Das Schweben des „Alten Testaments“ Kiel – Das Wochenende war ganz der Tastenmusik gewidmet. Zuerst zur Vorbereitung daheim vor der Stereoanlage, dann im Bachsaal des Musikwissenschaftlichen Institutes und, einen Tag später, in der Universitätskirche. Ein Glück dabei Interpreten zu erleben, die es wagen, bis an die eigenen Grenzen zu gehen, und die dadurch auch den Hörhorizont des Publikums erweitern. Eine solche, mehrstündige Erfahrung war das Semesterkonzert des Musikwissenschaftlichen Institutes, bei dem der Pianist Martin Rasch, der vor einigen Monaten bereits im Kieler Schloss die große Klaviersonate des Liszt-Schülers Julius Reubke auf höchst beeindruckende Weise gespielt Ein Monument: Der Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach Foto ddp hatte, das gesamte erste Buch von Johann Sebastian Bachs Wohltemperiertem Klavier interpretierte. Zwei längere Pausen gliederten seinen Vortrag, auf den der Institutsleiter, Professor Siegfried Oechsle, mit einer Einführung vorbereitet hatte, Entstehung und Eigenart des Werkes erläuternd. Rasch, für den neben Bach zur Zeit das Klavierwerk Arnold Schönbergs ein Arbeitsschwerpunkt bildet, zeigte von Beginn an, dass er ein durchaus strenger Interpret jenes „Alten Testamentes der Klaviermusik“ ist, als das Hans von Bülow das Werk bezeichnet hatte. Die meisten der vierundzwanzig Präludien und Fugen spielte er mit einer durchgängigen rhythmischen Schärfe, ohne Scheu, auch die virtuose Pracht mancher Stücke hervorzukehren. Seine Deutung als Ganze wirkte erfrischend „weltlich“, indem sie – auch wenn der Anlass zur Entstehung des Werkes letztlich nicht wirklich geklärt ist – den höfischen Hintergrund des Stückes betonte. Unterstützt wurde er dabei von den klanglichen Möglichkeiten eines modernen Flügels. Und kaum einmal kam man auf den Gedanken, man könne dieses visionäre Werk auch auf einem Cembalo überzeugend darbieten – auch wenn es natürlich Interpretationen gibt, die letzteres nachweisen. Bei aller Diesseitigkeit von Raschs Darstellung kam aber auch ein ganz wichtiger Wesenszug der Musik Bachs zum Ausdruck, der speziell bei einer solch umfassenden Aufführung noch dominanter wird: Es war das Gefühl, während des Hörens den Boden unter den Füßen zu verlieren, das Gefühl, von Stück zu Stück fortschreitend, in ein Schweben zu geraten, das mit der Zeit kaum noch unterscheidbar ist von dem Empfinden einer „absoluten Melancholie“, von der Wolfgang Rihm einmal in Bezug auf Bachs Matthäus-Passion gesprochen hatte. In diesem Gefälle zwischen höfischem Glanz und innerer Abgründigkeit schien sich Rasch ganz und gar heimisch zu fühlen. In gänzlich anderer Stimmung verließ man am folgenden Tag das knapp einstündige, dem Empfinden nach viel zu kurze Konzert in der Universitätskirche, bei dem der niederländische Cembalist Pieter Jan Belder Werke von Buxtehude und Scarlatti interpretierte. Es war in solch enorm souveräner Darstellung sehr erhellend zu Ein Service dernordClick Gruppe entwickelt von Lars-Schenk.de Seite 1 von 2 hören, wie sich das Klavierwerk der beiden Komponisten in manchen Wesenszügen recht nahe ist, trotz der bekannten epochalen Differenzen: Buxtehude hat speziell in seinen Präludien und Fugen, von denen Belder jene in g-Moll WV 163 spielte, jene Exzentrik vorweggenommen, die Scarlatti dann in seinen Sonaten so wunderbar ausgeformt hat. Empfindung des melancholischen Schwebens aber, die wir am Vortag bei Bach gehört hatten, gibt es in seinen Sonaten kaum einmal – in den schnellen Sätzen, dem Presto der D-Dur-Sonate K 416 vor allem, scheint sich vielmehr die Bewegung selbst abgebildet zu haben, das Empfinden einer überirdischen, rauschhaft davoneilenden Bewegung, der in den langsamen Sonaten wehmütige Affekte entgegengesetzt werden. Gerne hätte man all dem noch viel länger gelauscht. Von Stephan Turowski <xml id="artikel" src="/global/xml/teleschau/99_stur_tastenmusikart_geiur8ba1.xml" /> nordclick/kn vom 04.12.2007 01:00:00 Quelle im Internet: http://www.kn-online.de/artikel/2266032 Ein Service der nordClick Gruppe entwickelt von Lars-Schenk.de Seite 2 von 2