buddhismus. Sie existiert in Japan
seit Anfang des 9. Jahrhunderts und beruft sich auf den Mönch Kūkai
空海 (774–835, posthum: Kōbō Daishi 弘法大師). Die Lehre unterscheidet sich von anderen, damals in Japan bereits verbreiteten
buddhistischen Traditionen vor allem dadurch, dass sie einen Weg
zum „Buddha-Werden in diesem Leib“ (d. h. in diesem Leben,
sokushin-jōbutsu 即身成仏) lehrt. 5
Das Buddha-Werden bedarf dieser Lehre nach u. a. der
schrittweisen Einführung in die Drei Mysterien (sanmitsu 三密): Leib
(shin 身), Mund (ku 口, d. h. Stimme) und Geist (i 意). Durch Leib,
Mund und Geist handelt jedes Wesen zu jeder Zeit und schafft
dadurch Karma (gō 業) 6 . Die Drei Mysterien sind Mysterien, da sie für
3
Vgl. hierzu Nishimura 1996, S. 86.
Nyorai (von sanskrit tathâgata: „der so Gekommene“ oder „der so Gegangene“)
ist eigentlich eine ehrenvolle Anrede des Buddha, bezeichnet in der
buddhistischen Ikonographie in der Regel aber plastische Darstellungen von
Buddhas. Vgl. Satō 1979, S. 10.
5
Die Lehre des Shingon ist sehr komplex. Sie kann hier nur in Ausschnitten
wiedergegeben werden. Folgendes entstammt dem Text Sokushin-jōbutsu-gi von
Kūkai, T. 2428; deutsche kommentierte Übersetzung Kōbō Daishi Kūkai 1992,
S. 19–49.
6
Karma (von sanskrit karman) ist die allgemeine Bezeichnung für alle Handlungen
von fühlenden Lebewesen (ujō 有 情 , nach buddhistischer Vorstellung alle
Lebewesen, die nicht das buddhistische Erwachen erfahren haben), abgeleitet von
Sanskrit kṛ (hervorbringen, erzeugen). Die Vorstellung von Karma ist eng mit dem
Glauben an die Wiedergeburt verknüpft und besagt, dass gute Handlungen (in
4
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Wesen, die noch nicht zur Buddhaschaft erwacht sind, nicht vollends
erkennbar sind. Der ausübende Gläubige vereint sich mit verschiedenen Buddhas 7 und Bodhisattvas 8 durch diese Mysterien, d. h. in
entsprechender Körperhaltung (Sitzweise und Handhaltung), Rezitation und meditativer Versenkung (oder Visualisierung). 9 Diese Übung
ist eine rituelle Handlung, durch die der Kreislauf des Leidens
durchbrochen und Buddhaschaft erfahren werden kann. Die ShingonSchule erkennt vor allem in rituellen Handlungen die Möglichkeit
dieses Durchbruchs und kennt eine Vielzahl unterschiedlicher Riten.
In vielen Riten der Shingon-Schule spielen Mandalas eine
besondere Rolle. Das Sanskritnomen maṇḍala bedeutet „Kreis“.
Bereits in der Veda 10 bezeichnet es einen Altaraufbau oder den Sitz
eines Priesters. 11 Ein Mandala ist eine Gesamtdarstellung des Einen
und Ganzen des Kosmos in geometrischer und meist nahezu
symmetrischer Anordnung von Kreisen und Quadraten um ein
Zentrum herum. In diesem Zentrum, bei einem dreidimensionalen
Mandala gleichzeitig in der Regel der höchste Punkt, befindet sich die
Hauptfigur bzw. der Hauptgegenstand der Verehrung, also z. B. der
wichtigste Buddha des Mandalas. Viele weitere Buddhas und
Bodhisattvas oder auch liturgische Gerätschaften, Sanskritschriftzeichen oder Symbole sind um diesen herum im Kosmos in einer für
das Mandala meist durch einen Text festgelegten Ordnung positioniert, abgebildet oder geschrieben. Dieser Kosmos wird von Gläubigen in dafür festgelegten Riten betreten und durchwandert. Das
kann sowohl physisch als auch geistig in der Meditation geschehen.
In Japan sind Mandalas oft zweidimensionale Darstellungen auf
Wandteppichen oder als Malereien, die als Bild nur in Meditation
diesem oder einem späteren Leben) gute Früchte, schlechte Handlungen schlechte
Früchte tragen werden. Vgl. Furuta 1988, S. 267.
