Winfried Rohr Viktor E. Frankls Begriff des Logos VERLAG KARL ALBER A Über dieses Buch: Viktor Frankl hat mit seiner Existenzanalyse und Logotherapie ein Therapieverständnis vorgelegt, das durch seinen Sinnbegriff nur in einem metaphysischen Kontext verständlich wird. Frankl expliziert das Selbstverständnis seines Denkens vor allem anhand von M. Scheler, K. Jaspers und M. Heidegger. Die Untersuchung weist auf, daß Frankls eigenständiges Denken mit diesen Denkern nicht kohärent erklärbar ist. Sein Denken lebt von einer Implikation, die von ihm nicht systematisch benannt wird. Für eine Erklärung dieses Sachverhaltes wird biographisch der Weg zu dem Psychologen und thomistisch geprägten Philosophen Rudolf Allers gewiesen, den Frankl als seinen Lehrer bezeichnet. Aufgrund dessen wird nach einer Darstellung der Franklschen Ontologie eine Grenzziehung zu Frankls explizierten Gewährmännern durchgeführt und schließlich der Aufweis einer Einbindung seines Propriums im Denken des Thomas von Aquin unternommen. Der Autor: Seele, Existenz und Leben Band 11: Winfried Rohr Viktor E. Frankls Begriff des Logos Die Sonderstellung des Sinnes in Substanz- und Relationsontologie Dr. phil. Winfried Rohr, geboren 1964, studierte Philosophie, Katholische Theologie, Musikwissenschaft und Germanistik. Er promovierte bei Prof. Dr. Rolf Schönberger an der Universität Regensburg. Veröffentlichungen zum Verhältnis von Philosophie und Psychologie (Thomas von Aquin, Schopenhauer, Nietzsche, Frankl, Freud). Verlag Karl Alber Freiburg / München Seele, Existenz und Leben Inhaltsverzeichnis Herausgegeben von Gnter Funke und Rolf Khn in Zusammenarbeit mit dem Institut fr Existenzanalyse und Lebensphnomenologie Berlin (www.guenterfunkeberlin.de) sowie dem Forschungskreis Lebensphnomenologie, Freiburg i. Br. (www.michelhenry.de/Forschungskreis) Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Herkunft der Sinndefizienz im 20. Jahrhundert . . . . . 1. Frankls Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schopenhauers psychologischer Materialismus, Nietzsches Sinndestruktion und deren Multiplikation durch Freud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 These und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt: Frankls Selbstverständnis innerhalb der Philosophie seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . 2. These: Frankls Eigenständigkeit lebt von seiner substanzontologischen Implikation . . . . . . . . . . 3. Methode und Gang der Untersuchung . . . . . . . . 13 16 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Originalausgabe Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / München 2009 www.verlag-alber.de Satz: SatzWeise, Föhren Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Sein I. A. Der Seinsbegriff bei Frankl . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Stellung der Relation und relationsontologische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4 Modalontologische Grundlegung der Freiheit und die Ontologie der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5 Substanzontologische Implikation und ontologische Ambivalenz im Personbegriff . . . . . . . . . . . . . § 6 Substanzontologische Implikation und ontologische Ambivalenz im Gottesbegriff . . . . . . . . . . . . . 23 30 30 45 56 . . 67 . . 67 . . 78 . . 89 . . 102 ISBN 978-3-495-48356-5 5 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis I. B. Frankls Seinsbegriff im relationsontologischen Kontext . . § 7 Die Relationsontologie des Nikolaus von Kues – ontologisches Fundament Frankls? . . . . . . . . . . . . § 8 Tragfähigkeit der Freiheit als ontologisches Äquivalent zwischen Frankl und Kant . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 Schelers ontologische Ambivalenz – Vorbild für Frankl? . § 10 Die ontologische Stellung des Grenzbegriffs – Maßstab für Konvergenz und Divergenz bei Frankl und Jaspers . . . . § 11 Ontologische Strukturen bei Heidegger und Frankl . . . § 12 Erste Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. C. Analyse der ontologischen Aussagen Frankls im Kontext der Substanzontologie anhand der Metaphysik des Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 ›actus essendi‹, ›substantia‹, ›analogia entis‹ – Grundlagen der substanzontologischen Implikation Frankls? . . . . . § 14 Akzidentelle Bestimmungen als Konsequenz aus der substanzontologischen Prämisse . . . . . . . . . . . . . 1. Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Habitus und Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 127 151 161 187 212 243 251 252 266 266 278 298 II. Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 II. A. Der Sinnbegriff bei Frankl . . . . . . . . . . . . . . . § 15 Sinn als Grenzbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Transzendenz und Immanenz des Sinnes . . . . . . . . § 17 Sinn als Mittler zwischen Endlichkeit und Glücklichsein § 18 Sinn und Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. B. Frankls Sinnbegriff im relationsontologischen Kontext . § 19 ›symbolum‹ und ›valor‹ bei Nikolaus von Kues und ihre Bedeutung für Frankls Sinnbegriff . . . . . . . . . . . § 20 Kants Sittengesetz und Frankls Sinnbegriff . . . . . . § 21 Sinn und Wert bei Scheler und Frankl . . . . . . . . . § 22 Frankls Jaspers-Bezug und die Stellung der Grenze im Sinnbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 6 335 338 349 365 381 . 394 . 411 . 428 § 23 Sinn bei Heidegger und Frankl . . . . . . . . . . . . . . 476 § 24 Zweite Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 II. C. Einordnung des Franklschen Sinnbegriffs im substanzontologischen Denken mit Hilfe der Metaphysik des Thomas von Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 25 Die metaphysische Transzendenz des Franklschen Sinnbegriffs als die erkannte Ordnungsstruktur des objektiven Seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 26 Frankls Sinnbegriff und die subjektive Perspektive in der Thomasischen Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 27 Frankls Sinnbegriff und die Thomasische Ordnung des Strebens in Gesetz und Glückseligkeit . . . . . . . . . . 508 509 531 549 III. Sinnerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 III. A. Sinnerkenntnis bei Frankl . . . . . . . . . . . . . . . § 28 Die ontologische Ambivalenz von ›Bei-sein‹ . . . . . § 29 Liebe und Gewissen – Paradigmen einer ambivalenten Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 30 Verantwortung – Antwort auf den Sinn durch das ›Bei-sein‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 . . 569 . . 591 . . 612 III. B. Frankls Sinnerkenntnis im relationsontologischen Kontext § 31 Äquivalente zu Frankls Sinnerkenntnis bei Cusanus und Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erkennen und Lieben bei Cusanus . . . . . . . . . . 2. Liebe, Gewissen und Verantwortung bei Kant . . . . § 32 Frankls Sinnerkenntnis und Schelers Wertschau . . . . . § 33 Frankls Sinnerkenntnis und Jaspers’ Erkenntnis der Chiffre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 34 ›Bei-sein‹, Gewissen, Verantwortung – Paradigmen für Frankls Umgang mit Heideggers Fundamentalontologie . § 35 Dritte Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 628 629 636 649 679 698 726 . 451 7 Inhaltsverzeichnis III. C. Analyse der Sinnerkenntnis bei Frankl in ihrer substanzontologischen Fundierung vor dem metaphysischen Hintergrund des Thomas von Aquin . . § 36 Das Thomasische Subjekt-Objekt-Verhältnis – eine erkenntnistheoretische Grundlage für Frankls ›existentielle Erkenntnis‹ ? . . . . . . . . . . . . . . . § 37 ›Existentielle Erkenntnis‹ und ›connaturalitas‹ . . . . . § 38 ›Existentielle Erkenntnis‹ und ›synderesis‹ . . . . . . . § 39 ›prudentia‹ – Integration von ›existentieller Erkenntnis‹ und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort des Herausgebers . 735 . 736 . 751 . 766 . 776 Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 2. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845 Sachregister 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851 Mit dieser Arbeit wird der bisher einzigartige Entwurf vorgelegt, den zentralen Sinnbegriff bei Viktor E. Frankl in die abendländische Tradition der ontologischen Logoswahrheit von Aristoteles über Nikolaus von Kues und Thomas von Aquin bis hin zu Scheler, Heidegger und Jaspers einzubetten. Ein solches Unterfangen konnte wohl kaum anders als im vorliegenden Umfang bewältigt werden, um das Genuine des logotherapeutischen Sinnbegriffs aufzudecken, nämlich die bisherige Spannung zwischen einem substanz- und relationsontologischen Wirklichkeitsbegriff philosophisch fruchtbar zu machen. Das Denken V. E. Frankls zur Begründung einer existenzanalytischen Sinnfindung der je einmalig individuellen Personalität entspricht damit nicht nur postulativ dem Anspruch einer notwendigen philosophischen Anthropologie als Basis für eine adäquate therapeutische Praxis. Vielmehr wird dieser Anspruch durch die inhärente Beziehung von Sinnsubstanz und Sinnrelation als apriorischer wie situativ faktischer Bezug zu einer personal-transzendenten Wirklichkeit des »Absoluten« eingelöst. Die vorliegende Untersuchung von Winfried Rohr scheint uns daher den Rahmen der epistemologischen Komplexität abzugeben, in dem zukünftig das Verhältnis von Philosophie und Logotherapie nach Frankl – und darüber hinaus – zu verhandeln ist. Das Buch wendet sich ohne Zweifel an einen informierten philosophischen Leser. Aber auch der Praktiker von Existenzanalyse und Logotherapie wird es mit Gewinn in die Hand nehmen, um jene Weite, Tiefe wie Höhe genauer zu erkennen, in der sich »therapeutische Begegnung« bewegt. Damit entspricht diese gelungene Studie ganz dem Anliegen unserer Schriftenreihe »Seele, Existenz und Leben«, welche auf dem Hintergrund eines je zu klärenden Begriffs von Leben oder Dasein die verschiedenen Praxen philosophisch und die Theorien auf ihre Praxisrelevanz hin befragen will. Mit den ersten drei Bänden hatten wir selber diese Befragung in Bezug auf die Logotherapie und Exi9 Vorwort des Herausgebers stenzanalyse Frankls im Zusammenhang mit der Lebensphänomenologie unternommen, um jetzt mit dieser Arbeit von Winfried Rohr einen magistral ergänzenden Schritt vorlegen zu können, der nicht unbeachtet bleiben dürfte. Wir wünschen dem Autor jene geduldigen Leser, wie er selbst solche Geduld gefunden hat, um den Sinnbegriff für den gegenwärtigen Zeitgeist in seiner ganzen Notwendigkeit wie subjektiv-geschichtlichen Brisanz zu aktualisieren. Berlin / Freiburg i. Br. Winter 2008 Günter Funke u. Rolf Kühn Vorwort des Autors Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die von der Fakultät I (Philosophie, Sport, Kunstwissenschaft) der Universität Regensburg im Wintersemester 2007/08 angenommen wurde. Am treffendsten wird der Gehalt, um dessen Erschließung sie sich bemüht und der Grund für die vorangestellten Worte durch einen Ausspruch Frankls benannt: »Nicht was ich behalte, behält Wert; sondern was ich opfere, erhält Wert.« 1 Die Paradoxie ist eine Mahnung an den Menschen, kann aber erst verstanden werden, wenn das fehlende Glied erforscht wird, durch das diese Weisheit überhaupt Gültigkeit haben kann. Es ist der Sinn, wie ihn Frankl denkt. Nur durch ihn kann die paradoxe Erkenntnis verstanden und in heilsamer Erfahrung angewandt werden. Frankl berührt mit seinem Denken eine breit gefächerte philosophische Tradition, die nicht willkürlicher Deutung überlassen werden darf. Dem vorzubeugen, sieht sich die Untersuchung aufgefordert, indem die implizierte Systematik Franklschen Denkens in kritischer Auseinandersetzung mit seinem philosophischen Selbstverständnis freigelegt wird. Dadurch soll die Möglichkeit gegeben sein, ein intuitiv-metaphysisches Verständnis des zitierten Ausspruches in ein reflektiertes zu überführen. Frankls Diktum ist gleichzeitig eine Aufforderung an mich, denen zu danken, die sich selbstlos für das Gelingen des Projektes eingesetzt haben und das langwierige Entstehen mitgetragen haben; nur so konnte die vorliegende Arbeit ihren Wert erhalten. An erster Stelle seien jene genannt, die mir im philosophischen Dialog wesentliche Anstöße zur jeweils erneuten Reflexion über die Thematik gegeben und die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen haben: Dr. Johannes Hattler, Dr. Thomas Hösl, Dr. Stefan Klar und Dr. Andrés Quero-Sanchez. Ihnen sei für jede kritische An1 10 Frankl, Homo patiens, LM 224. 11 Vorwort des Autors regung gedankt, besonders für jene, die neue Perspektiven eröffnet haben, um Frankls Denken tiefer durchdringen zu können. Mein Dank geht auch an PD Dr. Peter Nickl, der sich freundlicherweise dazu bereit erklärt hat, das Zweitgutachten zu übernehmen. In ganz besonderer Weise jedoch möchte ich meinem Doktorvater und Lehrer Prof. Dr. Rolf Schönberger danken, der mein wissenschaftliches Anliegen von Anfang an mit Interesse und Wohlwollen unterstützt hat und mit seiner fachlichen Kompetenz Impulsgeber für die Erschließung neuer Areale war. Für den praktischen Zugang zur Logotherapie verdanke ich Frau Dr. habil. Elisabeth Lukas wesentliche Einsichten, da sie – von Frankl selbst als seine Interpretin gewürdigt – in ihrer Darstellung während meiner Ausbildung zum Logotherapeuten am ABILE (Ausbildungsinsitut für Logotherapie und Existenzanalyse) die Verbindung zum originären Verständnis garantiert. PD Dr. Rolf Kühn und Dr. Günter Funke danke ich für die große Anerkennung, die sie meiner Untersuchung zukommen lassen, indem sie sich ungeachtet des Umfangs und ganz im Blick auf den inhaltlichen Beitrag in der wissenschaftlichen Diskussion für eine Aufnahme in die Reihe »Seele, Existenz und Leben« entschieden haben. In gleicher Weise gilt mein Dank dem Leiter des Alber-Verlages, Lukas Trabert, der die Veröffentlichung überhaupt ermöglicht hat. Mit dem Dank an die Genannten möchte ich auch den Dank an die namentlich nicht Genannten verbinden, die durch ihr Wissen von der Erstellung meiner Arbeit mitlebend teilhaben an dem, was nun auch durch sie Wert erhalten hat und Anregung zu neuer Wertschöpfung werden kann. Unter ihnen danke ich vor allem meinen Eltern für das geduldige Begleiten meines Weges. Ohne sie wäre das vorliegende Buch nie entstanden. Darum sei es ihnen gewidmet. Regensburg, den 31. Oktober 2008 12 Winfried Rohr Einleitung »Wer von denen, die das Konzentrationslager erlebt haben, wüßte nicht von jenen Menschengestalten zu erzählen, die da über die Appellplätze oder durch die Baracken des Lagers gewandelt sind, hier ein gutes Wort, dort den letzten Bissen Brot spenden? Und mögen es auch nur wenige gewesen sein – sie haben Beweiskraft dafür, daß man dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen kann, nur nicht: die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Und es gab ein ›So oder so‹ !« 1 Diese Worte schreibt ein Betroffener: Viktor E. Frankl, der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse 2 , die Wolfgang Soucek die »Dritte Wiener Schule der Psychotherapie« 3 genannt hat. Sein Zeugnis stammt aus seinem weltweit außerordentlich geschätzten Bericht … trotzdem Ja zum Leben sagen, in dem er sowohl aus der existentellen Perspektive dessen, der von September 1942 bis April 1945 TJL 108. Beide Begriffe werden bei Frankl in Grundriß, LtEa 58 f. und auch im Gebrauch seines gesamten Werkes nicht ganz präzise unterschieden, aber es werden von ihm zwei Bedeutungen sichtbar gemacht. Logotherapie kennzeichnet er dort durch die Abwehr einer Kritik, indem er sich gegen den Vorwurf einer »Persuasionsmethode« abgrenzt. Daraus ist zu schließen, daß die Logotherapie die therapeutische Praxis zum Thema hat. Den Begriff »Existenzanalyse« versteht er einerseits ebenfalls existentiell und lebensnah: »Bei alledem ist Existenzanalyse eigentlich keine Analyse der Existenz; denn eine Analyse der Existenz gibt es ebensowenig, wie es eine Synthese der Existenz gibt. Vielmehr ist die Existenzanalyse Explikation der Existenz. Nur daß wir nicht übersehen, daß die Existenz, die Person, auch sich selbst expliziert: sie expliziert sich, sie entfaltet sich, sie rollt sich auf, und zwar im ablaufenden Leben.« Andererseits reserviert er die philosophische Thematik für die Existenzanalyse: »Aber Existenzanalyse meint nicht nur Explikation ontischer Existenz, sondern auch ontologische Explikation dessen, was Existenz ist. In diesem Sinne ist die Existenzanalyse der Versuch einer psychotherapeutischen Anthropologie, einer Anthropologie, die aller Psychotherapie vorgängig ist, nicht nur der Logotherapie; […].« 3 Frankl beruft sich in Die Begegnung, LtEa 249 für diesen Titel auf: Wolfgang Soucek, Die Existenzanalyse Frankls, die dritte Richtung der Wiener psychotherapeutischen Schule, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 73 (1948) 594. 1 2 13 Einleitung selber das KZ erlebt hat 4 , als auch aus der distanzierten Position des Psychologen diese schicksalhafte Zeit reflektiert. Es war nicht die Zeit, in der die Logotherapie entstand, sondern in ihr erkannte Frankl das »Experimentum crucis« 5 seiner schon seit seiner Jugend sich entwickelnden, vielfach von philosophischen Fragestellungen, die durch Erfahrungen angestoßen wurden, ausgehenden 6 Systematik seines Denkens. Sein Fragen ging immer vom Sinn des Lebens aus, so daß er auch früh ein eigenständiges Denken entwickelt hat, und es gleichzeitig notwendig war und nachvollziehbar ist, daß er sich um ein solides philosophisches Rüstzeug bemüht hat. Neben seinen medizinischen Studien an der Universität Wien und seinen psychologischen Studien bei Sigmund Freud und Alfred Adler widmete er sich daher auch der Philosophie, die er 1949 bei Leo Gabriel mit der Promotion abschloß 7 . Die Darstellung seiner Zeit im Konzentrationslager verbindet daher existentielle, psychologische und philosophische Reflexionen, wie der obige Text beweist, denn das Gute, von dem Frankl berichtet, ist in seinem Denken verwirklichter Sinn, dem aber eine freie Entscheidung vorausgegangen sein muß. Er selbst hat es in dieser schweren Zeit getan, wo und wie er konnte; er hat darin ein psychologisches Gesetz entdeckt, durch das der Mensch als psychisch gesund zu Vgl. Klingberg, Das Leben, 154 und 198. Frankl, Eine autobiographische Skizze, SP 160. 