Palliativmedizin 4c_2011

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Musik auf Rädern
Ambulante Musiktherapie
Konzept
Musiktherapie für die stationäre und ambulante
Versorgung von Palliativpatienten
Palliativmedizin und Palliativstation
Die Weltgesundheitsorganisation hat im Jahr 2002 die Palliativmedizin als einen Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von
Patienten mit einer lebensbedrohlichen Krankheit beschrieben. Palliativmedizin beschäftigt sich mit der gewissenhaften Einschätzung
und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art. Palliativmedizin umfasst demnach die ganzheitliche Behandlung von
Menschen mit nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankungen mit begrenzter Lebenserwartung. Die Angehörigen der Patienten sind explizit in das Konzept integriert. Von
zentraler Bedeutung ist die Erhaltung bzw. Verbesserung der Lebensqualität des Patienten und seiner Angehörigen.
Palliativstationen sind eigenständige, an ein Krankenhaus angegliederte oder integrierte Stationen. Aufgenommen werden Patienten
im fortgeschrittenen Stadium einer nicht heilbaren Erkrankung, um
Symptome wie Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, gastrointestinale Obstruktion, Dyspnoe, außerdem auch soziale Probleme,
die eine Krankenhausbehandlung rechtfertigen, zu verbessern. Nach
Beendigung der Behandlung werden die Patienten möglichst ins
häusliche Umfeld entlassen oder in einem Hospiz untergebracht.
Palliativstationen bilden also eine Art Übergang zwischen der bisherigen Versorgung des Kranken zu Hause bzw. in einer Klinik und
der Entlassung nach Hause bzw. ins Hospiz. Bei einem Teil der Patienten kann der Allgemeinzustand soweit stabilisiert werden, dass
sie nach einem Aufenthalt von wenigen Wochen entlassen werden
können. Andere Patienten befinden sich bei der Einlieferung bereits
in einem kritischen Zustand, oder dieser verschlechtert sich während
des Aufenthalts trotz intensiver Versorgung, so dass die Patienten
auf der Palliativstation sterben. Der Kranke wird versorgt von einem
aus Ärzten, Schwestern und Pflegern bestehenden Team, das ergänzt
wird durch den Seelsorger, den Psychologen, den Physiotherapeuten sowie den Ergo-, den Musik- und den Kunsttherapeuten.
Die Krankheitsbilder
Ein Großteil der Patienten einer Palliativstation leidet an den Folgen einer Krebserkrankung. Der ursprüngliche Tumor, meist schon
Jahre zuvor erstmals diagnostiziert, hat an mehreren Organen Metastasen gebildet, sodass die wesentlichen Körperfunktionen beeinträchtigt sind. Nur vereinzelt vertreten sind auf der Palliativstation
weitere Krankheitsbilder wie das apallische Syndrom oder geriatrische Multimorbidität. Neben der zentralen Schmerzkontrolle spielt
bei all diesen nicht mehr heilbaren Erkrankungen die Optimierung
und Einstellung der Ernährung eine Rolle, des Weiteren die Unterstützung der Atmung. Auch die übermäßige Ansammlung von Flüssigkeit im Körper und weitere Symptome wie Übelkeit, Erbrechen,
Fatigue, Schlaflosigkeit, Anorexie und Diarrhoe werden begleitet
und behandelt. Neben diesen massiven körperlichen Beschwerden
leidet der Patient unter psychischen Belastungen, die sich als Ängste und Depressionen zeigen können. Die Unklarheit über sein
Schicksal, manchmal das Nicht-Akzeptieren-Wollen der Krankheit
oder des bevorstehenden Todes belasten ihn und seine Beziehungen zu Familie und Freunden. Auch der Verlust der sozialen Rollen
und der allgemeinen Leistungsfähigkeit sind häufig schwer zu verarbeiten. Schließlich spielt die Frage der Spiritualität eine Rolle, so
die Frage nach dem Sinn des gelebten Lebens und die Frage des „Was
kommt danach?“.
Musiktherapie als Teil des palliativ medizinischen Konzeptes
In das ganzheitliche Konzept der Palliativmedizin wurde die Musiktherapie als eine der möglichen zusätzlichen nicht kurativen Therapieverfahren ausdrücklich aufgenommen. Zur palliativmedizinischen
Komplexbehandlung zählt „der Einsatz von mindestens zwei der folgenden Therapiebereiche: Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Psychologie,
Physiotherapie, künstlerische Therapie (Kunst- und Musiktherapie),
Entspannungstherapie, Patienten-, Angehörigen- und Familiengespräche mit insgesamt mindestens 6 Stunden pro Patient und Woche“
(Bausewein, Claudia, 2007: Leitfaden Palliativmedizin/Palliative Care.
