MENSCHEN & MEINUNGEN FOTOS: ÖSTERREICHISCHES FILMMUSEUM In Österreich als Wunderkind gefeiert, in Hollywood zu Weltruhm gekommen, nach 1945 weitgehend in Vergessenheit geraten: Eine Würdigung anlässlich des 50. Todestages von Erich Wolfgang Korngold. TEXT: RICHARD STEURER 42 „Große Helden – kleine Helden“ benannte John Mauceri das Programm, das er im Jänner 2005 im Leipziger Gewandhaus präsentierte. Der New Yorker Dirigent schlug dabei einen reizvollen Bogen von den Opern Richard Wagners zu den Meilensteinen der Filmmusik im 20. und 21. Jahrhundert. Ein Schwerpunkt dieses Abends war der Musik von Erich Wolfgang Korngold gestiftet. Mit gutem Grund: Maßgeblicher als der 1897 geborene Österreicher hat kaum ein anderer Komponist die Filmmusik des Golden Age von Hollywood geprägt. Im Auftrag von Warner Brothers schuf Korngold in den 30er- und 40er-Jahren die scores für heute legendäre Klassiker wie „Captain Blood“, „The Adventures of Robin Hood“ und „The Sea Hawk“. Zweimal wurden seine Kompositionen mit einem Oscar geadelt. Amerika bedeutet die Rettung vor der Todesmaschinerie der Nationalsozialisten, als Vertriebener befindet sich Korngold jedoch auch künstlerisch im Exil. Von diesem radikalen Einschnitt sollte sich seine Reputation bis heute nicht mehr erholen. Sieht man von der „Toten Stadt“ einmal ab, wird Korngold fast ausschließlich als Schöpfer von – allerdings anerkannt hochklassiger – Filmmusik wahrgenommen. Was seinem umfassenden Werk freilich in keiner Weise gerecht wird. Nicht grundlos nämlich stand Korngold in der Gunst von Autoritäten wie etwa Gustav Mahler, Alexander Zemlinsky oder eben Max Reinhardt. Allerdings erfreute er sich nicht immer des Wohlwollens der Musikkritiker. Was nicht nur mit deren berufsbedingter Nörgelsucht, sondern auch mit Korngolds Vater zu tun hatte. ZWEIFACHES EXIL. 1934 ist Korngold das erste Mal in Los Angeles. Max Reinhardt verfilmt gerade Shakespeares „Midsummer Night’s Dream“ und hat sich seinen österreichischen Landsmann für die Adaptierung von Mendelssohns Schauspielmusik gewünscht. Das virtuose Arrangement beeindruckt derart, dass weitere, lukrative Aufträge folgen. Trotzdem kehren der Komponist und seine Frau Luzi bald nach Wien zurück. Hier bleiben sie, bis es beinahe zu spät ist. Bis in den Februar 1938 verschließen sie die Augen davor, dass Hitler sein Terrorregime auch auf Österreich ausdehnen wird. Erst als ihnen ein befreundeter Sektionschef eindringlich vor Augen führt, wie gefährlich die Situation für einen Künstler mit jüdischen Wurzeln mittlerweile geworden ist, entschließt sich das Paar, eine Einladung nach Los Angeles anzunehmen, wo Korngold die Musik zu „Robin Hood“ schreiben soll. PATER DOLOROSUS. Als Erich Wolfgang Korngold 1897 in Brünn geboren wird, arbeitet sein Vater Julius als Rechtsanwalt und verfasst nebenher Musikkritiken, die selbst einem Eduard Hanslick, damals Geschmacksrichter in musikalischen Belangen schlechthin, imponieren. Auf dessen Betreiben zieht die Familie nach Wien, wo sich Julius Korngold als Kritiker etabliert und die musikalische Ausbildung des Sohns mit einer Konsequenz vorantreibt, die in ihrer ambitionierten Unerbittlichkeit stark an Leopold Mozart erinnert. Dass kaum Lehrer zu finden sind, die der Junior nicht binnen kürzester Zeit überflügelt, lässt Vater Korngold laut und öffentlich leiden – und trägt ihm alsbald den Beinamen „Pater dolorosus“ ein. Gustav Mahler rät schließlich zu Zemlinsky, der den Zögling „unsystematisch und reizvoll“ unterrichtet, wie sein Schüler später mitteilt. Jedenfalls sind die drei Jahre bei Zemlinsky prägend, obwohl Korngold die Ausbildung morgen 6/07 bei Hermann Grädener abschließt. Dass diese Phase nicht mehr entscheidend ist, erschließt sich aus einem Brief Zemlinskys: „Lieber Erich! Ich höre, du lernst bei Grädener. Macht er Fortschritte?