WORKSHOP Liedbegleitung Teil IV Liebe Leser, Thilo Plaesser Die Liederbücher, aus denen wir spielen, enthalten leider auch viele Unstimmigkeiten. Die Akkordsymbole, die in der Regel für Gitarre notiert sind, stimmen häufig nicht. Entweder stehen sie an falscher Stelle oder die Akkorde sind gar falsch. Manche Akkordwechsel klingen zwar auf der Gitarre gut, nicht aber in der gleichen Form auf dem Akkordeon oder dem Klavier. Da muss man genau hinschauen und hinhören. In diesem Workshop zeige ich Ihnen die häufigsten Auffälligkeiten. Der Bass ist das Fundament der Musik. Wichtig bei Begleitungen ist der Grundton des jeweiligen Akkordes. Die Verbindung zweier Akkorde kann durch Durchgangsnoten interessanter gestaltet werden. Auch hier möchte ich Ihnen einfache, aber wirkungsvolle Möglichkeiten aufzeigen. Vorhaltsakkorde Akkorde können durch Vorhalte und das Hinzufügen von Intervallen interessanter gestaltet werden. Der Quart- und Sekundvorhalt ist so ein Beispiel. Dieser hält, wie der Name schon sagt, das Intervall der Terz vor, bevor sich zum Beispiel die Quarte in die Terz auflöst. Aber auch als eigenständige Akkorde (ohne Auflösung) erreicht man sehr farbige Wirkungen, ohne die Tonalität zu verlassen. Durch das in dieser Workshopreihe verwendete Akkordsystem sind die Vorhaltsakkorde nur bedingt anzuwenden. Falsche Akkordsymbole Dieses Stück beginnt mit einem Auftakt. Auftakte werden generell ohne Begleitung gespielt oder gesungen. Der Auftakt ist ein unvollständiger Takt auf einer leichten Taktzeit. Deshalb ist in diesem Beispiel das Akkordsymbol an der falschen Stelle. Die Begleitung muss erst auf der „eins“ des nächsten vollständigen Taktes beginnen. Nun ist das erste Akkordsymbol zwar an der richtigen Stelle platziert, allerdings sind die darauffolgenden Akkordwechsel zu viel des Guten. Zwar entsprechen die Melodietöne dem jeweiligen Akkord, aber der Wechsel ist sperrig und nicht dem Charakter des Stückes angemessen. Das Lied wird auf „Halbe“ empfunden und gespielt, obwohl es im Viervierteltakt notiert ist. Angemessen ist es, einen D-Dur-Akkord im Takt beizubehalten. 34 akkordeon magazin #51 34_39_praxis_liedbegeleitung.indd 34 26.07.2016 09:45:07 Praxis In der ersten Zeile, letzter Takt, muss G-Dur schon auf der ersten Note des Taktes erfolgen, da dort der Schwerpunkt ist. In der zweiten Zeile ist wieder so ein sperriger Wechsel notiert. Außerdem wird der G-Dur-Akkord (zweiter Takt) schon auf der leichten Taktzeit (der Vier) vorweggenommen. Der Wechsel sollte auf schwerer Taktzeit erfolgen. In der dritten Zeile wird im zweiten Takt unmotiviert ein F-Dur-Akkord gewählt. Dieser wäre nur möglich, wenn auf der Drei des Taktes ein G-Dur-Akkord folgen würde. Durchgänge im Bass Der Zwischenraum der Töne C und F im Bass kann mit der Terz (E) und der Kombination von Sekunde (D) und Terz ausgefüllt werden. Die vierte Stufe, also in diesem Beispiel F-Dur, kann auch über die Quinte (G) angespielt werden. In einer Wechselbassbegleitung findet das häufig statt. Durch die Kombination Terz und Quinte (E und G im zweiten Takt) erhält man eine Akkordbrechung. Diese eignet sich allerdings nicht für alle Stilrichtungen. Dieses Beispiel zeigt noch einmal den Terzdurchgang in Takt eins und den Sekund-Terzdurchgang in Takt zwei, von der ersten zur vierten Stufe. Das Anspielen der vierten Stufe über die Quinte kann man ebenfalls durch das Einfügen der Sekunde interessanter machen. Damit