6 Als Beispiel sei hier der Vortrag an der Volkshochschule in Wien genannt, den er als Sechzehnjähriger über den Sinn des Lebens gehalten hat (vgl. V. Frankl, Eine autobiographische Skizze, SP 150). Auch während seiner Zeit im Konzentrationslager blieb ihm die Philosophie eine wesentliche Stütze, wie er in Homo patiens, LM 212 bezeugt: »Es wundert auch niemanden, daß den Konzentrationslager-Häftlingen angesichts all dessen, wovon sie Zeugen geworden, nicht der Appetit vergangen ist: der Selbsterhaltungstrieb – im engeren Wortsinn – setzte sich durch und über Grauen und Greuel hinweg. So denn auch auf geistigem Gebiet: jedem geistig Aufgeweckten oder aber Erweckbaren ging es keineswegs – und für diese Behauptung läßt sich einstehen – um den Imperativ ›primum vivere, deinde philosophari‹ ; vielmehr ging es ihm um dieses Eine: primum philosophari, deinde mori. Worum es ging, das war, im Angesicht der Lebensgefahr und der Todesdrohung um den Sinn des Todes ringen – und aufrecht hingehen und sterben.« In Frankl, ÄS 5 bestätigt er seinen Ansatz aus therapeutischer Perspektive: »[A]n den Arzt [werden] heute Fragen herangetragen, die eigentlich nicht medizinischer, sondern philosophischer Natur sind und auf die er kaum vorbereitet ist. Es wenden sich Patienten an den Psychiater, weil sie am Sinn ihres Lebens zweifeln oder gar daran verzweifeln, einen Lebenssinn überhaupt zu finden.« 7 Vgl. Klingberg, Das Leben, 365; sein Manuskript Der unbewußte Gott wurde von Leo Gabriel als Promotionsschrift angenommen. 4 5 14 Einleitung verstehen ist, wenn er den für ihn gegebenen und erkennbaren Sinn verwirklicht; und er hat sich um eine möglichst grundlegende philosophische Begründung dieses Gesetzes bemüht. Die vorliegende Untersuchung mit dem Titel Der Logosbegriff bei Viktor E. Frankl setzt diesen dreischichtigen Kontext der existentiellen Basis in der Erfahrung und die Absicht, mit Hilfe einer philosophischen Anthropologie zu einem angemessenen psychologischen Erkenntnis und psychotherapeutischen Handlungsweise zu kommen, immer voraus. Die Perspektive der Arbeit ist allerdings eine philosophische. Der biographische Zusammenhang und die logotherpeutische Praxis treten daher in den Hintergrund, und der Blick richtet sich auf die philosophische Verankerung, durch die Frankl überhaupt eine Anthropologie vorlegen kann, die sich in der logotherapeutischen Praxis und in allen mit ihr kooperierenden psychologischen Richtungen bewährt hat. Frankls Denken erweist sich als erstaunlich kohärent und dadurch auch praktikabel. Weil er aber die Philosophie nicht zur Erklärung einer Praxis herangezogen hat, sondern umgekehrt sein ursprünglich philosophisches Fragen ihn zu einer Praxis und deren Verständnis hingeführt hat, ist es notwendig, nach einem gleichwertig kohärenten philosophischen Denken zu fragen. Dazu macht Frankl einige Angaben, auf die wir detailliert zu sprechen kommen werden. Um dieser Perspektive der Philosophie in Frankls Denken gerecht werden zu können, müssen vorab grundlegende Fragen geklärt werden, durch die die These und der methodische Ansatz verständlich werden können. An erster Stelle steht der Anspruch Frankls, eine Therapieform entwickelt zu haben, die auf eine spezifische Not unserer Zeit reagiert, nämlich daß der Mensch des 20. und 21. Jahrhunderts besonders auf Grund einer mangelnden Einsicht über den Sinn seines Lebens psychisch krank werden kann. Diagnostisch stehen hier das existentelle Vakuum 8 und die noogene Neurose 9 im Mittelpunkt. Philosophisch aber ist zu fragen, welche denkerische Situation Frankl in seiner Zeit antrifft, durch die sein Ansatz ex negativo Vgl. dazu Frankl, Irrwege, LM 24: »Das Gegenteil von existentieller Erfüllung […] wäre die existentielle Leere – oder, wie es in der Logotherapie genannt wird: das existentielle Vakuum.« 9 Frankl, ÄS 5 sagt er im Zusammenhang der »existentiellen Frustration«: »An und für sich handelt es sich um nichts Pathologisches; sofern im besonderen von Neurose überhaupt die Rede sein kann, haben wir es mit einem neuen Typus von Neurose zu tun, den ich die noogene Neurose genannt habe.« 8 15 Einleitung Rechtfertigung findet (§ 1). Erst vor diesem Hintergrund ist es angebracht, nach Frankls Reaktion darauf zu fragen (§ 2). In § 2–1 wird darum zunächst eine Überblick über die philosophischen Ansätze der Franklschen Selbstexplikation und die davon ausgehende Sekundärliteratur gegeben. Diese Sondierung dient der Herauskristallisierung der wissenschaftlichen Fragestellung, die zu behandeln ist. In § 2–2 wird zu erklären sein, welche These von uns auf dieser Grundlage aufgestellt wird. Erst dann können in § 2–3 Methode und Aufbau der Arbeit dargelegt werden. § 1 Herkunft der Sinndefizienz im 20. Jahrhundert 1. Frankls Diagnose Es ist nicht nur biographisch, sondern vor allem systematisch begründet, daß Frankls Zeitdiagnose eine kritische Auseinandersetzung mit dem Denken Sigmund Freuds ist. Er präsentiert sie in der Gestalt einer Wissenschaftskritik: »In einer Zeit, deren Forschungsstil durch das teamwork charakterisiert ist, können wir den Spezialisten weniger denn je entraten. A b e r d i e G e f a h r liegt gar nicht darin, daß sich die Forscher spezialisieren, s o n d e r n d a ß d i e S p e z i a l i s t e n – g e n e r a l i s i e r e n . Wir alle kennen die sogenannten terribles simplificateurs. Ihnen an die Seite stellen ließen sich nun die terribles généralisateurs, wie ich sie nennen möchte. Die terribles simplificateurs vereinfachen alles; sie schlagen alles über einen Leisten. Die terribles généalisateurs aber bleiben nicht einmal bei ihrem Leisten, sondern verallgemeinern ihre Forschungsergebnisse. Als Neurologe stehe ich dafür ein, daß es durchaus legitim ist, den computer als ein Modell zu betrachten, sagen wir, für das Zentralnervensystem. Der Fehler liegt erst in der Behauptung, der Mensch sei n i c h t s a l s ein computer. Der Mensch ist ein computer. Der N i h i l i s m u s d e m a s k i e r t s i c h n i c h t d u r c h d a s G e r e d e v o m N i c h t s, s o n d e r n m a s k i e r t s i c h d u r c h d i e R e d e w e n d u n g › n i c h t s a l s ‹ .« 10 Frankl, ÄS 26 f.; vgl. dazu auch Caponnetto, El pensiamento: Im Kapitel »Una Necesaria Disgresión: el ›malestar en la ciencia‹« problematisiert er den Positivismus und Diltheys Konzeption der Geisteswissenschaften und im Folgekapitel »Frankl frente al problema de la ciencia« geht er auf Frankls wissenschaftskritisches Konzept ein und leitet davon im Folgekapitel »Valoración de la critica frankleana« eine implizite Wolffund Kant-Kritik ab (zur Zitationsweise vgl. den Hinweis in § 2–2,53, Anm. 146). 10 16 § 1 Herkunft der Sinndefizienz Frankl stellt eine Verknüpfung her zwischen einer Sammelbezeichnung für verschiedene philosophische Denkrichtungen, die dem Nichts den Primat zuweisen oder dahingehend entlarvt werden können 11 , und einer Haltung, Wissenschaft zu betreiben. Es geht ihm darum, auf eine unerlaubte Verallgemeinerung eines Erkenntnisansatzes aufmerksam zu machen, deren Korrektur er durch sein logotherapeutisches Menschenbild anmahnt. Seine in diesem Text implizierte These lautet: Die Verallgemeinerung eines fachspezifischen Systems auf die gesamte Wirklichkeit blendet mögliche Eigengesetzlichkeiten, die diese Wirklichkeit differenzieren, aus. Ausblendung bedeutet allerdings nicht methodische Trennung von Formalobjekten – dies entspräche der von Frankl akzeptierten Spezialisierung –, sondern einer Nichtung der Wirklichkeit durch Erkenntniseinstellung, d. h. durch Reduzierung der Wirklichkeit nach dem Maß einer fachspezifischen Verabsolutierung. Diese Diagnose Frankls steht im Widerspruch zum Selbstverständnis des von ihm angeprangerten Spezialistentums. Darum muß Frankl das nihil als ontologische Kontrastaussage zu seinem sinnorientierten Konzept näher begründen, denn »[d]er Nihilismus behauptet keineswegs, daß in Wirklichkeit nichts sei; […].« 12 Frankl unterscheidet verschiedene Weisen der Nichtung der Wirklichkeit durch Erkenntniseinstellung, die er als Reduktionismen anspricht und vor diesem Hintergrund die Sinndefizienz deutlich werden läßt: »Je nachdem, auf welche Restbestände die Realität jeweils reduziert, bzw. von welchen sie jeweils deduziert wird, lassen sich in der Hauptsache drei Abarten oder Spielformen des Nihilismus unterscheiden. Erfolgt nämlich die Reduktion auf die physische Wirklichkeit, dann tritt der Nihilismus in Form eines Physiologismus auf, während er im Falle einer Reduktion auf die psychische Wirklichkeit im Gewande des Psychologismus und im Falle einer Reduktion auf die soziologische Wirklichkeit in dem eines Soziologismus auftritt. So oder so: in jedem Falle schrumpft die Wirklichkeit zusammen zum bloßen Effekt, Produkt und Resultat, sei es physiologischer, sei es psychologischer, sei es soziologischer Fakten. Wo bloßer Effekt gesehen wird, kann auch kein Sinn gesehen werden. Das Sein wird des Sinns beraubt. Zugleich wird klar, woher es rührt, daß diese drei Spielformen des Nihilismus: Physiologismus, Psychologismus und Soziologismus – zur Erfahrung eines Sinns gar nicht gelangen können: In ihrer Weltsicht beschränken sie sich auf je eine 11 12 Vgl. Müller-Lauter, Nihilismus, HWP VI 846 f. Frankl, Homo patiens, LM 163. 17 Einleitung Seinsschicht – auf das leibliche, das seelische bzw. das gesellschaftliche Sein –, wobei sie jedoch gerade jenes Sein außeracht lassen, innerhalb dessen so etwas wie Intentionalität überhaupt erst zutage treten kann, – nämlich das geistige Sein.« 13 Der Wert der wissenschaftskritischen Diagnose Frankls liegt nicht in erster Linie in der Beobachtung der drei Reduktionismen, die sich jeweils selbst genügen und demselben Prinzip gehorchen, sondern in jenem Maßstab, durch den er überhaupt einen Mangel feststellen kann. Er behauptet nämlich erstens, daß physiologische, psychologische und soziologische Bestimmungen wesentlich zusammengehören, und zweitens, daß das Einheitsprinzip dieser Aussage der Sinn ist, der durch die Ismen gerade verdeckt wird. Der Sinn aber, auf den Frankl hinweist, ist in diesem Falle das von der Wissenschaft Erkannte, durch das ein Forschungsgegenstand seiner inneren Struktur gemäß erfaßt wird. 14 Kann Frankl diesen Sinn jenseits des Nihilismus nachweisen, hat er tatsächlich die materialistische Wissenschaftstheorie ad absurdum geführt. Frankl exemplifiziert und präzisiert sein bisheriges Resultat an der Psychoanalyse Sigmund Freuds: »Den reductionism könnte ich definieren als ein scheinwissenschaftliches Vorgehen, durch das die spezifisch humanen Phänomene auf subhumane Phänomene reduziert bzw. von ihnen deduziert werden. Wie denn überhaupt der Reduktionismus definiert werden könnte als S u b h u m a n i s m u s . Hinter der Liebe stehen nunmehr nur noch sogenannte zielgehemmte Triebe, und das Gewissen ist dann nichts als das Über-Ich […]. Mit einem Wort, spezifisch humane Phänomene wie Gewissen und Liebe werden zu bloßen Epiphänomenen gemacht. Dann ist der Geist nichts als die höchste Nerventätigkeit, um auf die Ebd. Der Sinnbegriff taucht hier in der vorliegenden Abhandlung erstmals auf. Frankl gebraucht ihn allerdings nicht in der Weise, wie der Sinn für sein logotherapeutisches Denken ausschlaggebend ist, nämlich als Handlungssinn. Dennoch verweist der gegenüber den Reduktionismen eingesetzte Sinnbegriff schon auf die Hauptthematik Frankls, sofern nämlich die angemahnte Geistdimension nicht nur Einheitsprinzip aller verabsolutierten Phänomengruppen ist, sondern nur durch den Geist Handlungssinn erkennbar wird. Hier zeigt sich erstmals implizit die Differenzierung zwischen einer Seinsaussage über den Menschen als geistbegabtes Lebewesen und einer ethischen Aussage. Beide werden in der Vernunft erfaßt und sind daher sinnhafte Aussagen. Was in der wissenschaftstheoretischen Kritik Frankls am Reduktionismus angedeutet ist, wird in den Teilen I. – III. detailliert und kritisch thematisiert, weil das Verhältnis von Sein und Sinn im Franklschen Denken im Zentrum steht. 13 14 18 § 1 Herkunft der Sinndefizienz bekannte Arbeit eines berühmten Forschers anzuspielen. Welch eine E p i p h ä n o m e n o l o g i e d e s G e i s t e s …« 15 Frankl bezieht sich hier nicht mehr nur auf das wissenschaftlich Erkannte, sondern er nennt das Konkretum, von dem der Sinn ausgesagt wird, das Humanum. Anhand des Freudschen Triebmonismus macht er auf die prinzipielle Frage aufmerksam, ob nicht der Mensch durch ein eigengesetzliches Geistprinzip zu definieren ist. Frankl schafft sich Raum für seine These der Geistbegabtheit des Menschen, indem er zunächst einmal innerhalb des Freudschen Systems argumentiert: »[W]ir [wollen] es uns nicht versagen, den Psychologismus nun einmal gegen ihn selbst zu kehren, […]. Es gälte dann, sozusagen den Spieß umzudrehen und den Psychologismus in gewissem Sinne an ihm selbst anzuwenden, indem wir ihn auf seine eigene Psychogenese hin untersuchen, also auf die Motive hin, die ihm zugrunde liegen mögen. Fragen wir uns sonach: Welche ist seine verdeckte Grundhaltung, seine geheime Tendenz? Wir antworten: Eine Entwertungstendenz, und zwar gegenüber den jeweils in Frage stehenden geistigen Inhalten der von ihm bewerteten seelischen Aktvollzüge. Aus dieser Entwertungstendenz heraus will er ständig demaskieren, ist er stets krampfhaft darauf aus, zu entlarven, ist er immer wieder auf der Suche nach uneigentlichen, nämlich neurotischen Motivationen. Allen Fragen nach der Geltung – etwa auf religiösem oder künsterlichem, aber auch auf wissenschaftlichem Gebiet – weicht er aus, indem er sich a u s d e r I n h a l t s s p h ä r e i n d i e A k t s p h ä r e f l ü c h t e t . So ist der Psychologismus letztlich auf der Flucht vor der übermächtigen Fülle erkenntnismäßiger Gegebenheiten und entscheidungsmäßiger Aufgaben, auf der Flucht demnach vor den Wirklichkeiten und Möglichkeiten des Daseins.« 16 Analog zu den Antithesen Phänomenverabsolutierung versus Sinn bzw. Trieb versus Geist diagnostiziert Frankl hier nun die Eliminierung der Inhalte durch deren Aufhebung in den Akt, d. h. den Trieb. Er hält dem Freudschen Denken vor, daß es »bloßer Ausdruck und bloßes Spiegelbild meines Sein sein [kann] […]«, 17 und darum auch »wir selbst es sind, die einen Sinn geben und zuschreiben einer Situation.« 18 Frankl, ÄS 27. Ebd. 36. 17 Frankl, ÄS 55. 18 Ebd., Anm. 2.; Frankl nennt die psychoanalytische Denkhaltung einen »Monadologismus – will heißen, die Weltlosigkeit des Menschen«, d. h., daß »die Welt nicht mehr denn Mittel zum Zweck ist […].« (Frankl, Irrwege, LM 27) Etwas polemisch spricht er auch von »Homunkulismus« (Frankl, Homo patiens, LM 164). In der Folge bildet Frankl 15 16 19 Einleitung Hinter den Begriffen Sinn, Geist und Inhalt steht das gesamte System Frankls, das im Hauptteil eingehend besprochen wird. Für Frankls Psychologismus-Kritik ist entscheidend zu sehen, daß das Subjekt in seinem Weltbezug nicht über sich selbst hinauskommt, weil es alles nur als eine Gestalt seiner eigenen Bedürftigkeit erkennt. Mit den Worten Frankls gesagt, heißt das: »Dadurch, daß der Psychologismus die objektiven Werte als solche, als objektive, nicht gelten läßt, subjektiviert er sie. So zeigt sich, daß der Psychologismus, indem er die Person zur Sache macht, etwas Subjektives objektiviert; zu diesem Objektivieren des Subjektiven bildet die Subjektivierung von Objektivem das Gegenstück.« 19 Der Soziologismus ist letztlich von denselben Prinzipien her zu verstehen. »[F]ür ihn ist [der Mensch] […] nicht Spielball vitaler Kräfte, sondern sozialer Mächte.« 20 Er »sieht […] nur diese soziale Bedingtheit, sieht alles Menschliche eingekreist und eingesponnen von dieser Bedingtheit – dermaßen, daß hinter ihr das eigentlich Menschliche schließlich vollends seinen Blicken entschwindet.« 21 Ganz im Sinne seiner Psychologismus-Kritik wiederholt Frankl auch für den Soziologismus sein Argument der Subjektivierung bzw. Objektivierung 22 und bescheinigt dem Soziologismus die »Verwechselung von Gegenstand und Inhalt« 23 . Er argumentiert erkenntnistheoretisch, auf dem Gebiet der psychologischen Auswirkungen des psychologistischen Subjektivismus verschiedene Neologismen, wie der »Potentialismus«, der »die Spannung zwischen Sein und Seinsollendem auszuschalten [sich] bemüht« (Frankl, Irrwege, LM 30) oder dem »Kaleidoskopismus«, in dessen »›Weltentwürfen‹ […] nur er selbst, der Entwerfende, sichtbar wird.« (Ebd., LM 31). 19 Frankl, Homo patiens, LM 170 f. Auf das Problem der Subjekt-Objekt-Spaltung aus der Sicht Frankls wird in § 28 eingegangen. 20 Ebd. 164. 21 Ebd. 187. 22 Ebd. 188: »Der Soziologismus jedoch ist dazu angetan, ja er hat es darauf abgesehn, hinter der immer wieder hervorgekehrten Fülle von Bedingtheiten des Subjekts der Erkenntnis deren Objekt verschwinden zu lassen. Und das ist es, woran ihm letztlich gelegen ist: das Objekt aufgehen zu lassen im Subjekt – in diesem höchst bedingten Subjekt. Das Objekt wird eingeholt ins Subjekt. Das Objekt wird ausgeliefert der Bedingtheit des Subjekts – wobei diese äußerste Bedingtheit, an der das Objekt solcherart teilhat, sowohl daseinsmäßige Bedingtheit als auch soseinsmäßige Bedingtheit, somit Bewirktheit und Bestimmtheit meint: das Objekt erscheint dann vom Sozialen her ebensowohl im Dasein, qua existentia, bewirkt als auch im Sosein, qua essentia bestimmt. Damit ist aber auch die Objektivität des Objekts preisgegeben – der Soziologismus wird ein Subjektivismus.« 23 Ebd. 188. 20 § 1 Herkunft der Sinndefizienz wenn er fortfährt: »[D]er Inhalt einer Erkenntnis ist bewußtseinsimmanent und der Bedingtheit des Subjekts unterstellt; der Gegenstand einer Erkenntnis hingegen ist bewußtseinstranszendent und der Bedingtheit des Subjekts keineswegs unterworfen.« 24 Frankl sieht in dieser Verwechselung die Ursache, daß der Soziologismus »immer nur soziale Relativität sieht« und dabei »sich selbst verabsolutiert.« 25 Dieses Bild des Psychologismus und des Soziologismus veranlassen Frankl, vom »Zeitalter der Entpersönlichung und Entmenschlichung« 26 zu sprechen. Besonders klagt er den Psychologismus an, der »die Teilerscheinung einer umfassenderen [ist]: Das ausgehende 19. Jahrhundert und das beginnende 20. Jahrhundert haben das Bild des Menschen insofern völlig verzerrt dargestellt, als sie den Menschen vorwiegend in seiner vielfältigen Gebundenheit sehen ließen und damit in seiner vermeintlichen Ohnmacht gegenüber den Bindungen, […].