UWG Aktuelle Judikatur und Auslegung zu Werbung, Recht und Praxis 11. Folge Muss Arzneimittelwerbung „wahr“ sein? Neue Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes (OGH) zum Themenkreis Arzneimittel, Gebrauchsinformation, Sachinformation und Wahrheitsgehalt der Werbung: In Österreich gilt ein grundsätzliches allgemeines Werbeverbot für rezeptpflichtige und rezeptfreie Arzneimittel. Arzneimittelwerbung ist daher nur in engen Grenzen zulässig (z.B. spezielle beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen zugelassene Arzneimittel, homöopathische und pflanzliche Arzneimittelspezialitäten). Nunmehr gibt es eine neue Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes (OGH) zum Themenkreis Arzneimittel, Gebrauchsinformation, Sachinformation und Wahrheitsgehalt der Werbung. Als Werbung für Arzneimittel gelten alle Maßnahamen zur Information, zur Marktuntersuchung und Marktbearbeitung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern. Grundsätzlich muss Werbung für Arzneimittel die Eigenschaften der Arzneispezialitäten objektiv und ohne Übertreibung darstellen. Der OGH hat nunmehr in einem Ende August 2008 veröffentlichten Erkenntnis vom 13. November 2007 http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_2007111 3_OGH0002_0040OB00174_07B0000_000&ShowPrintPreview=True entschieden, dass die Werbeaussagen nicht mit den Angaben von Fachinformationen vereinbar sein müssen. Der konkrete Fall: Beide Streitteile sind Pharma-Unternehmen und vertreiben orale Kontrazeptiva („Pille"). Im Jahr 2006 bewarb die Beklagte in Fachzeitschriften ein bestimmtes Kontrazeptivum, das in Österreich am 12. April 2006 zugelassen worden war. Das Unternehmen hat mit folgenden Werbeaussagen geworben, die sich an ein Fachpublikum richteten und blickfangartig herausgestellt waren: Unbeschwerte Zyklen Keine Zwischenblutungen Positiver Effekt auf Haut und Haare Keine Libidoveränderungen Stimmungsaufhellend Dazu verwies die Beklagte in Fußnoten, die teilweise wegen der geringen Schriftgröße kaum lesbar waren, auf Fachartikel, die Mitarbeiter ihres Mutterunternehmens verfasst hatten. Es handelte sich dabei nicht um Ergebnisse klinischer Prüfungen im Sinne des Arzneimittelgesetzes. Dieser Artikel wurde nicht einer „Peer-Review", das heißt einer unabhängigen Überprüfung durch Fachkollegen, unterzogen. Die Fachinformation zum Kontrazeptivum nennt nicht die strittigen positiven Wirkungen, wohl aber folgende „sehr häufige" bis „gelegentliche" - Nebenwirkungen: Zwischen- und Schmierblutungen (mehr als 20 %) Akne (zwischen 1 % und 10 %) Haarausfall (zwischen 0,1 % und 1 %) Libido-Veränderungen (zwischen 0,1 % und 1 %) Depressive Verstimmungen (zwischen 1 % und 10 %) Die Klägerin begehrt das Verbot der oben genannten Werbeaussagen. Sie verstießen einerseits in unvertretbarer Weise gegen § 1 UWG gegen § 50a Abs. Arzneimittelgesetz. Diese Werbeaussagen seien nicht mit den Angaben der Fachinformation vereinbar. Die Werbeaussagen seien weiters unrichtig und nicht ausreichend wissenschaftlich belegt. Daher handle es sich zusätzlich auch um irreführende Werbung nach § 2 UWG. Die Beklagte hält dem entgegen: Die Werbeaussagen richten sich nur an Fachkreise. Maßgebend sei daher deren Verkehrsauffassung. Da es sich dabei hauptsächlich um Fachärzte handle, die mit den in Fußnoten zitierten wissenschaftlichen Publikationen vertraut seien, bestehe weder die Gefahr einer Irreführung noch einer Beeinflussung. Anwendungsbeobachtungen seien