Mexiko 1949. ø Regie: Luis Buñuel. ø Regie-Assistenz: Moisés M. Delgado. ø Drehbuch: Luis Alcoriza, Raquel Alcoriza (= Raquel Rojas, auch: Janet Alcoriza), nach dem gleichnamigen Theaterstück (1945) von Adolfo Torrado. ø Kamera: Ezequiel Carrasco. ø Kamera-Führung: Manuel Santaella. ø Schnitt: Carlos Savage, Luis Buñuel. ø SchnittAssistenz: Alberto Valenzuela. ø Ton: Jesús González Gancy, William W. Claridge. ø Ton-Aufnahme (Dialoge): Rafael Ruiz Esparza. ø Musik: Manuel Esperón. ø Szenenbild: Luis Moya. ø Ausstattung: Dario Cabañas; Galerías Artísticas, S. A. (Möblierung). ø Make-up: Ana Guerrero. ø Frisuren: Juanita Lepe. schließlich auch noch die Braut abspenstig macht – lauthals stören. Ralf Schenk in: Weltbühne (Berlin), 12.11.1986. Adolfo Torrado ist heute der Einäugige unter den blinden Autoren – abgesehen von Jacinto Benavente, bedrückt von hohem Alter und einsamer Einmaligkeit – in diesem Land der traurigen Kurz- Produktionsfirma: Ultramar Films, Mexiko. ø Produzenten: Fernando Soler, Óscar Dancigers. ø Filmgeschäftsführung: Federico Amérigo; Antonio de Salazar (Administration). ø Produktionsleitung: Alberto Ferrer. ø Drehzeit: 9. 6.–5. 7. 1949. ø Drehort: Estudios Cinematográficos del Tepeyac, Mexiko-Stadt. ø Format: 35 mm, schwarzweiß. ø Länge: 92 Min. ø Uraufführung: 25.11.1949, Mexiko-Stadt, Orfeón. ø Deutsche Erstaufführung: 5. 5.1975, Berlin, Arsenal (DER GROSSE LEBEMANN ; OmÜb). ø DDR-Erstaufführung: 17.10.1986, Berlin, Camera im Babylon (DER GROSSE LEICHTFUSS ; OmÜb). Deutsche Kinemathek Retrospektive Luis Buñuel DER GROSSE LEICHTFUSS beginnt mit einem Gewimmel von Beinen, die über- und durcheinander liegen. Zwischen vier Bettlern zappelt ein „Herr“, Don Ramiro, wegen Trunkenheit Stammgast im Gefängnis. Auftakt eines höchst amüsanten Opus, das im Berliner Kino „Babylon“ sogar Schlußbeifall bekam: ein Kraftakt des urwüchsigen Komödianten Fernando Soler. Situationskomik en masse – und (…) hübsche Verfremdungen: (…) Die obligate Szene der Liebeserklärung [wird] durch Eis am Stiel, an dem die Partner lutschen, ironisiert. Buñuel zeigt die Doppelmoral einer bourgeoisen Familie; am Schluß läßt er die Zeremonie einer kirchlichen Trauung durch einen jungen Arbeiter – der dem reichen Gockel EL GRAN CALAVERA : Fernando Soler (Mitte) Darsteller/innen: Fernando Soler (Don Ramiro) ø Rosario Granados (Virginia) ø Andrés Soler (Ladislao) ø Rubén Rojo (Pablo) ø Gustavo Rojo (Eduardo) ø Maruja Grifell (Milagros) ø Francisco Jambrina (Gregorio) ø Luis Alcoriza (Alfredo) ø Antonio Bravo (Alfonso) ø Antonio Monsell (Juan, el mayordomo/Majordomus) ø Nicolás Rodriguez (Carmelito) ø María Luisa Serrano ø Juan Pulido ø Gerardo Pérez Martínez ø Pepe Martínez ø José Chávez Trowe. sichtigen, das Spanien heute ist. Torrado gelangen einige große Erfolge in Zusammenarbeit mit Agustín Navarro, als die spanische Szene von den Uralten dominiert wurde, nämlich den Brüdern Serafín Álvarez und Joaquín Álvarez Quintero, von Carlos Arniches, Manuel Linares Rivas, (…) und Pedro Muñoz Seca, die zu Autoren von mittelmäßigen und angepaßten Komödien geworden waren. Wenn man bei jemandem die Schuld suchen muß für den Verfall des spanischen Theaters unserer Zeit, dann muß dieser Muñoz Seca erwähnt werden, der die begnadete Kunst seiner Stücke „La Venganza de Don Mendo“, „Los Extremeños se tocan“, „El Verdugo de Sevilla“ für den Sirenengesang des leichten Erfolges aufgab und die Posse dem schlechten Geschmack und den niederen Zwecken unterwarf. Torrado ist nichts mehr und nichts weniger als ein geschickter Autor, der nicht so tut, als würde er Neues enthüllen, sondern der auf gängige komische oder melodramatische Effekte zurückgreift. Er nutzt die Gutgläubigkeit eines wenig anspruchsvollen Publikums aus, das die 97 Filme als Regisseur 58. Internationale Filmfestspiele Berlin 2008 Retrospektive Luis Buñuel EL GRAN CALAVERA Filme als Regisseur Theater ebenso wie die Kinosäle füllt, und nimmt dafür Standpauken von Kritik und Liebhabern in Kauf. Torrado wäre kein Autor, den man im Schulunterricht zum Vorbild nehmen würde, aber er ist einer von denen, die aufgrund ihres Metiers einen gewissen Stand und Privilegien genießen. EL GRAN CALAVERA ist eine Torrado-Komödie mit ihren komischen Facetten und der grundsätzlichen Ernsthaftigkeit – aber auch die Verwendung von