« 27 Auch diese Kritik ist ihm nur möglich durch den von ihm angelegten Maßstab der »Freiheit gegenüber all diesen Bindungen […], die Freiheit des Geistes gegenüber der Natur […].« Freiheit, Geist und Sinn ermöglichen Frankl – das zeigt seine Kritik des Psychologismus – eine klare Diagnose der Sinndefizienz hinsichtlich ihrer Ausprägung innerhalb er Psychologie des frühen 20. Jahrhunderts. Das Erstaunliche daran ist, daß Frankl für den Aufweis der Sinndefizienz nicht Philosophen, Soziologen oder Politiker anführt, deren negative Auswirkungen sofort einleuchten würden, sondern mit Freud kritisiert er den Begründer einer Therapieform, deren Ziel die – wie auch immer definierte – psychische Gesundheit des Menschen ist; und nach den dargelegten Ausführungen Frankls ist es noch erstaunlicher, daß Freud das Stellen der Frage nach dem Sinn des Lebens sogar als neurotisierend 28 eingestuft hat. Der mate24 Ebd. 188; die erkenntnistheoretische Fragestellung wird in Teil III. ausführlich behandelt. 25 Ebd. 188. 26 Frankl, Über Logotherapie, WzS 179. 27 Frankl, ÄS 36. 28 Frankl weist in ÄS 19 und Logotherapie, MSS 117 auf einen Brief Freuds an Marie Bonaparte hin: »Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank …«. Dennoch hebt Frankl, Das Menschenbild, MSS 40 darauf ab, »daß Freud das Verdienst zukommt, die Sinnfrage gestellt zu haben, mag er auch noch so wenig in unserem Sinne gefragt oder gar die Sinnfrage beantwortet haben.« Vor dem dargestellten Hintergrund der Reduktionismus-Kritik Frankls überzeugt diese Anerkennung Freuds nicht. Dennoch muß festgestellt werden, daß es Frankl liebt, seinen ehemaligen 21 Einleitung rialistische Ansatz Freuds hat es nicht zugelassen, diesen Aspekt des Humanum in den Blick nehmen zu können. Um so deutlicher wird der Widerspruch zwischen dem Heilungsanspruch der Psychoanalyse und der von Frankl als krank machend diagnostizierten Sinndefizienz, die von Freud nicht einfach nur übersehen wurde, sondern in seinem System nicht zu verorten ist. Diese Erkenntnis ist aber nur aus der Perspektive Frankls möglich; Freud hingegen knüpft als Psychiater und Naturwissenschaftler am positivistischen Denken seiner Zeit an. Die Eliminierung des Sinnes aber ist nicht durch Freud verursacht, sondern auch er ist Erbe einer Entwicklung in der Denkgeschichte. Daß aber er zum Hauptgesprächspartner Frankls wird, liegt daran, daß in ihm von seiten der Philosophen vorbereitete Reflexionen über den Menschen und die Welt praxisrelevant werden. Freud ist zu einem wesentlichen Übersetzer der im Umfeld des Positivismus entstandenen Systeme für die Praxis geworden, so daß er das theoretisch dargelegte Verständnis vom Menschen praktisch multipliziert und ein gesellschaftliche Entwicklung verstärkt hat, an der schon die Theoreme eines positivistisch beeinflußten Menschenbildes gewonnen wurden. Für den Zweck der vorliegenden Untersuchung führt es zu weit, diese komplexen Zusammenhänge, geschweige denn eine weiter reichende philosophiegeschichtliche Darstellung zu erarbeiten. Weil aber Frankl sich in seiner Kritik entscheidend auf Freud bezieht, werden nur jene beiden Denker hinsichtlich der Frage der Sinndefizienz skizziert, die für die Entwicklung Freuds bedeutsam sind: Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche. 29 Lehrer öffentlich anzuerkennen, vor allem darin, die Logotherapie nicht als Gegenkonzept, sondern als Ergänzung zur Freud zu verstehen. In dieser Frage bleibt bei Frankl eine gewisse Unklarheit; vgl. dazu Korger/Polak, Der geistesgeschichtliche Ort, HbNl III 635. 29 Daß diese beiden Denker heranzuziehen sind, beweist die Forschungsliteratur: Gödde, Traditionslinien, Tübingen 1999; Irion, Eros und Thanatos, Würzburg 1987; Mainberger, Rhetorische Techne (Nietzsche), Wien 1996; Wucherer-Huldenfeld, Von Nietzsche zu Freud, Wien 1996; Zentner, Die Flucht ins Vergessen, Darmstadt 1995. 22 § 1 Herkunft der Sinndefizienz 2. Schopenhauers psychologischer Materialismus, Nietzsches Sinndestruktion und deren psychologische Multiplikation durch Freud Frankls Diagnose benennt wesentliche Kritikpunkte am Denken Freuds, die ohne den Rückgriff auf A. Schopenhauer nicht verständlich sind. 30 Der wesentliche Schritt, der in Schopenhauers Denken die von Frankl angemahnte Sinndefizienz provoziert, liegt in seiner Kritik an Kants noumenalem Sittengesetz, dem er einen verdeckten Eudämonismus unterstellt 31 . Im Gegenzug entwickelt er einen kausalen Gesetzesbegriff für die Ethik, der nicht am kategorischen Imperativ, der nach seinen Worten nur »vel quasi« 32 gilt, »sondern wirklich Nothwendigkeit mit sich führt: es ist das Gesetz der Motivation, eine Form des Kausalitätsgesetzes, […]. Es ist wie das Gesetz der Kausalität überhaupt ein Naturgesetz.« 33 Schopenhauer legt damit die entscheidende Weichenstellung für das, was Frankl als »Subhumanismus« bezeichnet, denn das Humanum wird auf dieser Grundlage primär materialistisch interpretiert. Schopenhauers Verbindung zu Kant bleibt in seiner idealistischen Deutung der Bewußtseinsfunktionen erhalten; gleichzeitig aber sind sie nichts anderes als »Gehirnfunktionen«. 34 Das Verhältnis von Idealismus und Materialismus wird an Schopenhauers Leibbegriff nachvollziehbar. Im Leib begegnen sich physiologische, naturgesetzlich beschreibbare Gegebenheiten und ein metaphysischer Hintergrund, den Schopenhauer als Wille interpretiert. Leib und Wille sind eine parallelistische, aber nicht kausal faßbare Wirkeinheit; der Wille ist unmittelbar im Leib erfahrbar und die intellektive Durchdringung dieser Erfahrung ist nachgeordnet. 35 Die Stellung des Leibes wird durch Schopenhauers Anknüpfung an Kant, daß »die moralische Bedeutung des menschlichen Handelns […] das Ding an sich unmittelbar berühre« 36 , aber erst der Wille dem Ding an 30 Vgl. dazu die Darlegungen des Verfassers: Rohr, Vom Sinn- zum Ethikdefizit, Kühn/ Witte/Schlimme (Hg), Pl 4, [im Druck]. 31 GE (1860), SchSW III 585 f., 588 und 594. 32 Ebd. 590 ff.; vgl. dazu GMS (1785) AA IV 427. 33 Ebd; vgl. dazu die Herleitung des Gesetzes der Motivation aus der »vierfachen Wurzel des Satzes vom Grund« in VW (1847), SchSW III 18. 34 Vgl. WWV (1859), SchSW I 519. 35 Ebd. 119. 36 Ebd. 499 f. 23 Einleitung sich gerecht wird 37 , geklärt. Kants intelligibler Charakter des Willens, der mit der praktischen Vernunft identisch ist, wird folglich so modifiziert, daß die Erscheinungswelt, für die der Leib als primum analogatum steht 38 , dessen empirischer Charakter wird. 39 So ist der Leib Objektivation des Willens, d. h. daß die kausal strukturierte Erscheinung im akausalen und negativ freien, nämlich aller Notwendigkeit entbundenen Willen begründet ist. Im Willen an sich gibt es daher – im Gegensatz zum Leib – auch keine Subjekt-Objekt-Spaltung 40 und keine Finalität des Strebens; sein Wollen ist grund-los und ziel-los. So hat zwar »jeder einzelne Akt […] einen Zweck; das gesammte Wollen [aber] keinen […].« 41 Wille an sich und Erscheinung stehen also dualistisch zueinander. Der einzige gewissermaßen finale Aspekt des Willens an sich liegt im Erscheinen-wollen; er ist als Leib Wille zum Leben und will einzeln werden, so daß er als Erscheinung notwendigerweise sich in den verschiedenen Willensobjektivationen sich selbst entzweit und kraft des Gesetzes der Selbsterhaltung Leben nur Leiden sein kann. 42 Dürr, Schopenhauers Grundlegung der Willensmetaphysik, SchJb 84 (2003) 114 f. differenziert sehr klar zwischen Kants und Schopenhauers Begriff des Dinges an sich: »Kants Ding an sich ist […] ein Reflexionsbegriff, der sich aus der von ihm beschriebenen Struktur des menschlichen Erkenntnisvermögens ergibt und zu dessen Beschränkung dient – ein Grenzbegriff. Hingegen tritt Schopenhauers Ding an sich mit einem völlig anderen Ziel auf, nämlich die Welt ihrem Wesen und Zusammenhang nach zu begründen, zu erklären und verständlich zu machen. Kants Ding an sich ist ein Fall des Denkens, genauer: ein leerer Begriff und besitzt den Status eines ens rationis. Schopenhauers Ding an sich soll aber material bestimmt werden, um so als Anwort auf die Ausgangsfrage des Systems gelten zu können, ist jedoch nur in seiner nächsten Erscheinung, dem Willen, erkennbar.« 38 Dörflinger, Schopenhauers Philosophie des Leibes, SchJb 83 (2002) 56 erklärt die »berühmt-berüchtigte Analogie« als ein Prinzip, »wonach dasjenige Verhältnis, das der Mensch von sich her kennt, daß er nämlich einerseits vorstellungshaft Leib ist, dieser Leib aber, seinem inneren Wesen nach Wille, auch auf die anderen Dinge übertragen werden kann, […].« 39 Vgl. WWV (1859), SchSW I 186. 40 Vgl. ebd. 30. 41 Ebd. 196. 42 Vgl. WWV (1859), SchSW I 366; vgl. dazu auch ebd. 419. Auch Frankl versteht den Menschen als einen homo patiens. Die Bedeutung des Leidens aber, wie in § 17 deutlich wird, steht im Kontext eines »tragischen Optimismus« (vgl. dazu Frankl, Argumente für einen tragischen Optimismus, LM 51–63), der durch die Negativität des Schopenhauerschen Denkens nicht gestützt werden könnte. Hier zeigt sich im Vorfeld, wie tiefgreifend und gezielt Frankl auf die systematische Sinndestruktion reagiert. Wie gegensätzlich allerdings die systematische Stellung des Leidens bei Schopenhauer beurteilt 37 24 § 1 Herkunft der Sinndefizienz Auf dieser Grundlage entwickelt Schopenhauer seine ethischen Konsequenzen. In Absetzung zum Kantischen Formalismus und der damit verbundenen minderwertigen Stellung der »empirischen Triebfedern des Willens« 43 hält er Kant vor, daß der formalistische Zugang zum Gesetz dem egoistischen Wollen keine Grenze setzt. 44 Zwar denkt er selbst den in der Erscheinung sich manifestierenden Egoismus als unmittelbar Gegebenes 45, aber er versteht ihn als »Regulativ […] vor jedem Moralprincip […].« 46 Dies gelingt ihm nur, indem er – das ist allerdings nicht aus dem Willen an sich ableitbar – die Möglichkeit einer Identifikation mit dem Leiden des anderen annimmt und so im Mitleid mit dem anderen – d. h. psychologisch, nicht metaphysisch begründet – ein ethischer Zweck gesetzt ist. 47 Hier setzt die Tätigkeit des Intellektes ein, der kraft der Ideen 48 den Willen an sich durchschaut und ihn verneinen kann, wie es in der Identifikation und im Mitleid geschieht. Erst hier kann ein negativ gewonnener Freiheitsbegriff ausgemacht werden. Daß sich Schopenhauer seiner Problematik bewußt war, zeigt sich darin, daß er ihm dem »Reich der Gnade« 49 zuordnet. Schopenhauer vollzieht den für die Sinndefizienz konstitutiven Schritt vom idealistischen Dualismus Kants hin zu einem materialistischen Dualismus, dessen idealistische Züge nur sekundär von Bedeutung sind und vor allem den Verlust der Sinnhaftigkeit der Welt nicht einholen können, obgleich ein Bedürfnis danach bei Schopenhauer in resignativer Weise angesprochen wird. Mit Frankls Kritik gesprochen, hat Schopenhauer eine subhumanistische Anthropologie geschaffen. Seine weiteren Kritikpunkte können ebenfalls schon anwird, zeigt der Ansatz von Malter, Arthur Schopenhauer, Transzendentalphilosophie und Metaphysik des Willens, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 16: »Das Resultat der aus der Leidenserfahrung entspringenden und um ihrer Aufhebung willen angestrengten transzendentalphilosophischen Reflexion auf das ›Wesen der Welt‹ ist Schopenhauers System.« Die Untersuchungen im Hauptteil der vorliegenden Arbeit präsentieren die systematischen Grundlagen, um auch das Verhältnis zwischen Schopenhauer und Frankl nicht nur prinzipiell, sondern auch detailliert klären zu können. Diese Aufgabe muß einer weiteren Studie überlassen werden. 43 GE (1860), SchSW III 606. 44 Vgl. ebd. 612. 45 Vgl. WWV (1859), SchSW I 392. 46 GE (1860), SchSW III 625. 47 Vgl. ebd. 677 f. 48 WWV (1859), SchSW I 206. 49 Ebd. 478. 25 Einleitung satzweise greifen, jedoch werden sie erst bei Nietzsche philosophisch voll verständlich. Nietzsches frühe Anknüpfung an Schopenhauer und sein Durchgang durch seine positivistische Phase führen zu Konsequenzen in seinem späten Denken, die jegliche Sinnhaftigkeit der Welt absurd erscheinen lassen. Im Gegensatz zu Schopenhauer gibt es bei Nietzsche keine Unmittelbarkeit der Erkenntnis, die durch den Willen an sich und die Erscheinung gewährleistet wäre, d. h., daß auch die Bildung von Allgemeinbegriffen durch den Intellekt kein Primärfaktum mehr ist. Vielmehr ist er eine erworbene soziologische Errungenschaft. 50 Er erfaßt auch nicht mehr das fundamentum in re, wie es der Positivismus noch behauptet, sondern »das Wort ›Erkenntniß‹ […] hat keinen Sinn hinter sich, sondern unzählige Sinne: ›Perspektivismus‹. Unsere Bedürfnisse sind es, die die Welt auslegen: unsre Triebe und deren Für und Wider.« 51 Es gibt also keine verbindliche Faktizität der Erscheinungen mehr, sondern nur noch Interpretation, d. h. ein »Vergewaltigen, Zurechtschieben, Abkürzen, Weglassen, Ausstopfen, Ausdichten, Umfälschen.« 52 Jegliches metaphysische Denken ist damit im Nerv getroffen. Es gibt innerhalb perspektivischen Denkens nur eine reaktive Steuerung unserer Handlungen innerhalb des Triebgleichgewichts 53, in dem kosmische apersonale Kräfte chaotischer Herkunft aufeinanderstoßen. Damit muß der eine Wille an sich bei Schopenhauer dem Prinzip der Vielheit weichen. Unter diesen Vorgaben wird Frankls Kritik, daß der Psychologismus aus der Inhalts- in die Aktsphäre flüchtet, in seiner philosophischen Fundierung verständlich, denn Inhalte könnten sich der perspektivistischen Willkür entgegensetzen; dasselbe gilt für den Vorwurf des soziologischen Relativismus, der in einer perspektivistischen Ausformung jegliche Stabilität eines objektiven Sinngehaltes in Frage stellt. Metaphysik und die Frage nach dem Sinn des Ganzen sind in dieser nihilistischen Denkweise nichts anderes mehr als Täuschungen bzw. Momente einer Metaentwicklung 54 . Das Bedürfnis nach der Stabilität der Wahrheit ist für Nietzsche Zeichen der Schwäche; 50 51 52 53 54 FW (1887), KGW V-2 274. NF Herbst 1885 bis Herbst 1887, KGW VIII-1 323. GM (1887), KGW VI-2 416. Vgl. M (1887), KGW V-1 96. Vgl. GM (1887), KGW VI-2 329 f. 26 § 1 Herkunft der Sinndefizienz darum nennt er seine nihilistische Philosophie auch »umgedrehter Platonismus« 55 . In der Folge kann auch der Garant der Wahrheit bzw. der absolute Sinngeber, Gott, nicht mehr angenommen werden. Der Tod Gottes 56 führt zur Erkenntnis der absoluten Sinnlosigkeit der Welt, des menschlichen Daseins und insbesondere der »Sinnlosigkeit des Leidens« 57 . An diesem Nullpunkt jeglicher Sinnhaftigkeit, in dem er Schopenhauer radikalisiert hat und schon längst an dessen Mitleids-Ethik vorbeigegangen ist, beginnt Nietzsche einen neuen Sinnbegriff zu entwickeln, der nicht den Wahrheitsverlust rückgängig macht, sondern nur durch einen noch extremeren Nihilismus zu denken ist, indem »die obersten Werthe sich entwerthen« 58 . Diese Gegenbewegung im dionysischen Ja-sagen bzw. durch den Willen zur Macht zu vollbringen, ist Aufgabe des Übermenschen, der nun selbst »Sinn der Erde« 59 ist. Der nihilistische Sinn besagt nun, daß der Wille zur Macht in der Zeit den Zugriff auf die Vergangenheit bewältigen will, indem der Übermensch aus einer überindividuellen Perspektive nicht nur die Vergangenheit feststellt, sondern von ihr sagt: »›Aber so will ich es! So werde ich es wollen!‹« 60 Darin präsentiert Nietzsche das Prinzip der »ewigen Wiederkehr des Gleichen« 61 , die das Gewolltsein der Vergangenheit erst ermöglicht und dadurch den Nihilismus radikalisiert; mit den Worten Nietzsches heißt das: »[D]as Nichts (das ›Sinnlose‹) ewig.« 62 Nietzsche vollzieht damit die totale Einwilligung in die Notwendigkeit, die von der Freiheit – im Gegensatz zu Schopenhauer – nicht mehr zu unterscheiden ist: »Amor fati sei meine letzte Liebe!« Die Endphase des Übermenschen ist dann nach Überwindung des »Du sollst« und des »Ich will« nur noch das »Ich bin« des Kindseins 63, d. h. einem pseudoparadisischen Zustand totaler moralischer 55 NF Herbst 1869 bis Herbst 1872, KGW III-3 207. Quero-Sánchez, Zarathustras Treue zur Erde, Mayer (Hg), Also wie sprach Zarathustra?, 92 deutet »Nietzsches Umkehrung des Idealismus« ganz im Sinne des Franklschen Kritik der Sinndefizienz als eine »Ent-Deontologisierung«. Er sieht darin eine bei Meister Eckart und Fichte sich ausprägende idealistische Denkbewegung, die in Nietzsche ihre Radikalisierung erfährt. 56 Vgl. FW (1887), KGW V-2 431. 57 GM (1887), KGW VI-2 429. 58 NF Herbst 1887 bis März 1888, KGW VIII-2 14. 59 AZ (1883–1885), KGW VI-1 9. 60 Ebd. 173. 61 Ebd. 193. 62 NF von Herbst 1885 bis Herbst 1887, KGW VIII-1 215. 63 Vgl. NF Frühjahr bis Herbst 1884, KGW VII-2 101. 27 Einleitung Indifferenz als Antwort auf die Sinnlosigkeit der Welt. Das, was Frankl als Entwertungstendenz des Psychologismus diagnostiziert, ist in der Nihilierung der Gottesfrage und der Neubestimmung des Menschen als Vollzug des radikalisierten Nihilismus vorexerziert und bildet das abgründige Extrem der totalen Sinndefizienz. Schopenhauer und Nietzsche haben ein Denken entwickelt, das nicht nur aus den Vorgaben ihrer Zeit erwachsen ist und sie denkerisch wiederspiegelt, sondern haben auch wesentliche Impulse der Selbstdeutung des Menschen gegeben, die bis heute andauern. Frankls Kritik bezieht sich nicht direkt auf diese Denker, sondern auf den Psychologismus, der ihm vor allem in S. Freud begegnet ist, und auf die Gesellschaftserscheinung des Sinnvakuums. Auch Freud hat einerseits auf seine Zeit reagiert und spiegelt sie darin wieder; andererseits aber hat er das Selbstverständnis des Menschen im 20. Jahrhundert wesentlich geprägt, wodurch er zu einem Multiplikator der skizzierten Ideen wurde; Philosophie ist – obgleich er zu ihr ambivalent steht 64 – durch ihn für die Moderne praxisrelevant geworden. Freud knüpft am psychologischen Materialismus an und erhebt in seiner psychoanalytischen Hermeneutik die materiellen Prinzipien zum Deutungsprinzip. Frankls Forderung nach einer ontologischen Eigengesetzlichkeit des Geistes bleibt ihm fremd. Das Verhältnis von Wille an sich und Erscheinung findet sich vergleichbar bei ihm im Verhältnis von Unbewußtem und Bewußtem wieder und veranlaßt ihn, den »psychischen Apparat« 65 daraus abzuleiten. Hierauf zielt Frankls Vorwurf des »Objektivieren[s] des Subjektiven«, das allerdings nur möglich ist, sofern der Trieb als solcher nicht objektiver Inhalt, sondern psychische Aktivität ist, und darum die »Subjektivierung des Objektiven«, die Frankl kritisiert, vorausgesetzt ist. Diese beiden korrelierenden Mangelerscheinungen sind nach Frankls § 1 Herkunft der Sinndefizienz Überzeugung der Ausdruck der Okkupation von ursprünglich Geistigem. