Haus ohne Heizung - 2000-Watt

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Architektur | Themen
Haus ohne Heizung: Bürogebäude von
Baumschlager Eberle in Lustenau
Ein Manifest gegen immer mehr Technik im modernen Bauen hat das Büro be baumschlager
eberle in Lustenau bei Bregenz errichtet. Sein Bürogebäude „2226“ soll – Nomen est omen –
auch ganz ohne Heizung, Kühlung und mechanische Lüftung ständig komfortable
Innenraumtemperaturen zwischen 22 und 26 Grad Celsius garantieren.
Architekt: be baumschlager eberle
Standort: Millennium Park 20, 6890 Lustenau, Österreich
Alle Fotos: Jakob Schoof
http://www.detail.de/architektur/themen/haus-ohne-heizung-buerogebae... 13.05.2014
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„Atmosphäre statt Maschine“ – mit diesem Motto beschreiben die Architekten das Entwurfsziel
beim Bau des neuen Firmensitzes im Gewerbegebiet von Lustenau, unweit von Bregenz an der
Schweizer Grenze. Das Architekturbüro ist seit fast 30 Jahren aktiv und hat inzwischen zehn
Zweigniederlassungen in Europa und Asien – doch das hier ist der erste Bürobau, den „be“ für
sich selbst entworfen haben. Umso wichtiger war es den Architekten, ihre Haltung darin so
ungefiltert als möglich auszudrücken. Und diese ist schon seit einigen Jahren einem merklichen
Wandel unterworfen. Die transparenten Fassaden, das filigrane Holzlattenwerk von einst ist einer
zunehmend steinernen Architektur gewichen, die Fensterflächen sind kleiner geworden, die
Mauern dicker. Selbst historisierende Versatzstücke sind der Architektur von be baumschlager
eberle heute nicht mehr fremd.
Diese Entwicklung findet nun in dem Lustenauer Neubau zu einem vorläufigen Höhepunkt: Das
sechsgeschossige Haus wirkt ebenso massiv wie monumental, ein weiß verputzter Kubus mit
tiefliegenden Fensteröffnungen und damit die gebaute Antithese zu den deutlich flacheren
Gewerbebauten ringsum. Nicht, dass diese von minderer Qualität wären: Im „Millennium Park“
von Lustenau kommen international orientierte Unternehmen und Vorarlberger Baukunst auf das
Vorteilhafteste zusammen; auch baumschlager eberle haben vor zehn Jahren bereits auf dem
Nachbargrundstück die Niederlassung des italienischen Kaffeemaschinenherstellers Saeco
errichtet. Aber diese Gebäude zeigen eben die typische Materialpalette moderner Büro- und
Gewerbebauten: Metall, Beton und viel Glas.
Man ist schnell wieder weg: das Architekturbüro im Gewerbepark
Für ein Architekturbüro ist der Gewerbepark sicher ein eher ungewöhnlicher Standort. Die
Architekten erklären ihre Wahl ganz pragmatisch: Man ist hier zwar in Vorarlberg – und damit der
Heimat von be baumschlager eberle – aber im Zweifelsfall genauso schnell wieder weg, sei es
über die Autobahn oder per Flieger ab Zürich-Kloten, in Richtung der Projekte des Büros in aller
Welt. Zugleich bot der Bauplatz ganz im Süden des Milennium Park genau die städtebauliche
„tabula rasa“, die Architekten dem Klischee zufolge so gern haben, wenn sie möglichst ungestört
ein bauliches Statement abliefern möchten.
Diese Freifläche haben die Architekten mit weißem Kies, metallgefassten Wasserbecken und
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neu angepflanzten Baumreihen ganz nach ihren Vorstellungen gestalten können und damit den
weißen Kubus von allen Seiten freigestellt, ohne ihn dabei komplett von seinem Umfeld zu
isolieren. Einen einzigen, sehr subtilen Kniff nur haben sich die Architekten erlaubt, um die
monolithische Großform zu brechen: Jeweils über dem zweiten und dritten Geschoss ist der
Kubus ganz leicht in sich verdreht, so als sei ihm hier ein Chirurg mit einem Skalpell zu Leibe
gerückt und hätte das Gewebe anschließend, leicht gegeneinander verschoben, wieder
zusammenwachsen lassen.
