Deutsche Kinemathek Retrospektive Luis Buñuel Darsteller/innen: Fernando Rey (Rafael Acosta, l’ambassadeur de Miranda / Botschafter von Miranda) ø Paul Frankeur (François Thévenot) ø Delphine Seyrig (Simone Thévenot, sa femme / Seine Frau) ø Bulle Ogier (Florence, la sœur de Simone / Simones Schwester) ø Stéphane Audran (Alice Sénéchal) ø Jean-Pierre Cassel (Henri Sénéchal) ø Michel Piccoli (Ministre / Innenminister) ø Julien Bertheau (L’evêque Dufor / Bischof) ø Milena Vukotic (Inés, la bonne / Dienstmädchen) ø María Gabriella Maione (Guérillera / Terroristin) ø Claude Piéplu (Colonel / Oberst) ø Muni (Paysanne / Bäuerin) ø Pierre Maguelon (Brigadier de police / Polizeibrigardier) ø François Maistre (Commissaire / Kommissar) ø Georges Douking (Le jardinier moribond / Der todkranke Gärtner) ø Bernard Musson (Garçon salon de thé / Kellner) ø Robert Le Béal (Tailleur / Schneider) ø Gerald Robard (Hubert de Rochecahin) ø José Luis Barros ø Elle Bahl ø Christian Baltauss ø Olivier Bauchet ø Robert Benoit ø Anne Marie Deschott ø Maxence Mailfort ø Jacques Rispal ø Diane Vernon ø Jean Degrave ø Pierre Lary ø Michel Dhermay ø Sébastien Floche ø François Guilloteau ø Claude Jaeger ø Jean-Claude Jarry ø Alix Mahieux ø Robert Party ø Jean Revel ø Amparo Soler Leal. Produktionsfirmen: Greenwich Film, Frankreich / Jet Film, Spanien / Dean Film, Italien. ø Produzent: Serge Silberman. ø Produktionsleitung: Ully Pickard. ø Aufnahmeleitung: Jean Lara; Jean-Jacques Schpoliansky (Assistenz). ø SetAufnahmeleitung: Pierre Lefait; Jean Revel (Assistenz). ø Filmgeschäftsführung: Jacqueline Dudilleux. ø Drehzeit: 23. 5. bis Ende Juli 1972. ø Drehort: Paris-Studios-Cinéma, Boulogne-Billancourt, Paris. ø Format: 35 mm, Farbe (Eastmancolor), Panavision-Sphérique. ø Länge: 102 Min. ø CNC-Eintrag: N° 39.910 (Frankreich). ø Zensur: 12. 4.1973, v. c. n. 62266 (Italien). ø FSK: 20. 3.1973, Prüf-Nr. 45529, freigegeben ab 16 Jahren, feiertagsfrei; Neuprüfung: 17.1. 1995, freigegeben ab 12 Jahren, feiertagsfrei (BRD). ø Uraufführung: 15. 9.1972, Paris, Ermittage, Cameo Miramar, Magic-Convention, Quartier Latin, Quintette, Terminal Foch. ø Italienische Erstaufführung: 13. 4.1973 (IL FASCINO DISCRETO DELLA BORGHESIA ). ø Spanische Erstaufführung: 21. 4.1973, Madrid, Alexandra und Galileo (EL DISCRETO ENCANTO DE LA BURGUESÍA ). ø Deutsche Erstaufführung: 20. 4.1973 (DER DISKRETE CHARME DER BOUR- GEOISIE ). ø Deutsche TV-Erstausstrahlung: 29.10.1978, ARD (DER DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE). Anmerkungen: In Spanien kam der Film nur nach von der Filmzensur veranlaßten Kürzungen ins Kino. ø Der Film erhielt 1972 den „Oscar“ (Bester fremdsprachiger Film; Nominierung auch: Bestes Drehbuch) der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und den „Prix Méliès“ der französischen Kritik. (…) Schon der Grundeinfall Buñuels ist genial. Dort, wo die Bourgeoisie so ganz intim bei sich ist – in den Ritualen des Essens unter Freunden, sei es zu Hause, sei es in Lokalen –, nistet sich Buñuel ein. (…) (Sein) Film zeigt nun nichts anderes als den