7
Buddha (sanskrit: buddha: „der Erwachte“) ist eine Bezeichnung für ein Wesen,
das den Kreislauf des Leidens und der Wiedergeburt durchbrochen hat. Nach
buddhistischer Vorstellung gibt es neben dem historischen Buddha unzählige
weitere Buddhas. Je nach Lehrtradition werden unterschiedliche Buddhas ins
Zentrum der Verehrung und des religiösen Handelns gerückt. Vgl. Furuta 1998,
S. 859.
8
Bodhisattvas (bosatsu 菩薩, Kurzwort für bodaisatta 菩提薩埵, sanskrit: bodhisattva:
„Erwachungswesen“, „Wesen des Erwachens“) sind Wesen, die nach dem
buddhistischen Erwachen suchen und es zu einem Teil bereits erlangt haben. Im
Gegensatz zu Buddhas haben Bodhisattvas den Kreislauf der Wiedergeburten
noch nicht durchbrochen. Vgl. Furuta 1988, S. 907.
9
Vgl. Kōbō Daishi Kūkai 1992, S. 42f, Anm. 36.
10
Die Veda ist eine Gruppe religiöser Texte des Hinduismus aus vorbuddhistischer Zeit.
11
Leidy 1997, S. 17.
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Überlegungen zu buddhologischen Grundlagen des modernen Tempelbaus
betreten werden können. Doch können auch Landschaften und
Bauten einer Mandala-Struktur folgen, indem sie z. B. um eine
zentrale Figur in einer bestimmten Weise angelegt sind. Genau wie ein
Mandala werden diese dann betreten und durch- oder umwandert, so
z. B. Stupas und Pagoden aber auch Altaraufbauten in Tempelhallen
oder ganze Tempelgelände. Viele frühbuddhistische Tempelgebäude
in Mittel- und Südasien, z. B. die große Stupa von Sanchi in Madhya
Pradesh, sind gänzlich als umwandelbares Mandalas errichtet
worden. 12
In der Shingon-Schule sind Mandalas Teil des liturgischen
Geschehens. Zwei besonders wichtige Ordnungen sind die „Mandalas
der beiden Welten“ (Abb. 4): das „Donnerkeil-Mandala“ (Kongōkaimandara 金剛界曼荼羅) und das „Mutterschoß-Mandala“ (Taizōkaimandara 胎蔵界曼荼羅). Sie hängen oft, wie auch im Honpukuji, als
Malerei oder Graphik zu beiden Seiten eines Altars. Aber auch die
Anordnung von Gebäuden auf Tempelgeländen kann eine MandalaOrdnung aufweisen. Die Tempel der Shingon-Schule sind mehr als
nur einfache Orte, an denen Riten ausgeführt werden. Sie sind selbst
Teil dieser Riten und daher auch Teil des Buddha-Werdens. Die
Gelände und die darauf errichteten Gebäude folgen in ihrer Anlage
daher in der Regel definierten Ordnungen und sind dadurch als ein
Mandala ein Abbild des von Buddhaschaft erfüllten Kosmos. 13
Im Tempelbau kommt dem Tor eine besondere Bedeutung zu,
das der Eingang zum Gelände ist. Ist das Gelände eine MandalaDarstellung, wird durch das Tor auch das Mandala betreten. So sind
auch in vielen gemalten Mandalas (z. B. im Mutterschoß-Mandala)
Tore am äußeren Bildrand dargestellt. Mit dem Durchschreiten wird
die äußere Welt verlassen und eine innere Welt, ein Buddha-Land,
betreten. Traditionell sind Eingangstore zu einem Tempelgelände
prunkvoll verziert und einladend gestaltet. Andō lässt diesen Eingang
jedoch klein, als einfache Öffnung in einer Wand, und erschwert den
weiteren Zugang durch einen Umweg um eine zusätzliche Betonwand
herum. Erst dann öffnet sich der Blick auf den Lotusteich, das Dach
der Tempelhalle.
Auf seiner Wasseroberfläche sind in regelmäßiger Anordnung
Lotusblumen zu sehen. Die Lotusblume ist ein Symbol für das
buddhistische Erwachen, da sie aus schlammiger Tiefe den Weg an die
Oberfläche zum Licht findet und sich dort zum vollen Leben entfal12
13
Leidy 1997, S. 18f.
Leidy 1997, S. 19f.
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tet. 14 So sitzen oder stehen die meisten Darstellungen von Buddhas,
sowohl als Statue als auch in den genannten Mandalas, in Lotusblumen.