“ Bereits 1910 versetzt Korngold mit seiner Pantomime „Der Schneemann“ an der Wiener Hofoper das musikalische Wien in helle Aufregung. Da die Orchestrierung von Zemlinsky stammt und nicht alle dem Wunderkind den Erfolg gönnen, öffnen sich sofort die Schleusen für Intrigen. Das zum „Fall Korngold“ stilisierte Ereignis gipfelt in wüsten Verleumdungen, die sogar jeglichen Anteil Korngolds an der Pantomime in Frage stellen. Allerdings öffnen sich nun auch die Türen zur internationalen Musikwelt. Reisen, vom Vater – auch hierin Leopold Mozart nicht unähnlich – nach karrierefördernden Überlegungen zusammengestellt, führen ihn quer durch Europa, er musiziert in Salzburg vor Paul Dukas oder in München vor Saint-Saëns. Der absolute Durchbruch stellt sich 1912 ein: Seine „Sinfonietta“ wird in Berlin uraufgeführt. Richard Strauss ist tief beeindruckt und nimmt das Werk in sein Repertoire. In Wien regiert weiterhin der Neid. Genussvoll wird etwa ein angebliches Gespräch der angesehenen Pianisten Artur Schnabel und Moritz Rosenthal kolportiert: „Ich höre, Sie spielen die Sonate des kleinen Korngold. Ist sie denn dankbar?“ – „Die Sonate nicht. Aber der Vater!“ TRIUMPHE AUF DER OPERNBÜHNE Derlei Bosheiten verhindern nicht, dass auch Korngolds Opern internationale Wertschätzung erfahren. Schon die Einakter „Der Ring des Polykrates“ und „Violanta“ erleben 1916 unter Bruno Walter in München umjubelte Uraufführungen, vier Jahre später wird die „Tote Stadt“ zum weltweiten Triumph. Sie ist unter anderem die erste deutsch- sprachige Oper, die nach dem Ersten Weltkrieg auf den Spielplan der New Yorker Met gesetzt wird. Als unmittelbar noch erfolgreicher erweist sich die sieben Jahre später uraufgeführte Oper „Das Wunder der Heliane“. Das tiefsinnige Mysterienspiel, welches um heilige Erlösungsthemen mit seltsamen erotischen Verwicklungen kreist, könnte Ergebnis der Auseinandersetzung mit Wagners „Parsifal“ sein. Korngold jedenfalls hielt es für sein bestes Werk, dessen spontaner Erfolg ihm zunächst rätselhaft erschien. Noch rätselhafter war allerdings die Tatsache, dass sich davon die Tabakindustrie inspirieren ließ, eine Zigarettenmarke „Heliane“ auf den Markt zu bringen – als Gegenmarke zur „Johnny“, benannt nach Kreneks Erfolgsoper „Johnny spielt auf“. Zufrieden konnte Korngold feststellen: „Meine – ist teurer!“ ILLUSTRE GESELLSCHAFT. Dass nach und nach die Publikumsbegeisterung für das anspruchsvolle Werk weicht, dürfte es Korngold etwas leichter gemacht haben, dem Ruf Hollywoods zu folgen. Dort neigt sich die Ära des Stummfilms zwar schon ihrem Ende zu, die Rolle der Musik ist im Tonfilm aber noch auf dessen Gesetze zugeschnitten. Der Paradigmenwechsel, der nun einsetzt, KORNGOLD FAMILY ESTATE Tonmeister der Traumfabrik „A Midsummer Night’s Dream“ (James Cagney), „The Sea Hawk“ (Errol Flynn und Flora Robson) ÖNB BILDARCHIV Hollywood-Klassiker mit Musik von Erich Wolfgang Korngold: „Robin Hood“ (mit Errol Flynn), „Anthony Adverse“ (Fredric March und Olivia de Havilland), Schon als knapp Zwanzigjähriger (Bild links aus dem Jahr 1916) feierte Korngold Triumphe auf den internationalen Opernbühnen, mit vierzig begann in Hollywod die zweite Karriere morgen 6/07 43 „The Sea Wolf“ (Edward