Versuch einer Gruppe von Personen, sich zu solchen abendlichen Mahlzeiten zu treffen. Aber entweder hat man sich im Datum geirrt (und folglich ist kein Essen vorbereitet), oder der Besitzer eines Feinschmeckerlokals ist gerade gestorben und wird im Nebenzimmer aufgebahrt, so daß einem der Appetit vergeht; hat man sich dann endlich glücklich versammelt, sind 147 Filme als Regisseur Frankreich / Spanien / Italien 1972. ø Regie: Luis Buñuel. ø Regie-Assistenz: Pierre Lary, Arnie Gelbart. ø Drehbuch und Dialoge: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière. ø Skript: Suzanne Durrenberger. ø Kamera: Edmond Richard. ø Kamera-Führung: Bernard Noisette. ø Kamera-Assistenz: André Clement, Alain Herpe. ø Schnitt: Hélène Plémiannikov. ø Schnitt-Assistenz: Gina Pignier. ø Ton-Ingenieur: Guy Villette; Daniel Brisseau (Assistenz). ø Ton-Mischung: Jacques Carrière; Claude Viland (Assistenz). ø Ton-Effekte: Luis Buñuel. ø Szenenbild: Pierre Guffroy; Albert Rajau (Assistenz). ø Innen-Requisite: François Sune. ø Kostüme: Jacqueline Guyot; Olympe Watelle (Assistenz). ø Roben für Delphine Seyrig: Jean Patou. ø Make-up: Odette Berroyer, Fernande Hugi. ø Frisuren: Lorca. ø Standfotos: Yves Manciet. LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE : Bulle Ogier 58. Internationale Filmfestspiele Berlin 2008 Retrospektive Luis Buñuel LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE Filme als Regisseur die Gastgeber verschwunden (…); oder kaum widmet man sich der Leberpastete, tritt ein Trupp von Kavallerieoffizieren ins Haus, die eingeladen waren allerdings für einen anderen Abend. Da sich das Manöver um einen Tag verkürzt hatte, sind sie früher gekommen; jedoch kaum haben sie alle Achtzehnmannhoch Platz genommen, kommt der Befehl für sie wieder aufzubrechen: Der Manöverfeind ist durchgebrochen. Und so setzt sich das über den ganzen Film hinfort: Appetitus interruptus. Die Bourgeoisie kommt nicht mehr zu Tische, zu ihrer liebsten Beschäftigung: Da ist was nicht geheuer, so fängt das an und hört nicht mehr auf. (…) Das hält einen ganz schön in Bewegung und nimmt einem fast den Atem: dieses Abenteuern durch einen Film, der immer wieder von einem verlangt, daß man ihn zurückbuchstabiert, daß man mit ihm um Ecken denkt und mit ihm springt, wenn er eine Hürde mit Phantasie nimmt. Langsam verliert man den Boden unter den Füßen, ohne daß einem das allerdings unangenehm würde. Denn es stellt sich kein Schwindel ein: eher eine unbändige Lust auf immer neue Entdeckungen, die mit jedem neuen Bild jeder Drehbewegung der Geschichte sich vor einem auftun. Dieser Surrealismus – so verwirrend, jedoch niemals wirr er sein mag – ist das Gegenteil jenes obskurantenhaften Mystizismus, der alle Klarheiten ins Dunkel taucht, in der trügerischen Hoffnung, das würfe ein neues Licht auf sie. Wirft aber noch nicht einmal Schatten. (…) Die täuschende Ähnlichkeit zwischen den Alptraumbildern und der Wirklichkeit (…) hat Buñuel noch dadurch gesteigert, daß er immer wieder bewußt als Traumerzählungen eingeführte Traumata eines jungen Offiziers in den Film