Konz-JazGiErlt - St. Andreas Wolfratshausen

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Jazz Guitar Meets Church Organ
Joep van Leeuwen (Gitarre & Synthesizer-Gitarre) & Gero Körner (Orgel)
Pfarrkiche St. Andreas, Wolfratshausen, 15. Juni 2013, 20:00 Uhr
ERLÄUTERUNGEN
1.
Dance to This – Joep van Leeuwen
Komponieren bedeutet, musikalische Klänge zu arrangieren. Inspiration und das Unterbewusstsein spielen in diesem
Zusammenhang eine wichtige Rolle. Handwerkliches Geschick ist zwar wichtig, d.h. die Fähigkeit, musikalische Gedanken in die
richtige Reihenfolge zu bringen. Das gilt allerdings nicht für schöne Melodien, denn diese kommen ganz von alleine. Sie
entstehen aus heiterem Himmel, unabhängig von
allem kompositorischen Können. Das war bei
Dance to This der Fall. Nachdem die Melodie
einmal da war, galt es lediglich, den Rest der
Komposition vorsichtig um diese Melodie herum anzuordnen. Es ergab sich folgender Ablauf: Nach einer einführenden Passage
durch Orgel und Gitarre erscheint die Melodie in C-Dur. Eine Modulation bringt den Verlauf nach As-Dur, wo die Orgel die
Melodie alleine wiederholt. Nach einem Orgel-Gitarren-Unisono gibt es eine Modulation zurück nach C-Dur. Kurz bevor diese
Tonart erreicht ist, entfernt sich das Ganze jedoch von dieser Modalität und die improvisierten Solos beginnen einen halben Ton
über der Grundtonart, in Des-Dur.
2.
Interlude I (Gitaar Synthesizer & Orgel) – Joep van Leeuwen & Gero Körner
Musik und Instrumente sind grundsätzlich durch den Raum bedingt: er liefert die Akustik. Die Beziehung zwischen Kirchenorgel
und Raum, also ihrer Umgebung, ist eine besonders intensive. Die Orgel steht ja an einem festen Ort und muss niemals in einer
anderen Umgebung als dieser funktionieren. Sie ist so konstruiert, dass sie, im Idealfall, perfekt mit dem Raum, in dem sie steht,
harmoniert. Man erlebt den Raum, meistens eine Kirche, anders, wenn die Orgel erklingt: Es scheint, als würde der Klang den
Raum „umformen“. Der Orgelklang, ob leise oder laut, erfüllt jede Ecke und Ritze der Kirche und ändert die Wahrnehmung
dieses Raumes. Beim Komponieren für die Besetzung Gitarre/Orgel wurde dieser Charakteristik besonders in den drei Interludes
mit Gitarren-Synthesizer Rechnung getragen. Den Gitarren-Synthesizer zu benutzen erschien als logische Konsequenz, da die
Pfeifenorgel eigentlich ein Synth avant la lettre ist. Die Namen der verschiedenen Register deuten bereits an, dass der
Pfeifenorgel zugedacht war, bereits existierende Instrumente zu imitieren: trompette, hautbois, cromorne, flûte traversière,
posaune. Ein Name wie effet d'orage (Sturmeffekt) zeigt, dass die Orgel neue, unbekannte Sounds generiert, sehr ähnlich dem
Synthesizer des 20. Jahrhunderts. Beim Gitarren-Synthesizer werden hier tatsächlich abstrakte Sounds benutzt. Es gibt keine
konkreten Melodien oder konsonanten Harmonien und, abgesehen von einem gelegentlich fragmentarisch auftauchenden Dance
Beat, auch keinen klaren Rhythmus. Die Sounds werden von den Gitarrensaiten und elektronischen Parametern beeinflusst und
entwickeln sich im Raum. Im Dialog damit sucht die Orgel nach Registrierungen, Effekten, Patterns und Voicings, die die
Synthesizer-Sounds ergänzen.
3.
Gentle Clash – Joep van Leeuwen
Diese Komposition besteht ebenfalls aus verschiedenen Abschnitten. Das ist für die meisten Jazz-Kompositionen, die auf einer
einteiligen Songstruktur basieren, unüblich. Dagegen ist Gentle Clash impressionistisch in seinem Entwurf. Die Essenz besteht
aus zwei Melodien zu jeweils vier Noten, die im Nacheinander gespielt einerseits wie eine Melodie, gleichzeitig klingend jedoch
als Akkord hörbar werden. Zuerst klingen beide Melodien aus, jeweils durch Gitarre und Orgel im Frage-Antwort-Spiel. Danach
erklingen dieselben Melodietöne bei der Orgel als Akkord. Die
Töne liegen so nah beieinander, dass sie als Cluster wahrgenommen
werden. Die Gitarre nimmt mittels impressionistischer Akkorde ein
Tempo auf. Das Metrum ist
gerade, kein Jazz-Swing. Es gibt
drei Akkorde, jeder dieser Akkorde besteht jedoch aus jeweils zwei Akkorden, die sich zu
einem mischen. Die Orgel stellt danach ein zweites, auf diesen Akkorden basierendes Thema vor, gefolgt von einer
Improvisation, die in freiem Tempo endet. Mit dem Tempo kehren auch die vorgenannten
Cluster zurück. Nach einer kurzen Improvisation endet das Stück mit einem Zitat des zweiten
Themas durch die Gitarre, nun mit einem leicht verzerrten Rock-Sound.
