BAUWERK SHIGERU BAN – JAPANS BESTER Mitten in Zürich ein Gebäude aus Holz. Darf man das? «Passt nicht», sagen die einen. «Zu wenig urban», warnen die andern. Weil alle glauben, dass alle so denken, versucht es niemand. Doch dann kommt plötzlich einer von draussen, von sehr weit draussen. Er heisst Shigeru Ban, führt Architekturbüros in ... 6 / 7 FIRST 00/2013 HOLZKOPF 1 BAUWERK ... Tokio, New York und Paris und zählt zu den Stararchitekten der Welt. Shigeru Ban schlägt also dem Medienkonzern Tamedia in Zürich einen Holzbau vor, überzeugt den Bauherrn, dann die Baubehörden und schliesslich sogar die Feuerpolizei. Und jetzt ist es da – das Wunder von Zürich. Text Urs Thaler Das Verlagshaus Tamedia hat seinen Stammsitz mitten in Zürich. Das Areal, auf dem sich die vielen Gebäude des Unternehmens befinden, bildet ein Dreieck, das von der Werdstrasse, Stauffacherstrasse und der Sihl umschlossen wird. An der Nordspitze des Areals befinden sich drei Gebäude, die ursprünglich einmal Wohnhäuser waren. Doch aus den Wohnungen sind längst Büros geworden – verwinkelte und eher kleine Büros allerdings, die den heutigen Bedürfnissen eines Medienhauses nicht mehr genügten. Also entschieden die Verantwortlichen der Tamedia, die drei Gebäude abzu­brechen. Drei Ziele peilte Verwaltungsratspräsident Pietro Supino mit dem Neubau an: erstens attraktive Arbeitsplätze schaffen, wo sich die Mitarbeitenden wohlfühlen; zweitens ein nachhaltiges Konzept für das neue Gebäude entwickeln, welches das gesamte Areal aufwertet; und drittens trotz hoher qualitativer Anforderungen den Neubau mit vernünftigem Mitteleinsatz realisieren. War’s das? Nein, natürlich nicht. Supino hatte noch ein wei­teres Ziel: Er wollte den Architekten Shigeru Ban erstmals in der Schweiz bauen lassen. Dem Zürcher Verleger war ein Haus aufgefallen, das der Japaner in New York auf Long Island gebaut hatte – das Sagaponac House. Es gehört in die Reihe der so genannten Furniture Houses, die Shigeru Ban bislang vor allem in Japan gebaut hat. Der Architekt hatte bei den häufigen Erdbeben in seinem Heimatland festgestellt, dass immer wieder Menschen durch umstürzende Möbelstücke schwer verletzt oder gar getötet wurden. Also machte er die Möbel zu konstruktiven Elementen des Hauses und verankerte sie fest in die tragenden Wände. Damit war die Gefahr herumfliegender Schränke und Gestelle gebannt. Man sieht: Der Japaner ist ein praktisch veranlagter Mensch. ANDERS ALS DIE ANDEREN Und Shigeru Ban ist wie viele Japaner auch ein zurückhaltender Mann, ruhig, höflich, bescheiden. Er ist einer, der aus den kleinen Er- fahrungen des Lebens Grosses entstehen lassen kann. Ban erzählt aus seiner Kindheit in Tokio: «Meine Eltern bauten ihr Haus mehrmals um, und so kam es mir vor, als wäre ständig ein Schreiner im Haus. Als Kind habe ich dann die Holzabfälle gesammelt, um daraus etwas zu basteln, eine Spielzeugeisenbahn oder ein Haus.» Diese simplen Erfahrungen lehrten den Japaner, dass sich auch mit Reststoffen und Abfällen etwas Sinnvolles machen lässt – sofern man kreativ genug ist. Bans Architektur ist ohne Zweifel kreativ und ungewöhnlich. Sie zeichnet sich durch eine unprätentiöse Nachhaltigkeit aus, die sich bei ihm ganz ungezwungen einstellt. Sie wirkt so, als sei sie schon immer da gewesen, aber irgendwann bei vielen Menschen einfach vergessen gegangen. Doch Shigeru