München). Die Finanzierung der palliativmedizinischen Komplexbehandlung seitens der Krankenkassen ist an den Nachweis der genannten zusätzlichen Therapien im angegebenen Umfang gebunden.
Was zeichnet die Musiktherapie als eine Therapie aus, die für die Verbesserung der Lebensqualität Schwerstkranker und Sterbender von
besonderer Bedeutung ist? Als multidimensionales Verfahren kann
Musiktherapie zur Verbesserung auf mehreren Ebenen beitragen:
Auf der Ebene des körperlichen Befindens hat Musik einen signifikant verbessernden Einfluss. Sowohl die Schmerzempfindung als
auch die Atem- und Herzfrequenz können unter Einfluss von Musik
sinken. Das psychische Befinden Schwerstkranker und Sterbender
wird durch Musik ebenfalls deutlich verbessert. Hierzu zählen vor
allem die Abnahme von Angst, die Beruhigung im Allgemeinen, die
Zunahme von Lebensfreude und die Stimmungsaufhellung.
Die sozialen Beziehungen im Umfeld des Patienten können durch
Musik positiv beeinflusst werden. Die Angehörigen selber werden
von der Musik berührt und fühlen sich unterstützt im Empfinden
und Ausdrücken ihrer Gefühle. Kommunikation gelingt mit Unter stützung der Musik häufig besser, Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit
angesichts des Leides können durch Musik aufgefangen werden.
Musik vermag dem Kranken und den Angehörigen Trost zu spenden.
Der Palliativpatient ist seiner funktionalen Kompetenz weitgehend
beraubt. Er kann seine sozialen und professionellen Rollen nicht
weiter ausfüllen, kann den Anforderungen des Alltags nicht mehr
genügen und hat seine Leistungsfähigkeit durch den fortschreitenden Krankheitsprozess eingebüßt. Als psychotherapeutisches Ver fahren vermag Musiktherapie den Verlust der Kompetenzen mit
aufzuarbeiten und gleichzeitig das Annehmen der eigenen Person
im Zustand der Schwäche zu unterstützen.
Eine weitere Ebene von Lebensqualität ist die Spiritualität. Musik
und damit auch Musiktherapie sind transzendentaler Natur und damit der Spiritualität besonders nahe. Durch ihr immaterielles Wesen
kann Musik einen unmittelbaren Zugang zu geistigen Ebenen
schaf fen. Sie ermöglicht einen veränderten Blick auf das alltägliche
Leben. Menschen, die sich in ihrem Leben um andere gesorgt und
die vieles getragen haben, können sich durch die Musik nun selber
getragen fühlen. Musik vermag dann Vertrauen zu geben. In
Liedern mit spirituellem oder religiösem Inhalt werden Gedanken
und Empfindungen zum Ausdruck gebracht, die der Kranke in sich
selbst erlebt. Die Musik kann zu einer Art des Betens werden, das
dem Kranken Kraft gibt für die letzten Schritte seines Lebens. In der
musikalisch ausgedrückten Hinwendung zu Gott kann er den Mut
zum Loslassen finden.
Arbeitsweisen der Musiktherapie
auf einer Palliativstation
Musiktherapie zur Beruhigung, Atemregulierung,
Entspannung, Erbauung
Hier setzt der Musiktherapeut vor allem offene Klänge wie beispielsweise vom Monochord oder der Sansula ein. Dazu kann er mit
der Stimme improvisieren und sich durch seine Spielweise auf die
Situation, die Stimmung und/oder auf die Atemfrequenz einstellen.
Manchmal entstehen beim Patienten innere Bilder. Der Therapeut
kann auch einen im gemeinsamen Gespräch gefundenen Ort des
Wohlbefindens schildern, den der Patient in einer Art Imaginationsreise während der Musik innerlich aufsucht. Durch eine vorhergehende Entspannungsinduktion kann der Musiktherapeut mit dem
Patienten das Entspannen und Loslassen in mehreren aufeinander
folgenden Sitzungen einüben, zum Beispiel für spätere Situationen
zu Hause.
Interventionen zur Ressourcenstärkung
und Ressourcenaktivierung
Musiktherapie kann auch für die gegenteilige
Wirkung, nämlich für die Aktivierung, angezeigt sein. Dies ist beispielsweise der Fall bei
Patienten, die noch recht gut bei Kräften sind.
Aber auch Patienten, die unter einer depressiven Verstimmung leiden, sowie Patienten, die
in der Musik eine besonders starke Ressource
haben, können die aktivierende Qualität von
Musiktherapie nutzen. Der Therapeut muss
sich in besonderer Weise auf den musikalischen Hintergrund und die Vorlieben des Patienten einstellen. Es ist zu klären, ob die Musiktherapie aktiv oder rezeptiv sein soll, ob der
Patient also selbst singend oder instrumental
aktiv wird oder nicht, und welche Instrumente
zum Einsatz kommen. Schließlich kann auch
eine bestimmte Musik gemeinsam gehört werden, woran sich ein Gespräch zwischen Patient
und Therapeut anschließen kann.