4.
Interlude II (Gitaar Synthesizer & Orgel) - Joep van Leeuwen & Gero Körner
Dieses Interlude ist vor allem anderen am Sound orientiert. Beide Instrumente halten sich fern von Melodien oder rhythmischen
Pattern und Beats und versuchen, abstrakte Sounds miteinander zu verschmelzen. Manchmal ist es schwer, die beiden
Instrumente auseinander zu halten ... dann heißt es: Ziel erreicht!
5.
Shall We Beloved – Gero Körner
Shall We Beloved hat die Art von Melodie, von der ein Komponist nur träumen kann. Es ist ein Jazz Waltz. Die besonnene,
brillante und kräftige Melodie mutet mit ihren starken Modulationen und der unregelmäßigen Form seltsam an. Während die
meiste Musik symmetrisch gebaut ist, versucht dieses Stück, den Improvisierenden mit einer 13 bzw. 14 Takte langen Form „auf
dem falschen Fuß“ zu erwischen. Die Melodie scheint einer früheren Epoche zu entstammen und speziell für die Orgel gedacht zu
sein. Während der Proben haben wir das Stück augenzwinkernd als Renaissance Jazz bezeichnet.
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6.
Three Part Jazz Fugue – Joep van Leeuwen
Die Kirchenorgel und die Fuge gehören zusammen. Weniger bekannt allerdings ist, dass der Jazz und die Fuge ebenfalls eine
gemeinsame Tradition haben. Der genaue Ursprung der ersten Jazzfuge liegt im Dunkeln, aber es muss in den frühen 1950er
Jahren gewesen sein. Die von John Lewis für das Modern Jazz Quartet komponierten Fugen sind berühmt, wie z.B. seine erste
mit dem Namen Vendome (1952). Abgesehen von Phrasierung, Timing und natürlich der Besetzung ist der größte Unterschied
zwischen der Jazzfuge und der komponierten Fuge, dass die Jazzfuge improvisierte Bereiche enthält. Das Einstiegsthema der
Three Part Jazz Fugue ist acht Takte lang und steht in D-Dur. Die beiden nachfolgenden Themen sind in E- bzw. F#-Dur.
Anschließend spielt die Gitarre eine teilweise harmonisierte Basslinie, zu der die Orgel einsetzt, um schließlich ins vollständig
mit Jazz-Akkorden harmonisierte Thema zu münden. Damit ist das melodische Material entwickelt, es folgt der Improvisationsteil. Die harmonische Basis für die Improvisation bilden die Akkorde, die der Fugenmelodie zugrunde liegen, aber
während der Exposition nicht gespielt wurden, und die selbstverständlich durch die Tonarten D, E und F# führen. Die
Pfeifenorgel wird die Königin der Musikinstrumente genannt. Wir fanden es eine spannende Idee, sie einen verwegenen Walkin'
Bass als Begleitung spielen zu lassen.
7.
Jesu bleibet meine Freude - J.S. Bach, BWV147 (Bearbeitung: Gero Körner)
Eine der wohl bekanntesten Melodien aus der Feder des großen Johann Sebastian Bach. Dass er auch weit über die klassische
Musik hinaus bis in die heutige Zeit einen unverkennbaren musikalischen Einfluss hinterlassen hat, versucht diese Bearbeitung
des Werkes zu zeigen. In Bachs kompositorischer Anlage sind bereits alle z.B. auch im zeitgenössischem Jazz benutzten
Stilmittel vorhanden, wie u.a. Orgelpunkt, Reharmonisation, die ausgiebige Verwendung der Modi. Auch die triolische
Spielweise – also salopp gesagt der Swing – scheint schon in der Renaissance ein häufig benutztes Metrum gewesen zu sein.