Ban holt das Vergessene und Verlorene wieder hervor, indem er auf ungewöhnliche Baumaterialien wie Lehm, Karton, Papier und Textilien setzt. Oder auf unterschätzte Baumaterialien wie Holz, das er dann jedoch wagemutiger einsetzt als alle andern Architekten. Fast alle Architekturkritiker und Journalisten halten den Japaner für einen umweltbewussten Architekten, der mit der Verwendung von Papier und Karton für temporäre Bauten und von Holz für langlebige Gebäude eine «grüne Strategie» verfolge. Shigeru Ban lächelt nur über solche Interpretationen. Er verspürt als Architekt keinerlei politische Sendung. «Ich habe einfach Interesse an unbehandelten, kostengünstigen Materialien», sagt er. Und Holz liebe er für seine Schönheit: «Es riecht so wunderbar. Als ich ein Kind war, wollte ich Schreiner werden.» EIN STARKES DUO Christoph Zimmer, der bei Tamedia Projektleiter für den Neubau verantwortlich ist, erzählt, dass der Medienkonzern dem Japaner keinerlei Vorgaben über die Baumaterialien gemacht habe: «Es ist nicht so, dass wir uns explizit einen Holzbau gewünscht haben.» Solange Ban innerhalb des Budgets blieb, hätte er auch einen Bau aus Backstein, Beton, Glas oder Stahl vorschlagen können. Doch rasch zeigte sich, worauf der Japaner hinauswollte. Denn bereits bei der ersten Präsentation seines Entwurfes brachte er einen Schweizer mit – Hermann Blumer aus Herisau. Mit diesem erfahrenen ETH-Ingenieur hatte der Japaner schon Holzbauprojekte verwirklicht, die unter Baufachleuten schlicht als unrealisierbar galten. So etwa im französischen Metz. Zahlen und Fakten zum Tamedia-Holzhaus Siebengeschossiges Bürogebäude mit rund 440 Arbeitsplätzen für Verlag und Redaktion (inkl. Teilprojekt Aufstockung Stauffacherquai 8) Nutzfläche: 10 255 m 2 (Bruttogeschossfläche inkl. Teilprojekt Aufstockung Stauffacherquai 8) Baukosten: rund 50 Mio. Franken (inkl. Teilprojekt Aufstockung Stauffacherquai 8) Bauzeit: Februar 2011 bis Mai 2013 Verbaute Holzmenge: 3600 Fichten mit einem Gesamtgewicht von 2800 Tonnen (diese Holzmenge wächst in den Schweizer Wäldern in einem Tag nach) Tragwerk aus 1400 vorgefertigten Holzbauelementen, die in Rahmenbauweise erstellt und zusammengesteckt wurden (von hinten nach vorn und nicht von unten nach oben) Jeder der insgesamt acht Holzrahmen wiegt 18 Tonnen und hat fast 25 Meter hohe Stützen, die vom Erdgeschoss bis zum Dachgeschoss durchlaufen. Fast ausschliesslich Holz-Holz-Verbindungen ohne Metallverstärkungen 8 / 9 FIRST 00/2013 2 1 – 3 Das neue Tamedia-Holzhaus in Zürich. Die filigrane Tragstruktur aus hellem Fichtenholz ist von aussen gut sichtbar. Aus der Nähe zeigt sich, dass die Holzelemente fast Möbelqualität besitzen – so perfekt sind sie bearbeitet. 3 BAUWERK Dort errichtete Ban mit dem Centre Pompidou einen spektakulären Museumsbau, obwohl englische und französische Ingenieure dringend abrieten, das Gebäude so zu überdachen, wie es der Japaner vorschlug. Diesem schwebte nämlich eine höchst ungewöhnlich geflochtene und gewölbte Holzdachkonstruktion aus hexagonalen Mustern vor. Also suchte sich Shigeru Ban einen erfahrenen Holzbauspezialis ten, der die Machbarkeit des kühnen Entwurfes überprüfen und garantieren konnte, und fand ihn in Herisau mit Hermann Blumer. Klar, dass der japanische Architekt den Ingenieur, der aus einer Holzbaufamilie entstammt, auch beim Tamedia-Bau