Musik auf Rädern Ambulante Musiktherapie Konzept Musiktherapie für die stationäre und ambulante Versorgung von Palliativpatienten Palliativmedizin und Palliativstation Die Weltgesundheitsorganisation hat im Jahr 2002 die Palliativmedizin als einen Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit einer lebensbedrohlichen Krankheit beschrieben. Palliativmedizin beschäftigt sich mit der gewissenhaften Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art. Palliativmedizin umfasst demnach die ganzheitliche Behandlung von Menschen mit nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankungen mit begrenzter Lebenserwartung. Die Angehörigen der Patienten sind explizit in das Konzept integriert. Von zentraler Bedeutung ist die Erhaltung bzw. Verbesserung der Lebensqualität des Patienten und seiner Angehörigen. Palliativstationen sind eigenständige, an ein Krankenhaus angegliederte oder integrierte Stationen. Aufgenommen werden Patienten im fortgeschrittenen Stadium einer nicht heilbaren Erkrankung, um Symptome wie Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, gastrointestinale Obstruktion, Dyspnoe, außerdem auch soziale Probleme, die eine Krankenhausbehandlung rechtfertigen, zu verbessern. Nach Beendigung der Behandlung werden die Patienten möglichst ins häusliche Umfeld entlassen oder in einem Hospiz untergebracht. Palliativstationen bilden also eine Art Übergang zwischen der bisherigen Versorgung des Kranken zu Hause bzw. in einer Klinik und der Entlassung nach Hause bzw. ins Hospiz. Bei einem Teil der Patienten kann der Allgemeinzustand soweit stabilisiert werden, dass sie nach einem Aufenthalt von wenigen Wochen entlassen werden können. Andere Patienten befinden sich bei der Einlieferung bereits in einem kritischen Zustand, oder dieser verschlechtert sich während des Aufenthalts trotz intensiver Versorgung, so dass die Patienten auf der Palliativstation sterben. Der Kranke wird versorgt von einem aus Ärzten, Schwestern und Pflegern bestehenden Team, das ergänzt wird durch den Seelsorger, den Psychologen, den Physiotherapeuten sowie den Ergo-, den Musik- und den Kunsttherapeuten. Die Krankheitsbilder Ein Großteil der Patienten einer Palliativstation leidet an den Folgen einer Krebserkrankung. Der ursprüngliche Tumor, meist schon Jahre zuvor erstmals diagnostiziert, hat an mehreren Organen Metastasen gebildet, sodass die wesentlichen Körperfunktionen beeinträchtigt sind. Nur vereinzelt vertreten sind auf der Palliativstation weitere Krankheitsbilder wie das apallische Syndrom oder geriatrische Multimorbidität. Neben der zentralen Schmerzkontrolle spielt bei all diesen nicht mehr heilbaren Erkrankungen die Optimierung und Einstellung der Ernährung eine Rolle, des Weiteren die Unterstützung der Atmung. Auch die übermäßige Ansammlung von Flüssigkeit im Körper und weitere Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Fatigue, Schlaflosigkeit, Anorexie und Diarrhoe werden begleitet und behandelt. Neben diesen massiven körperlichen Beschwerden leidet der Patient unter psychischen Belastungen, die sich als Ängste und Depressionen zeigen können. Die Unklarheit über sein Schicksal, manchmal das Nicht-Akzeptieren-Wollen der Krankheit oder des bevorstehenden Todes belasten ihn und seine Beziehungen zu Familie und Freunden. Auch der Verlust der sozialen Rollen und der allgemeinen Leistungsfähigkeit sind häufig schwer zu verarbeiten. Schließlich spielt die Frage der Spiritualität eine Rolle, so die Frage nach dem Sinn des gelebten Lebens und die Frage des „Was kommt danach?“. Musiktherapie als Teil des palliativ medizinischen Konzeptes In das ganzheitliche Konzept der Palliativmedizin wurde die Musiktherapie als eine der möglichen zusätzlichen nicht kurativen Therapieverfahren ausdrücklich aufgenommen. Zur palliativmedizinischen Komplexbehandlung zählt „der Einsatz von mindestens zwei der folgenden Therapiebereiche: Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Psychologie, Physiotherapie, künstlerische Therapie (Kunst- und Musiktherapie), Entspannungstherapie, Patienten-, Angehörigen- und Familiengespräche mit insgesamt mindestens 6 Stunden pro Patient und Woche“ (Bausewein, Claudia, 2007: Leitfaden