orientalischen Geschichten darf nicht fehlen. Wenn man genau hinsieht, ist die Geschichte von EL GRAN CALAVERA von „Kalila und Dimna“ oder von „Tausendundeine Nacht“ inspiriert. Insofern hat sie etwas von einer Phantasie oder einer Posse, da wir vom Theater sprechen – aber Torrados behutsames Vorgehen rettet sie vor Absurdität und reduziert sie auf ihre Substanz, welche die Wirklichkeit spiegelt. Sind wir dafür offen, unterhält und amüsiert uns EL GRAN CALAVERA und läßt uns seine konventionellen kleinen Sünden verzeihen. Theaterstücke, in denen es an Substanz fehlt, gewinnen gewöhnlich, wenn sie von einem guten Drehbuchautoren und einem erfahrenen Regisseur bearbeitet den Sprung ins Kino schaffen. Dies gilt auch für EL GRAN CALAVERA dank Raquel und Luis Alcoriza, den Verantwortlichen für die Adaption des Drehbuchs, und dank des Regisseurs Luis Buñuel. Nicht zu vergessen ist der Anteil Fernando Solers, der zusammen mit Óscar Dancigers als Produzent fungierte und auch die Hauptrolle spielte. Auch wenn man nicht sagen kann, daß wir es mit einem vorbildlichen Film zu tun haben, wage ich zu behaupten, daß es eine der liebenswertesten und besten Komödien des mexikanischen Kinos ist. Man hätte aus dem Kontrast, der sich aus dem Leben als Millionär und dem Leben im Mehrfamilienhaus ergibt, in einigen Situationen mehr Wirkung erzielen können, aber die Überstürzung, mit der in unseren Breiten Kino gemacht wird, trägt die Verantwortung für solche Nachlässigkeit. Der erfahrenere Zuschauer lacht und amüsiert sich in diesem Film. Luis Buñuel, der rastlose und gründliche Regisseur, gibt der Geschichte eine bemerkenswerte Lebendigkeit und Schlichtheit der Darstellung (...). Fernando Soler, angesichts seiner großartigen schauspielerischen Fähigkeiten die ideale Besetzung für seine Rolle, ist schlicht und einfach hervorragend. Seit seiner Mitarbeit in LAS TANDAS DEL PRINCIPAL [Juan Bustillo Oro, Mexiko 1949] hat er sich schauspielerisch so verbessert, daß man sich, allein da 98 man von seinem Mitwirken weiß, den Film nicht entgehen läßt. Neben diesem phantastischen Künstler zeichnen sich aus: Rosario Granados, die jeden Tag schöner und klüger wird; Andrés Soler, zu dem dramatische und spröde Rollen besser passen; Rubén und Gustavo Rojo, die sich als unersetzliche Darsteller von Liebhabern bestätigen; Francisco Jambrina, ein guter Schauspieler, der bessere Chancen verdient hätte; und Antonio Bravo, einfach köstlich in seiner Rolle als Überbringer der falschen Botschaft vom Bankrott. Maruja Grifell erfüllt ihre Aufgabe so gut, wie sie kann, aber ihre Darstellung ist die hölzernste und am wenigsten gelungene von allen. Beklagenswert ist die Hintergrundmusik. Álvaro Custodio in: Excélsior (Mexiko-Stadt), 27.11.1949. Aus dem Archiv der Hemeroteca Nacional de México, Mexiko-Stadt. Aus dem Spanischen übersetzt von Christine Seuring. (…) Vierzehn Jahre hatte Buñuel hinter keiner Kamera mehr gestanden, als der mexikanische Produzent Óscar Dancigers ihm eine Produktion antrug. Buñuel sagte zu. So entstanden GRAN CASINO und EL GRAN CALAVERA . Die Ästhetik dieser ersten beiden Arbeiten Buñuels in Mexiko überrascht einigermaßen, die Provokationen der europäischen Bildkompositionen und -kollisionen fehlen, der ungezügelte Bruch mit Erzählkonventionen ist zur Ikonographie der Hollywood-Schule erstarrt. Simples, geradliniges Theaterkino hat das Buñuelsche Filmvokabular verdrängt. Der Zerstörer verschwindet hinter dem braven Szenenarrangeur. (…) EL GRAN CALAVERA [ist] ein von Schwankelementen angekränkelter Komödienversuch über einen dem Trunk verfallenen Millionär [Fernando Soler], dem erst die Familie vorgaukelt, er sei über Nacht arm geworden, und der, nachdem er den Betrug bemerkt, nun seinerseits der Familie den Bankrott vorspielt. Der ironische Spötter über die Bourgeoisie und aggressive Zyniker Buñuel ist da kaum zu bemerken, soziale Schranken werden von der Liebe niedergerissen und Armut in pittoreske Romantik getaucht. Ein paar Mal allerdings blitzt etwas vom früheren und späteren Buñuel auf: (…) die Liebeserklärung über Lautsprecher, die Verwandlungsspiele von reich in arm und umgekehrt. Die Künstlichkeit der Dekorationen (…) und der Naturimitationen erzeugen eine gewisse Distanz zum Erzählten. (…) W. in: Mitteldeutsche Neueste Nachrichten (Leipzig), 15.11.1986.