wieder dabeihaben wollte. Denn mit seinem ersten Projekt in der Schweiz wollte Shigeru Ban ebenfalls ein Holzbauwerk der Spitzenklasse realisieren. Shigeru Ban Der japanische Architekt Shigeru Ban (56) wuchs in Tokio auf. Er studierte in den USA Architektur. Am Southern California Institute of Architecture kam er in Berührung mit grossen Architekten wie Frank Gehry, Eric Owen Moss und Thom Mayne. Beim Weiterstudium an der Cooper Union School of Architecture war es vor allem John Hejduk, der für den damals jungen Japaner wichtig wurde. Zurück in Tokio gründete Shigeru Ban sein eigenes Architekturbüro. Seine Entwürfe und Bauten zeichnen sich aus durch eine geglückte Verbindung traditioneller japanischer Bauweise mit der modernen westlichen Architektur sowie durch die Verwendung von ungewöhnlichen Baustoffen. Ban hat heute Büros in Tokio, New York und Paris. Nach der Errichtung des Tamedia-Gebäudes in Zürich folgt bereits der nächste Bau, der noch grösser sein wird: der neue Hauptsitz der SwatchGruppe in Biel. shigerubanarchitects.com 4 – 5 Centre Pompidou in Metz. Die komplexe Dachkonstruktion hat Shigeru Ban einem chinesischen Hut nachgebildet. 4 10 / 11 FIRST 00/2013 5 BAUWERK 6 – 7 Golfclub Nine Bridges in Südkorea. Drei dominante Materialien hat Shigeru Ban bei diesem Bau zusammengeführt: Bruchsteine, Glas und im Innern Holzsäulen, die sich nach oben wie Baumkronen verbreitern und in die Dachkonstruktion übergehen. 12 / 13 FIRST 00/2013 Blumer-Lehmann – Holzbau vom Feinsten Wenn irgendwo in der Welt Holzbauten der Superlative errichtet werden, ist oft die Ostschweizer Holzbaufirma mit von der Partie. Sie zählt international zu den angesehensten Unternehmen der Holzbaubranche. So hat sie beispielsweise in Südkorea die grösste hölzerne Achterbahn der Welt gebaut und das Golfclubhaus Nine Bridges. Im norwegischen Kristiansand konstruierten die Gossauer Firma am Kilden Performing Arts Centre ein riesiges wellenförmiges Dach. Das Unternehmen Blumer-Lehmann beschäftigt rund 200 Personen, davon 20 Lehrlinge. Zur Holzbaufabrik gehört ein Säge- und Holzwerk, in dem jährlich 100 000 Kubikmeter Rundholz verarbeitet werden. Ein weiterer Betrieb stellt Silobauten her. Reststoffe werden über ein Partnerwerk zu Heizpellets verarbeitet. Schliesslich sorgt das betriebs eigene Kraftwerk Zündholz, für Wärme und Strom, der den Bedarf von 1200 Haushalten abdeckt. Das Unternehmen erzielt einen Umsatz von 60 bis 70 Mio. Franken pro Jahr. blumer-lehmann.ch Im Rückblick findet es Christoph Zimmer noch immer verblüffend, wie nah schon der erste Konstruktionsentwurf des Japaners beim nun realisierten Projekt lag: «Zwar gab es da und dort Änderungen, aber es betraf immer nur Details und nie etwas ganz Grundsätzliches,» sagt der Tamedia-Projektleiter. «Das spricht für die Genialität von Shigeru Bans Arbeit.» Für diese erstaunliche Präzision gibt es noch einen weiteren Grund. Der Stararchitekt legt bei jedem Projekt immer grossen Wert auf einen engen Austausch mit den Ingenieuren und den Holzbaufachleuten. Er ist keiner, der sich nur um den schönen Schein und um die Ästhetik eines Gebäudes sorgt – ebenso sehr liegt ihm die technisch-handwerkliche Perfektion am Herzen. 