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß Freud sein Denken in Anlehnung an Schopenhauers Identifikationsbegriff entwikkelt hat 66 , der ohne die nachgeordnete Stellung des Intellektes bzw. die korrigierende Bedeutung des Realitätsprinzips im vorgegebenen psychologischen Materialismus unverständlich bliebe. Gerade das Realitätsprinzip ist es, an dem der Unterschied zwischen Freud und dem perspektivistischen Denken Nietzsches festzumachen ist. Dennoch zeichnet sich in der psychoanalytischen Hermeneutik eine Tendenz ab, die über den positivistischen Anspruch Freuds hinausgeht, sofern ihr Wahrheitsgehalt nie eindeutig festgestellt werden kann; hier sind die Grenzen jener vom Realitätsprinzip erhofften Stabilität der Erkenntnis. Eine noch größere Nähe beider Denkweisen zeichnet sich hinsichtlich des Materieverständnisses und dem damit verbundenen Determinismus ab, den Nietzsche in der »ewige Wiederkehr des Gleichen« anspricht und das »amor fati« nicht fern sein läßt. 67 Nach dem Urteil Frankls hat Freud – obwohl er eine Therapieform geschaffen hat – durch Unterschlagung der geistigen Sinndimension dazu beigetragen, daß »[d]em gelehrten Nihilismus, wie er im Reduktionismus zum Ausdruck kommt, […] der gelebte Nihilismus [gegenübersteht], als der sich das existentielle Vakuum interpretieren ließe.« 68 Frankl tritt an dieser Schwelle als Mittler zwischen der praktisch gewordenen Sinndefizienz und der Wiedergewinnung der Sinndimension um des Humanum willen 69 auf – für Praxis und Theorie. Vgl. dazu T (1942), FGW II–III 155 f. Freud hinterläßt die dunkle Aussage, daß »ein gelegentlicher Versuch ihn zu lesen, […] an einem Übermaß von Interesse erstickt« (Nunberg/Federn, Protokolle, 338). Dort wird auch das Thema des Vortragsabends am 1. April 1908 genannt: »Nietzsche: ›Vom asketischen Ideal‹ (3. Abschnitt der Genealogie der Moral (1889))«; entnommen aus: Wucherer-Huldenfeld, Grundgedanken bei Freud und Nietzsche, 45–68. 68 Frankl, ÄS 27. 69 D. h., daß Frankl sich um die Überwindung einer metaphysischen Zerfallserscheinung bemüht, wie sie Spaemann, Glück und Wohlwollen, 66 für den Hedonismus definiert: »Das Maß, als ein inneres begriffen, setzt die Grenze und stiftet damit überhaupt erst so etwas wie Sinn. Das griechische Wort telos meint ja beides: Grenze und Ziel. Unter der Voraussetzung der antiteleologischen Option fallen beide auseinander, subjektives Ziel und objektive Grenze.« 66 67 Damit ist die große Spannung angesprochen, die Freud durch die Psychologisierung der Philosophie aufbaut, sofern er in ihr nur eine unwissenschaftliche Weltansschauung sieht, deren »Besitz« zu den »Idealwünschen der Menschen« gehört (NEPa (1932), FGW XV 170). Sie ist nichts anders als ein »intellektueller Narzißmus« (ENarz (1914), FGW X 164). Gleichzeitig sagt er aber auch: »Ich habe als junger Mann keine andere Sehnsucht gekannt als die nach philosophischer Erkenntnis, und ich bin jetzt im Begriff, sie zu erfüllen, indem ich von der Medizin zur Psychologie hinüberlenke« (Freud, Briefe, 165). 65 Vgl. dazu T (1942), FGW II–III 541 ff.; vgl. dazu auch Laplanche/Pontalis, Das Vokabular, 73 f. 64 28 29 Einleitung § 2 These und Methode 1. Ausgangspunkt: Frankls Selbstverständnis innerhalb der Philosophie seiner Zeit Die biographischen Rahmendaten, die wir am Anfang der Einleitung präsentiert haben, sprechen schon davon, daß Frankl den Zweck seines psychologisches Denkens nicht nur in der Ausarbeitung einer therapeutischen Praxis sieht, sondern auch darin, daß der Therapeut eine philosophisch fundierte Anthropologie erhält, durch die er sein Handeln einordnen und beurteilen kann. Frankl selber ist es, der die Beziehung zwischen Philosophie und Psychologie herstellt. Einer solchen Anthropologie sind allerdings durch ihren Zweck Grenzen gesetzt, sofern sie der Psychotherapie dienen soll, d. h., daß sie nicht von Inhalten einer Offenbarungsreligion ausgeht. Frankl, der ein gläubiger Jude war, hat in diesem Punkt eine Entwicklung durchgemacht. In seinen frühen Darlegungen der Logotherapie, d. h. vor allem vor dem Krieg, hat er z. B. offen von Gott gesprochen. Nach dem Krieg, als er die Logotherapie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat, hat er sich diesbezüglich eine größere Zurückhaltung auferlegt, indem er vom Übersinn spricht. Von Anfang an aber ist er mit dieser Thematik behutsam umgegangen. Er begründet diese Haltung damit, daß »Ärztliche Seelsorge […] kein Ersatz für Religion sein [soll].« 70 Mit anderen Worten heißt das: »Für die Logotherapie ist Religion und kann sie nur sein ein Gegenstand – nicht aber ein Standort« 71 , denn »[d]as Ziel der Psychotherapie ist seelische Heilung – das Ziel der Religion jedoch ist das Seelenheil.« 72 In dieser Selbstbeschränkung ist Frankl, wenn er die Sinnfrage in den Mittelpunkt seines Denkens stellt, ein metaphysisches und ethisches Denken abverlangt, dem er sich auch positiv stellt, ohne dabei die jüdische Prägung seines Denkens zu verleugnen, wie die Untersuchung von Risto Nurmela über das jüdische Element in Frankls Denken beweist. 73 Darüber hinaus sind durchaus auch christliche Elemente enthalten, die zwangsläufig durch seine philosophischen Bezüge innerhalb der abendländischen Tradition 70 71 72 73 Frankl, ÄS 217. Ebd. 219. Ebd. Risto Nurmela, Die innere Freiheit, Frankfurt a. M. 2001. 30 § 2 These und Methode zum Vorschein kommen. Sowohl die jüdischen als auch die christlichen Züge seines Denken überschreiten aber nicht die Grenzen einer natürlichen Theologie; das jeweilige Bekenntnis wird – gemäß dem methodischen Gesetz der Psychotherapie – nicht zum Oktroi, sondern es bleibt lediglich eine Tönung des jeweiligen metaphysischen Gedankens. Fragen wir einleitend, nachdem schon aus dem vorangegangen Paragraphen klar ist, auf welche Misere er mit der Logotherapie reagiert, nach dem philosophischen Selbstverständnis Frankls, so erhalten wir von Frankl zwei verschiedene Antworten, die das Vorgehen in der vorliegenden Untersuchung wesentlich bestimmen: a) In seinem Gespräch mit Pinchas Lapide greift Frankl den Begriff Rudolf Euckens von der »axiomatischen Tat« auf. Er versteht sie als »das Axiom, die Urbehauptung sozusagen, die Grundthese, die wir scheinbar kognitiv, scheinbar theoretisierend, nicht pragmatisierend setzen können, […].« 74 Daraufhin bestimmt er für sich den Rang der Metaphysik in seinem Denken: »Ich glaube in diesem Zusammenhang, dass es ein lapsus linguae war, wenn Aristoteles oder die Aristoteliker das Buch, das nach der Physik zu stehen kam, ›Metaphysik‹ genannt haben. Die Metaphysik ist nicht nach der Physik, sondern vor der Physik, vorgängig. Ohne diese Axiome käme die Physik gar nicht aus.« In dieser Passage formuliert er seinen Anspruch an sein eigenes Denken. Im gleichen Sinne und verbunden mit einer Angabe der damit verbundenen anthropologischen Thematik äußert er sich am Ende der Einleitung seines grundlegenden Werkes Der unbedingte Mensch: »Welche sind […] die hauptsächlichen metaphysischen Probleme der Medizin, die metaklinischen Fragen kat’ exochen? Sie sind keine andern als die ewigen Fragen einer Philosophia perennis. Als solche aber stellen sich uns vornehmlich: das Leib-Seele-Problem und das Problem der Willensfreiheit.« 75 Mit diesen Aussagen gibt Frankl für die vorliegende Untersuchung den Ansatz der philosophischen Forschung innerhalb seines Denkens. Josef Seifert bestätigt diese prinzipielle Entscheidung, wenn er für die Frankl-Forschung in seinem Aufsatz Viktor E. Frankls philosophischer Sinnbegriff folgende Richtung vorgibt: »Die Logotherapie wirft […] letzte metaphysische Fragen auf, die von allen rein menschlichen Wissenschaften nur die Metaphysik zu beantworten 74 75 Frankl/Lapide, Gottsuche und Sinnfrage, 120. Frankl, Der unbedingte Mensch, LM 72. 31 Einleitung versuchen kann und die besonders deutlich zeigen, wie eng Philosophie und Psychologie verknüpft sind und in welcher Richtung Frankls Logotherapie weitergedacht werden sollte.« 76 Die psychologische bzw. existenzanalytische Anthropologie Frankls wagt sich also – entgegen dem psychologischen mainstream – auf das Feld der Metaphysik so weit vor, daß eine Vertiefung dieser Stoßrichtung um der Existenzanalyse bzw. um der Psychologie willen sogar propagiert wird. Die vorliegende Untersuchung sieht sich ihr verpflichtet. b) Frankl räumt ein, zur Gewinnung seiner Erkenntnisse eine eklektische Methode einzusetzen. In erster Linie bezieht er sich dabei auf die Resultate anderer psychotherapeutischer Schulen. Seinen eigenen Umgang mit dem Eklektizismus skizziert er wie folgt: »[E]s gibt einen Eklektizismus ebensowohl aus Mut zu ihm wie einen aus Schwäche. Kein Gesichtspunkt darf verabsolutiert werden. Und mag der einzelne auch das Recht, ja die Pflicht haben, seinen Standpunkt nicht nur zu vertreten, sondern auch, selbst auf die Gefahr einer gewissen Einseitigkeit hin, zu verbreiten: in der Praxis wird er der Wirklichkeit und deren Ansprüchen nur dann wirklich gerecht werden können, wenn er auf die Stimmen aller Forscher hört – und sieht, wie sie allesamt in ihrer Vielfalt einander so recht ergänzen.« 77 Für die philosophische Fragestellung mag diese Art des Eklektizismus irrelevant sein, aber dennoch sagt sie etwas über Frankls prinzipielles Vorgehen aus. Er selber legt zwischen der Eklektik hinsichtlich des psychotherapeutischen Handelns und einer Eklektik, die auch die Anthropologie betrifft, eine Verbindung. Selbstbewußt schreibt er: »Freilich ist der Eklektizismus, den wir Logotherapeuten vertreten, ein gesunder Eklektizismus, und das will heißen, daß er nicht summativ vorSeifert, Viktor E. Frankls philosophischer Sinnbegriff, 84; vgl. dazu auch Nurmela, Die innere Freiheit, 49 in Bezug auf den Sinnbegriff: »Die Frage nach der tatsächlichen Existenz des Sinns aber ist und bleibt eine philosophische und religiöse Frage – die Grenze zwischen prinzipiell immanenten und transzendenten Kategorien wird überschritten.« Seiferts Impuls für die Frankl-Forschung wird hinsichtlich der Stellung der Metaphysik in Frankls Denken aufgenommen. Eine prinzipielle Klärung des Verhältnisses zwischen Philosophie und Psychologie bei Frankl muß einer weiteren Untersuchung vorbehalten bleiben. 77 Frankl, PP 10; vgl. dazu auch Frankl, Logos und Existenz, WzS 125: »So gilt denn für die Forschung das Gebot der Kooperation; für die Lehre aber und gar erst für die Praxis gilt mehr, gilt das Gebot bewußt eklektischen Vorgehens. Freilich dürfte man nicht so weit gehen, daß man nun den Eklektizismus als eine eigene Schule, als eine neue Richtung hinstellt und ausgibt – auch dann nicht, wenn man sie ›universalistisch‹ nennt.« 76 32 § 2 These und Methode geht und die Elemente, wie sie von einzelnen psychotherapeutischen Richtungen beigesteuert werden, nur addiert, vielmehr versucht, die einzelnen Gesichtspunkte den verschiedenen Dimensionen des Menschseins zuzuordnen und auf die Totalität der menschlichen Realität hin zu integrieren. Eklektizismus soll also nicht summativ oder additiv sein, sondern integrativ, also dimensional.« 78 Ausgangspunkt bleiben die psychotherapeutischen Richtungen; Zielpunkt seines Argumentes aber ist der Anspruch der Integration, die er »dimensional« nennt. Dimensionalität des Menschen ist aber einer der zentralen Strukturbegriffe in Frankls Anthropologie und Ontologie, wie in § 5 dargelegt wird. D. h. aber auch, daß der psychotherapeutische Eklektizismus im Dienst der Anthropologie steht. Die Anthropologie, die Frankl meint, definiert sich also nicht aus den Einzelmeinungen, aber hat den Anspruch den integrierten Meinungen gerecht zu werden. Sofern Frankl den Weg von der Praxis zur Theorie geht, muß festgestellt werden, daß es eine solche Theorie um dieser Integration willen noch nicht gibt. Vielmehr bedarf sie, um diese integrative Leistung vollbringen zu können, zweierlei: Erstens ein eigenständiges Konzept, in das hinein Frankl integriert, und zweitens angemessene Philosopheme, die diesen modernen, praktischen Theoriebildungen Sprache sein können. In dieser impliziten Anforderung an das anthropologische Konzept Frankls wird eine Vorgehensweise nachvollziehbar, die Frankl innerhalb der Philosophie anwendet: Er vollzieht ebenfalls eine Integrationsleistung verschiedener philosophischer Systeme in seiner Zeit, die ihm mehr oder weniger zu seiner philosophischen Sprache um der Logotherapie willen werden. Daß Frankl auf seine philosophische Verankerung großen Wert gelegt hat, zeigt sein Verhältnis zu einigen bedeutenden Philosophen, die er als Garanten für sein Denken namhaft macht. Es sind vor allem Max Scheler, Karl Jaspers und Martin Heidegger zu nennen; daneben stehen Martin Buber, Nicolai Hartmann u. a. Ausschlaggebend für das Selbstverständnis Frankls ist, daß Frankl die Methode des Eklektizismus nicht nur innerhalb der Psychotherapie im engeren Sinne anwendet, sondern offensichtlich – mit dem Zweck einer möglichst weitreichenden Integration – auch innerhalb der Philosophie. Frankl vollzieht dabei eine 78 Frankl, Das Menschbild, MSS 27. 33 Einleitung integrative Leistung sowohl innerhalb der Psychotherapie als auch innerhalb der Philosophie. Philosophischer Eklektizismus und Metaphysik – das sind die beiden wesentlichen Merkmale des philosophischen Denkens bei Frankl, denen es gilt, gerecht zu werden. Keiner der Aspekte darf vernachlässigt werden, weil sie zum Selbstverständnis Frankls gehören. Beide Aspekte sind auch immer verbunden, sobald sich Frankl auf einen seiner Gewährsmänner in irgendeiner Weise stützt. Von seiten der von ihm angefragten Philosophen muß festgestellt werden, daß sie eine sehr unterschiedliche Haltung der Metaphysik einnehmen. Daraus ist zu schließen, daß Frankl sie jeweils in sehr unterschiedlicher Weise rezipiert haben muß, um sie für sein anthropologisches Gesamtbild gebrauchen zu können. Entscheidend aber ist, daß Frankl selber diese Wahl für seine philosophische Explikation getroffen hat und dafür auch die entsprechende Anerkennung gesucht hat, indem er von den genannten Philosophen Jaspers und Heidegger persönlich aufgesucht hat. Beginnen wir für die knappe Zeichnung eines biographischen Bildes seiner Suche nach philosophischen Vorbildern mit Max Scheler. Von dessen Bedeutung für sein Leben schreibt Frankl, als er sich von Alfred Adler distanzierte und schließlich 1927 aus dem Verein für Individualpsychologie austrat: »Um diese Zeit durchschaute ich endgültig meinen eigenen Psychologismus. Vollends wurde ich durch Max Scheler aufgerüttelt, dessen ›Formalismus in der Ethik‹ ich wie eine Bibel mit mir herumtrug.« 79 Mehr als diese Notiz hat Frankl nicht dazu hinterlassen, aber es läßt sich daraus Wesentliches entnehmen. Erstens führt Frankl Scheler in einer Zeit an, in der er es gewagt hat, sich nicht mehr einer Schule anzuschließen, sondern für die Psychologie ein eigenständiges Konzept zu entwickeln. Scheler ist ihm dafür eine wesentliche Hilfe gewesen. Zweitens macht er eine wesentliche Angabe zu seiner Lektüre. Frankl hat sich mit dem Scheler in seiner mittleren Schaffensphase beschäftigt, obwohl 1927 und insbesondere in den Jahren danach seine späten Schriften schon zugänglich waren. D. h., daß sich Frankl mit jener Philosophie Schelers beschäftigt hat, in der sich Scheler am stärksten an der katholischen Denkweise ori- 79 WnB 42; Frankl, Eine autobiographische Skizze, SP 152. 34 § 2 These und Methode entiert hat. 80 Dieser Punkt wird noch unterstützt durch die Angabe in der von Frankl akzeptierten Biographie von H. Klingberg, der auch Schelers Werk Vom Ewigen im Menschen nennt. 81 Die Bekanntschaften Frankls mit Heidegger und Jaspers haben ein sehr unterschiedliches Gesicht. Über die Begegnung mit Heidegger, die bald nach dem Krieg stattfand, schreibt Frankl: »Was aber meine eigenen Erlebnisse anlangt, gehört zu den kostbarsten die Diskussion, die sich zwischen Martin Heidegger und mir entspann, als er das erste Mal nach Wien kam und mich besuchte. Ins Gästebuch schrieb er sich ein mit den Worten: ›Zur Erinnerung an einen schönen und lehrreichen Besuchsvormittag.‹ Die Widmung, die er dann unter ein Foto setzte, auf dem unser Besuch eines Wiener ›Heurigen‹ festgehalten wurde, und mit der er eine Verwandtschaft zwischen unseren Ansichten hervorheben wollte, verdient es ebenfalls, festgehalten zu werden: Das Vergangene geht. Das Gewesene kommt.« 82 Der Grund, warum Heidegger Frankl in Wien besucht hat, ist bisher noch in keiner Literatur erhellt worden. Für die vorliegende Untersuchung ist entscheidend, daß Frankl sich offenbar stark mit dem Denken Heideggers, insbesondere nach der persönlichen Begegnung mit ihm, identifiziert hat. Obwohl Heidegger sich vielfach gegen eine einzelwissenschaftliche Verwertung seiner Philosophie verwehrte, scheint Heidegger sich auf die psychologische Fragestellung nach dem Krieg eingelassen zu haben, wie seine Begegnungen mit Medard Boss in den Zollikoner Seminaren beweist. In Frankl hat er einen Psychologen gefunden, der sein Denken aufgreift und sich dem modernen Begriff des Sinnes in der Psychologie grundlegend stellt. Heideggers Gästebucheintrag läßt auf die Thematik schließen, die sie besonders verbindet, nämlich das Verständnis der Zeit und die damit verbundenen ontologischen Bestimmungen. Der Kontakt zwischen Frankl und Heidegger wurde von beiden Seiten aufrecht erhalten. Im Schatten der Begegnung mit Heidegger steht die nicht unwesentliche Bekanntschaft mit Ludwig Binswanger 83, dem Begründer der Daseinsanalyse. Ihm verdankt Frankl wesentliche theoretische Einsichten, durch die er in seinem Bestreben, die Existenzphilosophie für die Psychologie fruchtbar machen zu wollen, gestützt wur80 Längle, Viktor Frankl, 64 legt die Verbindung zu Rudolf Allers, von dem er sagt, »daß er Frankl in die Philosophie von Scheler einführte.