Violinkonzerte Schönberg Urbanner Martin Mumelter RSO Wien | Miltiades Caridis Aufnahmen aus den Jahren 1979 und 1975 Records Violinkonzerte Martin Mumelter “…an excellent performance, certainly one of the best I have ever heard for technical skill and understanding.“ („Eine hervorragende Aufführung... sicher eine der besten, die ich hinsichtlich technischer Brillanz und Verständnis je gehört habe“) Leonard Stein Direktor Schoenberg-Insitute Los Angeles und letzter Assistent des Komponisten (Brief an Martin Mumelter vom 7.1. 1981) Arnold SCHÖNBERG Erich URBANNER |1- 3| Violinkonzert op. 36 („To Anton Webern“, 1936) |4| Violinkonzert 19.32 („Martin Mumelter gewidmet“, 1971) |1| Poco Allegro 12.55 |2| Andante grazioso 08.21 |3| Finale Allegro 12.17 33.33 Martin Mumelter, Violine RSO Wien | Miltiades Caridis ORF, Großer Musikvereinssaal Wien, 28.2.1975 Martin Mumelter, Violine RSO Wien | Miltiades Caridis ORF Konzertmitschnitt, Brucknerhaus Linz, 26.5.1979 Gesamtzeit: 53.24 Violinkonzert von Arnold Schönberg Das Violinkonzert von Arnold Schönberg, 1934—36 geschrieben und 1940 von Louis Krasner mit dem Philadelphia Orchestra unter Leopold Stokowski uraufgeführt, gilt als ungemein schwierig für Spieler und Hörer. Beides trifft nur bedingt zu. Zwar ist Schönbergs scherzhafter Ausspruch, zur Realisierung des Soloparts müsse wohl erst ein Geiger mit sechs Fingern an der linken Hand geboren werden, nicht ganz unberechtigt; manche Aufgaben scheinen zunächst nicht lösbar, und der durchgehend hohe technische Schwierigkeitsgrad des Werkes trug ihm bald den Ruf der Unspielbarkeit ein, zumal es auch der für die Uraufführung vorgesehene Solist Jascha Heifetz als unspielbar zurückgewiesen hatte. Widmet man sich jedoch den einzelnen geigerischen Problemen mit der gleichen Intensität, die man etwa einem Solowerk von Bach zukommen lässt, zeichnen sich Lösungen für fast alles ab, was bislang die Utopie zu weit zu treiben schien. Da in diesem Werk jedoch alles, bis zum kühnsten Effekt, untrennbar mit künstlerischem Wagemut verbunden ist, treten zugleich anders geartete Herausforderungen zu Tage, Herausforderungen interpretatorischer Art, und diese wahrhaftig an der Grenze des Lösbaren für alle Beteiligten. Schönbergs bedeutender Schüler René Leibowitz hat in einem brillanten Essay1 ausgeführt, warum er in den Violinkonzerten von Beethoven und Schönberg zwei einander ebenbürtige Gipfelpunkte abendländischer Musik sieht, und warum beide auf ganz verschiedene Art die Grenzen des Spielbaren streifen. Er weist darauf hin, dass Beethoven gerade durch die Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Instrument („Was kümmert mich seine elende Geige, wenn der Geist zu mir spricht!“) sein Werk über alle bislang bekannten Horizonte hinausführt, während Schönberg in ebenso extreme Bereiche gerade dadurch vorstößt, dass er geigerisches Denken und geigerische Gestik auf die Spitze treibt. Schönbergs Rolle als „konservativer Revolutionär“ zeigt sich auch in der Emotionswelt des Violinkonzertes. So kühn Figuren und Klänge auch sein mögen, lassen sie sich doch als Stei- gerungen europäisch-musikalischer Expressivität begreifen, und so dicht die Vernetzung der Geschehnisse auch ist, so klar lässt sich diese auf eine Jahrhunderte lange organische Entwicklung zurückführen. Konservativ ist auch der formale Aufbau des Werkes in drei Sätzen, das wechselhafte Schicksal der kontrastierenden Themen oder die eindrucksvolle Art, in der das episch-pathetische Hauptthema des ersten Satzes in großen Kadenzen – auch am Ende des Werkes – wieder erscheint, wie alle anderen Themen auch in mannigfaltigen Metamorphosen, in Spiegelungen und Umkehrungen mit den vielfältigsten Charakteren. Revolutionär und kühn aber die äußerste Steigerung: die flimmernden Flächen, leuchtenden Abgründe, endlosen Spiegelwelten – ein exquisites Abenteuer für Spieler und Hörer. Dass die erregte Gestik mancher Teile die Sprache der Kantate Ein Überlebender aus Warschau op. 46 (1947) vorwegnimmt, ist kein Zufall. Das Werk entstand in einer Zeit zunehmender künstlerischer und politischer Anfein- dungen, seine ursprüngliche Widmung lautete: „Meinem lieben Freund und Kampfgenossen Dr. Anton von Webern“. Ebenso aufschlussreich scheint, dass Schönberg diese Widmung