6 Katharina Lehmann kann dies bestätigen. Sie und ihre Holzbauer arbeiten gerne mit dem Japaner. «Die Zusammenarbeit mit Shigeru Ban ist sehr angenehm, denn er sagt uns klar, welche seiner Vorstellungen sakrosankt sind und wo er Kompromisse eingehen kann.» Ihr Unternehmen, die Holzbaufirma Blumer-Lehmann aus dem sanktgallischen Gossau, zählt zu den international führenden Betrieben für Holzbauten, die den Rahmen des Konventionellen sprengen. Mit Shigeru Ban haben die Ostschweizer auch das mehrfach ausgezeichnete Golfclubgebäude Nine Bridges im südkoreanischen Yeoju gebaut. Ein in jeder Hinsicht beeindruckender Bau mit einer fantastischen Raumwirkung. Steht man im Atrium des Club- hauses, glaubt man fast, in einem Märchenwald zu stehen. Wie in einer Allee stehen da links und rechts elegante Holzsäulen, die sich nach oben zu einer Art Baumkrone verbreitern und nahtlos in eine geflochtene, schwebende Holzdachkonstruktion übergehen. Auch für das Tamedia-Gebäude brauchte der Japaner die besten Holzbaufachleute. Bei diesem Bau dreht sich alles um eine filigrane Holzkonstruktion, die das ganze Gebäude trägt und hält (siehe Box «Zahlen und Fakten zum Tamedia-Holzhaus»). Auch nach Vollendung des Bauwerks soll die hölzerne Tragstruktur hinter einer transparenten Glas-Aluminium-Haut sichtbar bleiben. Von aussen zeigt sich die Holzstruktur diskret und zurückhaltend, nach innen jedoch entfaltet sie ihre ganze unbändige Kraft. Wer von den alten, konventionellen Gebäuden des TamediaAreals in den Neubau hinüberwechselt, spürt den Unterschied beim Betreten des «Holzhauses» fast physisch – von der harmonisch geformten Holzstruktur in den Grossraumbüros geht eine unglaubliche Energie aus. Und ein unglaublich feiner und intensiver Duft von Fichtenholz. Shigeru Ban hat schon recht: Holz riecht gut. ENDE UND NEUBEGINN Im Juni 2013 beziehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tamedia die Arbeitsplätze im neuen Gebäude. Das Ziel, das Verwaltungsratspräsident Pietro Supino beim Projektstart FIRST 00/2013 formuliert hatte, wird mit Sicherheit übertroffen werden – im neuen Holzhaus dürften sich die Mitarbeitenden mehr als nur wohlfühlen. Es wird ein Privileg sein, in den neuen hellen Räumen mit traumhafter Aussicht auf Sihl und Stadt arbeiten zu dürfen. Und Shigeru Ban wird wohl bald ein letztes Mal vor Fertigstellung durch die Räume schreiten. Wie immer wird er da und dort stehen bleiben, um nochmals ein Detail anzuschauen oder um eine Nachbesserung anzumahnen. Ist er zufrieden mit seinem ersten Projekt, das er in der Schweiz realisiert hat? «Oh, ja. Die Schweiz ist vielleicht der beste Ort auf der Welt, um zu bauen: freundliche Behörden, qualitätsbewusste Kunden.» Und dann lässt Shigeru Ban mit einem feinen Lächeln noch den Nachsatz folgen: «Nur in Japan ist es noch besser.» Mag sein. Doch bis auf Weiteres wird Shigeru Ban weiterhin häufig in der Schweiz anzutref­fen sein. Denn es gibt neue Arbeit. Im Zürcher Museum Rietberg wartet ein kleiner Auftrag. Und in Biel steht ein ganz grosser Brocken an – der neue Hauptsitz der SwatchGruppe. Die Familie Hayek kennt und schätzt Japans Star­architekten schon seit Langem, hat dieser doch 2007 in Tokio mit dem Nicolas G. Hayek Center ein beeindruckendes 13-stöckiges Gebäude für den Uhrenkonzern geschaffen. In Biel jedoch wird alles noch grösser, breiter, auffälliger – und wieder mit Holz. Gut so. Denn mit diesem Baustoff bringt Japans bester «Holzkopf» ein schönes Stück Nach­haltigkeit in die Schweizer Städte zurück. 7