« 81 Klingberg, Das Leben, 77. 82 WnB 91; Frankl, Eine autobiographische Skizze, SP 145. 83 Vgl. dazu das Foto mit Binswanger und Frankl in WnB 93. 35 Einleitung de. 84 Wahrscheinlich wurde Frankl durch Binswangers HeideggerRezeption der Zugang zu Heidegger erleichtert. Sehr viel durchsichtiger und plausibler wirkt Frankls Begegnung mit Karl Jaspers. Frankl muß sich schon in seinem Medizinstudium mit der Allgemeinen Psychopathologie (1913) von Karl Jaspers beschäftigt haben, da es ein Standardwerk war und nach wie vor ist. So konnte er auch einen kollegialen Zug in die Begegnung einbringen. Im Vordergrund aber stand eindeutig seine große Achtung vor dem Philosophen Jaspers, dessen Denken nicht nur aus dem reichen Schatz eines erfahrenen Psychiaters schöpft, sondern auch umgekehrt seine Philosophie Strukturen enthält, die Frankl für sein praxisorientiertes Denken aufgreifen konnte. Wie einem Brief Frankls an Jaspers vom Februar 1953 85 , in dem er »[i]m Namen der ›Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie‹« um die »Ehrenmitgliedschaft« Jaspers’ anfragte, zu entnehmen ist, schickte er ihm »wiederholt« einige seiner eigenen Bücher. Darauf erhielt er keine Resonanz. Erst die ehrerbietige und den Philosophen außerordentlich anerkennende Anfrage veranlaßte Jaspers zu einer baldigen Reaktion. Sein größtes Lob erteilt er Frankl für seinen Erfahrungesbericht aus dem Konzentrationslager 86. Es bleibt aber eine vorsichtige Reserviertheit dem Denken Frankls gegenüber, wenn er schreibt: »Es ist ja selbstverständlich, daß in meiner Annahme der Ehrenmitgliedschaft nicht eine grundsätzliche Zustimmung zu Ihren Wegen in der Psychotherapie eingeschlossen ist.« 87 Jaspers konkretisiert seinen Ansatz zur Kritik. M. Bormuth modeFintz-Müller, Frankl mit Jaspers verstehen, 213 zitiert den bisher noch unveröffentlichen Antwortbrief Binswangers, in dem Binswanger nach der Lektüre der Ärztlichen Seelsorge feststellt, »daß ich mich mit ihnen nicht nur in einigen Punkten, sondern wohl auf der ganzen Linie in Übereinstimmung befinde.« Polak, Existenz und Liebe, JPPth 1 (1952/53) 356 f. hebt die wesentliche Differenz hervor: »Während so die ›Daseinsanalyse‹, auf dem Boden des Phänomenologisch-Ontologischen stehend, wieder zum Wissenschaftlichen zurückschreitet, dringt die ›Existenzanalyse‹ zum Ethischen vor, indem sie aufzeigt, wie ein Mensch ›er selbst‹ wird, wie er seine Einmaligkeit und Einzigartigkeit verwirklicht.« 85 Vgl. Brief Viktor E. Frankls an Karl Jaspers, 5. 2. 1953, in: Nachlaß Jaspers, Deutsches Literaturarchiv Marbach, entnommen aus: Bormuth, »Ärztliche Seelsorge« in der entzauberten Welt, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 213. 86 Vgl. WnB 92. 87 Vgl. Brief Karl Jaspers’ an Viktor E. Frankl, 13. 2. 1953, NL Jaspers, DLA Marbach, entnommen aus: Bormuth, »Ärztliche Seelsorge« in der entzauberten Welt, Batthyány/ Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 215. 84 36 § 2 These und Methode riert durch diese zentrale Passage des noch nicht veröffentlichten Textes desselben Antwortbriefes wie folgt: »Mit dem allgemeinen Satz, daß die Psychotherapie ein Problem von ›fast unlösbare[r] Schwere‹ sei, da der Therapeut ›unwillkürlich an die Stelle des Seelsorgers, Pfarrers oder gar Propheten tritt und in unserm Zeitalter Funktionen übernimmt, die durch psychologische Kenntnis als solche niemals erfüllt werden‹ könnten, leitet Jaspers seine Kritik an Frankl ein. Das Bewußtsein dieser Gefahr findet der Philosoph in der ›Lektüre Ihrer Arbeiten‹ nicht wieder; deutlicher heißt es weiter: ›Wenn ich es – mit allem Vorbehalt – scharf formulieren darf, würde ich sagen: Sie scheinen mir gegenüber der verwahrlosten Analyse manchmal auf einem ungemein richtigen Wege, und dann im nächsten Augenblick schien es mir, als ob Sie von der psychotherapeutischen Situation und der in ihr liegenden modernen Zauberei wieder überwältigt seien.‹ Frankls Ansatz lasse die ›ungemeine Zurückhaltung‹ vermissen, mit der man den Sinnfragen begegnen müsse; allein gemildert durch die rhetorische Aussage, er könne sich irren, resümiert Jaspers: ›Die sokratische Grundhaltung schien mir nicht verläßlich da.‹« 88 Diese Kritik läßt aufhorchen, wenn man bedenkt, wie sehr Frankl Jaspers als existenzphilosophischen Gewährsmann seines Denkens in seinen Texten anführt 89 . Jaspers weist deutlich auf eine Grenze der Akzeptanz hin, die einen systematischen Grund haben muß, der dem Selbstverständnis Frankls, sofern es sich in Jaspers gestützt sehen will, im Widerspruch steht. Hier zeigt sich erstmals offen eine Problematik in Frankls eklektischem Vorgehen auf philosophischem Gebiet. Jaspers argumentiert zwar in das Feld der Psychotherapie hinein, aber sein Vorbehalt gegenüber den nur partiell »richtige[n] Wege« wird nicht eindeutig begründet. Jaspers schweigt das wesentliche Argument aus. Hier wird erstmals ein Zugang zum Thema und zur These der vorliegenden Arbeit gewiesen, sofern eine ungeklärte und von Frankl selbst auch nicht klar benannte Differenz vorliegt, die einerseits begrifflich erfaßt werden muß und gleichzeitig die Frage nach dem Umgang mit den eklektisch rezipierten Philosophen aufwirft. Daß Frankls Durchdringung des Problems an dieser Stelle stagniert, zeigt nicht nur die Literaturlage, denn er hat sich dazu nicht geäußert, sondern auch die Tatsache, daß er im Frühjahr 1961 90 die unmittelbare persönliche Begegnung mit Jaspers gesucht hat. Bor88 Bormuth, »Ärztliche Seelsorge« in der entzauberten Welt, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 216. 89 Dazu ausführlich die Darlegungen in den § 10, § 22 und § 33. 90 Vgl. Brief Viktor Frankl an Karl Jaspers, 4. 3. 1961, Nachlaß Jaspers, Deutsches Liter- 37 Einleitung muth resümiert ein zweites Schreiben Frankls nach dem Besuch, daß es ernüchtert wirke und es »im unmittelbaren Gespräch« zu »keinem Funkenschlag gekommen« sei. 91 Dieser eindeutige Befund fordert noch mehr dazu auf, der gestellten Frage nachzugehen. Blicken wir noch einmal zurück zu Scheler und Heidegger, so liegt eine derartige Stellungnahme nicht vor. Von Frankl selbst gibt es vereinzelte Aussagen der Distanzierung von nihilistischen Zügen Heideggers, und zu Scheler liegt eine einzige abgrenzende Aussagen vor, die allerdings von Gewicht ist, wenn er gegen Scheler und noch mehr gegen Nicolai Hartmann die Einheit aller Seinsschichten des Menschen verteidigt. 92 Auf beide Aussagen wird im Hauptteil einzugehen sein. Dieser erste Blick auf die Abgrenzungsaussagen, die sich aus Frankls Eklektizismus ergeben, ermöglicht aber noch nicht deren adäquate Bewertung. Vielmehr verstärkt er die Frage, in welchem Verhältnis Frankl und seine Hauptgewährsmänner zueinander stehen. Die Eindeutigkeit der bisherigen Aussagen verliert sich, wenn wir andere Anleihen Frankls ins Auge fassen. Die Franklsche Rezeption von Martin Buber ist nur punktuell nachzuzeichnen; hier wurde von Risto Nurmela Grundlegendes geleistet, sofern er die jüdischen Wurzeln Frankls freigelegt hat. 93 Den schon kritisch erwähnten Nicolai Hartmann benutzt Frankl sozusagen, um seinen eigenen Freiheitsbegriff daran zu profilieren, indem er Hartmanns ontologische Bestimmung »Autonomie trotz Dependenz« 94 aus dem materialistischen System 95 herausnimmt. An ihm wird deutlich, daß Frankls turarchiv Marbach, entnommen aus: Bormuth, »Ärztliche Seelsorge« in der entzauberten Welt, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 216. 91 Ebd. 92 Vgl. Frankl, Grundriß, LtEa 65. 93 Vgl. Nurmela, Die innere Freiheit; eine genaue Untersuchung des philosophischen Verhältnisses zwischen Frankl und Buber steht allerdings noch aus. 94 Frankl, Der unbedingte Mensch, LM 94. 95 Die Unvereinbarkeit von Frankl und N. Hartmann wird besonders greifbar in Hartmanns Aufsatz Sinngebung und Sinnerfüllung, 245–278. Dort kritisiert er heftig die »alte Sinnmetaphysik« und behauptet – im Gegensatz zu Frankl, der – wie in II.A. gezeigt wird – primär von der Sinnfindung ausgeht: »Es läßt sich aber zeigen, daß es eines Primats der sinngebenden Instanz gar nicht bedarf, daß Sinnprinzipien weder die ›stärkeren‹ zu sein noch in den Ursprüngen der Welt zu liegen brauchen. Nicht wenigstens im Hinblick auf Sinnerfüllung des Menschenlebens, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es zum Wesen dieser Sinnerfüllung gehört, daß sie ›Sinngebung durch den Menschen ist« (ebd. 269). Es wird Frankl auch Schelers Kommentar zum Denken Nicolai Hartmanns im Vorwort zu dem von ihm so geschätzen Formalismus nicht entgangen 38 § 2 These und Methode Eklektizismus sich sogar auf eine einzelne nominelle Übernahme beschränken kann. Weitere zeitgenössische Philosophennamen haben so gut wie nur noch biographische Bedeutung. Zu nennen sind Gabriel Marcel, von dem er lediglich in seiner Autobiographie berichtet, daß er zu seinem »KZ-Buch bzw. dessen französischer Ausgabe ein Vorwort geschrieben [hat]« 96 und Leo Gabriel, der das Werk seines Promovenden wohl sehr geschätzt hat, aber Einflüsse von ihm auf Frankl bisher nicht nachgewiesen sind. Weil diese Staffelung in Frankls eklektischem Vorgehen gegeben ist, beschränken wir uns für die Untersuchung der Weise der Abgrenzung zwischen Frankl und seinen Gewährsmännern auf Scheler, Jaspers und Heidegger. Auf dieser Grundlage kann auch eine weitere Frage geklärt werden, die sich auf jene Philosophen bezieht, die zwar für das moderne Denken richtungsweisend gewesen ist, und auf die sich Frankl auch punktuell bezieht, die aber nicht erste Gesprächspartner Frankls bei der Entwicklung seines Denkens sind: Er bezieht sich punktuell auf Kierkegaard, Brentano und Husserl. Um eine unnötige Ausweitung der prinzipiellen Fragestellung unserer Untersuchung zu verhindern, ist es angemessen, die existenzphilosophische Fragestellung Kierkegaards in Jaspers angemessen vertreten zu sehen, ohne damit einen Aspekt Frankls zu vernachlässigen. Die Herkunft der phänomenologischen Erkenntnishaltung, wie sie bei Brentano und Husserl entwickelt wurde, wird nur so weit in die Auseinandersetzung aufgenommen, als sie für eine Beurteilung des Verhältnisses zwischen Frankl und Scheler bzw. Heidegger hilfreich ist. Vom Existentialismus Satres und Camus’ distanziert sich Frankl 97 . sein, wenn er in SchelerGW II (F) 22 schreibt, daß er die »absolute ›Antinomik‹ von Ethik und Metaphysik des Absoluten, resp. Religionsphilosophie […] nicht billig[t]«, ja sogar ihm vorwirft, daß »das lebendige Band zwischen Ethik und Metaphysik […] selbst I. Kant […] nicht in solch systematischer Weise zerrissen [hat] wie N. Hartmann« und ihm vorhält, daß »er dem ›postulatorischen Atheismus‹ Friedrich Nietzsches am nächsten kommt […].« Vgl. dazu auch die kritische und kompetente Analyse von Baumgartner, Die Unbedingtheit des Sittlichen, München 1962. Caponnetto, El pensiamento kritisiert im Kapitel »II. Los Dos grandes problemas de la metaclinica. El ›hombre incondicionado‹, 1. El problema cuerpo-alma, a) Critica a los monismos«: »El mundo y la realidad son unitarios, sólo que – siguiendo las ideas de Hartmann – su unidad no reside en un principio sino en un orden. Es decir que el mundo posee la unidad de un orden, no la de un principio.« 96 WnB 92. 97 Frankl, Determinismus und Humanismus, WzS 166 differenziert Frankl wie folgt: »Der Reduktionismus ist der Nihilismus von heute. Ich sage dies im Gegensatz zu der 39 Einleitung Befragen wir nach dieser Sichtung der philosophischen Kontaktnahmen Frankls die Lage der Sekundärliteratur nach ihrer Bewertung des benannten Abgrenzungsproblems, so lassen sich auch hier bemerkenswerte Aussagen herausarbeiten. Der Schwerpunkt der bisherigen philosophischen Frankl-Forschung liegt erwartungsgemäß auf Scheler. An erster Stelle ist die Untersuchung von B. Wicki, Die Existenzanalyse von Viktor E. Frankl, zu nennen. Sein Verdienst ist es, überhaupt einmal detailliert aufgezeigt zu haben, worin die vielfältigen Berührungspunkte zwischen Frankl und Scheler liegen. In seiner Untersuchung werden kaum Unterschiede namhaft, aber im Schlußkapitel seiner Scheler-Analyse weist er doch auf einige Differenzen hin: »Man täte [Frankl] […] sicher unrecht, sähe man in seinen Schriften nur eine Neuformulierung von Schelers Ideen.« 98 Er weist auf die Leistung Frankls hin, die er in »vielen Akzentverschiebungen, Vereinfachungen, Weiterentwicklungen, Strukturierungen nach eigenen Gesichtspunkten, Neuverbindungen von Gedanken, die bei Scheler vorhanden sind und Neuverbindungen von Schelers Ideen mit Einsichten anderer Denker […]« 99 sieht. Ferner stellt er fest, daß »Frankls System weniger religiös durchdrungen [ist]« und weit verbreiteten Meinung, es sei der Existentialismus, der diesen Platz einnehme. Mag der Titel des Hauptwerks von Jean-Paul Sartre auch lauten ›Das Sein und das Nichts‹, so ist doch das Wahre am Existentialismus nicht die Nichtigkeit (nothingness), sondern die Nicht-Dinghaftigkeit (no-thingness) des Menschen.« Vgl. dazu auch den Kommentar von Längle, Viktor Frankl, 115: »[Frankl] war Sartre nicht sehr zugetan, aber empfand doch Respekt vor seiner Abhandlung über die Verantwortlichkeit, die ein Logotherapeut geschrieben haben könnte, wie er meinte.« Darin liegt der Grund, warum Hoffmann, Passion inutile sich dieser Frage gewidmet hat. Längle, Viktor Frankl, 115 erinnert sich, daß Frankl von Camus »kaum etwas gelesen [hatte].« In Frankl/Pieper/Schoeck, Altes Ethos, 98 antwortet Frankl auf die Frage von Prof. Dr. A. Zimmermann, ob die Haltung von Studenten, »den Sinn ihres Lebens gerade darin zu sehen, dessen Sinnlosigkeit zu ertragen: »Den Fachphilosophen ist bekannt, daß der heroische Nihilismus, von Sartre angefangen, behauptet, unsere Aufgabe sei, die Absurdität des Daseins, die Sinnlosigkeit des Lebens auf uns zu nehmen. Ich erinnere an Camus. Ich persönlich glaube, daß das Einzige, was wir auf uns zu nehmen haben, die intellektuelle und rationale Unfaßbarkeit des letzten Sinnes, dessen, was ich Über-Sinn nenne.« »Mit aller Entschiedenheit« weisen Korger/Polak, Der geistesgeschichtliche Ort, HbNl III 653 »eine nähere Beziehung zu dem Existentialismus eines J. P. Sartre zurück.« Systematisch treffen sie sicherlich damit die Haltung Frankls, aber das heißt nicht, daß es in der Beschreibung von Verhaltensweisen gegenüber dem unabwendbaren Schicksal auch Überschneidungen gibt. Eine solche psychologische Verwertung Sartres liegt aber außerhalb des für uns abgesteckten Untersuchungsfeldes. 98 Wicki, Die Existenzanalyse, 76. 99 Ebd. 40 § 2 These und Methode »stärker existentialistisch geprägt [ist].« 100 Trotz aller Ähnlichkeiten zu Scheler veranlaßt Frankl zu diesen Abgrenzungen aus systematischen Gründen. M. Gritscheneder ergänzt Wickis Beobachtungen in seiner Arbeit Von Max Schelers Philosophie zu Viktor E. Frankls Logotherapie 101 durch einzelne zusätzliche Beobachtungen. Vor allem behauptet er, daß »Frankl sich zwar auf die Anthropologie, nicht aber auf die Metaphysik des späten Schelers stützt.« 102 Gerade in dieser Aussage zeigt sich eine wesentliche Abgrenzung, die auf eine invariable metaphysische Denkhaltung Frankls hinweist. Inwieweit die anthropologische Aussage wirklich dem späten Scheler zu entnehmen ist und nicht schon in der mittleren Phase vorliegt, bedürfte einer genaueren Prüfung. Ebenso diagnostiziert er für Frankl »eine verkürzte Phänomenologie«. Ob damit ein Aspekt der »Vereinfachung«, wie ihn Wicki schon nannte, vorliegt, ist zu prüfen. Jedenfalls scheint hier ebenso ein Unterschied vorzuliegen. Einen profunden Beitrag zur Scheler-Frankl-Forschung präsentiert W. Henckmann in seinem Aufsatz »Geistige Person« bei Viktor E. Frankl und Max Scheler. Es ist sein erstes Anliegen, darin den Unterschied zwischen beiden Gelehrten freizulegen. Zu Recht markiert er unterschiedliche Ausgangspunkte: Frankl geht von »klinischen Befunden« 103 aus, während Scheler »von der philosophischen Tradition der Geistphilosophie« 104 herkommt. Dadurch wird der unterschiedliche Phänomenologie-Begriff deutlicher sichtbar 105, und er geht auch auf den ontologisch entscheidenden Unterschied zwischen Frankls Dimensionalontologie 106 und Schelers Dualismus ein. 107 An seiner Analyse wird erstmals prägnant erkennbar, daß ein genauer Vergleich zwei verschiedene Ansätze zutage fördert, so daß die in Ebd. 76 f. Gritscheneder, Von Max Schelers Philosophie, vgl. auch ders., Der Einfluss, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 109–125. 102 Gritscheneder, Von Max Schelers Philosophie, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie,119. 103 Henckmann, »Geistige Person«, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 151. 104 Ebd. 151. 105 Ebd. 152. 106 Vgl. dazu § 5. 107 Henckmann, »Geistige Person«, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 154. 100 101 41 Einleitung Frankls Eklektizismus implizierten Abgrenzungen nicht mehr nur vage Bestimmungen sind. Erstaunlicherweise ist die Auseinandersetzung mit Frankls Verhältnis zu Jaspers eine relativ spät einsetzende Forschung. Im Jahr 2002 veröffentlicht A. Fintz-Müller die erste größere Arbeit mit dem Thema Frankl mit Jaspers verstehen 108 . Ihr Ziel ist – neben der Darstellung der Praxisrelevanz der Logotherapie –, die Nähe zwischen Frankl und Jaspers zu belegen und stößt dabei auch auf einige wesentliche Unterschiede. Vor allem benennt sie das im Briefwechsel zwischen beiden Gelehrten dargestellte Problem mit einem Jaspersschen Begriff, wenn sie feststellt: »In vieler Hinsicht begibt sich Frankl nach Jaspers in ein weltanschauliches ›Gehäuse‹ [PsyW 224], das einer therapeutischen Grundhaltung des Therapeuten widerspreche.« 109 Sie wiederholt damit die Abgrenzung von seiten Jaspers’. 110 Am wenigsten ausgeprägt und gleichzeitig am divergierendsten, zeigt sich die Auseinandersetzung mit Heidegger. In den meisten Darstellungen bleibt die philosophische Bedeutung Heideggers für Frankl rätselhaft. Häufig wird in wenigen Worten eine wesentliche philosophische Beziehung zu ihm abgestritten, ohne sich auf die Problematik einzulassen, daß Frankl ja selber große Stücke auf Heideggers Anerkennung der Verarbeitung seiner Philosopheme in der Logotherapie hielt. 