später schlicht in „To Anton Webern“ abänderte. Er mag wohl gespürt haben, dass sein Werk jenseits aller aktuellen Auseinandersetzungen zur zeitlosen Größe bedeutender Kunst gefunden hatte. Louis Krasner, der schon das ihm gewidmete Konzert von Alban Berg als Solist aus der Taufe gehoben hatte, schrieb an Schönberg, die Welt werde wohl noch lange brauchen um völlig zu erfassen, welches Geschenk er ihr mit seinem Violinkonzert gemacht hat. 1 René Leibowitz: Le concerto pour violon et orchestre d’Arnold Schoenberg, in: Le compositeur et son double, Édition augmentée, version définitive, Paris o.J. Violinkonzert von Erich Urbanner Erich Urbanner schrieb sein Violinkonzert 1971 für mich und benutzte dafür zunächst seine selbst entwickelte, teilgraphische Notation, die fixierte und improvisierte Teile klar definiert und die hochexpressive Dynamik auf so suggestive Weise verdeutlicht, dass die Partitur einem graphischen Kunstwerk nahe kommt. Das Orchester besteht aus zwei Streichtrios (Viola, Cello, Kontrabass) und solistisch besetzten Bläsern, wobei alle Spieler zu selbständiger, zuweilen auch improvisatorischer Gestaltung ihrer Parts aufgefordert sind. Das Werk entstand im Auftrag des ORF Studio Tirol und wurde anlässlich der Eröffnung des Funkhauses Innsbruck 1972 uraufgeführt. Nach einer Reihe weiterer erfolgreicher Aufführungen mit prominenten Orchestern und Dirigenten u.a. in Wien, Berlin, Salzburg und München entschied sich Urbanner, eine Neufassung der Partitur in herkömmlicher Notation herzustellen. Es hatte sich gezeigt, dass im teuren Konzertbetrieb oftmals zuviel Probenzeit mit Erklärung der Notation verloren ging. Die Umschrift gelang so gut, dass man heute beim Anhören von Mit- schnitten nur noch schwer feststellen kann, welche Aufführung aus der ursprünglichen und welche aus der neuen Notation erfolgt ist. Entscheidend ist aber Urbanners Erklärung: „Ich konnte das Werk nachträglich in herkömmliche Notation umschreiben, hätte es jedoch nie in ihr erfinden können.“ Tatsächlich gleicht Urbanners Komponieren aus dieser Zeit einer Serie von Befreiungsschlägen: Der Komponist, heute längst zu den angesehensten Komponisten aus Österreich zählend, war schon in jungen Jahren Professor an der Musikhochschule in Wien und bekannt als Virtuose des kompositorischen Handwerks; er fühlte wohl die Gefahr, unter der Last europäischer Musikgeschichte und ihrer hochkomplexen, teils orthodox werdenden Ausformungen im 20. Jahrhundert zu ersticken. Seine damalige Notation kennzeichnet einen Durchbruch leidenschaftlicher Expressivität, ohne deshalb die bislang errungenen Werte zu opfern. Dementsprechend finden Solist und Orchester alles, was sie in einem Violinkonzert entfalten wollen: Abgründe, Dramatik, Virtuosität, Gesang, Konflikt und Lösung. Und wenn sich das Orchester am Ende in einem aggressiven Rhythmus festbeißt wie eine stecken gebliebene Schallplatte, scheint nochmals und überhöht die Ausgangssituation beschworen, aus der uns die Solovioline mit jenen energischen Schlägen befreit, die sich als zukunftsweisend bestätigt haben. “The Schoenberg sounds magnificent in your performance and I congratulate you on it… A presentation as immaculate as yours cannot be improved upon in respect to the printed page.” („Der Schönberg klingt großartig in Ihrer Aufführung und ich gratuliere Ihnen dazu… Eine so makellose Darbietung kann im Hinblick auf die Partitur nicht mehr übertroffen werden.“) Louis Krasner, Solist der Uraufführung (Brief an Martin Mumelter vom 29.12. 1980) Martin Mumelter (re) und Louis Krasner, Boston 1991 Odyssee einer Aufnahme Die tontechnische Überarbeitung und CDVeröffentlichung älterer (auch „historischer“) Aufnahmen ist heute alltäglich. Oft zielt die technische Überarbeitung mit Sorgfalt darauf ab, das Flair der alten Tonträger nicht zu zerstören. In gewisser Hinsicht stellt der hier veröffentlichte Mitschnitt des Violinkonzertes von Schönberg aus dem Jahr 1979 jedoch einen Sonderfall dar. Das Originalband wurde vom ORF nach zweimaliger Sendung irrtümlich gelöscht, ein Missgeschick, das mich durch Jahre bedrückte, zumal diese Aufnahme die ehrende Zustimmung wichtiger Zeitzeugen gefunden hatte und sich in damaligen Zeiten kaum Aussichten eröffneten, weitere Aufführungen mit