Die städtebauliche Situation entspricht dem Charakter des Hauses als gebautes Manifest – oder,
eine Nummer kleiner ausgedrückt: als Experimentalbau mit programmatischem Anspruch. „2226“
soll ohne Heizung, ohne Kühlung und ohne Lüftungsanlage auskommen und damit so ziemlich
ohne all das, was im Bürobau zwecks Komfortmaximierung eigentlich unverzichtbar scheint. Als
einzige Wärmequellen im Haus dienen jene, die unvermeidlicherweise sowieso anwesend sind:
die Nutzer selbst (jeder Mensch hat eine Wärmeabstrahlung von durchschnittlich 80 Watt) sowie
die Rechner, Kopierer und Kaffeemaschinen in den Büroräumen.
Zu zeigen, dass es auch „ohne“ geht, ist nicht zuletzt eine Herausforderung an die Zunft der
Haustechnik-Ingenieure und all jene, die das Bauen durch Techniküberfrachtung in den letzten
Jahren nach Ansicht vieler Architekten allzu kompliziert gemacht haben.
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Das Passiv-Haus, das keines sein soll
Am Komfort soll es den Nutzern des Hauses dennoch nicht gebrechen. Die etwas kryptische
Bezeichnung „2226“ entspricht eben jenem Temperaturbereich, in dem sich das Innenraumklima
im Haus auf ganz natürliche Weise einpendeln soll – zwischen 22 und 26 Grad Celsius. Damit ist
der Neubau im Grunde das, was er nach dem Willen von Dietmar Eberle nie sein sollte: ein
Passiv-Haus in der eigentlichen, ursprünglichen Bedeutung des Wortes. Für die notwendige
Temperaturstabilität sorgt vor allem eine enorme thermische Masse: Die Außenwände bestehen
aus 76 Zentimetern Ziegelmauerwerk, gegliedert in eine innere, 38 Zentimeter starke Schicht aus
tragenden Hochlochziegeln und weitere 38 Zentimeter Dämmziegel mit größerem Lochanteil. Die
Wände erhielten beidseitig einen glatten Kalkputz, der auf der Außenseite – so die Hoffnung der
Architekten – im Laufe der Zeit unter der Sonneneinstrahlung immer härter und
schmutzabweisender werden soll. Von Algenbewuchs, wie man ihn bei
Wärmedämmverbundsystemen kennt, dürfte diese Fassade daher verschont bleiben.
Aus Ziegeln gemauert sind auch die Innenwände und sogar der Aufzugsschacht des Hauses.
Die Geschossdecken hingegen bestehen aus Betonfertigteilen mit einer Schicht Aufbeton.
Darauf wiederum wurde mithilfe einer Lattung ein Hohlraumboden erstellt, der nach oben mit
einer Holzschalung, einer Schicht Trittschalldämmung und einem Anhydritestrich abschließt.
Letzterer dient direkt als Nutzoberfläche und wirkt in den noch nicht vermieteten Flächen noch
jungfräulich: Die Architekten haben bauseits keine Kabelauslässe vorgesehen. Wenn irgendwo
ein Elektroanschluss benötigt wird, sollen die Nutzer einfach ein Loch durch den Oberboden bis
in den Hohlraum bohren und ihre Leitungen dann bedarfsgerecht verlegen. Als zentrale Verteiler
sind holzüberdeckte Kabelkanäle im Fußboden entlang der Innenwände vorgesehen.