Palliativmedizin/Palliative Care. München). Die Finanzierung der palliativmedizinischen Komplexbehandlung seitens der Krankenkassen ist an den Nachweis der genannten zusätzlichen Therapien im angegebenen Umfang gebunden. Was zeichnet die Musiktherapie als eine Therapie aus, die für die Verbesserung der Lebensqualität Schwerstkranker und Sterbender von besonderer Bedeutung ist? Als multidimensionales Verfahren kann Musiktherapie zur Verbesserung auf mehreren Ebenen beitragen: Auf der Ebene des körperlichen Befindens hat Musik einen signifikant verbessernden Einfluss. Sowohl die Schmerzempfindung als auch die Atem- und Herzfrequenz können unter Einfluss von Musik sinken. Das psychische Befinden Schwerstkranker und Sterbender wird durch Musik ebenfalls deutlich verbessert. Hierzu zählen vor allem die Abnahme von Angst, die Beruhigung im Allgemeinen, die Zunahme von Lebensfreude und die Stimmungsaufhellung. Die sozialen Beziehungen im Umfeld des Patienten können durch Musik positiv beeinflusst werden. Die Angehörigen selber werden von der Musik berührt und fühlen sich unterstützt im Empfinden und Ausdrücken ihrer Gefühle. Kommunikation gelingt mit Unter stützung der Musik häufig besser, Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit angesichts des Leides können durch Musik aufgefangen werden. Musik vermag dem Kranken und den Angehörigen Trost zu spenden. Der Palliativpatient ist seiner funktionalen Kompetenz weitgehend beraubt. Er kann seine sozialen und professionellen Rollen nicht weiter ausfüllen, kann den Anforderungen des Alltags nicht mehr genügen und hat seine Leistungsfähigkeit durch den fortschreitenden Krankheitsprozess eingebüßt. Als psychotherapeutisches Ver fahren vermag Musiktherapie den Verlust der Kompetenzen mit aufzuarbeiten und gleichzeitig das Annehmen der eigenen Person im Zustand der Schwäche zu unterstützen. Eine weitere Ebene von Lebensqualität ist die Spiritualität. Musik und damit auch Musiktherapie sind transzendentaler Natur und damit der Spiritualität besonders nahe. Durch ihr immaterielles Wesen kann Musik einen unmittelbaren Zugang zu geistigen Ebenen schaf fen. Sie ermöglicht einen veränderten Blick auf das alltägliche Leben. Menschen, die sich in ihrem Leben um andere gesorgt und die vieles getragen haben, können sich durch die Musik nun selber getragen fühlen. Musik vermag dann Vertrauen zu geben. In Liedern mit spirituellem oder religiösem Inhalt werden Gedanken und Empfindungen zum Ausdruck gebracht, die der Kranke in sich selbst erlebt. Die Musik kann zu einer Art des Betens werden, das dem Kranken Kraft gibt für die letzten Schritte seines Lebens. In der musikalisch ausgedrückten Hinwendung zu Gott kann er den Mut zum Loslassen finden. Arbeitsweisen der Musiktherapie auf einer Palliativstation Musiktherapie zur Beruhigung, Atemregulierung, Entspannung, Erbauung Hier setzt der Musiktherapeut vor allem offene Klänge wie beispielsweise vom Monochord oder der Sansula ein. Dazu kann er mit der Stimme improvisieren und sich durch seine Spielweise auf die Situation, die Stimmung und/oder auf die Atemfrequenz einstellen. Manchmal entstehen beim Patienten innere Bilder. Der Therapeut kann auch einen im gemeinsamen Gespräch gefundenen Ort des Wohlbefindens schildern, den der Patient in einer Art Imaginationsreise während der Musik innerlich aufsucht. Durch eine vorhergehende Entspannungsinduktion kann der Musiktherapeut mit dem Patienten das Entspannen und Loslassen in mehreren aufeinander folgenden Sitzungen einüben, zum Beispiel für spätere Situationen zu Hause. Interventionen zur Ressourcenstärkung und Ressourcenaktivierung Musiktherapie kann auch für die gegenteilige Wirkung, nämlich für die Aktivierung, angezeigt sein. Dies ist beispielsweise der Fall bei Patienten, die noch recht gut bei Kräften sind. Aber auch Patienten, die unter einer depressiven Verstimmung leiden, sowie Patienten, die in der Musik eine besonders starke Ressource haben, können die aktivierende Qualität von Musiktherapie nutzen. Der Therapeut muss sich in besonderer Weise auf den musikalischen Hintergrund und die Vorlieben des Patienten einstellen. Es ist zu klären, ob die Musiktherapie aktiv oder rezeptiv sein soll, ob der