einsprengt: Da taucht dann in dunklen, fahlen Bildern der häuslichen Strenge und des Verfalls spanische Vergangenheit auf. Eine Welt des Mordes, der Gifte, der Gewitter, der Geisterstimmen, des Todes und Blutes, wie sie aus Buñuels mexikanischen Filmen und Arrabals Stücken bekannt ist. (…) Dieser DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE ist ein Wunderwerk an Präzision und Fabulierfreude, keine Einstellung zu viel, kein Augenblick außer Kontrolle; dabei voller Leben, Witz, Irritation und Geheimnis. Neben Jean Renoirs SPIELREGEL (1939), diesem melancholisch-kritischen Porträt der sich auflösenden, vergehenden französischen Gesellschaft am Rande des 2. Weltkriegs, und Jean-Luc Godards phantastischer Chaotik einer selbstmörderischen Auto148 gesellschaft in WEEKEND (1967) steht von nun an Luis Buñuels Film DER DISKRETE CHARME DER BOURGEOISIE . Das sind drei Augenblicke der Wahrheit in der Kunst unseres Jahrhunderts. Wenig sonst reicht da heran. Wolfram Schütte in: Frankfurter Rundschau, 27. 4.1973. (…) Armee, Kirche, Polizei – das sind die Stützen der Ordnung. Das sind die Säulen, an denen Buñuel wie Samson in der Hoffnung rüttelt, der Tempel möge über den Krämern einstürzen. Trösten wir uns: Nichts wird so bleiben, wie es ist. Der Film selbst wirkt wie ein Gebäude, das durch die Einwirkung einer zentrifugalen Kraft unter Donnerschlägen zusammenbricht. In EL ÁNGEL EXTERMINADOR , dem anderen gnadenlosen Porträt der Bourgeoisie und ihres Zerfalls, hatte Buñuel die Handlung auf eine machtvolle Konvergenzbewegung aufgebaut: auf geheimnisvolle Weise gefangen im Salon, ist keiner aus der Gruppe imstande, sich zu befreien. LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE basiert auf einer entgegengesetzten Bewegung: Alle erweisen sich als unfähig, sei es auch nur für kurze Zeit, zusammenzufinden. Nichts verbindet sie mehr. (…) Alles verflüchtigt sich in einer Abfolge von Knalleffekten, von Wandlungen, die dem Ganzen ein sehr spanisches Aussehen geben, das Aussehen eines pikaresken Abenteuers, wo es zum Schicksal des Helden gehört, von den Wechselfällen des Lebens gebeutelt zu werden, ohne Möglichkeit des Zugriffs auf die sich verflüchtigende Realität. (…) (M)an kommt irgendwo an, wo man nicht erwartet wird, ist dort, wo man nicht sein soll, als ob die Wirklichkeit sich auf einmal pervertierte, revoltierte, in jedem Fall sich undiszipliniert gebärdete und sich weigerte, weiterhin das Spiel der Ordnung zu spielen, einer Ordnung, die in der Tat die Keimzelle jeglicher Unordnung ist. Luis Buñuel, dieser alte Teufel, wird er auf wundersame Weise gerettet? Er verjüngt sich von Film zu Film. Kühnheit, Respektlosigkeit, Ungeniertheit, schwarzer Humor, Freiheit der Konstruktion: LE CHARME DISCRET DE LA BOURGEOISIE zeugt von überschäumender Freude. Uns Tagelöhnern der „Zelluloid-Gangsteromanie“, uns Kleinbürgern kann ich nur diesen wohlmeinenden Rat geben: Laßt Euch von dem alten Löwen eine Lektion erteilen. Jean-Louis Bory in: Le Nouvel Observateur (Paris), Nr. 411, 25.9.1972. Aus dem Französischen übersetzt von Helma Schleif.