Diese Bearbeitung beinhaltet einige, im Barock übliche und im Jazz ebenso benutzte Stilmittel, hier im zeitgenössischem JazzKontext eingesetzt. Gerade durch die Besetzung Pfeifen-Orgel und Jazz-Gitarre sieht man, wie sich in fast 300 Jahren die
Ästhetik der Musik gewandelt hat, die strukturelle Entwicklung hatte allerdings bei Bach schon Ihren Höhepunkt erreicht und ist
vielleicht seitdem nie wieder übertroffen worden. Der Anfang des Werkes beginnt mit der allseits bekannten Melodie. Mit Einsatz
der Gesangsstimme (hier von der Gitarre übernommen) beginnt eine dem Jazz-Standard typische leichte Reharmonisation, die
sich immer weiter steigert. Dabei werden eine Vielzahl Jazz-typischer harmonischer Varianten eingesetzt. Der Höhepunkt sind
die durch Harmonien synkopierten letzten zwei Takte des Themas. Eingeschoben folgt eine Improvisation, die in Form und
Harmonien eigentlich als “Variationen” des zuvor gespielten Themas zu betrachten sind. Bachtypische Stilmittel wie Orgelpunkt
und harmonische Variationen über die gleiche melodische Struktur sind auch im Jazz gerne benutze und häufig auftretende
Stilmittel. Im abschliessenden Thema nach der Improvisation wird vor allem der Orgelpunkt als Spannungselement eingesetzt.
Am Ende zerfließt das Stück in eher dem zeitgenössischem Jazz entlehnten abstrakten modalen Akkordstrukturen.
8.
Ein feste Burg ist unser Gott – Martin Luther (Bearbeitung: Gero Körner)
In dieser Bearbeitung des fast 500 Jahre alten Kirchenliedes „Ein feste Burg ist unser Gott” aus der Feder Martin Luthers wird
deutlich, in welcher Form auch die kirchenmusikalische Tradition und die zeitgenössiche Musik, u.a. der Jazz voneinander
beeinflußt sind. Zu Beginn wird über die Melodie eine Art „Cantus-Firmus”-Improvisation praktiziert, wie in der Gregorianik
üblich in einem ausgiebigem Rubato, hier jedoch als Intro wie in Jazz-Standards. Dann setzt die Orgel mit einem Puls im 7/8Metrum ein. Dieses Metrum wird durch die natürliche Metrik der Themenmotive auch immer wieder „aufgebrochen” in 10/8oder 12/8-Metren. In der mittelalterlichen Musik waren „offene”, sich dem Versmaß des Textes unterordnende Metren durchaus
üblich. Eine eigentlich sehr fortschrittliche rhythmische Herangehensweise, die auf die Art, wie hier dargeboten, die Interpreten
durchaus herausfordert. Danach wird dieser Puls für eine weitere „Cantus Firmus”-artige Imrpovisation geöffnet. Nach jedem
Themenmotiv verweilt die Musik in der jeweiligen Stimmung und verliert sich durch den 7/8-Puls in einer modalen
Improvisation. Orgel und Gitarre wechselnd sich hier ab. Durch Spielen des nächsten Themenfragmentes wird sozusagen der Stab
übergeben. Der Refomator und auf Bescheidenheit und Einfachheit bedachte Martin Luther wird es hier dem Bearbeiter
verzeihen, sich in solch „vorrefomatorischen” musikalischen Exzessen in einer auf Demut bedachten Komposition zu verlieren.
Das abschliessende Thema, gefolgt von einer Impovisation über die Themenform im klassischen Gospel-Stil, wird den
Komponisten hoffentlich wieder versöhnen. In der Gospel-Musik wird mit den einfachsten Mitteln ganz unprätentiös mit einer
Fröhlichkeit musiziert, die sicherlich der in Luthers Komposition angelegten Stimmung sehr nahekommt, wenn man sich die
knapp 500 Jahre Zeitgeschichte, die dazwischen liegen, vor Augen führt. Deutlich wird vor allem, wie im Gospel auf
unvergleichliche Weise Jahrhunderte alte Kirchenmusik-Tradition mit afro-amerikanisch geprägter Rhythmik und Lebensfreude
vermischt die Musik des 20. Jahrhunderts – nicht nur Jazz, auch Soul- und Pop-Musik – bis heute nachhaltig beeinflussen.
9.
Moonrise - Gero Körner
Ein „Power Chord“, ein Begriff aus der Rockmusik, ist ein Gitarrenakkord, der den Grundton, die Quinte und eventuell die
Oktave enthält und eine sehr kraftvolle Wirkung entfaltet, vor allem, wenn ein Verzerrer benutzt wird. Die Power Chords dieser
Komposition sind sehr aktiv und modulieren durch verschiedene Tonarten. Abgesehen davon wechseln sich auch verschiedene
Metren, wie 3/4, 4/4 und 5/4 ab. Das Orgelsolo ist bitonal angelegt und die Gitarre wechselt für ihre Improvisation zwischen
verschiedenen abstrakten avantgardistischen Synthesizer-Sounds. Am Ende zerfließt das Stück, und es ist schwer zu sagen,
welcher Sound von der Orgel und welcher vom Gitarren-Synthesizer stammt.