umgeht man auch die „verbrauchte“ Wechselbassvariante. akkordeon magazin #51 34_39_praxis_liedbegeleitung.indd 35 35 26.07.2016 09:45:08 Auftaktige Varianten nehmen der Bassbegleitung die „Schwere“. Durchgänge können auch chromatisch vollzogen werden. Hier wird die Quinte einen Halbton erniedrigt, um die vierte Stufe – F-Dur – zu erreichen. Dieses Beispiel zeigt einen typischen Quartab- und -aufgang. Je nach Tonart kann im zweiten Takt F oder Fis als Durchgang gespielt werden. So schaut es praktisch angewandt in unserer Liedbegleitung aus: Der Übergang von D- nach G-Dur wird durch einen Terzdurchgang verbunden. Der Übergang von G- nach A-Dur wird chromatisch erreicht. 36 akkordeon magazin #51 34_39_praxis_liedbegeleitung.indd 36 26.07.2016 09:45:08 Praxis In der bewegten Begleitform wird bewusst auf den chromatischen Durchgang im dritten Takt verzichtet. Stattdessen bereitet ein Oktavsprung das Ende der ersten Phrase vor. So kann man auch bei einem eventuellen Ritardando des Sängers einfacher „einbremsen“. Dieser vertraute Durchgang wird häufig in belebten Stücken verwendet. Er bereitet den nächsten Abschnitt vor. Diesen kann man schon durch die bekannte Melodie voraushören. Vorhaltsakkorde Schreibweisen für diese Akkorde gibt es verschiedene: add4 bedeutet, dass man dem Akkord unter Verzicht der Terz eine Quarte hinzufügt. In G-Dur also das C. Die Quarte löst sich im folgenden Akkord (G) in die Terz auf. Andere Bezeichnungen sind sus4 oder einfach nur das Hinzufügen des entsprechenden Intervalls als Ziffer. akkordeon magazin #51 34_39_praxis_liedbegeleitung.indd 37 37 26.07.2016 09:45:09 Als Vorhalt können verschiedene Intervalle dienen. Sehr häufig sind dies die Quarte oder die Sekunde, die der Terz vorgehalten werden. Dieser Vorhalt muss aber nicht zwangsläufig aufgelöst werden. sus-Akkorde können auch als eigenständige, farbige Akkorde verwendet werden, so wie es im zweiten und vierten Takt des Beispiels zu sehen ist. In Takt sechs löst sich die Quarte in die Terz auf, da auch die Melodie die Terz enthält. In Takt sieben und acht ist die Basis der Harmonik E-Dur. Durch den Quartvorhalt mit Auflösung und anschließender Hinzufügung der Septime entsteht eine sehr interessante harmonische Wendung. So wie im vorausgegangenen Beispiel können harmonische Flächen durch Vorhalte oder das Hinzufügen von Intervallen abwechslungsreicher gestaltet werden. In diesem Beispiel bleiben die Harmonien lange „stehen“. Das kann bei einem langsamen Stück ermüdend wirken. Die harmonische Fläche ist hier geblieben. Diese wird aber durch Quart- und Sekundvorhalte (man könnte sogar von Durchgängen sprechen) farbiger und somit abwechslungsreicher gestaltet. 38 akkordeon magazin #51 34_39_praxis_liedbegeleitung.indd 38 26.07.2016 09:45:09 Praxis Nun kehren wir zu den Tango-Begleitformen aus der letzten Ausgabe zurück. Diese Varianten enthalten chromatische Bassdurchgänge und Vorhaltsakkorde. Mit diesen Erweiterungen können Sie jede Begleitform abwechslungsreich variieren. Ausblick Zu einer guten Begleitung von Liedern gehören auch Vor-, Zwischen- und Nachspiele. Diese erweitern das Repertoire des Begleiters und haben auch jeweils eine ganz besondere Funktion. Außerdem möchte ich Ihnen Möglichkeiten einer polyphonen Liedbegleitung vorstellen. Weitere Infos unter: Web: www.bellowspirit.com E-Mail: [email protected] akkordeon magazin #51 34_39_praxis_liedbegeleitung.indd 39 39 26.07.2016 10:52:17