Es waren ihrer zehn II

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Es waren ihrer zehn
Liebe Schwestern und Brüder,
„Es waren ihrer zehn“, so heißt ein Film, den ich manchmal mit
Konfirmanden anschaue. Da geht es um zehn Konfirmanden, die
eingesegnet werden. Jeder von ihnen bekommt ein großes rotes Buch
in die Hand gedrückt, so groß, dass sie es kaum tragen können. Ein
unbequemes Buch, und die meisten der Konfirmanden sehen auch zu,
dass sie es sobald wie möglich loswerden. Der erste wirft es in den
Bach, der zweite versteckt es hinter einem Busch; der dritte bekommt
noch in der Kirche mit, wie der Pastor sich mit dem Küster streitet,
und lässt das Buch in der Bank liegen. Der vierte lauscht an seinem
Buch und hört nur ein eintöniges Gemurmel herauskommen: „Der war
ein Sohn des Isaak, der war ein Sohn des Abraham…“ und legt es erst
einmal zur Seite. Und so gehen nach und nach all diese roten Bücher
verloren.
Bis auf eins. Einer der Konfirmanden erlebt etwas ganz anderes. Er
kommt an einem vorbei, der hat eine Autopanne. Er klappt sein Buch
auf und holt einen Wagenheber raus, hilft dem anderen beim
Reifenwechsel. Ein anderer hat sich verletzt, und siehe da, das Buch
enthält einen Erste-Hilfe-Koffer. Schließlich trifft er den
Mitkonfirmanden, aus dessen Buch nur langweiliges Gedudel kommt.
Das ist aber komisch, sagt er, zeiht eine Antenne raus, dreht ein
bisschen am Knopf, und es ertönt eine mitreißende Musik.
Was ist das für ein Buch? Es könnte die Bibel sein. Abers sicher ist es
auch noch mehr. Es ist die ganze christliche Tradition, in der wir
leben, und die wir von einer Generation zur anderen weitergeben.
Zum Beispiel im Konfirmandenunterricht. Aber nicht jeder kann
damit etwas anfangen. Für viele ist dieses Buch zu fremd, zu
unverständlich, zu sperrig, zu unbequem, um wirklich danach zu
leben. Und so lassen sie es erst einmal zurück. Bis zur nächsten
Begegnung mit der Kirche.
Darum geht es in der Geschichte von den zehn Aussätzigen. Das ist ja
weniger eine Heilungsgeschichte als vielmehr ein Gleichnis. Zu der
Frage: Was wird aus Menschen, die mit dem Glauben zu tun
bekommen haben. Die etwas mit Gott erlebt haben oder mit der
Kirche. Die zum Beispiel konfirmiert worden sind und dabei
versprochen haben, von nun an bewusst als Christen zu leben. Oder
die kirchlich getraut wurden und dabei Gott um seinen Segen gebeten
haben. Wirkt sich das aus auf ihr Leben? Die Erfahrung zeigt, dass
viele sehr schnell vergessen, was sie da erlebt und versprochen haben.
Ein bisschen überspitzt könnte man das Gleichnis von den zehn
Aussätzigen so in unsere Zeit übersetzen:
- Es waren zehn Kinder, die wurden von ihren Eltern zur Kirche
gebracht und getauft.
- Es waren zehn Konfirmanden, die besuchten den Unterricht und
wurden am Ende eingesegnet.
- Es waren zehn Brautpaare, die vor den Altar traten und christlich
getraut wurden.
Aber nur einer von ihnen war auch dann im Gottesdienst zu finden,
wenn nicht gerade getauft oder konfirmiert oder getraut wurde. Nur
einer betete, wenn er nicht gerade in Not war. Nur einer bemühte sich,
auch im Alltag christlich zu leben.
Und Jesus sagt: „Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die
übrigen neun?“
Nun geht es nicht darum, mit dem moralischen Zeigefinger zu winken
oder zu schmollen oder sich als Pastor menschlich enttäuscht zu
zeigen. Zum Beispiel, weil nicht mehr Leute zum Gottesdienst
kommen. Ich erlebe das immer wieder, wenn ich Geburtstagsbesuche
mache, dass mir gesagt wird: Ich bin ja kein großer Kirchgänger. Und
meist folgt dann eine Entschuldigung, warum man gerade am Sonntag
keine Zeit hat oder was es so schwierig macht, in der Kirche zu sitzen.
Und oft ist es dann so, dass der Betreffende dann am nächsten
Sonntag doch im Gottesdienst ist. Das ist das System Gegenbesuch.
Nach dem Motto: der Pastor hat mir die Ehre seines Besuchs gegeben,
und nun erweise ich ihm die Ehre eines Gegenbesuchs. Das kann ich
verstehen und finde es auch sehr höflich, und trotzdem steckt dahinter
ein großes Missverständnis.
Man muss sich den Text dazu mal etwas genauer ansehen. Da fragt
Jesus: „Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren?“
Es geht nicht darum , dem Pastor einen Gefallen zu tun, indem man
am Sonntag die Kirche füllt. Es geht darum, Gott zu ehren. Da müssen
wir theologisch mal ein bisschen tiefer gehen. Der Begriff „Ehre
Gottes“ spielt in der Bibel eine zentrale Rolle. Die Propheten des
Alten Testamentes werfen ihren Volksgenossen vor: Ihr verletzt
Gottes Ehre, indem ihr anderen Göttern nachlauft. Das ist die
Ursünde, dass Menschen nicht Gott zum Mittelpunkt ihres Lebens
machen, sondern dass ihnen andere Dinge wichtiger sind. Jesus
fordert seine Jünger auf: Sucht zuerst nach dem Reich Gottes und
nach seiner Gerechtigkeit, dann wird euch alles übrige zufallen.