Lüftung durch Klappen statt Kanäle
Natürlich ist „2226“ kein wirkliches Passivhaus,
auch wenn die Außenwände mit ihrem U-Wert
von ca. 0,14 W/m²K diesem Standard durchaus
Genüge täten. Auch die dreifach verglasten
Fenster mit überdämmten (wenn man denn 78
Zentimeter Ziegel als Dämmung versteht)
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Rahmen sind ein bewährtes Utensil aus dem
Passivhaus-Baukasten. Dem Bürohaus in
Lustenau fehlt jedoch die Lüftungsanlage mit
Wärmerückgewinnung. Statt dessen optierten
die Architekten für eine Fenster- oder vielmehr
Klappenlüftung mithilfe schmaler,
holzverkleideter Lüftungsflügel in der Fassade.
Diese werden mechanisch und
computergesteuert betrieben – zum einen, um
nutzerunabhängig eine ausreichende
Frischluftzufuhr sicherzustellen, aber auch, um
ein Auskühlen des Gebäudes im Winter (bzw.
ein Überhitzen im Sommer) zu verhindern.
Die Klappen werden sensorgesteuert immer
dann geöffnet, wenn der CO2-Gehalt in der
Raumluft ein bestimmtes Niveau übersteigt. In
Sommernächten wird das Haus außerdem
durch eine nächtliche „Frischluftspülung“
gekühlt. Dabei unterstützen die großen lichten
Raumhöhen (4,21 Meter im Erdgeschoss und
3,36 Meter in den Obergeschossen) die
Luftzirkulation. Die Nutzer können die
Automatiksteuerung jederzeit übergehen und
die Klappen auch selbst öffnen - das Schließen geschieht dann aber wiederum automatisch nach
zehn Minuten. Denn auf Nachlässigkeiten reagiert das Haus ohne Heizung in der Tat sensibel,
wie Willem Bruijn, Managing Partner bei be baumschlager eberle, erläutert.
Gründerzeit trifft moderne Technologie
Hohe Räume, 76 Zentimeter Ziegelmauern – mit
diesen Attributen greift „2226“ letztlich ebenjene
Qualitäten auf, die viele Menschen an den
Wohnungsbauten der Gründerzeit schätzen.
Doch natürlich ist das Haus keine bloße
baukonstruktive Rückwendung um 120 Jahre.
Das zeigt schon die Fenstersteuerung. Aber
auch in puncto Material kommt der Neubau nicht
ohne die bauchemischen Errungenschaften des
20. Jahrhunderts aus. Das Flachdach erhielt
einen klassischen Aufbau mit Folienabdichtung,
30 bis 40 Zentimetern XPS-Gefälledämmung
und Kiesschüttung. Und die Lüftungsflügel in der
Fassade enthalten im Inneren eine
Vakuumdämmung – und damit das
Leistungsfähigste, was die Dämmbranche uns
derzeit zur Verfügung stellt.
„2226“ ist ein einfaches Haus – und wie so viele
einfache Häuser das Resultat eines umso
vielschichtigeren, komplexen Denk- und
Planungsprozesses. Dabei stellten die
Architekten rasch fest, dass die den
Energieausweisen zugrundeliegenden Berechnungsnormen ihnen nicht weiter halfen. Weder
bilden die Normen die enorme Speichermasse des Gebäude adäquat ab noch den wahren
Lüftungswärmeverlust bei automatischer Fensterlüftung. Stattdessen verließen sich be
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baumschlager eberle bei dem Entwurf vor allem auf ihre Erfahrung – und auf dynamische
Simulationsrechnungen, die Experten aus den USA für sie anfertigten.
Experiment mit Erfolgsüberprüfung
Ob ihr Experiment am Ende erfolgreich ist, wird letztlich vor allem von zwei Faktoren abhängen:
den Komfortbedingungen im Innenraum und dem Energieverbrauch im Gebäude. Letzterer wird
ebenso ständig gemessen wie die Innenraumtemperatur, die Luftfeuchte und der CO2-Gehalt
der Luft in den Räumen. Alle Ergebnisse sollen nach dem Ende der ersten, einjährigen
Messperiode der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Die erste, mehrwöchige Hitzeperiode kurz nach Inbetriebnahme im Sommer 2013 überstand das
Gebäude ohne wesentliche Probleme, ebenso die mehr als zweiwöchigen Betriebsferien über
Weihnachten. Letzteres ist deswegen nicht ganz selbstverständlich, als in den Ferien die inneren
Wärmelasten deutlich geringer ausfallen als sonst. Aber auch in der obersten, noch komplett leer
stehenden Etage erweist sich die Raumtemperatur als bemerkenswert stabil: Zur Zeit unseres
Besuchs lag sie bei 19,7 Grad Celsius.
