119-158 Daten (fr Kopien)

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Deutsche Kinemathek
Retrospektive Luis Buñuel
Darsteller/innen: Fernando Rey (Rafael Acosta, l’ambassadeur de Miranda / Botschafter von Miranda) ø Paul Frankeur
(François Thévenot) ø Delphine Seyrig (Simone Thévenot,
sa femme / Seine Frau) ø Bulle Ogier (Florence, la sœur de
Simone / Simones Schwester) ø Stéphane Audran (Alice
Sénéchal) ø Jean-Pierre Cassel (Henri Sénéchal) ø Michel
Piccoli (Ministre / Innenminister) ø Julien Bertheau (L’evêque Dufor / Bischof) ø Milena Vukotic (Inés, la bonne /
Dienstmädchen) ø María Gabriella Maione (Guérillera /
Terroristin) ø Claude Piéplu (Colonel / Oberst) ø Muni (Paysanne / Bäuerin) ø Pierre Maguelon (Brigadier de police /
Polizeibrigardier) ø François Maistre (Commissaire / Kommissar) ø Georges Douking (Le jardinier moribond / Der
todkranke Gärtner) ø Bernard Musson (Garçon salon de
thé / Kellner) ø Robert Le Béal (Tailleur / Schneider) ø Gerald
Robard (Hubert de Rochecahin) ø José Luis Barros ø Elle
Bahl ø Christian Baltauss ø Olivier Bauchet ø Robert Benoit
ø Anne Marie Deschott ø Maxence Mailfort ø Jacques
Rispal ø Diane Vernon ø Jean Degrave ø Pierre Lary ø Michel Dhermay ø Sébastien Floche ø François Guilloteau ø
Claude Jaeger ø Jean-Claude Jarry ø Alix Mahieux ø Robert
Party ø Jean Revel ø Amparo Soler Leal.
Produktionsfirmen: Greenwich Film, Frankreich / Jet Film,
Spanien / Dean Film, Italien. ø Produzent: Serge Silberman.
ø Produktionsleitung: Ully Pickard. ø Aufnahmeleitung:
Jean Lara; Jean-Jacques Schpoliansky (Assistenz). ø SetAufnahmeleitung: Pierre Lefait; Jean Revel (Assistenz). ø
Filmgeschäftsführung: Jacqueline Dudilleux. ø Drehzeit:
23. 5. bis Ende Juli 1972. ø Drehort: Paris-Studios-Cinéma,
Boulogne-Billancourt, Paris. ø Format: 35 mm, Farbe (Eastmancolor), Panavision-Sphérique. ø Länge: 102 Min. ø
CNC-Eintrag: N° 39.910 (Frankreich). ø Zensur: 12. 4.1973,
v. c. n. 62266 (Italien). ø FSK: 20. 3.1973, Prüf-Nr. 45529,
freigegeben ab 16 Jahren, feiertagsfrei; Neuprüfung: 17.1.
1995, freigegeben ab 12 Jahren, feiertagsfrei (BRD). ø Uraufführung: 15. 9.1972, Paris, Ermittage, Cameo Miramar,
Magic-Convention, Quartier Latin, Quintette, Terminal
Foch. ø Italienische Erstaufführung: 13. 4.1973 (IL FASCINO
DISCRETO DELLA BORGHESIA ). ø Spanische Erstaufführung: 21. 4.1973, Madrid, Alexandra und Galileo (EL DISCRETO ENCANTO DE LA BURGUESÍA ). ø Deutsche Erstaufführung: 20. 4.1973 (DER DISKRETE CHARME DER BOUR-
GEOISIE ). ø Deutsche TV-Erstausstrahlung: 29.10.1978,
ARD (DER DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE).
Anmerkungen: In Spanien kam der Film nur nach von der
Filmzensur veranlaßten Kürzungen ins Kino. ø Der Film
erhielt 1972 den „Oscar“ (Bester fremdsprachiger Film;
Nominierung auch: Bestes Drehbuch) der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und den „Prix Méliès“ der
französischen Kritik.