Patient also selbst singend oder instrumental aktiv wird oder nicht, und welche Instrumente zum Einsatz kommen. Schließlich kann auch eine bestimmte Musik gemeinsam gehört werden, woran sich ein Gespräch zwischen Patient und Therapeut anschließen kann. Interventionen zur Bearbeitung besonderer Themen Im Gespräch mit dem Patienten kann sich herausstellen, dass der Kranke mit besonderen Themen beschäftigt ist, mit Gefühlen der Trauer, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, mit Gefühlen der Wut, Ablehnung, mit Ungeklärtem in den Beziehungen zu Verwandten, mit nicht Ausge- sprochenem gegenüber Nahestehenden, mit dem Gefühl, die Angehörigen schonen zu müssen. Wenn solche Themen und Gefühle zur Sprache kommen, können diese durch ein psychotherapeutisches Vorgehen bearbeitet werden. Das Herausarbeiten des Konfliktes im Gespräch und der Ausdruck dessen in Klang und/oder Rhythmus können dann der Weg sein, emotional Belastendes zu klären, möglicherweise neue und andere Handlungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen und dadurch zu einem inneren Frieden zu kommen. Eine weitere Möglichkeit ist es, zu der vom Patienten geschilderten Emotion ein entsprechendes Musikstück zu spielen (CD oder live gespielt), um dem inneren Erleben des Patienten äußeren Ausdruck zu geben und die Auseinandersetzung und Klärung zu fördern. Besonderheiten der Palliativstation Eine Besonderheit der Musiktherapie auf der Palliativstation ist die zeitliche Begrenztheit der Therapiedauer. Der Stationsaufenthalt dauert in der Regel wenige Wochen, sodass der Therapeut den Patienten häufig nur wenige Male sieht. Dadurch ist ein längerer therapeutisch begleitender Prozess oft nicht möglich. Außerdem ist der körperliche Zustand oft instabil und demzufolge die Ansprechbarkeit oder Offenheit gegenüber dem Musiktherapeuten an einem Tag gegeben, am nächsten aber nicht. Bedingt durch starke Schmerzmittel wie Morphin schlafen die Patienten manchmal tagsüber, oder es müssen medizinische Maßnahmen getroffen werden. Auf Grund dieser krankheitsbedingten Einschränkungen ist keine musiktherapeutische Situation wirklich planbar oder vorhersehbar, Kontinuität ist selten möglich. Der Musiktherapeut Musik auf Rädern Ambulante Musiktherapie hat deshalb die momentane Situation, die Gegenwart im Fokus, und nicht so sehr einen therapeutischen Prozess. Die Verwandten spielen für den Palliativpatienten vielfach eine bedeutende Rolle. Manch ein Ehepartner ist ständig anwesend, übernachtet möglicher weise im Krankenhaus und beeinflusst die therapeutische Situation des Kranken erheblich, sei es, dass er die Musiktherapie fördert und sogar für sich nutzt, sei es, dass er, den Patienten bevormundend, diese als unwichtig abtut und verhindert. Ambulante Versorgung zu Hause Im Jahr 2007 hat die Bundesregierung ein Gesetz verabschiedet, demzufolge allen schwerstkranken Patienten eine spezielle ambulante palliative Versorgung (SAPV) zu Hause zusteht. Seitdem haben etliche Städte in Deutschland ein Netzwerk – bestehend aus Palliativärzten und palliativ ausgebildeten Pflegekräften – gegründet. Diese Netzwerke sichern den Kranken die für sie notwendige Symptomkontrolle und Schmerztherapie in ihrer häuslichen Umgebung zu. Eine 24-Stunden-Rufbereitschaft gibt auch den pflegenden Angehörigen die Möglichkeit und die Sicherheit, gemeinsam mit dem Kranken die letzte Lebenszeit zu Hause zu verbringen. Diesem Netzwerk kann sich der Musiktherapeut angliedern. Gisela Platzbecker, Heidelberg Musik auf Rädern Ambulante Musiktherapie Musik auf Rädern „Musik auf Rädern“ ist ein Team aus Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten. Wir bringen Musik in Kindergär ten, Schulen, Kliniken, Rehabilitationszentren, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Alten- und Pflegeheime, Hospize und Privathaushalte. In unserer musiktherapeutischen Arbeit orientieren wir uns an individuellen Bedürfnissen und Wünschen. Auf kreative und engagierte Weise versuchen wir, mit Musik in tiefere Schichten vorzudringen, als es oft mit Worten geht. www.Q3design.de, 2011 Musik auf Rädern arbeitet bundesweit. Eine Übersicht über die bisherigen Standorte finden Sie unter www.musikaufraedern.de.