Interventionen zur Bearbeitung
besonderer Themen
Im Gespräch mit dem Patienten kann sich herausstellen, dass der Kranke mit besonderen Themen beschäftigt ist, mit Gefühlen der Trauer,
Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, mit Gefühlen
der Wut, Ablehnung, mit Ungeklärtem in den
Beziehungen zu Verwandten, mit nicht Ausge-
sprochenem gegenüber Nahestehenden, mit dem Gefühl, die
Angehörigen schonen zu müssen. Wenn solche Themen und
Gefühle zur Sprache kommen,
können diese durch ein psychotherapeutisches Vorgehen bearbeitet werden. Das Herausarbeiten des Konfliktes im Gespräch und
der Ausdruck dessen in Klang und/oder Rhythmus können dann
der Weg sein, emotional Belastendes zu klären, möglicherweise
neue und andere Handlungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen und dadurch zu einem inneren Frieden zu kommen. Eine
weitere Möglichkeit ist es, zu der vom Patienten geschilderten
Emotion ein entsprechendes Musikstück zu spielen (CD oder live
gespielt), um dem inneren Erleben des Patienten äußeren Ausdruck
zu geben und die Auseinandersetzung und Klärung zu fördern.
Besonderheiten der Palliativstation
Eine Besonderheit der Musiktherapie auf der Palliativstation ist
die zeitliche Begrenztheit der Therapiedauer. Der Stationsaufenthalt dauert in der Regel wenige Wochen, sodass der Therapeut
den Patienten häufig nur wenige Male sieht. Dadurch ist ein längerer therapeutisch begleitender Prozess oft nicht möglich. Außerdem ist der körperliche Zustand oft instabil und demzufolge die
Ansprechbarkeit oder Offenheit gegenüber dem Musiktherapeuten an einem Tag gegeben, am nächsten aber nicht. Bedingt durch
starke Schmerzmittel wie Morphin schlafen die Patienten manchmal tagsüber, oder es müssen medizinische Maßnahmen getroffen werden. Auf Grund dieser krankheitsbedingten Einschränkungen ist keine musiktherapeutische Situation wirklich planbar oder
vorhersehbar, Kontinuität ist selten möglich. Der Musiktherapeut
Musik auf Rädern
Ambulante Musiktherapie
hat deshalb die momentane Situation, die Gegenwart im Fokus,
und nicht so sehr einen therapeutischen Prozess. Die Verwandten
spielen für den Palliativpatienten vielfach eine bedeutende Rolle.
Manch ein Ehepartner ist ständig anwesend, übernachtet möglicher weise im Krankenhaus und beeinflusst die therapeutische Situation
des Kranken erheblich, sei es, dass er die Musiktherapie fördert und
sogar für sich nutzt, sei es, dass er, den Patienten bevormundend,
diese als unwichtig abtut und verhindert.
Ambulante Versorgung zu Hause
Im Jahr 2007 hat die Bundesregierung ein Gesetz verabschiedet, demzufolge allen schwerstkranken Patienten eine spezielle ambulante
palliative Versorgung (SAPV) zu Hause zusteht. Seitdem haben etliche Städte in Deutschland ein Netzwerk – bestehend aus Palliativärzten und palliativ ausgebildeten Pflegekräften – gegründet. Diese Netzwerke sichern den Kranken die für sie notwendige Symptomkontrolle und Schmerztherapie in ihrer häuslichen Umgebung zu.
Eine 24-Stunden-Rufbereitschaft gibt auch den pflegenden Angehörigen die Möglichkeit und die Sicherheit, gemeinsam mit dem
Kranken die letzte Lebenszeit zu Hause zu verbringen. Diesem Netzwerk kann sich der Musiktherapeut angliedern.
Gisela Platzbecker, Heidelberg
Musik auf Rädern
Ambulante Musiktherapie
Musik auf Rädern
„Musik auf Rädern“ ist ein Team aus Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten. Wir bringen Musik in Kindergär ten, Schulen, Kliniken,
Rehabilitationszentren, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung,
Alten- und Pflegeheime, Hospize und Privathaushalte. In unserer
musiktherapeutischen Arbeit orientieren wir uns an individuellen Bedürfnissen und Wünschen. Auf kreative und engagierte Weise versuchen wir, mit Musik in tiefere Schichten vorzudringen, als es oft mit
Worten geht.
www.Q3design.de, 2011
Musik auf Rädern arbeitet bundesweit. Eine Übersicht über die bisherigen Standorte finden Sie unter www.musikaufraedern.de.
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