Das heißt Gott ehren: ihn in den Mittelpunkt zu stellen. „Gott ist in
der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge,“
heißt es bei Gerhard Tersteegen. Das gilt auch für den Gottesdienst.
Sinn des Gottesdienstes ist nicht, dass Mensch unterhalten werden,
das ist auch keine Lehrstunde zur theologischen Weiterbildung,
sondern der eigentliche und zentrale Zweck ist, Gott zu ehren. Wir
kommen hierher, um Gott anzubeten und ihn wieder zum Mittelpunkt
unseres Lebens zu machen. Und wo das nicht geschieht, wo einer
sagt: Ich habe am Sonntag Besseres zu tun als Gott die Ehre zu
erweisen, ich muss stattdessen drei Stunden kochen oder muss joggen
oder was auch immer, da kann ich nur sagen: Das müssen Sie nicht
mir gegenüber entschuldigen, das machen Sie mit Gott ab.
Das ist die eine Seite, die man sich zunächst mal ganz klar machen
muss. Es geht um Gott in allem, was wir in der Kirche tun. Gott steht
in der Mitte, und dort will er stehen. Nun sagt Jesus aber auch noch
einen weiteren Satz, der ein großes Gewicht hat. Als er den einen
Aussätzigen entlässt, der zurückgekommen ist, um ihn zu danken, sagt
er zu ihm: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“
Eine merkwürdige Formulierung. Wieso hat der Glaube denn nur ihm
geholfen? Warum sagt Jesus das denn nicht auch zu den anderen
neun. Die sind doch auch rein geworden! Denen hat der Glaube doch
auch geholfen! Gemeint ist offenbar: es reicht nicht aus, einmal Gott
zu begegnen (ob das nun ein besondere Glaubenserfahrung ist oder
der Moment, indem man getauft wird), entscheidend ist, dass das
nicht ein einmaliges Geschehen bleibt, sondern dass daraus etwas
entsteht, dass es eine Fortsetzung hat. Der Glaube soll helfen! Er soll
das Leben verändern, es soll etwas Besonderes daraus werden, etwas
Kostbares.
Ich denke daran, dass einer meiner Lehrer auf dem Missionsseminar
in Hermannsburg, ein ganz frommer Mann, einmal einen Satz sagte,
den ich erstaunlich fand. Er sagte: „Wenn der Glaube nur dazu dienen
würde, dass ich später in den Himmel komme, wäre mir das zu wenig.
Der Glaube lohnt sich nur dann, wenn er uns hier und jetzt ein
besseres Leben gibt.“ Es lohnt sich, zu glauben, es lohnt sich, mit Gott
zu leben, schon hier und jetzt! Weil es das Leben reicher, klarer,
kraftvoller, tiefer, schöner macht. Das ist die Behauptung, die man in
der Bibel immer wieder findet. „Bittet, so wird euch gegeben,“ sagt
Jesus, „ein volles, gedrängtes, gerütteltes Maß wird Gott euch in den
Schoß legen.“ Oder: „Ihr werdet Größeres sehen. Ihr werdet den
Himmel offen sehen.“ Die Psalmen handeln von dieser Freude an
Gott: „Das ist ein köstlich Ding, dem Herren danken.“
Das heißt: Es geht gar nicht um Lohn oder Strafe. Auch von den neun
Aussätzigen, die nicht zu Jesus zurückkehren, wird ja gesagt, dass sie
rein wurden. Und das wird nicht zurückgenommen, die werden ja
nicht wieder krank. Die Taufe gilt auch dann, wenn jemand
anschließend nicht christlich lebt; sie wird auch nicht dadurch
aufgehoben, dass jemand aus der Kirche austritt. Jesus hat für uns
gelebt und ist für uns gestorben, auch wenn wir nicht daran glauben.
Aber wir versäumen etwas, wenn wir einfach so leben, als wären wir
nie getauft oder konfirmiert worden oder hätten nie etwas mit Gott
erlebt. Wir versäumen die Chance, uns vom Glauben helfen zu lassen.
Am Ende des Film kehren drei der Konfirmanden in die Kirche
zurück und stellen einen Blumenstrauß auf den Altar. Das tun wir hier
auch, wenn wir Gottesdienst halten. Wir gehen zu Gott und sagen:
danke, Gott, dass du uns geholfen hast. Danke für das bunte Leben,
dass du uns geschenkt hast. Danke für all die Momente, wo du uns
geholfen hast. Dass du uns vom Tod befreit hast. Nun wollen wir dir
etwas zurückgeben. Ein paar Blumen. Einige Lieder, die wir zu
deinem Lob singen. Ein paar Gebete, die wir sprechen. Es ist nicht
viel, aber es soll dir zeigen, dass wir dich nicht vergessen haben, dass
wir zu dir zurückkommen.
Und der Friede Gottes…
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