Der Blick auf den Teich mit den regelmäßig gepflanzten
Lotusblumen ist der Blick auf ein Mandala. Eine solche Darstellung
eines Mandalas als ein nahezu kreisrundes Becken mit geometrisch
angeordneten Lotusblumen darin, sowie die Möglichkeit, diesen nicht
nur zu umwandern sondern auch (über eine Treppe) zu betreten, hat
im Tempelbau in dieser Form kein Vorbild.
Entgegen der üblichen Anordnung, in der sich das Zentrum des
Mandalas am höchsten Punkt befindet, führt Andō die Treppe
abwärts. Der Weg in die Tempelhalle ist zunächst ein Weg ins Dunkel,
das dann durch das rote Licht im Innenraum gebrochen wird. Rot
lackiertes Holz steht architekturgeschichtlich in Japan für den Tempelbau per se. Rote Farbe an Bauwerken ist eine der architektonischen
Neuerungen, die der Tempelbau ab Mitte des 6. Jh. aus China mit
nach Japan brachte. 15 Unter architekturwissenschaftlichem Gesichtspunkt kann die rote Farbe so als ein Stilmittel zur Verortung in der
Tradition gedeutet werden. In Bezug auf das Mandala lässt das
sinnlich und ruhig im Licht schimmernde Rot den durch die runden
Wände höhlenartig anmutenden Innenraum als ein Abbild eines
Mutterschoßes erscheinen und den Gläubigen so mitten im
Mutterschoß-Mandala stehen.
Die Lichtquelle des Raumes befindet sich im Westen hinter dem
Buddha und erfüllt durch ihn hindurch den Raum. Die diaphane
Durchdringung mit Licht als transzendente Herrlichkeit ist ein europäischer Gedanke und der japanischen Baugeschichte nicht geläufig. 16
Er ist auch in diesem Zusammenhang nicht ganz eindeutig: Der
Buddhismus kennt zwar einen „Buddha des unermesslichen Lichtglanzes“ (Amida-butsu 阿弥陀仏 17 ), der in der „Welt des Höchsten
Glücks“ (gokuraku-sekai 極楽世界) weilt, einem sog. „Reinen Land“
(jōdo 浄土), das sich im Westen befindet. Er wird mit der Farbe Rot in
Verbindung gebracht und gelegentlich auch ganz in Rot dargestellt, 18
so dass in diesem Zusammenhang Licht und rote Farbe als eine solche
14
Furuta 1988, S. 1039.
Brown 1989, S. 12.
16
Löffler 2008, S. 24.
17
Amida ist die japanische Transkription der zwei Sanskrit Namen Amitâbha
(„Unermesslicher Lichtglanz“) und Amitâyus („Unermessliches Leben“). Vgl.
Aoyama 2006, S. 28f.
18
Aoyama 2006, S. 31.
15
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Überlegungen zu buddhologischen Grundlagen des modernen Tempelbaus
Referenz missverstanden werden könnten. Dem Durchdringen des
Raums mit rotem Licht des Buddhas aus westlicher Richtung steht
aber gegenüber, dass das Bildnis des Tempels nicht Amida-butsu sondern Yakushi-nyorai zeigt. Dieser weilt ebenfalls in einem Reinen
Land, doch ist dies die „Welt des Reinen Lapislazuli in Östlicher
Richtung“ (tōhō-jōruri-sekai 東方浄瑠璃世界). Yakushi-nyorai ist nicht
der Buddha des Lichts sondern der Töne und Musik. 19 Wie und ob
das Licht also buddhologisch zu deuten ist, ist nicht eindeutig zu
klären. Da sich die Halle in nordwestlicher Hanglage befindet, ist ein
Lichteinfall anders gar nicht möglich. Die Ausrichtung der Lichtquelle
nach Westen kann daher auch einfach bauliche Gründe haben.
Der Altarbereich ist nicht von Andō gestaltet, sondern entspricht
in Ornamentik und Aufbau den üblichen Formen der Shingon-Schule.
Auch in anderen Tempeln dieser Lehrtradition, deren Gestaltung sich
ebenfalls von der traditionellen Formgebung unterscheidet, 20 bleibt
Altarbereich von der übrigen Neugestaltung des Tempels unberührt.