111 Zu den Interpreten, die sich um eine Deutung der Annäherung zwischen Frankl und Heidegger bemühen, gehören A. Längle, der in seiner Biographie versucht, den Franklschen Zeitbegriff mit Heideggers Begriffen nachzukonsturieren 112 , Reinhard Zaiser, der das Fundament Heideggers für Frankl vor allem in der Übernahme des Begriffs »Existential« sieht und damit seine theo- § 2 These und Methode logische These der gegenseitigen Beeinflussung zwischen Karl Rahner und Frankl ausarbeitet. 113 Differenziert aber kritisch äußern sich zum Verhältnis FranklHeidegger F. Schlederer in Viktor E. Frankl’s Existenzanalyse und Logotherapie als Beitrag zu einer anthropologisch fundierten Pädagogik, der eine sehr knappe Hinführung in den Grundgedanken von Sein und Zeit präsentiert, um dann den Unterschied zu Frankl anhand des Subjekt-Begriffs herauszuarbeiten, und punktuell Rolf Kühn in Sinn-Sein-Sollen, wenn er z. B. feststellt, daß »Sein bei Heidegger ein ›totes‹ im Sinne einer anonymen Transzendenz, die nirgendwo zu verstehen gibt, wie dieses Dasein, nämlich das je meinige ein lebendiges ist« 114 , wie es bei Frankl vorausgesetzt ist. Die bisher eingehendste und weitgreifendste Untersuchung stammt von P. le Vaou, Martin Heidegger peut-il nous aider à lire Viktor Frankl? Er versucht einerseits das Heidegger-Vokabular, das Frankl übernommen hat, zu sondieren und stellt dann eine Verbindung her zwischen Heideggers Bedeutung in den Zollikoner Seminaren und dem Zeitbegriff bei Heidegger und Frankl, der ja schon bei Heideggers WienBesuch Thema war. Er zeigt aber dann anhand des Logos-Begriffs die metaphysische Unvereinbarkeit zwischen Frankl und Heidegger. 115 Die Divergenz in der Deutung des Verhältnisses zwischen Frankl und Heidegger enthält zwei richtungsweisende Aussagen: Erstens haftet jenen Interpretationsansätzen, die Frankl auf Heidegger abbilden wollen, etwas Gewaltsames an; sie entbehren einer philosophischen Ableitung ihres Vorgehens. Zweitens eröffnen die kritiZaiser, Karl Rahners Begriff, 63 f. Kühn, Sinn-Sein-Sollen, 175; vgl. auch kritische Anmerkungen zu Heidegger ebd. 8 und 83. 115 Le Vaou, Martin Heidegger, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 258 sieht partielle Konvergenzen: »l’importance de la liberté, du rôle du temps, de l’orientation vers le futur, d’une certaine critique d l’inconscient.« Dagegen aber steht seine wesentliche Kritik: »[…] [L]’approche des notions de sens et de langage n’appartiennent pas chez Frankl et chez Heidegger au même horizon de pensée.« Von Frankl sagt er: »[Il] s’inscrivant dans une approche humaniste et métaphysique, Heidegger n’a eu de cesse de s’en écarter en assignant à la pensée la tâche de ›changer l’essence de l’homme‹ et de le faire sortir par le questionnement hors de son lieu de sejour métaphysique traditionnel« (ebd.). Sehr treffend benennt er die Position Frankls zwischen Scheler und Heidegger: »Il en résulte que lorsque Frankl reprend à Scheler sa conception du Logos, il s’inscrit dans une perspektive que Heidegger ne va pas avoir de cesse de critiquer et de remettre en question, de déconstruire tout simplement« (ebd. 260). Le Vaou gibt einen breiten Überglick zum Umfeld philosophischer Einflüsse Frankls in Une Psychothérapie existentielle. 113 114 108 Fintz-Müller, Frankl mit Jaspers verstehen; vgl. auch Fintz, Die Existenzanalyse, Batthyány/Zsok (Hg), Viktor Frankl und die Philosophie, 183–212. 109 Fintz-Müller, Frankl mit Jaspers verstehen, 205. 110 In diesem Zusammenhang ist auch die vergleichende Arbeit von Hoffmann, Sinnkrise zu erwähnen. 111 Als Beispiel seien die Bemerkungen in Korger/Polak, Der geistesgeschichtliche Ort, HbNl III 653 angeführt: »Es muß aber […] entschieden betont werden, daß – dies sei entgegen Frankls eigener Auffassung festgehalten – von einer Entlehnung keine Rede sein kann, […].« Dennoch behaupten sie, daß Heidegger und Frankl zu »ähnlichen Ergebnissen« kommen. Es wäre aber durchaus interessant, eine genauere Stellungnahme von Korger zu finden – sie liegt dem Verfasser nicht vor. Er berichtet jedoch von seiner Dozententätigkeit, daß er ein Seminar unter dem »Titel ›Kosmos und Logos. Eine vergleichende Studie über die Existenzanalyse Frankls und die Fundamentalontologie Heideggers‹ […] im Wintersemester 1957/58 an der Universität Wien abgehalten [hat]« (ebd.). 112 Längle, Viktor Frankl, 111–113. 42 43 Einleitung schen Stellungnahmen wiederum den Blick auf die Abgrenzungen, durch die das jeweilige Eigenprofil sichtbar und auch die Weise des Eklektizismus Frankls dadurch klärbar wird. Das Gesamtbild, das sich bisher aus den biographischen Daten und den Stellungnahmen aus erster Hand oder Sekundärliteratur ergibt, spricht deutlich von einer differenzierten Sichtweise, die durch Frankls eklektizistische Vorgehensweise der Forschung abgefordert wird. Dadurch ist ein erster Auftrag an die vorliegende Untersuchung formuliert, der allerdings seinerseits weiter zu klären ist, weil es nicht nur darum geht, das schon Erforschte etwas anders oder im besten Fall genauer zu sagen. Bisher haben wir danach Ausschau gehalten, auf welche Philosopheme anderer Philosophen Frankls Denken zurückzuführen ist. Die Leistung Frankls, die bisher gewürdigt ist, liegt also darin, daß er unter den vielen Denkern eine für die Existenzanalyse angemessene Auswahl trifft. Die angedeuteten Differenzen zu seinen Gewährsmännern aber fordert zu einer anderen Perspektive auf, nämlich die nach der Eigenständigkeit Frankls, die er selbst, wie schon zitiert, ins Wort bringt, wenn er seine Methode gerade nicht als additiv, sondern als integrativ bezeichnet. Dieses Proprium Frankls aber wirft Fragen auf, die schon den beiden Weisen seines Selbstverständnisses, metaphysisch in der philosophischen und eklektizistisch in der psychotherapeutischen zu sein, zu entnehmen sind. Das metaphysische Selbstverständnis hat sich nämlich nun ebenfalls als eklektizistisch erwiesen und darüber hinaus scheint das, was Frankl als seine philosophische Basis benennt, nicht vollständig in den Anleihen aufzugehen. Hier ist die nun mehrfach zutage getretene Differenz zu verorten. Die Frage, die sich nun ergibt, lautet: Was versteht Frankl unter Metaphysik, wenn er sich selbst durch Denker erklärt, die der nachKantischen Zeit angehören, d. h. einer Tradition, die gerade einem metaphysischen Anliegen kritisch bzw. ablehnend gegenübersteht. Es ist offenkundig, daß Frankl sich mit Denkern in irgendeiner Weise identifiziert, die ein grundlegendes Problem mit dem Aristotelischen Substanzbegriff haben. Alle drei Denker stehen daher unter dem ontologischen Primat der Relation. Frankl expliziert sein noch nicht eindeutig definiertes, der Metaphysik verpflichtetes Denken innerhalb der drei genannten Vertreter der relationsontologischen Tradition. Es bleibt darum die Frage: Kann Frankls Metaphysik-Begriff relationsontologisch verständlich gemacht werden? Die bedingte Di44 § 2 These und Methode stanz zu Scheler, Jaspers und Heidegger läßt ein substanzontologisches Metaphysik-Verständnis noch nicht ausgeschlossen sein. Dies zu untersuchen, macht sich die vorliegende Untersuchung zur Aufgabe und legt darum der Gliederung die ontologische Differenzierung zwischen Relationsontologie und Substanzontologie zugrunde, die in ihrer prinzipiellen Aussage der fundamentalen Darlegung von H. Rombach System, Substanz, Struktur entnommen ist, d. h., daß mit Nikolaus von Kues ein neues Denkprinzip – nämlich den ontologischen Primat der Relation – erstmals systematisch durchgeführt wird, und seit dem das abendländische Denken zunehmend mehr bestimmt. An ihm wird sich auch für Frankl entscheiden, welche Bedeutung die sich abzeichnenden Differenzen zu seinen Gewährmännern hat. Bisher aber gibt es nur Argumente, Frankls relationsontologischer Explikation zu folgen; alles weitere ist Mutmaßung. Darum fragt sich, ob Frankl oder auch Frankl-Interpreten Hinweise geben, um eine klare These in dem nicht philosophisch explizierten, von Frankl eigenständig gedachten Bereich zu formulieren? Oder anders gesagt: Gibt es über das eklektizistische Selbstverständnis Frankls hinaus ein Selbstverständnis, das seinem Eklektizismus zugrunde liegt? 2. These: Frankls Eigenständigkeit lebt von seiner substanzontologischen Implikation Um der Frage nach dem tieferen Selbstverständnis Frankls nachgehen zu können, müssen von den primär über die Lektüre kennengelernten Philosophen zu jenen beiden Persönlichkeiten zurückkehren, die Frankl in der Gesellschaft für Individualpsychologie kennengelernt hat: Oswald Schwarz und Rudolf Allers. Beide sind Ärzte und Philosophen. O. Schwarz ist ein Pionier der Psychosomatik 116 ; er veröffentlichte 1929 sein Hauptwerk Medizinische Anthropologie. »1925/26 assistierte Frankl Allers in dessen sinnesphysiologischem Laboratorium […].« 117 R. Allers vollzog einen Wandel von der Psychiatrie zur Psychotherapie (zuerst Psychoanalyse dann Individualpsychologie) und schießlich zur Fachphilosophie als Professor an der »›Catholic University of America‹ und schließlich an der 116 117 Längle, Viktor Frankl, 291. Klingberg, Das Leben, 88. 45 Einleitung Georgetown University in Washington, D.C.« 118 ; er wurde vor allem bekannt durch seine Thomistischen Studien. 119 Mit diesen beiden Gelehrten hat Frankl die aktuell ihn beschäftigenden psychologischen und philosophischen Fragen diskutiert, so daß er von beiden sagen kann, daß sie ihn »auf das nachhaltigste beeinflußten.« 120 Wenn man ihre denkerischen Positionen sich vor Augen führt und dazu Frankls Reaktion darauf in seinem Werk vergleicht, zeigt sich eine tiefere Schicht seines Denkens, von der ein Wink für die zu verfolgende Forschungsrichtung ausgeht. O. Schwarz unterscheidet in seiner Medizinischen Anthropologie »Unbelebtes, Belebtes, Seelisches und Geistiges« 121 und erklärt dazu ganz in Übereinstimmung mit dem später schreibenden Frankl: »Diese Trennung ist natürlich nur eine ›intellegible‹, d. h. es sind das nicht Teile, die real auseinander gelegt, sondern zunächst nur Schichten, die in die lebendige Einheit hineingedacht werden können, wenn diese Einheit als eine strukturierte begrifflich erfaßt werden soll.« 122 Entscheidend für Frankl ist die Existenz der geistigen Schicht und die Eigenschaft der Einheit des ganzen Menschen. 123 Betrachtet man aber die Struktur der geistigen Schicht, so zeigt sich, daß Schwarz den dialektischen Geistbegriff Hegels zugrunde legt. 124 Er distanziert sich zwar wiederum von einer vollen Übernahme des Hegelschen Frankl, Rudolf Allers, LtEa 217. Mangels einer veröffentlichten Bibliographie zu Allers, kann der Verfasser nur folgende Titel mit explizit philosophischer Thematik angeben: Allers, Intellectual cognition, Essays in Thomism, 41–62; Ders., On Intellectual Operations, The New Scholasticism, 26 (1952) 1–36; Ders., Psychiatry und Philosophie, JPPth 5 (1958) 107–123; Ders. (Übers.), Thomas von Aquin, Über das Sein und das Wesen, übersetzt und erläutert von Rudolf Allers, Darmstadt 3 1956. 120 Frankl, Eine autobiographische Skizze, SP 152. 121 Schwarz, Medizinische Anthropologie, 25. 122 Ebd.; vgl. dazu auch die beiden knappen Resümees zu O. Schwarz in Schlederer, Viktor E. Frankl’s Existenzanalyse, 127 und 140 f. An beiden Stellen hebt Schlederer in vergleichbarer Weise Gemeinsamkeiten mit Frankl hervor. Ein detaillierter Vergleich zwischen Schwarz und Frankl ist bisher noch nicht erstellt worden. 123 An diesen und ähnlichen Aussagen von Schwarz wird nachvollziehbar, wenn Frankl vor A. Adler Schwarz als »meinen Lehrer« (Frankl, Eine autobiographische Skizze, SP 153) bezeichnete, und umgekehrt Schwarz Frankl gegenüber seine höchste Anerkennung ausspricht, wenn er zu einem Buch aus der Zeit der sukzessiven Abwendung von Adler das Vorwort schreibt. In SP 152 berichtet Frankl: »In seinem Vorwort meinte nun Schwarz, mein Buch bedeutete für die Geschichte der Psychotherapie dasselbe wie Kants ›Kritik der reinen Vernunft‹ für die Philosophie. Und er glaubte es wirklich.« Dieses Buch wurde nie veröffentlicht. 124 Vgl. Schwarz, Medizinische Anthropologie, 55–57. 118 119 46 § 2 These und Methode Systems, wenn er schreibt: »Für Hegel war die Realität nur eine Erscheinungsform des Geistes, woraus sich für Hegel die Möglichkeit ergab, jede logische Operation auch als einen modus procedendi naturae zu betrachten. Für uns, die wir diese Identität von Sein und Geist nicht mehr anerkennen können, ist auch die dialektische Bewegung nicht mehr das Gesetz des realen Geschehens.« 125 Aber dennoch bestimmt er seine eigene Position folgendermaßen: »Ja man kann sagen, daß der Dialektik für die Erfassung des Lebensablaufes dieselbe Rolle zukomme, wie der Kausalität für die des physikalischen Geschehens.« 126 Selbst wenn O. Schwarz Hegel moderat in sein Denken aufnimmt, so muß festgestellt werden, daß Frankl Hegel zwar punktuell in seinem Werk erwähnt, aber ihn kein einziges Mal systematisch denkt, sei es im Sinne von Schwarz oder auch Hegels selbst. Frankl spricht zwar gerne, wie die Untersuchung noch zeigen wird, von Paradoxien und verwendet auch den Begriff Dialektik in diesem Zusammenhang, aber diese Passagen kommen über ein Angeregtsein durch die Lektüre von O. Schwarz nicht hinaus. Besonders auffällig ist, daß Frankl Schwarz nur als Psychologe bzw. Psychiater zitiert. Trotz seiner hohen Anerkennung seinem Lehrer gegenüber 127, scheint er ihn doch nur peripher in sein Denken aufgenommen zu haben. Schauen wir uns das philosophische Denken von Rudolf Allers in Hinblick auf die psychologische bzw. psychiatrische Frage an, werden grundlegende Übereinstimmungen mit dem Denk- und Problemhorizont Frankls sichtbar. 128 In seinem Aufsatz Psychiatrie und Philosophie fordert er nicht nur eine philosophische Anthropologie und die Einheit des Menschen – darin stimmt er mit O. Schwarz überein –, sondern er geht im Sinne Frankls weiter: »Ein vereinheitlichendes Prinzip muß gefunden werden«, um die »Dichotomie« zwischen »körperlichen und seelischen Phänomenen« 129 zu überwinden. Meines Erachtens verschafft sich in dieser Formulierung schon eine Thomistische Denkweise Geltung, die, wie in § 13 ausgeführt wird, Ebd. 204. Ebd. 206. 127 Frankl hat ihm sein Buch TTN gewidmet. 128 Das Verhältnis zwischen Frankl und Allers ist noch nicht umfassend erforscht. Einen ersten gelungenen Einstieg in dieses breite Feld hat Kühn, Sinn-Sein-Sollen, 100–134 unternommen. 129 Allers, Psychiatry und Philosophie, JPPth 5 (1958) 113. 125 126 47 Einleitung im Geist als Einheitsprinzip des menschlichen Seins bei Frankl wiederkehrt. Noch deutlicher klingt in demselben Aufsatz eine Thematik an, die für Frankls Erkenntnistheorie sehr wichtig ist, nämlich die Frage nach der Subjekt-Objekt-Spaltung 130 . Allers problematisiert, daß »es der neueren Philosphie geglückt [sei], die Spaltung von Subjekt und Objekt zu ›überwinden‹.« 131 Man hört wiederum den Thomistischen Zug in seiner Argumentation, wenn er fortsetzt: »Es fehlt bei jenen, die sich dieser Formel bedienen, an einer zureichenden Klärung des Begriffes ›Objekt‹. Manche nehmen diesen Ausdruck, als ob er sich allein auf den ›Gegenstand der Wissenschaft‹ bezöge und jene ›Objektivität‹ implizieren, deren sich Wissenschaft so gerne rühmt. […] Es ist aber eine völlig unberechtigte Einengung des Begriffes von Objekt, oder – von der anderen Seite angesehen – eine ebenso unberechtigte Ausdehnung des Anspruches der Wissenschaft, […].« 132 Schließlich spricht Allers im selben Aufsatz das philosophisch zentralste Thema Frankls an: die Metaphysik. Er behauptet nicht nur in Übereinstimmung mit Frankl, »es liege jeder Neurose ein metaphysisches Problem zugrunde […]« 133 , sondern vor allem wagt er sich zur entscheidenden wissenschaftstheoretischen Aussage vor: »[D]ie Psychiatrie [bedarf] einer Unterbauung oder, wenn man dies vorzieht, einer Krönung und Vollendung, in einer philosophischen Anthropologie. Diese aber wiederum kann nur in einer Metapyhsik ihren Grund finden.« Ebenfalls moduliert er – ganz im Sinne Frankls – das metaphysische Thema von der wissenschaftstheoretischen zur existentiellen Fragestellung: »[W]ird Metaphysik die Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt und dieses einen, konkreten Lebens, mit dem es der Psychiater je zu tun hat, beantworten können? Wir stellen die Frage. Wir wagen nicht, sie zu beantworten.« 134 Das stärkste Zeugnis seiner Verehrung gegenüber Allers präsentiert Frankl selbst in seiner Gedenkrede nach dem Tode seines Ebd. 121; Frankls Position wird in § 28 dargelegt. Ebd. 132 Ebd. 121; vgl. auch ebd. 122: »[E]in Wissen ohne Objekt kann es nicht geben. Das Ich weiß um sich nicht in dem gleichen Sinne von Wissen, in dem es um das Nicht-Ich weiß. Dieses aber bleibt unaufhebbar gegenüber und fällt niemals mit dem Ich zusammen. […] [D]ie Urtatsache der Zweiheit, des Gegenüber von Ich und Nicht-Ich kann niemals beseitgt werden.« 133 Ebd. 120. 134 Ebd. 123. 130 131 48 § 2 These und Methode Lehrers135. Frankl würdigt Allers in einigen zentralen Positionen, die er von ihm übernommen hat. Im Zentrum steht die Selbsttranszendenz der Person, wenn er ihn zitiert, »daß die Selbstbeobachtung eine späte, die Fremdbeobachtung eine ursprüngliche, primärere Haltung« sei, »denn das Ich ist immer dort, von wo aus es schaut, und nie dort, wohin es schaut.« 136 Diese Feststellung richtet sich wesentlich gegen die Selbstbeobachtung des homöostatischen Triebgleichgewichts bei Freud. Dasselbe gilt für die Hervorhebung der »Herstellung einer Angleichung zwischen subjektiver Werthaltung und objektiver Wertgeltung.« 137 Beide Aussagen sind psychologisch, aber erhalten ihre systematisch-philosophische Einbindung durch den Thomistischen Hintergrund von Allers, zu dem er sich am Ende des Vorwortes zur ersten Auflage seines psychologischen Hauptwerkes Das Werden der sittlichen Person indirekt bekennt, wenn er sein Werk »[a]m Feste des hl. Thomas von Aquin, 7. März 1929« 138 abschließt. In diesem Kontext steht auch die Würdigung seines Lehrers, wenn Frankl ein charaktistisches Zeugnis für das korrelierende Verhältnis zwischen Psychologie und Metaphysik hervorhebt: »Was ›die wesensmäßige Einsamkeit‹ anlangt, ›besteht‹ sie ›auf einer sozusagen viel tieferen Ebene, einem viel verborgeneren Punkte als jenes Allein-Sein, über das sehr viele Menschen klagen; sie ist das notwendige Korollar der absoluten Einmaligkeit der menschlichen Person und als solches an deren metaphysische Wesenheit gebunden und auch nur dort in etwa zu beheben, sofern nämlich sie sich selbst aufhebt im übernatürlichen Leben‹.