Des Tischlers Hangar

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DDS / NOVEMBER 2014
Titelthema Werkstatt
Des Tischlers Hangar
Der Flughafen Berlin-Tempelhof ist mit seinen Flugsteigen, Hangars
und dem innerstädtischen Flugfeld der Inbegriff für das Überleben
Westberlins durch die Luftbrücke der Alliierten. Nebenan, von Wohnbauten umgeben, zeigt die Tischlerei Artis, dass professionelles Tischlern auch heute in der City gelingt. Das Wahrzeichen einer Tischlerei,
das Spänesilo mit angebauten Absauganlagen, sucht man vergebens.
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NOVEMBER 2014 / DDS
Blick in die Werkhalle.
Fischbauchträger
überspannen die
Halle, ohne das Tageslicht auszubremsen.
Links steht dominant
ein 7-Achs-Roboter
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DDS / NOVEMBER 2014
Titelthema Werkstatt
Holz bekleidet die Werkhalle mit ihren oben liegenden
Lichtbändern. Weiß strahlt der Büro- und Bankraumbau
Fotos: Daniela Friebel
Im Querriegel finden sich im OG die Büros für Planung und Projektsteuerung
Unter den Büros liegt der Bankraum mit einem 35 m langen Beschlagschrank
»Wohnen und
produzieren.
Mitten in der
Stadt! Es
macht Freude,
das zu zeigen«
Wolf Deiß
Geschäftsführer Artis
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STELLT MAN SICH SO eine Berliner Hinterhoftischlerei vor? Denn genau genommen ist das die
Tischlerei Artis. Nicht im abwertenden Sinne, sondern vom Selbstverständis her, dass Arbeiten und
Wohnen zusammengehören, so wie es über lange
Zeit hinweg in den Innenstädten Normalität war.
In diesen Tagen feiert Artis sein zwanzigjähriges
Bestehen. Wolfgang Deiß, der ursprünglich Sozialarbeit studierte, und Tischlermeister Holger Meyer
begannen 1994 in Kreuzberg mit ihrer Tischlerei.
Damals wirklich noch im Hinterhof mit 100 m² Fläche, im Innenbereich der typischen Berliner Blockrandbebauung. Auch später, nachdem der Betrieb
wuchs und Umzüge in größere Werkräume folgten,
blieb man im Umfeld des Wohnens im Kiez, ob in
Kreuzberg oder Friedrichshain. Doch der aktuelle
Boom und das Angesagtsein Berlins führte dazu,
dass der auslaufende Vertrag eine Verdopplung der
Miete bedeutet hätte. Daraus entstand der Entschluss, in eigene Räume zu investieren und eine
klare Perspektive für die Tischlerei zu bekommen.
Aus der Urbanität Berlins wollte sich Artis nicht in
Hinter der Furnierpresse beginnt der Bankraum
den Speckgürtel außerhalb der Stadt vertreiben
lassen. Auch wenn der Betrieb inzwischen
deutschland- und weltweite Aufträge abwickelt, ist
er verwurzelt in seiner städtischen Kundschaft.
Wille und Ehrgeiz waren da zu zeigen, dass professionelles Tischlern auch heute in der Stadt gelingen
kann. Auf einem innerstädtischen Grundstück neben alter und neu entstehender Wohnbebauung in
direkter Nähe zum ehemaligen Flughafen Tempelhof steht das neue Betriebsgebäude von Artis.
Als Besucher gelangt man über eine Außentreppe in den Empfangs-, Planungs- und Verwaltungsteil im Obergeschoss. Eine raumhohe Glasfront
trennt diesen Bereich von der spektakulären Werkstatthalle. Transparenz ist ein wichtiger Eckpunkt
der Firmenphilosophie von Artis. Das spiegelt sich
in der Architektur wider. Der Blick in die Fertigung
fokussiert sich zuerst auf den für eine Tischlerei
noch ungewohnten 7-Achs-Roboter. Unter einem
Stahlstativ hängt das variable Fräs-, Schleif- und Poliergerät. Mit ihm können die Tischler komplexe
Werkstücke mit einer Länge bis zu 10 m bearbeiten.
NOVEMBER 2014 / DDS
ECHNIKSCHEMA
3.1
2.2
2.1
3.7
1.1
2.3
2.5
1.2
Büro 21°
2.4
1.7
Werkhalle
1.8
18°
1.3
1.4
2.3
21°
3.6
3.2
3.3
2.6
1.5
60°
Lager 12°
1.6
3.8
3.5
3.4
40°
20°
Im Technikschema erkennt man die Spänelagerung und Heiztechnik im UG und die Photovoltaik und Wärmetauscher auf den Dächern
»Wir machen
auch das, vor
dem andere
zurückschrecken«
Grundrisse von EG mit Werkhalle, Bankraum und Lackierraum und OG mit Büros und Sozialräumen
Artis plant und realisiert hochwertige Innenausbauten und Projekte im Messe-, Ausstellungs- und
Ladenbau. Von der ersten Idee bis zur Realisierung
von diffizilen Freiformgebilden. Zwölf der 30 Mitarbeiter des Artis-Teams entwerfen, verkaufen,
konstruieren und steuern den Ablauf ihrer anspruchsvollen Aufträge und Projekte. 18 Mitarbeiter fertigen und montieren die Objekte in engster
Abstimmung mit den planenden Kollegen. Durch
die Transparenz der Architektur ergibt sich der
Blick darauf, wo welches Objekt gerade läuft.
Emissionsarmer Niedrigenergiebau
Die Planer von Ziegert Roswag Seiler Architekten,
zwei Jahre zuvor hatte Artis deren Büro ausgebaut,
waren mit der Artis-Team-Philosophie über gemeinsame Projekte vertraut und setzten den ArtisTeamgedanken in einem L-förmigen Gebäude mit
1600 m² Nutzfläche um. Die Werkhalle mit ihren
raumprägenden Fischbauchträgern und viel Tageslichteintrag über oben liegende Lichtbänder ist
mit Holzschindeln verkleidet. Der Querriegel mit
Holger Meyer
Tischlermeister,
Geschäftsführer Artis
Bankraum und Büros setzt sich mit seiner Putzoberfläche davon ab. Eine festverglaste Fassade an
der Nordseite lässt blendfreies Licht in die Räume,
ohne Schall nach außen an die Wohnbebauung
dringen zu lassen. Das Gebäude im Niedrigenergiestandard unterschreitet die EnEV2009-Anforderungen um 86 Prozent. Spänebunker, Absaug- und
Filteranlagen und die Heiztechnik sind umgebungsfreundlich im Untergeschoss untergebracht.
Die Ausführung als Holzbau ermöglichte einen hohen Vorfertigungsgrad. Die Projektsteuerung übernahmen die Artis-Macher selbst. Mit ihrer Ladenund Messebauerfahrung konnten sie das Projekt in
einem ambitionierten Zeitfenster von sieben Monaten umsetzen. Detaillierte Projektdaten finden
sich auf der Webseite der Architekten (www.zrsberlin.de) und bei Artis (www.artisengineering.de).
Hubert Neumann, dds-Redakteur,
Schreinermeister und Gestalter der Fachrichtung
Holztechnik, fasziniert das Zusammenwirken
von urbaner Verwurzelung und professionellem
Tischlerhandwerk bei den Artis-Machern.
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