(…) Schon der Grundeinfall Buñuels ist genial.
Dort, wo die Bourgeoisie so ganz intim bei sich
ist – in den Ritualen des Essens unter Freunden,
sei es zu Hause, sei es in Lokalen –, nistet sich
Buñuel ein. (…) (Sein) Film zeigt nun nichts anderes als den Versuch einer Gruppe von Personen, sich zu solchen abendlichen Mahlzeiten zu
treffen. Aber entweder hat man sich im Datum
geirrt (und folglich ist kein Essen vorbereitet),
oder der Besitzer eines Feinschmeckerlokals ist
gerade gestorben und wird im Nebenzimmer aufgebahrt, so daß einem der Appetit vergeht; hat
man sich dann endlich glücklich versammelt, sind
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Filme als Regisseur
Frankreich / Spanien / Italien 1972. ø Regie: Luis Buñuel. ø
Regie-Assistenz: Pierre Lary, Arnie Gelbart. ø Drehbuch
und Dialoge: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière. ø Skript:
Suzanne Durrenberger. ø Kamera: Edmond Richard. ø Kamera-Führung: Bernard Noisette. ø Kamera-Assistenz:
André Clement, Alain Herpe. ø Schnitt: Hélène Plémiannikov. ø Schnitt-Assistenz: Gina Pignier. ø Ton-Ingenieur:
Guy Villette; Daniel Brisseau (Assistenz). ø Ton-Mischung:
Jacques Carrière; Claude Viland (Assistenz). ø Ton-Effekte:
Luis Buñuel. ø Szenenbild: Pierre Guffroy; Albert Rajau
(Assistenz). ø Innen-Requisite: François Sune. ø Kostüme:
Jacqueline Guyot; Olympe Watelle (Assistenz). ø Roben
für Delphine Seyrig: Jean Patou. ø Make-up: Odette Berroyer, Fernande Hugi. ø Frisuren: Lorca. ø Standfotos: Yves
Manciet.
LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE : Bulle Ogier
58. Internationale Filmfestspiele Berlin 2008
Retrospektive Luis Buñuel
LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE
Filme als Regisseur
die Gastgeber verschwunden (…); oder kaum
widmet man sich der Leberpastete, tritt ein Trupp
von Kavallerieoffizieren ins Haus, die eingeladen
waren allerdings für einen anderen Abend. Da
sich das Manöver um einen Tag verkürzt hatte,
sind sie früher gekommen; jedoch kaum haben
sie alle Achtzehnmannhoch Platz genommen,
kommt der Befehl für sie wieder aufzubrechen:
Der Manöverfeind ist durchgebrochen. Und so
setzt sich das über den ganzen Film hinfort: Appetitus interruptus. Die Bourgeoisie kommt nicht
mehr zu Tische, zu ihrer liebsten Beschäftigung:
Da ist was nicht geheuer, so fängt das an und
hört nicht mehr auf. (…)
Das hält einen ganz schön in Bewegung und
nimmt einem fast den Atem: dieses Abenteuern
durch einen Film, der immer wieder von einem
verlangt, daß man ihn zurückbuchstabiert, daß
man mit ihm um Ecken denkt und mit ihm
springt, wenn er eine Hürde mit Phantasie nimmt.
Langsam verliert man den Boden unter den Füßen, ohne daß einem das allerdings unangenehm
würde. Denn es stellt sich kein Schwindel ein:
eher eine unbändige Lust auf immer neue Entdeckungen, die mit jedem neuen Bild jeder Drehbewegung der Geschichte sich vor einem auftun.