G. Robinson, Barry Fitzgerald), „Deception“ (Paul Henreid, Bette Davis) bietet nun auch Opernkomponisten und Symphonikern attraktive Möglichkeiten, am Entstehen eines zukunftsträchtigen neuen Genres mitzuwirken. Die Liste derer, die sich dafür interessieren, umfasst denn auch Größen wie Ralph Benatzky, Hanns Eisler, Paul Hindemith, Arthur Honegger, Pietro Mascagni, Sergej Prokofjew, Eric Satie, Dmitri Schostakowitsch, Jean Sibelius, Robert Stolz oder Richard Strauss. Potenzial zum Scheitern bot die junge Gattung freilich ebenfalls in reichem Maß. Igor Strawinsky etwa, in nahezu allen Gattungen mit grandiosen Weken hervorgetreten, bricht nach unzähligen Entwürfen und einer einzigen vertonten Szene seine Bemühungen ab, eine Filmmusik für Werfels Bernadette-Roman zu komponieren. Wenigstens ist die Untermalung zur „Erscheinung der Jungfrau“ nicht verloren gegangen – sie sollte später Eingang in seine „Symphonie in drei Sätzen“ finden. SCHAU-PLÄTZE Im Jüdischen Museum Wien ist vom 28. November bis zum 18. Mai die Ausstellung „Die Korngolds – Klischee, Kritik und Komposition“ zu sehen. Nähere Informationen: www.jmw.at Eine Retrospektive der wichtigsten in Hollywood entstandenen Arbeiten Korngolds zeigt bis Ende November das Filmmuseum Wien. Details zum Programm: www.filmmuseum.at 44 morgen 6/07 MANTEL & DEGEN. Obwohl Korngold schon für seine dritte Arbeit, die Musik zu „Anthony Adverse“, mit dem Oscar prämiert wird, bleibt seine Beziehung zur Filmmusik zwiespältig. Er hebt einerseits das Niveau derart, dass die Funktion der Musik weit über die damals in den kalifornischen Filmstudios übliche Begleitrolle reicht. Andererseits ist er nicht davon überzeugt, dass es sich dabei um eine seriöse Gattung handelt. Dennoch nimmt er seine Arbeit sehr ernst und reklamiert (und erhält) Sonderkonditionen, wie sie keinem anderen gewährt werden. So bestimmt – ein absolutes Novum in Hollywood – er allein, welche Musik an welcher Stelle wie lange zum Einsatz kommt. Ferner verdient er sehr gut und genießt das seltene Privileg, aus einer Vielzahl von Angeboten wählen zu können. Psychologisch interessant dabei: Die meisten seiner Filme sind wie „Robin Hood“ oder „Captain Blood“ im Abenteuergenre angesiedelt. Faszinieren ihn diese Mantel- und Degen-Geschichten vielleicht deshalb so sehr, weil er damit unbewusst jene unbeschwerte Kindheit nachholen kann, die dem musikalischen Wunderknaben vorenthalten wurde? STIGMATISIERT. Nach Kriegsende schuf Korngold mit Ausnahme von „Magic Fire“ (einer Zusammenstellung der Musik aus Wagners Werken) keine Filmmusik mehr, sondern wandte sich wieder traditionellen klassischen Formen zu. Doch mit den Erfolgen in Hollywood war Korngold als seriöser Komponist so gut wie erledigt. Vorurteile bestimmten die Rezeption der später entstandenen Werke, kaum jemand machte sich Mühe, sich ernsthaft mit ihnen zu beschäftigen – obwohl besonders seine Fis-Dur-Symphonie in den Kanon der instrumentalen Meisterwerke des 20. Jahrhunderts gehört. Auf ihr gründete auch Korngold große Hoffnung, sich wieder als ernster Musiker zu profilieren. Doch fand dieses Werk keinen Anklang, was den Komponisten resignierend feststellen ließ: „Meine Musik ist vor mir gestorben.“ Erst seit wenigen Jahren scheint sein Spätwerk, wenn auch nur zögerlich, eine gerechtere Beurteilung zu erfahren. Während eines seiner ersten Aufenthalte in den Vereinigten Staaten hat man Korngold zu Hitler befragt. Seine Antwort lautete: „Ich glaube, Mendelssohn wird Hitler überleben.“ Das ist auch ihm zu wünschen. ■