grundsätzlich aussagekräftige Instrumente zur Beurteilung von Arzneimittelwirkungen. Aus der Anwendungsbeobachtung ergebe sich ein drastischer „Nebenwirkungsrückgang" auf „asymptotisch Null". Es gehöre zum gynäkologisch-fachärztlichen Allgemeinwissen, dass bei allen oralen Kontrazeptiva irreguläre Blutungen, insbesondere in den ersten Einnahmezyklen, auftreten könnten. Darauf werde auch in der Fachinformation unter der Überschrift „Beeinflussung der Zyklusstabilität" hingewiesen. Aufgrund des „drastischen Nebenwirkungsrückgangs" sei die Formulierung „unbeschwerte Zyklen" dennoch nachvollziehbar begründet. Auch die Aussage „positiver Effekt auf Haut und Haare" ergebe sich statistisch signifikant aus den Anwendungsstudien. Gleiches gelte für die Formulierungen „keine Libidoveränderungen" und „stimmungsaufhellend". Damit seien alle Werbeaussagen hinreichend fachlich gedeckt. Die Darstellungsform sei gewählt worden, um den verschreibenden Ärzten entsprechend den Intentionen des Arzneimittelgesetzes die Gelegenheit zu geben, sich persönlich ein Bild vom therapeutischen Wert des beworbenen Arzneimittels zu machen. Irreführungsgefahr sei daher ausgeschlossen. Die erste Instanz wies das Begehren der klagenden Partei ab. Ärzte wüssten aufgrund ihrer Ausbildung, dass Medikamente, insbesondere solche, die massiv in den Hormonhaushalt des Körpers eingriffen, unterschiedlich gut vertragen würden und bei verschiedenen Menschen auch verschiedene Wirkungen und Nebenwirkungen haben könnten. Es sei ihnen daher bewusst, dass es neben den positiven Wirkungen eines oralen Kontrazeptivums auch Nebenwirkungen gebe, die die positiven Wirkungen bei einem bestimmten Patientenkreis konterkarierten oder nicht eintreten ließen. Die Zweitinstanz hob die Entscheidung des Erstgerichts auf und erließ einstweilige Verfügung gegen die beklagte Partei. Begründet würde diese Verfügung damit, dass die Fachartikel über die positiven Wirkungen des Kontrazeptivums nicht ausreichend sind, die Richtigkeit der Werbeaussagen zu bescheinigen. Für die beklagte Partei wird ein strenger Maßstab angelegt. Bei der Arzneimittelwerbung und bei der irreführenden Werbung nach dem UWG ist auf jeden Fall ein sehr strenger Maßstab anzulegen. Danach dürfe Arzneimittelwerbung u.a. mit der Fachinformation nicht „im Widerspruch" stehen. Die strittigen Werbeaussagen seien zwar „in ihrem Kernbereich" wahr. Sie stünden jedoch mit den in der Fachinformation unter „Nebenwirkungen" angeführten gegenteiligen Effekten in einem klaren Widerspruch. Nach dem Verhaltenskodex der PHARMIG sei die Werbung - strenger als das Arzneimittelgesetz - auf die zugelassenen Indikationen beschränkt. Eine rein wissenschaftliche Information über Forschungsergebnisse ist zwar zulässig. Im vorliegenden Fall habe aber der zuständige Fachausschuss der PHARMIG bereits festgestellt, dass die noch strittigen Werbeaussagen gegen den Verhaltenskodex verstießen. Die Beklagte könne daher nicht mit guten Gründen an ihrer gegenteiligen Auffassung festhalten. Zudem habe die beanstandete Werbung durch das schlagwortartige Herausheben der positiven Wirkungen nichts mehr mit einer rein wissenschaftlichen Information über Forschungsergebnisse zu tun. Der Spruch des OGH: Dem Revisionsrekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei hat die entsprechenden Kosten voll zu tragen. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Arzneimittelwerbung mit der Kennzeichnung „Gebrauchsinformation“ oder „Sachinformation“ mit dem Arzneimittelgesetz vereinbar ist oder nicht, kommt es nicht auf den Wahrheitsgehalt der Werbung an. Aus der rechtlichen Beurteilung des OGH: Für die beanstandete Werbung galten noch die Bestimmungen des „alten“ Arzneimittelgesetzes vor 2005. Denn obwohl der mit „Werbebeschränkungen" überschriebene fünfte Abschnitt des „neuen“ Arzneimittelgesetzes schon am 1. Jänner 2006 in Kraft getreten ist, hatte Werbematerial nach den entsprechenden Übergangsbestimmungen erst bis zum 1. Jänner 2007 den neuen Anforderungen zu entsprechen. Damit ist für die im Jahr 2006 verteilte Werbung der Beklagten noch das alte Recht maßgebend. Auf die Frage, ob altes oder neues Recht anwendbar ist, kommt es daher nicht an. Arzneimittelwerbung verstößt nur dann gegen § 50a Abs. 3 Arzneimittelgesetz, wenn sie Angaben enthält, die mit dem Inhalt der Fachinformation im engeren Sinn unvereinbar sind. Werbung darf dazu in keinem sachlichen Widerspruch stehen. Grundsätzlich ist daher eine nicht irreführende Werbung mit Wirkungen, die nicht in der Fachinformation genannt sind, grundsätzlich zulässig. Dass die beworbenen Wirkungen nicht in der Fachinformation genannt sind, begründet daher noch keinen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz. Zu prüfen ist allerdings, ob die strittigen Werbeaussagen in einem sachlichen Widerspruch zur Fachinformation stehen. Dafür ist nicht allein der Wortlaut maßgebend, sondern es ist durch Auslegung zu ermitteln, welchen Inhalt Werbung und Fachinformation tatsächlich haben. Die Beklagte stellt die noch strittigen positiven Wirkungen in der Werbung blickfangartig heraus. Der erläuternde und teilweise relativierende Verweis auf die Studien findet sich Großteils in kaum lesbaren Fußnoten. Demgegenüber nennt die Fachinformation - teilweise sehr häufige (mehr als 20 %), jedenfalls nicht bloß seltene - Nebenwirkungen, die den beworbenen Wirkungen diametral entgegenstehen. Das Rekursgericht zeigt zutreffend auf, dass nicht unerhebliche Teile der angesprochenen Kreise die Werbung dahin verstehen werden, dass die in der Fachinformation beschriebenen Nebenwirkungen tatsächlich nur seltener eintreten. Damit legt das Rekursgericht den Inhalt der Werbung zutreffend dar. Die Auslegung einer Werbeaussage für Arzneimittel muss sich zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen am Empfängerhorizont orientieren. Dabei ist bei der Arzneinmittelwerbung ein strenger Maßstab anzulegen. Die Beurteilung der Wirkung einer Werbeaussage auf die beteiligten Verkehrskreise ist für den OGH eine Rechtsfrage, wenn zu ihrer Beurteilung die Erfahrungen des täglichen Lebens ausreichen. Ist das nicht der Fall ist die Wirkung einer Werbeaussage eine Tatfrage. Dabei wird auf die OGH-Entscheidungen zur Zulässigkeit z.B. folgender Werbeaussagen verwiesen - Österreichs bestes Bier Österreichs beliebteste Zeitung Die konkreten Werbeaussagen stehen in einem sachlichen Widerspruch zu den Angaben der Fachinformation über die teilweise beträchtliche Häufigkeit von Nebenwirkungen, die den angekündigten Wirkungen diametral entgegenstehen. Daraus folgt aber auch zwingend ein Widerspruch zwischen den die Anwendungsbeobachtungen schlagwortartig wiedergebenden Werbeaussagen und der Fachinformation selbst. Die Beklagte wendet ein, dass ihre Werbung wahr sei. Die Vorinstanzen nahmen das für ein bestimmtes Verständnis der beanstandeten Aussagen als bescheinigt an. Anders als das Erstgericht hielt das Rekursgericht diesen Umstand