Das unterscheidet die Tempel der Shingon-Schule von anderen
buddhistischen Schulen in Japan 21 und vom modernen Kirchenbau, in
dem der Altarraum und auch der Altar durchaus neu und in
Abstimmung auf den Raum, jedoch nach Maßgabe der Eucharistie
gestaltet werden können. 22
In der Lehre der Shingon-Schule liegt das Erlangen der Buddhaschaft in der rituellen Handlung. Der Aufbau des Ortes dieser
Handlung ist, genau wie die Handlung selbst, liturgisch festgelegt. Der
Altar ist als ein Ort, an dem das buddhistische Erwachen stattfindet,
also ein Bereich, der sich dem Wandel der freien Gestaltung zu entziehen scheint. Ein Ritus ist eine festgelegte Handlung, deren Richtigkeit sich irgendwann stabilisiert hat. Darin scheint kein Platz für Individualität, im Gegenteil: Der buddhistische Ritus bricht und zerstört
den Eigenwillen des Ich und damit auch seinen Willen zur künstlerischen Gestaltung. So wie nicht einfach neue Riten erfunden
werden können, können auch alte Riten nicht einfach verändert
19
Sein Reines Land ist daher auch Namensgeber der traditionellen japanischen
Musikrichtung Jōruri 浄瑠璃. Vgl. Satō 1979, S. 51.
20
Z. B. die Haupthalle des Kannonji 観音寺 in Tōkyō. Abbildung in Fujiki 1997,
S. 128.
21
Abbildungen mit Beispielen für die Altargestaltung anderer buddhistischer
Schulen: Jōdoshū 浄土宗 : Fujiki 1997, S. 146, Graham 2007, Plate 28; oder
Hokkeshū 法華宗: Fujiki 1997, S. 159.
22
Zum modernen Kirchenbau siehe Weyres 1959.
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werden, um so weniger, wenn eine neue Architektur es ihnen abverlangen möchte.
Zusammenfassendes Ergebnis
Der Versuch einer buddhologischen Interpretation hat gezeigt, dass
buddhistische Tempel sehr viele Freiheiten für neue Gestaltungen
ihrer Gelände und Gebäude bieten, diesen Freiheiten aber auch
Verantwortung folgt und Grenzen gesetzt sind. Ein Tempel, der als
Raum Liturgie überhaupt ermöglicht, gibt dieser auch etwas zurück.
Andō nutzt den gegebenen Spielraum der liturgischen Vorgaben und
entwirft eine Tempelhalle, die sowohl in ihrer baulichen Gestalt, als
ein Raum aus rotem Licht unter einem Teich, aber vor allem auch in
der Umsetzung Shingon-buddhistischer Traditionen und Aufgaben
dem Tempelbau wie auch der Religion neue Impulse gibt.
Literaturverzeichnis
Aoyama, Takao et al. (Hg.) 2006: Das Große Lexikon des
Buddhismus: Erste Lieferung: A-Bai. München: Iudicium.
Brown, Azby 1989: The Genius of Japanese Carpentry: The Secrets of
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Fujiki,Takao 1997: Religious Facilities. Tokyo: Meisei Publications.
Furuta Shō 古田紹欽 et al. (Hg.) 1988: Bukkyō daijiten 佛教大辞典.
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Graham, Patricia Jane 2007: Faith and Power in Japanese Buddhist
Art: 1600–2005. Honolulu: Univ. of Hawai’i Press.
Leidy, Denise Patry 1997: Place and Process: Mandala Imagery in the
Buddhist Art of Asia. In: Denise Patry Leidy, Robert A. F.
Thurman (Hg.): Mandala: the Architecture of Enlightenment.
London: Thames & Hudson. S. 16–47.
Löffler, Beate 2008: Buddhistischer Sakralbau im heutigen Japan:
Ausgewählte Beispiele. In: Ostasiatische Zeitschrift. 16, Herbst
2008. S. 19–30.
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Überlegungen zu buddhologischen Grundlagen des modernen Tempelbaus
Nishimura Kōchō 1996: Mukkyō nyūmon 密 教 入 門 . Tōkyō:
Shinchōsha 新潮社.
Satō Akio 佐藤昭夫 1979: Butsuzō wo miru hito no tame ni 仏像を
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Tamagawa daigaku shuppanbu 玉川大学出版部.
Weyres, Willy; Otto Barting (Hg.) (1959): Kirchen: Handbuch für den
Kirchenbau. München: Verlag Georg D. W. Callwey.
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Abbildung 1: Wasseroberfläche und Treppe, die in die Haupthalle hinein führt.
Abbildung 2: Blick in den Inneraum.
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Überlegungen zu buddhologischen Grundlagen des modernen Tempelbaus
Abbildung 3: Blick in den Altarbereich.
Abbildung 4: Schematische Darstellung der „Mandalas der zwei Welten“:
Taizōkai-mandara (links) und Kongōkai-mandara (rechts)
(Alle Abbildungen von Jonas Gerlach)
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