Durchaus bemerkenswert ist das Experiment auch deswegen, weil die Architekten den Neubau
zwar finanzierten, ihn aber nicht allein nutzen. Ihr Büro belegt derzeit nur zwei Etagen; eine
weitere ist an drei Planungsbüros vermietet, mit denen die Architekten häufig zusammenarbeiten.
Im Erdgeschoss haben sich ein Restaurant sowie die Zweigstelle einer in München und Zürich
ansässigen Kunstgalerie eingemietet. Den eigenen Mitarbeitern kann man vielleicht noch den
dicken Pullover anempfehlen, wenn die Temperaturregelung einmal versagt – bei Fremdmietern
dürfte eine solche Bevormundung eher auf Unverständnis stoßen. In gewisser Weise ist „2226“
also zum Erfolg verdammt.
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Zeitgeistig, aber nicht modisch
Schon bald nach seiner Fertigstellung ist der Neubau von be baumschlager eberle zum
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vielbesuchten Identifikationsobjekt für Architekten und viele andere Bauschaffende geworden. Er
trifft einen Nerv unserer Zeit, die sich, getrieben von Vorschriften und Notwendigkeiten, nach
dem Luxus der Einfachheit sehnt und die immaterielle Werte wieder zu schätzen lernt. Der Luxus
von „2226“ liegt in seiner räumlichen Großzügigkeit, hochwertigen Materialien und dem
Bewusstsein, ein Haus mit einer auf 200 Jahre angelegten Lebensdauer zu bewohnen. Er liegt
auch in den 76 Zentimeter dicken Außenmauern, die bei innerstädtischen Investorenbauten, bei
denen jeder vermietbare Quadratzentimeter zählt, sicher unvorstellbar wären. Ein teures Haus
war „2226“ trotz alledem nicht: Willem Bruijn beziffert die Baukosten gemäß ÖNORM 1801 auf
950 Euro/m² – netto, ohne Mobiliar und Grundstückskosten. Die Mehrkosten gegenüber einem
Durchschnittsgebäude, die sie für die enormen Raumhöhen, die zusätzliche Masse und die
Langlebigkeit aufwendeten, sparten die Architekten also durch den Verzicht auf technische
Ausstattung wieder ein.
Besichtigungsmöglichkeit im Mai 2014
Das Bürohaus 2226, seine Architektur und die
Frage „Wieviel Technik ist notwendig?“ werden
auch bei der Konferenz „tri 2014“ (8.-10. Mai
2014 Bregenz) eine Hauptrolle spielen. Die „tri“
findet seit 1996 im zweijährigen Rhythmus in
Bregenz statt und widmet sich der
Wechselwirkung von Energieeffizienz,
Architektur und Gestaltung. Bei seiner zehnten
Ausgabe in diesem Jahr wird der Kongress den
Blick nicht zuletzt in die Vergangenheit richten
und Fragen stellen wie: Was ist uns in den
vergangenen 20 Jahren im energieeffizienten
Bauen gelungen? Was waren die hilfreichsten
Irrtümer? Und welche Zukunftsbilder (und
womöglich Dogmen) gelten im Bauen heute
noch? Ein vielversprechendes Zukunftsbild ist
„2226“ allemal. Ob es sich letztendlich als
wegweisend oder als folgenloser
Versuchsballon erweist, wird dann bei einer
erneuten Rückschau in 20 Jahren zu klären
sein.
Von Jakob Schoof 03.02.2014
Baumschlager Eberle , Be- und Entlüftung , Bürogebäude , Dämmung , Energieeffizienz , experimentell ,
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Ziegelmauerwerk , Österreich
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