geeigneten Dirigenten, Orchestern und Aufnahmemöglichkeiten zustande zu bringen. Glücklicherweise aber hatte ein Amateur die Radiosendung mit einem exzellenten Gerät zu Hause mitgeschnitten und stellte sein Band zur Verfügung. Auf ihm beruht die vorliegende CD-Version; das schon tot geglaubte Dokument eines aufregenden Konzertes erwachte unerwartet zu neuem Leben. Einige Kratzer und Schrammen blieben allerdings unvermeidlich, da ihre völlige Eliminierung mit Einbußen des Gesamtklanges der betroffenen Stellen bezahlt worden wäre. Zu hoffen bleibt, dass diese Spuren die Lebendigkeit eher erhöhen als stören, im Geiste des Malers Edvard Munch, der gerade die liebsten seiner Bilder rücksichtslos den Elementen im Freien aussetzte. Er fand, sie würden immer besser, wenn sie, wie er selbst, Verletzungen durch das Leben davontrügen. Martin Mumelter Militiades Caridis und das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien Martin Mumelter Martin Mumelter, Professor für Violine und Leiter des Instituts für Neue Musik an der Universität Mozarteum Salzburg. Geboren in 1948 Innsbruck, Violinstudium in Innsbruck und Philadelphia; seit früher Jugend internationale Konzerttätigkeit mit besonderem Interesse für Musik des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart. Als Solist Zusammenarbeit mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, der Staatskapelle Berlin, den Wiener Symphonikern, dem Radio-Symphonieorchester Wien, Mozarteum-Orchester Salzburg u.v.a, oft unter Leitung dirigierender Komponisten wie Hans Zender, Erich Urbanner, Peter Eötvös. Zahlreiche Uraufführungen und Erstaufnahmen. Zu seinen Schallplattenproduktionen gehören die Gesamteinspielung der Violinsonaten von Charles Ives (mit Herbert Henck, Klavier), Kammermusikwerke wie das Quatuor pour la fin du temps von Olivier Messiaen, das Klaviertrio von Charles Ives, Violinkonzerte von Alban Berg, Bernd-Alois Zimmermann, Alfred Schnittke, sowie die hier neu aufgelegten Einspielungen der Violinkonzerte von Erich Urbanner und Arnold Schönberg. Als Autor hat Martin Mumelter eine Anzahl von Hörspielen und mehrere Bücher veröffentlicht. Miltiades Caridis, geboren 1923 in Danzig, gestorben 1998 in Athen, Studium in Wien (Hans Swarowsky), später Hermann Scherchen und Herbert von Karajan; Kapellmeister in Bregenz, Graz, Köln und Wien (Volksoper, Staatsoper), Bayerische Staatsoper München, Teatro Colon Buneos Aires, Nationaloper Athen. 1960 — 85 Chefdirigent von vier Orchestern: Philharmonia Hungarica, Philharmonie Oslo, Duisburger Philharmoniker, Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, außerdem 1962 - 69 Dänisches Radio SO Kopenhagen. Weltweite Tätigkeit mit über 100 Orchestern und Chören, über 70 Uraufführungen (u.a. Henze: „Floß der Medusa“) bei wichtigen Festwochen und Festspielen: Salzburg, Wien, Berlin, Flandern-, Holland- und Athen-Festival, Prager Frühling. Zuletzt ab Herbst 1995 Chef des Griechischen Radio-Symphonieorchesters. Das ORF-Radio-Symphonieorchester Wien (RSO) ist ein weltweit anerkanntes Spitzenorchester, das sich der Wiener Tradition des Orchesterspiels verbunden fühlt. Es ist bekannt für seine außergewöhnliche und mutige Programmgestaltung: Häufig wird das klassischromantische Repertoire in einen unerwarteten Kontext gestellt, indem es mit zeitgenössischen Stücken und selten aufgeführten Werken anderer Epochen verknüpft wird. Sämtliche Aufführungen werden im Rundfunk übertragen. In Wien spielt das RSO regelmäßig zwei Abonnementzyklen im Musikverein und Konzerthaus. Darüber hinaus tritt das RSO alljährlich bei großen Festivals im In- und Ausland auf: Enge Bindungen bestehen zu den Salzburger Festspielen, zu den Wiener Festwochen, zum musikprotokoll im steirischen herbst und zu Wien Modern. Die umfangreiche Aufnahmetätigkeit umfasst Werke aller Genres, darunter viele Ersteinspielungen von Vertretern der klassischen österreichischen Moderne und österreichischen Zeitgenoss/innen. Tontechnische Überarbeitung (Schönberg) und Mastering: Uni Mozarteum, Ton- und Videostudio, Peter Schmidt/Sascha Tekale Texte zu den Werken und Aufnahmen: Martin Mumelter P C P C 2014 P C P 1979 C 1975 UNI MOZARTEUM Records Universität Mozarteum Salzburg Mirabellplatz 1, 5020 Salzburg, Austria Records www.uni-mozarteum.at