Dieser Surrealismus – so verwirrend, jedoch niemals wirr er sein mag – ist das Gegenteil jenes
obskurantenhaften Mystizismus, der alle Klarheiten ins Dunkel taucht, in der trügerischen Hoffnung, das würfe ein neues Licht auf sie. Wirft
aber noch nicht einmal Schatten. (…) Die täuschende Ähnlichkeit zwischen den Alptraumbildern und der Wirklichkeit (…) hat Buñuel noch
dadurch gesteigert, daß er immer wieder bewußt
als Traumerzählungen eingeführte Traumata eines jungen Offiziers in den Film einsprengt: Da
taucht dann in dunklen, fahlen Bildern der häuslichen Strenge und des Verfalls spanische Vergangenheit auf. Eine Welt des Mordes, der Gifte,
der Gewitter, der Geisterstimmen, des Todes und
Blutes, wie sie aus Buñuels mexikanischen Filmen und Arrabals Stücken bekannt ist. (…)
Dieser DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE ist ein Wunderwerk an Präzision und Fabulierfreude, keine Einstellung zu viel, kein Augenblick außer Kontrolle; dabei voller Leben, Witz,
Irritation und Geheimnis. Neben Jean Renoirs
SPIELREGEL (1939), diesem melancholisch-kritischen Porträt der sich auflösenden, vergehenden französischen Gesellschaft am Rande des
2. Weltkriegs, und Jean-Luc Godards phantastischer Chaotik einer selbstmörderischen Auto148
gesellschaft in WEEKEND (1967) steht von nun
an Luis Buñuels Film DER DISKRETE CHARME
DER BOURGEOISIE . Das sind drei Augenblicke
der Wahrheit in der Kunst unseres Jahrhunderts.
Wenig sonst reicht da heran.
Wolfram Schütte in: Frankfurter Rundschau,
27. 4.1973.
(…) Armee, Kirche, Polizei – das sind die Stützen
der Ordnung. Das sind die Säulen, an denen
Buñuel wie Samson in der Hoffnung rüttelt, der
Tempel möge über den Krämern einstürzen. Trösten wir uns: Nichts wird so bleiben, wie es
ist. Der Film selbst wirkt wie ein Gebäude, das
durch die Einwirkung einer zentrifugalen Kraft
unter Donnerschlägen zusammenbricht. In EL
ÁNGEL EXTERMINADOR , dem anderen gnadenlosen Porträt der Bourgeoisie und ihres Zerfalls,
hatte Buñuel die Handlung auf eine machtvolle
Konvergenzbewegung aufgebaut: auf geheimnisvolle Weise gefangen im Salon, ist keiner aus
der Gruppe imstande, sich zu befreien.
LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE
basiert auf einer entgegengesetzten Bewegung:
Alle erweisen sich als unfähig, sei es auch nur für
kurze Zeit, zusammenzufinden. Nichts verbindet
sie mehr. (…) Alles verflüchtigt sich in einer Abfolge von Knalleffekten, von Wandlungen, die dem
Ganzen ein sehr spanisches Aussehen geben,
das Aussehen eines pikaresken Abenteuers, wo
es zum Schicksal des Helden gehört, von den
Wechselfällen des Lebens gebeutelt zu werden,
ohne Möglichkeit des Zugriffs auf die sich verflüchtigende Realität. (…) (M)an kommt irgendwo
an, wo man nicht erwartet wird, ist dort, wo man
nicht sein soll, als ob die Wirklichkeit sich auf einmal pervertierte, revoltierte, in jedem Fall sich
undiszipliniert gebärdete und sich weigerte, weiterhin das Spiel der Ordnung zu spielen, einer
Ordnung, die in der Tat die Keimzelle jeglicher
Unordnung ist. Luis Buñuel, dieser alte Teufel,
wird er auf wundersame Weise gerettet? Er verjüngt sich von Film zu Film. Kühnheit, Respektlosigkeit, Ungeniertheit, schwarzer Humor, Freiheit der Konstruktion: LE CHARME DISCRET DE
LA BOURGEOISIE zeugt von überschäumender
Freude. Uns Tagelöhnern der „Zelluloid-Gangsteromanie“, uns Kleinbürgern kann ich nur diesen wohlmeinenden Rat geben: Laßt Euch von
dem alten Löwen eine Lektion erteilen.
Jean-Louis Bory in: Le Nouvel Observateur
(Paris), Nr. 411, 25.9.1972. Aus dem
Französischen übersetzt von Helma Schleif.
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