Die Hamburger Swing-Jugend Seit Mitte der 1930er-Jahre entwickelte sich unter Jugendlichen aus gutbürgerlichen Elternhäusern die Mode, sich im englischen Stil zu kleiden und angloamerikanische Swing- und Jazzmusik zu hören. In mehreren Hamburger Stadtteilen bildeten sich Cliquen, die sich Namen gaben und Erkennungszeichen trugen. Auch in den Arbeiterwohngebieten begeisterten sich Jugendliche für Swing und Jazz und bildeten eigene Gruppen. Die Swing-Jugendlichen grenzten sich von der uniformierten Hitlerjugend (HJ) ab, der zur Staatsjugend erklärten NS-Organisation, in der ab 1939 die Mitgliedschaft für Jugendliche verpflichtend war, und sie versuchten, sich dem HJ-Dienst zu entziehen. In der Öffentlichkeit provozierten die Mädchen und Jungen durch auffällige Kleidung und Frisuren – „Swing-Boys“ trugen ihre Haare gerne schulterlang, „Swing-Girls“ waren geschminkt oder rauchten in der Öffentlichkeit. Repräsentanten des NS-Regimes und HJ-Führer wurden mit Spott überzogen und manchmal kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen HJ und „Swings“. Obwohl die Swing-Jugendlichen als Gruppe weder organisiert waren noch in politischer Opposition zum Nationalsozialismus standen, wurden sie von der HJ-Führung und der Gestapo als politisch gefährlich eingestuft und verfolgt. 1 2 Gunter Lust, geboren am 7. Februar 1926 in Hamburg, wuchs in Hamburg-Eimsbüttel auf. Seine Begeisterung für Swingmusik und das Lebensgefühl der Swing-Jugendlichen standen im schroffen Gegensatz zum erzwungenen Reichsarbeitsdienst und zur Kriegsmarine, zu der er im letzten Kriegsjahr einberufen wurde. Gunter Lust starb am 13. Dezember 2003 in Hamburg. Er schrieb über das Verbot von Swingmusik: Während des Krieges wurde ab 1943 fast jegliche Musik, die irgendeinen englischen oder amerikanischen Einschlag hatte, verboten, d.h. vor allem jedes Abspielen von englischen und amerikanischen Platten in der Öffentlichkeit wurde untersagt. Auch das Abhören des Senders BFN [British Forces Network; britischer Soldatensender] sowie des Soldatensenders Calais war schon früher verboten und wurde nun sogar mit dem Tode bestraft. Dabei brachten die unerhört gute Musik. Hier hörte ich das erste Mal Benny Goodman. Es soll auch ein Antiswinggesetz bestanden haben, wovon wir allerdings gar nichts hörten oder wußten. Uns war nur bekannt, daß das Wort Swing sowie die Musik sehr verpönt waren. Das konnten wir immer wieder feststellen bei unseren Zusammenstößen mit der Streifen-HJ. Man sagte uns, diese „Niggermusik“ wäre Sabotage und wehrkraftzersetzend und verstoße gegen die Vorschriften der Reichsmusikkammer. 3 1: Gunter Lust (links) mit Freunden, nicht datiert. (Privatbesitz) 2: Gunter Lust (links) mit anderen Swing-Jugendlichen und einem Grammofon („Hot-Koffer“) am Elbstrand, 1942. (Privatbesitz) 3: Das „Café Heinze“ am Millerntor gehörte zu den bekanntesten Tanzlokalen und Konzertsälen Hamburgs, bis es 1943 bei einem Bombenangriff zerstört wurde. (Denkmalschutzamt Hamburg, Bildarchiv) 4 5 4: Ausflug einer „Swing-Clique“ nach Hamburg-Sasel im Juli 1944. (ANg) 5: Der Alsterpavillon als Postkartenmotiv, nicht datiert. Das Café und Tanzlokal am Jungfernstieg, in dem regelmäßig bekannte Swingund Unterhaltungsorchester auftraten, stand unter ständiger Beobachtung der NS-Organe. So brachen Gestapo und Schutzpolizei am 28. Februar 1941 ein Konzert des niederländischen Orchesters John Kristel ab, das dort seit mehreren Wochen gastierte. Dieses Orchester, das in seinem Repertoire nur angelsächsische Swingnummern hatte, zog viele Hamburger „Swings“ an. Während der Razzia wurden die Personalien zahlreicher Konzertgäste festgestellt und anschließend das Orchester des Landes verwiesen. Die Gestapo verhaftete etliche „swingverdächtige“ Personen. Der Alsterpavillon wurde vorübergehend geschlossen. (Heimatkundliches Bildarchiv Jens Wunderlich) 6 + 7: Die Hamburger Swing-Jugend stand zunehmend unter Beobachtung der Gestapo. Auszug aus dem Bericht eines HJ-Mitglieds vom Februar 1940, der während einer Tanzveranstaltung im Altonaer „Kaiserhof“ eine „Streife in Zivil“ durchgeführt hatte. (StA HH) Aus: Gunter Lust: „The Flat Foot Floogee … treudeutsch, treudeutsch.“ Erlebnisse eines Hamburger Swingheinis. Hg.: Jens Michelsen, Hamburg 1992, S. 22 f. 6 7