aber für unerheblich. Die Auffassung des Rekursgerichts trifft zu. Sie entspricht nicht nur dem Wortlaut von § 50a Abs. 3 Arzneimittelgesetz, der nur auf die Vereinbarkeit zwischen Werbung und Fachinformation abstellt, nicht aber auch auf die sachliche Richtigkeit der Werbung. Auch der Zweck und die systematische Stellung der Bestimmung sprechen für dieses Verständnis. Die Fachinformation soll Ärzten, Pharmazeuten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe jene Informationen bieten, die sie für die Verschreibung oder Abgabe der dokumentierten Arzneispezialität benötigen. Dafür muss sie einen gesicherten, das heißt im Zulassungsverfahren dokumentierten und geprüften Inhalt haben. Die Werbebeschränkungen des Arzneimittelgesetzes sollen auch verhindern, dass die Fachinformation als sichere Grundlage für die Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln und damit auch das Zulassungsverfahren selbst durch eine damit nicht vereinbare Werbung relativiert wird. Daher kann es nicht auf die allfällige Richtigkeit eines bestimmten Verständnisses der Werbung ankommen. Soweit ein Widerspruch mit der Fachinformation vorliegt, sollen wissenschaftlich strittige Fragen nach der Wertung des Gesetzes gerade nicht im Wettbewerbsprozess geklärt werden. Vielmehr muss der Werbende zunächst eine Änderung der Fachinformation erwirken. Wäre die inhaltliche Richtigkeit der Werbung maßgebend, verlöre das Arzneimittelgesetz seine eigenständige, durch das besondere Gewicht des damit geschützten Rechtsguts (der Gesundheit der Patienten) begründete Bedeutung. Denn dass sachlich unrichtige Werbung unzulässig ist, ergibt sich schon aus § 2 UWG und konkretisiert damit das Arzneimittelgesetz. Die Sonderbestimmung zur Vereinbarkeit mit der Fachinformation muss daher einen darüber hinausgehenden Inhalt haben. Änderungen der Fachinformation bedürfen in Bezug auf Nebenwirkungen der „Zustimmung durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. Eine Ausnahme ist nur dann vorgesehen, wenn diese Änderungen ausschließlich im Hinblick auf eine verbesserte Produktsicherheit erforderlich sind." Solcherart „erforderlich" sind Änderungen aber nur dann, wenn Nebenwirkungen festgestellt werden, die in der Fachinformation nicht oder nur in geringerem Ausmaß genannt sind. Hingegen ist die Produktsicherheit nicht berührt, wenn in klinischen Studien festgestellte und daher in die Fachinformation aufgenommene Nebenwirkungen nach neueren Erkenntnissen nicht oder nur in geringerem Ausmaß auftreten. Zusammenfassend hält der OGH wie folgt fest: Bei Prüfung der Frage, ob eine Arzneimittelwerbung mit der Kennzeichnung, Gebrauchsinformation oder Fachinformation vereinbar ist (gemäß § 50a Abs. 3 Arzneimittelgesetz), kommt es auf den Wahrheitsgehalt der Werbung nicht an. Soweit sich das Rechtsmittel des Klägers auf die angeblich fehlende Eignung der Werbung stützt, eine spürbare Nachfrageverlagerung zu bewirken, fehlt es an entsprechendem erstinstanzlichem Vorbringen. Diese Argumentation läuft zudem darauf hinaus, dass die beanstandete Werbung ohnehin wirkungslos sei. Dafür gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt. Auf die weitere Frage, ob eine bloße Anwendungsbeobachtung die Wirksamkeit eines Arzneimittels „hinreichend" belegen kann, kommt es daher nicht an. Ebenso unerheblich ist die wettbewerbsrechtliche Bedeutung eines möglichen Verstoßes gegen den Verhaltenskodex der PHARMIG. Diese Fragen waren daher nicht weiter zu erörtern.