10.
Interlude III (Gitaar Synthesizer & Orgel) - Joep van Leeuwen & Gero Korner
Dieser Titel verwendet einen kraftvollen Dance Beat. Ein Dankeschön für diesen Beat und die anderen Sounds geht an den
Hersteller dieses großartigen Synthesizers, Access Music. Dieses Modell mit dem Namen „Virus“, hier in der Rack-Version, wird
von der Gitarre über ein Roland GR-50 Midi-Interface angesteuert.
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11.
Where, Oh Where – Joep van Leeuwen
Diese Komposition bringt einige ureigene Qualitäten der beiden
Instrumente zur Geltung. Bei der Gitarre geht es um den Effekt der
Kombination von offenen und abgedämpften Saiten, in diesem Fall
der offenen H-Saite und später der offenen E-Saite. Die Orgel
demonstriert, dass sie einen Ton quasi ewig aushalten kann. In gewisser Hinsicht ist die Orgel ein Blasinstrument, aber im
Aushalten langer Töne stellt sie konventionelle Blasinstrumente in den Schatten. Die feierliche Melodie der Orgel wird von der
Gitarre mit sechsstimmigen F-, C- und D-Akkorden untermalt, bei denen die offene E- und H-Saiten in allen Akkorden
mitklingen. Das Stück besteht aus mehreren Teilen. Es beginnt
in einem langsamen, balladen-ähnlichen Tempo, gefolgt von
einem Rubato-Teil, in dem die Orgel alleine improvisiert. Das
Solo-Spiel ist natürlich eine der spezifischen Stärken der Orgel.
Gero Körner wählt das Hauptthema der Melodie als
Ausgangspunkt für seine Improvisation. Mit einem
pumpenden F im Bass gibt die Orgel ein Medium-Swing
Tempo vor und mit dem Gitarreneinsatz ist das Material
für die Improvisation gegeben. Diese besteht aus einem Fund D-Akkord, jeweils vier Takte lang. Die Art der
Improvisation über diese Harmonien verweist mehr auf
eine modale Improvisation, da ihr nicht so sehr verschiedene Akkorde sondern vielmehr eine Skala bzw. mehrere Skalen
zugrunde liegen. Nach dem Gitarrensolo und einem kürzeren Orgelsolo über einem gleichbleibenden Vier-Viertel-Rhythmus
greifen die Instrumente einen Chase-Chorus auf, eine Art Dialog, bei dem die improvisierenden Instrumente sich alle vier Takte
abwechseln. Danach kehrt kurz das Originaltempo zurück, und wiederum scheint die Melodie zu fragen: Where, Oh Where?
12.
And Then Some – Joep van Leeuwen
Ein weiteres Stück für Gitarren-Synthesizer und Pfeifenorgel. Es basiert auf zwei
Intervallen, d.h. vier Tönen. Sie können sowohl melodisch als auch harmonisch
verwendet werden. Die Improvisierenden haben sich auf diese vier Töne zu
beschränken. (Die Jazz-Polizei möge Nachsicht üben mit einigen verirrten Noten.)
Die Improvisation besteht aus rhythmischen Variationen und Klang-Manipulationen der Instrumente aufgrund eben dieser Noten,
bei der Orgel durch Änderungen der Registrierung und beim Gitarren-Synthesizer durch Bearbeitung der Saiten, Klangparameter,
Oszillatoren, Filter usw...
13.
Who’s on First? – Joep van Leeuwen
In einer Rohfassung lag das Stück schon seit einiger Zeit vor.
Ihre endgültige Form aber erhielt die Komposition nach dem
Hören von Jim Hall´s A Merry Chase. Eine dreitaktige
Gitarrenmelodie wird von der Orgel im dritten Takt imitiert,
während die Gitarre dazu einen Kontrapunkt spielt, der eine
Dissonanz entstehen lässt. Der Rest des Themas variiert dieses
Spiel von Frage und Antwort. Die Melodien und Begleitakkorde beginnen oft auf der zweiten bzw. vierten Zählzeit, also den
schwachen Zählzeiten. Diese Tatsache, das hohe Tempo und die folgende freie Improvisation machen dieses Stück zu einer
anspruchsvoll zu spielenden Komposition. In unseren Live-Konzerten spielen wir dieses Stück als letztes, damit wir bis dahin die
richtige “Betriebstemperatur” erreicht haben.
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Erschienen in Juli 2011 bei OrganPromotion und heute
erhältlich.
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