« 139 Im gleichen Sinne zitiert er ihn: »Ich habe noch keinen Fall von Neurose gesehen, bei dem sich nicht als letztes Problem und als letzter Konflikt eine, wenn man es so nennen will, ungelöste metaphysische Frage enthüllt hätte, die Frage nach 135 Frankl, Rudolf Allers, LtEa 217–226. Rudolf Allers ist am 14. Dezember 1963 gestorben (vgl. ebd., LtEa 217). Ebd., Anm. 1 fügt Frankl an: »Gedenkrede, gehalten auf der 14. ordentlichen Hauptversammlung der Österreichischen Ärtzegesellschaft für Psychotherapie am 24. März 1964.« 136 Ebd., LtEa 218; Frankl zitiert aus: Rudolf Allers, Das Werden der sittlichen Person, Freiburg i. B. 1930, 183. 137 Ebd., LtEa 219; Frankl zitiert aus: Rudolf Allers, Heilerziehung bei Abwegigkeit des Charakters, Einsiedeln/Köln [o. Jg.] 353. 138 Allers, Das Werden der sittlichen Person, Darmstadt 1970. 139 Frankl, Rudolf Allers, LtEa 220; Frankl zitiert aus: Rudolf Allers, Das Werden der sittlichen Person, Freiburg i. B. 1930, 243. 49 Einleitung der Stellung des Menschen überhaupt, […].« 140 Frankls Anerkennung dieses Metaphysik-Begriffs impliziert zugleich eine Korrelation zwischen der ontologischen und der ethischen Fragestellung. Er hat diesen Zug Allersschen Denkens ebenfalls wesentlich in sein Denken aufgenommen. Psychotherapie ist bei beiden Denkern auch in beiden philosophischen Disziplinen verankert. Anhand dieser Zeugnisse verdichtet sich der Eindruck, daß Frankl von einem Denken profitiert hat, das zwar im Dienst der Psychologie steht, aber ihren Metaphysik-Begriff in Kohärenz zu Thomas von Aquin entwickelt hat. D. h. aber auch, daß der gebürtige Jude und Konvertit Rudolf Allers schon in der Zeit seiner Loslösung von Adler sein philosophisches Fragen am Aquinaten orientierte, und seine Gesprächsbeiträge von dort aus Hinweise für Frankl lieferten, die er in seiner selbstgewählten Schülerposition aufnahm. Der augenblickliche Stand der Allers-Forschung, insbesondere sein Verhältnis zu Frankl ermöglicht noch keine genauere Angabe. Eine solche ist für die vorliegende Untersuchung nicht ausschlaggebend; es reicht vorerst zu wissen, daß Frankl eine bleibende Verehrung nicht nur der Person, sondern auch dem Werk und den denkerischen Grundlagen von Rudolf Allers zeitlebens entgegenbrachte. Fragen wir nun, nachdem der Begriff der Metaphysik und ihrer Bedeutung für die Psychologie im Denken Frankls durch seine eigenen biographisch erschließbaren Entscheidungen Thomas von Aquin überhaupt ins Gespräch gebracht hat, nach Hinweisen auf die These, daß der Aquinate sogar für Frankls Denken wesentliche Bedeutung hat. Wenden wir uns zunächst an Frankl selbst und dann an die Sekundärliteratur. Frankl skizziert seinen Zugang zu Thomas von Aquin im Gespräch mit Pinchas Lapide: »Ich habe Thomas von Aquin niemals gelesen. Aber im Laufe der Jahre stolpert man immer wieder über Zitate von ihm. Und da hab ich einmal gelesen, dass er sagt: Wir können zwar wissen, dass Gott ist, aber was Gott ist, können wir nicht wissen.« 141 Hinsichtlich seiner Lektüre wirkt sein Kommentar distanziert und es scheint eine Ergänzung notwendig, wenn man seine Fortsetzung bedenkt: Frankl hat Thomas sicherlich nicht systematisch gelesen, wie es Allers getan hat. Inhaltlich aber nimmt er den § 2 These und Methode Thomasischen Gedanken auf, denn er weist im Folgenden darauf hin, daß er diesen Gedanken selbst in seinen Veröffentlichungen formuliert hat. Beide Aspekte widersprechen sich nicht, sondern weisen eher auf eine innere Verwandtschaft hin. Frankls Texte enthalten, wie im Hauptteil noch sichtbar wird, Thomistische Philosopheme, denen er im Laufe seiner philosophischen Studien begegnet sein muß, wie er es selbst andeutet. Innerhalb der Sekundärliteratur wird unterschiedlich auf den Thomistischen Zug bei Frankl eingegangen. M. E. Korger und P. Polak kündigen in ihrer Darstellung Der geistesgeschichtliche Ort der Existenzanalyse die Besprechung der »Beziehung zwischen der Existenzanalyse und dem Neothomismus« 142 an, kommen aber dann nicht wesentlich darauf zu sprechen. R. Kühn nimmt eine kritische Einordnung vor, die ihn dazu berechtigt, Frankl phänomenologisch zu deuten. Er sieht den Einfluß von Allers und Scheler klar, aber fügt hinzu, »daß [Frankls] logotherapeutische Existenzanalyse weder die thomistische noch – zuletzt – pantheisierend-evolutionistische Metaphysik bei diesen beiden philosophischen Hauptmentoren übernimmt.« 143 Er prägt für diese Zwischenposition Frankls den Begriff »Ideo-Existentialismus« 144 , mit dem er garantiert sieht, daß »das mögliche Mißverständnis des ›analytischen‹ als eines Zerlegungsprozesses, bei dem existentiell gebundene Wertfindung sozusagen als dingliches Präparat aufbereitet werden könnte.« 145 Diese Begründung seines Neologismus‹ trifft das Anliegen Frankl sehr genau und wirft auch ein Licht auf das Verhältnis des zwischen Frankl und Allers noch nicht eindeutig sich abzeichnenden Thomistischen Zuges, denn Kühn stützt damit Frankls antipositivistischen Analyse-Begriff, dem ein ganzheitliches Menschenbild zugrunde liegt, das nur durch die metaphysischen Implikationen überhaupt ein solches sein kann. Kühn impliziert aber damit eine Verbindung zu dem von ihm für Frankl abgelehnten Allersschen Thomismus. Hier wird erstmals das Projekt der vorliegenden Untersuchung deutlicher greifbar: Frankl geht in seinem Denken mit einer metaphysischen Implikation ganz selbstverständlich um; sie wurde zwar durch R. Allers sehr unterstützt, aber letztlich ist sie sein Proprium, 142 Ebd., LtEa 224; Frankl zitiert aus: Rudolf Allers, Das Werden der sittlichen Person, Freiburg i. B. 1930, 283. 141 Frankl/Lapide, Gottsuche und Sinnfrage, 71. 140 50 143 144 145 Korger/Polak, Der geistesgeschichtliche Ort, HbNl III 653. Kühn, Sinn-Sein-Sollen, 11. Ebd. 10. Ebd. 51 Einleitung das aus systematischen Gründen eine entsprechende systematischmetaphysische Einbindung einfordert. Die These geht deshalb dahin, daß dies mit Thomas von Aquin angemessen geleistet werden kann, ohne Frankl als Thomisten zu deklarieren. D. h., daß Frankl sozusagen teilhat an der synthetischen Leistung des Thomas von Aquin, der griechisches und christliches Denken, wie es das Abendland geprägt, in eine Form gebracht hat, die vom Hochmittelalter bis in die Gegenwart ein mehr oder weniger geschätzter bzw. wahrgenommener Gesprächspartner der Denker blieb. Unabhängig von seiner jüdischen Herkunft knüpft Frankl implizit an dieser Vorgabe an, die seine akademische Sozialisation mitbestimmt hat. Auf dieser Grundlage kann gesagt werden, daß R. Kühn sicherlich mit dem Veto recht hat, Frankl nicht einfachhin Thomistisch zu interpretieren, aber seine Begründung des Ideo-Existentialismus verweist auf eine solche metaphysische Struktur, die wir – im Gegensatz zu Frankls relationsontologisch expliziertem Selbstverständnis – substanzontologisch genannt haben. Sie ist bei Frankl implizit vorhanden und trägt seine eklektizistischen Absicherungen. Der systematische Nachweis dieser unserer These soll im Hauptteil erarbeitet werden. R. Kühns Terminus Ideo-Existentialismus weist auf einen anderen Zusammenhang hin, der hier nicht unterschlagen werden soll. Er deutet mit ihm an, daß die Basis des von Frankl vorgelegten philosophischen Materials innerhalb des substanzontologischen Denkens in einigen Bestimmungen auch eine Platonische Deutung zuläßt. Im Vorgriff auf den Hauptteil aber muß darauf hingewiesen werden, daß sehr zentrale Bestimmungen wie die Einheit des Menschen durch den Geist 146 und der »radikale Realismus« 147 , die als systematische Eckpfeiler von ihm richtungsweisend – nicht nur auf Aristoteles, sondern auch auf Thomas von Aquin hin – vorgegeben werden. Kohärent dazu ist das in beiden Punkten erkennbare Anliegen der Vermeidung eines Dualismus. Aufgrund dessen bleiben Platonische Züge bei Frankl sekundär, obgleich sie als partielle Bereicherung des Gesamtbildes innerhalb der substanzontologischen Tradition nicht von der Hand zu weisen sind. Die substanzontologische Implikation in Thomistischer Ausprägung wird von zwei weiteren Frankl-Forschern nicht als kritische Grenzbestimmung, sondern als Standort der Perspektivierung inner146 147 52 Vgl. dazu § 5 und § 13. Frankl, Der unbedingte Mensch, LM 84; vgl. dazu § 28 und § 36. § 2 These und Methode halb des Franklschen Denkens eingenommen: F. Schlederer und M. Caponnetto 148 . F. Schlederer betrachtet Frankl in Viktor E. Frankl’s Existenzanalyse und Logotherapie als Beitrag zu einer anthropologisch fundierten Pädagogik »vom Standpunkt thomistischen Philosophierens« 149 aus. Schon bei ihm, der Frankl noch persönlich gut kannte, ist es ein Anliegen, Frankls Anspruch einer »Philosophia perennis« gerecht zu werden. So geht er von der metaphysischen Substanzhaftigkeit des Menschen 150 aus, deren Einbindung in die analogia entis 151 und einer neothomistischen Deutung des Franklschen Wertbegriffs mit Joseph de Vries 152. Sehr viel näher an Thomas arbeitet M. Caponnetto. Er ordnet Frankl – durchaus kritisch – ansatzweise in das Umfeld der Philosophie seiner Zeit ein. Für seine kritische, aber durchweg sehr anerkennende Auseinandersetzung legt er letztendlich einen Thomasischen Maßstab an Frankl an. So führt er z. B. Frankls Willen zum Sinn auf den appetitus rationalis der menschlichen Natur zurück 153 und legt auf dieser Grundlage eine wesentliche Verbindung zwischen Franklscher und Thomasischer Anthropologie, die, soweit er sie dargelegt hat, mit unserer Position hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Frankl und Thomas weitgehend übereinstimmt. In einigen Fällen vermag er dadurch neue Fragen an Frankl zu stellen, die aus der Per148 Caponnetto weist sich auf seiner homepage als Arzt und Philosoph aus mit Lehrerfahrung an Argentinischen Universitäten aus, unter anderem in den Fächern Anthropologische Philosophie und Biomedizinische Ethik. Sein wissenschaftliches Engagement und seine Frankl-Interpretation zeigen, daß er einen Thomistisch-Aristotelischen Denkansatz vertritt. Seine Untersuchung, die sich zur These, die in der vorliegenden Untersuchung erarbeitet wird, profund äußert, konnte leider trotz großer Bemühungen nicht über den Leihverkehr der Universität entliehen werden. Der Versuch einer persönlichen Kontaktnahme mit ihm gelang ebenso nicht. Die einzige Berührung mit seinem Gedankengut kam durch einen unveröffentlichten Ausdruck seines Werkes El pensiamento de Viktor Frankl, Examen critico de los fundamentos médico-antropológicos de la logoterapia, Buenes Aires 1993 zustande, der in der Privatbibliothek Viktor Frankls aufzufinden war und mir von seiner Frau zur Verfügung gestellt wurde, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Das Werk kann daher nicht in der üblichen Weise mit genauen Seitenangaben zitiert werden. Davon ausgehend, daß Caponnetto den Text weitgehend unverändert veröffentlicht hat, wird das Werk im Folgenden durch die Angabe des jeweiligen Kapitels zitiert. 149 Schlederer, Viktor E. Frankl’s Existenzanalyse, 94. 150 Vgl. Ebd. 51, 67, 82–86, 91; seine Position wird in den Anmerkungen des Hauptteils angeführt. 151 Ebd. 64. 152 Ebd. 151 f.; er verweist dort auf De Vries, Denken und Sein, 291 ff. 153 Vgl. Capponetto, El pensiamento, »3. Analisis de la voluntad de sentido«. 53 Einleitung spektive der modernen Philosophie nicht aufkämen. Frankl wird auf diese Weise mit seinem eigenen metaphysischen Anspruch von der Wurzel her konfrontiert und läßt sich in diesem Licht auch neu bewerten. Auf Caponnettos Kritikpunkte wird punktuell einzugehen sein. Entscheidend für die augenblickliche Fragestellung ist die Tatsache, daß Caponnetto erstmals der Thomasischen These Gewicht verliehen hat, auch wenn seine Untersuchung in Europa sicherlich so gut wie nicht wahrgenommen wird. Umgekehrt ist festzustellen, daß auch er auf die einschlägige europäische Sekundärliteratur zu Frankl nicht eingeht. Mit Caponnettos Ansatz wird – wie mir scheint zu Recht – das Gespräch Frankls mit seinem verehrten Lehrer Rudolf Allers, der ihm seine philosophischen Positionen vermittelte, auf philosophischer Ebene wieder vernehmbar gemacht. Dieses Gespräch bedarf aber einer genaueren Analyse und Würdigung. Dafür soll über Caponnetto hinaus, wie schon begrifflich durch die Unterscheidung zwischen Relations- und Substanzontologie angedeutet wurde, Frankls Werk von seinem ontologischen Anspruch her prinzipiell befragt werden. Im Zentrum der Fragestellung wird darum der Relationsbegriff stehen, den Frankl selbst fundamental einsetzt 154 . Von dessen Deutung hängt ab, wie die Begriffe Sinn, Freiheit und Existenz zu verstehen sind. Vor allem ist der Franklsche Begriff der Ontologie und dessen Abhängigkeit zum Sinn zu untersuchen, denn genau in diesem Begriffspaar kulminiert die schon angedeutete Grundproblematik zwischen relationsontologischer Explikation und substanzontologischer Implikation. Prinzipiell ist deren Ausgangspunkt festzuhalten: Sie stehen in einem psychologischen bzw. psychotherapeutischen Kontext, in dem das Ziel ist, den Menschen zu einem psychisch gesunden Handeln zu führen. Bei Frankl steht es eindeutig fest, wie die Darlegungen im Hauptteil zeigen werden, daß sowohl die psychische Gesundheit als auch das, was er als ontologisch bezeichnet, nur durch die Beziehung des Menschen zu einem objektiven und transzendenten Sinn zu definieren ist. Letztlich geht es Frankl um den Handlungssinn, wodurch er nicht umhinkommt, daß sein psychologischer Sinnbegriff auch ein ethischer ist. 155 Sein Begriff der Ontologie steht Vgl. § 3. Diese ersten Rahmenbestimmungen für den Franklschen Sinnbegriff sind die Verständnisgrundlage für die Seinsfrage, die in Teil I. behandelt wird. In Teil II. wird der 154 155 54 § 2 These und Methode darum immer im ethischen Kontext. Als solcher aber benutzt ihn Frankl relationsontologisch, d. h., daß der Sinn die Bedingung des Seins ist. Sofern der Sinn transzendent ist, kann er aber relationsontologisch nicht mehr vollständig erklärt werden. Darum ist der Sinn bei Frankl gleichzeitig Fundament des substanzontologischen Ansatzes, d. h., daß der Sinn nur im Sein fundiert sein kann. Dieses divergierende Verhältnis von Sinn und Sein prägt das Franklsche Denken und wird von ihm nicht durchsichtig gemacht. Der Grund für diesen Tatbestand liegt in einem in der Explikation ungeschiedenen, aber durch vergleichende Analyse unterscheidbaren Verhältnis von relationsontologischen und substanzontologischen Aussagen. Die dafür notwendigen Vergleiche werden zwischen Frankl und den drei modernen Denkern und zwischen Frankl und Thomas vorgenommen. Die These, die daher aufzustellen ist, besagt nicht nur eine Differenzierbarkeit ontologischer Richtungen im Denken Frankls, sondern vor allem, daß die Einheit im anthropologischen Entwurf Frankls – J. B. Torello spricht vom »letzte[n] wirkliche[n] System [in der Geschichte der Psychotherapie]« 156 – auch eine ontologische Einheit einfordert. Sofern eine substanzontologische Implikation bei Frankl nachweisbar ist, heißt das, daß der Eklektiker Frankl den Relationsbegriff seiner Gewährsmänner stillschweigend umdeutet. Wie er selber sagt, tut er dies nicht, weil er Thomas genauestens kennen würde, sondern vielmehr ist es naheliegend, daß hier eine Eigenständigkeit seines Denkens zutage tritt, die sich als integrative Kraft für relationsontologische Philosopheme erweist, aber implizit von einem Sinnbegriff detailliert besprochen; Butollo, Zum Stellenwert der Logotherapie, Zur Debatte, 35 (2005) 5 skizziert in seinem Vortrag dieses Vorständnis des Franklschen Sinnbegriffs aus psychologischer Sicht. Er spricht von »dysfunktionalen Sinnbildungen«. Butollo referiert Frankls therapeutische Methode folgendermaßen: »[E]r [arbeitet] explizit die Formen der Sinnkonstruktion heraus, die der Mensch für sich – oft unbewusst – anwendet, und er zeigt auf, in welcher Weise diese Sinnkonstruktion in einer Sackgasse enden muss. Er legt so die individuelle Logik der Konstruktion existentieller Frustration offen.« Gerade die Konstruktion von Sinn hat pathologische Wirkung. Dagegen steht die These der Transzendenz des Sinnes, die Frankl seinem Denken zugrunde legt. Auf dieser Grundlage kann Grom, Glaube als Sinnantwort?, Zur Debatte, 35 (2005) 7 folgenden Schluß ziehen: »Anthropozentrik kann man dieser Sicht wahrhaftig nicht vorwerfen, […].« 156 Frankl, Eine autobiographische Skizze, SP 165. 55 Einleitung substanzontologischen Axiom ausgeht, das bei Frankl nie hinterfragt wird. 157 Für diese These ist, wie nun unschwer erkennbar ist, die Stellung des Sinnbegriffs von eminenter Bedeutung, denn allein durch ihn vermag Frankl seinem Denken ein existenzphilosophisches Gesicht zu geben, und gleichzeitig ist er der sogar in seiner Explikation durchleuchtende Garant der substanzontologischen Implikation, weil er nicht nur objektiv, sondern auch transzendent ist. Hier zeigt sich, warum der Titel unserer Untersuchung Viktor E. Frankls Begriff des Logos lautet, denn am Verständnis des Sinnes hängt das Verständnis Franklschen Denkens. 158 3. Methode und Gang der Untersuchung Fragen wir nun weiter nach den methodischen Konsequenzen, die sich aus der dargelegten These ergeben. Der Primat der substanzontologischen Implikation und Frankls Anspruch, ontologisch zu den- 157 Vgl. dazu auch Caponnetto, El pensiamento, in Kapitel »El ›hombre Incondicionado y la Antropología Tomista«: »En este último se hace evidente y explícita una suerte de metafísica implícita en toda cueston médica.« Im Folgekapitel »a) La metaclínica« fügt er hinzu: »La ›metaclínica‹ frankleana […] no alcanza […]; no abstante, tanto la fuerte postura crítica frente al positivismo cientificista como ciertos analsis parciales, iluminadores de numerosos y notables aspectos, otorgan un valor incuestionable a las investigaciones de Frankl.« 158 Ein kritischer Blick in die Geschichte der Logotherapie zeigt, daß durch praktische Auswirkung dieser theoretischen Beobachtungen erklärbar wird, aus welchem Grund Viktor E. Frankl und sein Schüler Alfried Längle, dem Begründer Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse (GLE) sich fachlich trennen mußten. Längle, Viktor Frankl, 279 f. berichtet von der Reaktion Frankls auf sein Logotherapie-Verständnis: »Persönlich störte ihn das wachsende Ausmaß an Selbsterfahrung, mit dem er nicht mehr einverstanden sein konnte. Er fand diese Entwicklung schließlich ›verantwortungslos‹, weil sie den Menschen von seinem existentiellen Auftrag abbringe. Der bestehe darin, sich selbst zu übersehen und zu vergessen in der Hingabe an die Welt (Selbsttranszendenz). Er befürchtete, daß die Menschen durch die Selbsterfahrung immer mehr dahin gebracht würden, um sich selbst zu kreisen und sich in egoistischer Manier auf Kosten von anderen selbst zu verwirklichen. Diese ›geistige Nabelschau‹ sei ›antilogotherapeutisch‹ und daher abzulehnen.« Wie sich noch zeigen wird, stehen Selbsttranszendenz und Transzendenz des Sinnes in engster Korrelation. Wird sie aufgegeben, ist auch das Wesen Franklschen Denkens in Frage gestellt. Im geschilderten Ereignis stand, das muß geschlossen werden, die Auseinandersetzung mit dem Status des Sinnes im Mittelpunkt. 56 § 2 These und Methode ken, erfordert es, den an den Sinnbegriff so eng geknüpften Seinsbegriff als erstes zu klären (I.). Erst dann folgt die Untersuchung des Sinnbegriffs (II.) und schließlich die ebenfalls ontologisch relevante Sinnerkenntnis (III.). Dieser systematischen Einteilung ist eine philosophiegeschichtliche Binnengliederung der drei Teile untergeordnet. Am Anfang des jeweiligen Teiles wird im ersten Kapitel (A.) Frankls Denken anhand seiner philosophisch relevanten Aussagen aufgearbeitet, wodurch ein ontologisch orientierter Fragehorizont entsteht, der zur Prüfung innerhalb der relationsontologischen (B.) bzw. bei Thomas, dem Vertreter der substanzontologischen Tradition (C.) auffordert. Die Methode der Untersuchung ist darum als systematisch und historisch zu kennzeichnen, wobei der historische Aspekt dem systematischen untergeordnet ist. Darüber hinaus ist der systematische Ansatz näher zu bestimmen. Frankls Eklektizismus ist eine Vorgehensweise, deren implizierte Aussagen nur durch Vergleich freigelegt werden können. Die Vergleichsgegenstände sind sowohl die von Frankl verwendeten Begriffe und die dazu auf ihre Äquivalenz zu prüfenden Begriffe bzw. Inhalte der jeweiligen Philosophen. Die Systematik wird darum auf konzeptuellem Wege dargelegt bzw. erschlossen. Damit ist verbunden, daß Begriffe nominell gleich sein können, aber inhaltlich differieren, oder umgekehrt nominell differieren, aber inhaltlich zumindest sehr nah verwandt sind. In beide Richtungen gilt es die Prüfung vorzunehmen und folglich liegt ein wesentlicher Teil der Bemühungen darin, den diesbezüglichen Nachweis zu liefern. Erst dann kann die Grenzziehung der Franklschen Anleihe an den selbst gewählten oder aus systematischen Gründen an ihn herangeführten Denkern so durchgeführt werden, daß Übernahme und eigenständiger Rest sichtbar werden. Die innere Systematik Frankls wird also auf dem Wege konzeptuellen Vergleichs mit historisch verwirklichten Denkweisen abgeklärt. Die innere Konsequenz der Methode führt über diesen systematisch-konzeptuell-historischen Ansatz hinaus, denn der bei Frankl sichtbar gewordene Rest, der nicht in seiner explizierten Eklektik enthalten ist, bedarf einer Klärung hinsichtlich seiner philosophischen Aussage. Wie schon gesagt, lautet die These, daß Frankls Denken durch eine Thomasische Substanzontologie zu ergänzen ist. Methodisch heißt das aber, daß Thomas als entscheidende metaphysische Stütze herangezogen wird. Die innere Stabilität der Franklschen Anthropologie bedarf einer Verbesserung ihrer metaphysi57 Einleitung schen Explikation, die durch Thomas an Frankl herangeführt wird, um das metaphysische Zentrum seines Denkens auch begrifflich zu fassen. Die Methode, die sich daraus ergibt, erweitert darum das bisherige Bild der Vorgehensweise um die Emendation. Sie steht wiederum im Dienst der Systematik, denn letztlich geht es um die implizierte Systematik Frankls, die es freizulegen und begrifflich zu fassen gilt. Ohne die konzeptuelle Methode kann eine Emendation nicht vorgenommen werden, allerdings geht es nun bei Thomas nicht mehr darum, eine Grenzziehung um der Eklektik willen herauszuarbeiten, sondern umgekehrt zu prüfen, ob die Thomasischen Philosopheme tatsächlich der als »Rest« bezeichneten Implikation entspricht. Der konzeptuelle Vergleich dient daher dem Ziel der Emendation um der Systematik willen, mit der eine in der These schon benannte Einheit zwischen historisch weit auseinander liegenden Denkern mitbehauptet wird. Darum ist die Methode in letztgültiger Fassung als systematisch, konzeptuell, historisch und emendativ zu bezeichnen. Gehen wir nun zur Erklärung der Methode und deren Anwendung im einzelnen über. Die ontologische Problematik, die an Frankls Sinnbegriff sichtbar wird, fordert dazu auf, nicht nur in den A-Kapiteln die philosophischen Strukturen in Frankls Denken aufzuordnen, sondern das relationsontologische Selbstverständnis Frankls in den B-Kapiteln möglichst genau zu überprüfen. Der Anspruch ist es, Frankls Denken möglichst tief in die neuzeitlichen und modernen Denkstrukturen hinein zu übertragen, um die Grenzen aufzeigen zu können. Dafür ist es angemessen, daß die Grundlegung relationsontologischen Denkens bei Nikolaus von Kues Beachtung findet. Seine Philosophie ist für Frankl nicht nur interessant, weil hier ein von ihm axiomatisch bestimmtes Prinzip erstmals gedacht wurde, sondern auch, weil der spätmittelalterliche Kontext noch das bewußte Verhältnis zum substanzontologischen Denken der Hochscholastik greifbar werden läßt. Bei Cusanus und Frankl zeigt sich nämlich hier ein verwandtes ontologisches Problem, an dem Frankls ontologische Grundlagen (I.A.) bzw. sein Sinnbegriff (II.A.) zu prüfen sind. Da die Erkenntnistheorie bei Cusanus nicht ausgeprägt ist, wird sie nicht vertieft; stattdessen kann die ontologische Bedeutung der Liebe wiederum zum Vergleich herangezogen werden (§ 31–1). Bei Cusanus zeigt sich erstmals ein begriffliches Problem, das zu klären ist: Er kennt noch nicht den Begriff Sinn; darum ist ein Äquivalent dafür 58 § 2 These und Methode bei ihm zu suchen. Der Weg führt zu den Begriffen symbolum und valor (§ 19). Nur so kann die Vergleichbarkeit zwischen beiden Denkern gewährleistet bleiben. Ingesamt nimmt die Auseinandersetzung mit Cusanus den Status einer prinzipiellen ontologischen Abklärung ein, d. h., daß Frankls psychologisch-ethischer Seinsbegriff nur auf der Ebene der Seinsprinzipien auf Entsprechungen hin überprüft werden kann, weil Cusanus keinen ethischen Seinsbegriff bzw. auch keine Ethik geschrieben hat. Die historische Linie, die sich von Cusanus zu Kant ziehen läßt, wird nicht diskutiert, da der Entwicklungsaspekt der relationsontologischen Philosopheme nicht das Thema ist. Vielmehr ist nach dem Grund zu fragen, warum Kant überhaupt zum Vergleich herangezogen wird. Kant ist innerhalb der relationsontologischen Tradition derjenige, der nicht nur einer scholastisch geprägten Metaphysik ein Ende gesetzt hat, sondern vor allem der entscheidende Wendepunkt in der Denkgeschichte ist, ohne den die Phänomenologie und die Existenzphilosophie, auf die sich Frankl beruft, trotz deren kritischen Auseinandersetzung mit ihm nicht zu verstehen sind. Sofern sich also Frankl auf Scheler, Jaspers und Heidegger bezieht, nimmt Kant die Position des gemeinsamen Gesprächspartners ein, an dessen relationsontologischen Prämissen das moderne Denken überhaupt gemessen wird. Dient also Cusanus dazu, den Grenzbereich zum substanzontologischen Denken, den Frankl nahelegt, zu prüfen, so ist die Notwendigkeit, Frankl an Kant zu untersuchen, eine aus der Moderne erschlossene. An ihm zeigt sich besonders klar, ob Frankls Relationsontologie der Kantischen Ablehnung der Substanzontologie – wenn auch eine Ablehnung unter postulatorischem Vorbehalt – standhält. Die Auseinandersetzung mit Kant stößt auf das schon bezeichnende Problem, daß Kant nur einen formalen Seinsbegriff hat. Das Verhältnis zwischen Frankl und Kant kann an ihm nicht adäquat eingesehen werden, weil der relationsontologische Seinsbegriff Frankls ethischen Ursprungs ist. Es muß daher auch hier ein Äquivalent gefunden werden; noch mehr gilt dieses Problem für den Sinnbegriff. Aufgrund der ethischen Vorgabe werden Frankls Sein und Sinn bei Kant mit Freiheit und Gesetz verglichen, um Frankl möglichst nah an Kants Denken heranbringen zu können. In Teil III. wird die erkenntnistheoretische Frage von Frankl selbst an Kant diskutiert, so daß schon in Kapitel III.A. ein Teil der Kant-Thematik vorgezogen wird. Es bleiben dennoch für das B-Kapitel innerhalb des Teiles Sinn59 Einleitung erkenntnis wesentliche Themen, die der Bestimmung der Abgrenzung dienen, zu erörtern; vor allem das Gewissen und die Liebe. Die unterschiedliche Stellung, die Cusanus und Kant hinsichtlich einer Grenzbestimmung des relationsontologischen Ansatzes für Frankl einnehmen, öffnet den Blick auf die drei sehr verschiedenen Systeme, auf die sich Frankl bezieht: Scheler, Jaspers und Heidegger. Zum Teil liegen für diesen Vergleich direkte Bezugnahmen von seiten Frankls vor. Deren Einbindung im Originaltext bzw. -kontext wird erhellend sein für die Grenzziehung zwischen Übernahme und Transformation bzw. Integration in das Denken Frankls. Zum Teil weist die Ausdrucksweise Frankls auf bestimmte Philosopheme eines Denkers hin, ohne auf ihn zu verweisen. Zum Teil aber werden von Frankl Themen vorgegeben, die zu einer Auseinandersetzung mit den Aussagen des jeweiligen Denkers auffordern. So ist z. B. M. Scheler als Ontologe nicht bekannt, aber dennoch ist es sinnvoll, seinen Seinsbegriff, so weit er ihn dargelegt hat, zum Zwecke der Grenzziehung zu Frankl heranzuziehen. Sofern die vorliegende Untersuchung ihren Ausgangspunkt von Frankl her nimmt, ist in den vergleichenden Analysen damit verbunden, daß die Begriffe, die bei Frankl zentral sind, bei einem der Denker möglicherweise peripher sind. Dies gilt vor allem für die Begriffe Sinn, Freiheit und Existenz. Auch der periphere Begriff wird zur Untersuchung herangezogen, weil dadurch die Akzentverschiebung oder auch ein prinzipieller Unterschied zu Frankl sichtbar wird. Das Ziel bleibt aber immer, ein möglichst angemessenes Äquivalent zu elaborieren, wie es schon für Cusanus und Kant angedeutet wurde. Die Besonderheit der Anleihe Frankls besagt aber interessanterweise nicht, daß die Zentralität eines gleichlautenden Begriffs auch schon Übereinstimmung bedeuten würde. Gerade diese Art der Differenz ist besonders erhellend für die eklektische Methode Frankls, sein Weise der Integration und vor allem seine Eigenständigkeit, die dann als ein weiterhin zu Klärendes offensteht. Es sei hier schon angedeutet, daß mit jedem der drei modernen Denker eine spezifische Grenzziehung und daher auch spezifische Problematik innerhalb der Franklschen Eklektik zutage tritt. Um dies herauszuarbeiten, soll möglichst nahe an den Primärtexten gearbeitet werden. Prinzipiell gilt, daß jedem der Denker die Gelegenheit gegeben wird, sich auszusprechen und nicht nur in willkürlich abgegrenzten Zitaten wiedergegeben zu werden, deren Zusammenhang fraglich bliebe. Darin liegt sicherlich ein Grund für den Umfang der 60 § 2 These und Methode Arbeit. Dennoch wird eine Eingrenzung hinsichtlich der Primärliteratur bei Scheler und Heidegger vorgenommen. Das zugrunde liegende Prinzip dafür ist die Lektüre Frankls. Auf ihn selber geht die Angabe zurück, daß er Schelers Formalismus und den Sammelband Das Ewige im Menschen gelesen hat. Darauf und auf einige Schriften aus Schelers mittlerer Schaffensphase werden wir unsere Darlegungen hauptsächlich stützen. Für Heidegger liegen zwei Informationen bereit, erstens sein schon zitierter Gästebucheintrag, in dem er das Zeitproblem thematisiert und indirekt auf Sein und Zeit verweist, und zweitens der Hinweis in der Untersuchung von Fintz-Müller 159 zur Privatbibliothek Frankls, daß er zwar sehr viele Anmerkungen in den Büchern Jaspers’ gemacht hat, aber Heideggers Bücher nahezu unberührt blieben. Daraus ist die Berechtigung zu erschließen, daß eine Beschränkung auf das fundamentale Werk Heideggers, Sein und Zeit, für die anstehenden Vergleiche ausreichend ist. Sowohl ausführliche Zitation als auch Einschränkung der Primärliteratur dienen der Herausarbeitung einer je spezifischen Problematik zwischen Frankl und einem der drei Denker. Damit ist verbunden, daß auch über die bisherigen Analysen zu dem jeweiligen Verhältnis zwischen ihnen und Frankl hinausgegangen wird und davon abweichende Ergebnisse sichtbar werden. In jedem der drei Teile werden die Grenzziehungs-Resultate in den Zwischenbilanzen zusammengeführt, so daß daraus das weitere Vorgehen ableitbar wird. Die C-Kapitel sind emendativ konzipiert, d. h., daß der in der relationsontologischen Tradition unerklärbare »Rest«, der eigenständige Kern Franklschen Denkens bzw. dessen substanzontologische Implikation, nun durch die Seinsphilosophie des Thomas von Aquin einer Explikation zugeführt wird, der sie als ihrer metaphysischen Fundierung bedarf. In den Thomas-Kapiteln zeigt sich am deutlichsten, daß die konzeptuelle Fragestellung besonders herausfordert. Die erste Grundlage, die zu legen ist, ist die Differenzierung in substantielles und akzidentelles Sein. Nur so ist es möglich, die metaphysischen Gehalte Frankls innerhalb seiner existenzanalytischen und anthropologischen Theoreme neu ableiten zu können und so die Implikation systematisch sichtbar zu machen. Im Mittelpunkt dieser Primärdifferenzierung steht zwangsläufig der Relationsbegriff, durch den die Brücke zwischen Frankls relationsontologischer Implikation und substanzontologischer Explikati159 Vgl. Fintz-Müller, Frankl mit Jaspers verstehen, 209. 61 Einleitung on geschlagen wird. Die relatio ist für die dargelegte These der Drehund Angelpunkt, durch den alle weiteren konzeptuellen Analysen in den C-Kapiteln ihr Fundament haben und durch den die ontologische Doppelfunktion des Sinnbegriffs geklärt werden kann, sofern es darum geht, den Sinn in seiner substanzontologischen Fundierung zu explizieren. Dadurch wird natürlich auch die Frage virulent, inwieweit Frankl sich überhaupt im systematischen Sinne relationsontologisch expliziert hat. Auf dieser Grundlage kann die konzeptuelle Analyse in zwei verschiedenen Arbeitsrichtungen mit je eigenen Resultaten vorgenommen werden: Erstens werden Franklsche Begriffe entweder unmittelbar bei Thomas vorgefunden und ermöglichen die metaphysische Fundierung, wie die Freiheit und – bedingt – auch das Glück; oder sie werden aufgrund der metaphysischen Implikation Frankls im Thomasischen System erschlossen, wie der Sinnbegriff, die existentielle Erkenntnis und die Verantwortung. Diese Arbeitsrichtung nutzt die Kohärenz zwischen Ontologie und Ethik bei Thomas, die dem ontologischen Anspruch Frankls in den psychologisch-ethischen Fragen letztlich zugute kommt. Zweitens entsteht in einem für Frankl sehr entscheidenden Fall die Sondersituation, daß im Thomasischen Denken eine substanzontologisch fundierte Zeittheorie abzuleiten ist, in der die existenzanalytische Zeitontologie Frankls neu formuliert ist. Dadurch ist es möglich, die einzelnen erarbeiteten Begriffe innerhalb einer substanzontologisch gedachten Zeitlichkeit, die eine solche nur sein kann, weil sie überzeitlich und metaphysisch bedingt ist, zu deuten. In dieser Arbeitsrichtung wird Frankl zum Impulsgeber für eine erweiternde Thomas-Interpretation, die wiederum ihm selbst zugute kommt, sofern seine substanzontologische Implikation dadurch in der Thomasischen Formulierung anwendbar wird für ein praxisrelevantes Denken auf psychologisch-ethischem Boden. Die Frage nach dem Gottesbeweis ist das einzige Thema, das nicht in den C-Kapiteln erörtert wird. Ähnlich wie die Erkenntnistheorie Kants schon im A-Teil behandelt wird wird sie in § 6 behandelt. Was von Thomas her dazu beizutragen ist, fügt sich in die dort notwendige Auseinandersetzung mit anderen Gottesbeweisen ein. Diese Grundlage genügt, um die Existenz Gottes sowohl für Frankl als auch für Thomas als erwiesen vorauszusetzen. Dadurch bleibt gewährleistet, daß die philosophische Fragerichtung um einer psychologischen Problematik willen nicht über das notwendige Maß natürlicher Theologie hinaus relativiert wird. 62 § 2 These und Methode Kehren wir am Ende der Einleitung zur ersten Hauptfrage, nämlich die nach der Herkunft der Sinndefizienz im 20. Jahrhundert zurück, so wird Frankls logotherapeutisches Unternehmen, das sich fundamental dieser Problematik stellt, durch unsere These ein implizierter Hintergrund aufgezeigt, durch den Frankls Antwortcharakter auf die Misere verstehbar wird. Mit der Heranziehung des Thomas von Aquin wird ein prinzipieller Orientierungspunkt im Denken Frankls freigelegt, der auch mit anderen Denkern des 20. Jahrhunderts, die dem Thomasischen Denken sich verpflichtet wissen 160 , gedacht werden kann. Mit der Explikation der Thomasischen These soll ausgesagt werden, daß Frankl zwar zu einer Mischinterpretation zwischen den beiden ontologischen Ansätzen beim ersten Hinsehen einzuladen scheint 161 , aber seine konsequente Antwort auf die Sinndefizienz, wie mir scheint, ihm nur möglich ist, weil auch die substanzontologische Implikation sein Denken trägt, so daß die Sinnfrage des Menschen wieder in die Geborgenheit der Seinsgewißheit zurückgeführt wird. Eine Diskussion mit jenen Thomas-Interpreten, die eine Synthese mit Kant, dem deutschen Idealismus oder Heidegger suchen, wird darum nicht durchgeführt. Stattdessen wird um so deutlicher der Akzent auf die Analysen in den B-Teilen gelegt, in denen die prinzipiellen Probleme, die auch bei diesen Denkern im Vergleich zu Frankl zu besprechen wären, zur Sprache kommen. Hier wären u. a. Edith Stein und Dietrich von Hildebrand zu nennen. Vgl. dazu die kritischen Stellungnahmen von Weier, Sinn und Teilhabe, 25–36 und Ogiermann, Existenziell, existenzial, personal, Schol 40 (1965) 321–351. 160 161 63