Stückebeschreibung Abo 65

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Thomas Bernhard
Der Schein trügt
Schauspiel
„Jetzt brauche ich auch zum Nägelschneiden die Lesebrille, durch dieselbe Brille, durch welche ich Voltaire
lese, sehe ich meine Zehennägel“, raunzt Karl, der einst mit 23 Tellern jonglierte.
Zwei Bühnenkünstler lässt Thomas Bernhard in Der Schein trügt auftreten: Karl, einen älteren Artisten, einen
Teller-Jongleur, und Robert, seinen Bruder, einen alten Schauspieler. Die beiden (Halb-)Brüder verbindet eine
eigene, komplizierte Geschwisterliebe.
Vor kurzem ist Mathilde, Karls Lebensgefährtin, gestorben, „die gescheiterte Pianistin“, wie Karl sie verächtlich
nennt, mit der er so viele Jahre verbracht hat, die ihn „im ungünstigsten Moment verlassen“ hat. Ihn irritiert, dass sie
nicht ihm, sondern seinem Bruder Robert das Wochenendhäuschen vermacht hat. Nun teilt Karl seine Einsamkeit mit
Maggi, Mathildes Kanarienvogel. Jeden Dienstag und jeden Donnerstag treffen sich die Brüder. Die Besuche sind zu
einem Ritual geworden. Man erinnert sich, die Gespräche sind vielfach geübt, sie kreisen immer um das gleiche: die
Kunst.
Robert, der sich nach Mathildes Tod noch mehr in die Krankheit geflüchtet hat, träumt immer noch von einem
großen Auftritt als „König Lear“. Karl, der sich nicht nur als Künstler, sondern auch als philosophischen Kopf
begreift, betont die stets überprüfbare handwerkliche Dimension seiner Jongleur-Kunst und demütigt den
kränkelnden Bruder, den er für einen „Antikünstler“ hält – wie „Schauspieler überhaupt“.
Die beiden Brüder haben sich, wie viele von Thomas Bernhards Figuren, „naturgemäß“ in Verrücktheit und
Skurrilität verrannt und spielen uns auf berührend komische Weise eine Komödie des Alterns vor. „Wir ziehen
die Konsequenz, wir übernachten hier auf der Welt sozusagen.“
Der Schein trügt entstand 1982 und wurde 1984 von Claus Peymann in Bochum uraufgeführt.
INSZENIERUNG
Uwe Lohr
RAUM
Florian Parbs
Premiere 7. Oktober 2010, Eisenhand
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Deutschsprachige Erstaufführung
Anupama Chandrasekhar
Falsch verbunden
Drama
„Hallo! Guten Morgen! True Blue Capital heißt Sie als geschätzten Kunden einer Helium Kreditkarte
willkommen. Es ist wundervoll, dass Sie Mitglied der glücklichen True Blue Familie sind. Mein Name ist Ross.“
Doch Ross heißt eigentlich Roshan, und wenn die Morgensonne am anderen Ende der Leitung scheint, dann ist
es nach Mitternacht in seiner fensterlosen Telefonkabine in einem Bürogebäude in Chennai (ehemals
Madras)/Indien. In zehnstündigen Nachtschichten bombardieren junge indische Universitätsabsolventen die ins
Minus geratenen Kunden einer amerikanischen Kreditkartenfirma mit Anrufen, als virtuelle moderne
Schuldeneintreiber die tägliche Quote dabei immer im Auge. Mit dem jeweils passenden Akzent und erfundenen
Lebensgeschichten arbeiten sie nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“, schmeicheln ein oder drohen je
nach Bedarf und werden so zu den Kummerkästen und ungewollten Lebensberatern von Menschen, die Geld
ausgeben, das sie eigentlich nicht haben. Dabei scheinen die jeweiligen Lebenswelten immer mehr zu
verschwimmen. Erst als Ross sich in eine tausende Kilometer entfernte Schuldnerin zu verlieben glaubt,
offenbaren sich die Gräben, die zwischen den Zeitzonen liegen …
Call-Center sind die zeichenhaften Orte unserer hybriden globalisierten Welt. Die aus Chennai stammende junge
indische Autorin Anupama Chandrasekhar, vom internationalen Programm des Royal Court Theaters entdeckt
und gefördert, hat vor Ort recherchiert und in ihrem erst jüngst in London uraufgeführten Stück dieser Welt auf
faszinierende Weise ein Brennglas vorgesetzt. In einem fast musikalisch zu nennenden Geflecht von Telefonund Realgesprächen stellt sie Fragen, die uns alle angehen, und lässt eine traditionelle konservative Kultur mit
der in alle Lebensbereiche expandierenden, hochtechnologisierten Kommunikationswelt kollidieren.
INSZENIERUNG
Gerhard Willert
BÜHNE UND KOSTÜME
Florian Parbs
MUSIK
Christoph Coburger
Premiere 16. Oktober 2010, Kammerspiele
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Anja Hilling
Monsun
Ein Stück in fünf Akten
Bruno schreibt Drehbücher für die Fernsehserie „Tränenheim“, seit vier Jahren mit Erfolg, aber ohne Leidenschaft. So ist fast
alles in seinem Leben – seine Ehe mit Paula läuft schon lange auf Sparflamme, aber die Affäre mit seiner Assistentin Sybille
ist auch nur sowas wie die Ahnung von der großen Liebe. Seinem Chef vom Produktionsbüro würde er gern mal so richtig
die Meinung sagen, traut sich aber nicht, und von den Träumen seines achtjährigen Sohnes Zippo hat er auch nur einen
blassen Schimmer. Zippo ist auf dem Weg zur Schule. Beim Bäcker kauft er sich noch schnell eine Brezel, obwohl es seine
Mutter Paula ausdrücklich verboten hat: „Wenn du dir Brezeln kaufst, dann kannst du was erleben.“ Die (Brezel-) Bäckerin
Coco ist eigentlich glücklich in der Beziehung mit Melanie, wäre da nicht ihr drängender Kinderwunsch und die schon
Wochen andauernden Versuche, schwanger zu werden. Am Morgen nach einem weiteren Anlauf flieht Melanie und legt sich
im Auto Abschiedsworte zurecht. Dabei überfährt sie versehentlich ein Kind mit einer Tüte Brezeln in der Hand – Zippo.
Es ist ein Verkehrsunfall, es ist der Tod eines Kindes, der die Lebenslinien der Figuren in Anja Hillings Monsun
zueinander führt. Der Einbruch des Todes in die modern geordneten Verhältnisse treibt die Figuren in neue
Beziehungen. Und heraus aus der Lebensdimension der Vorabendserie. Der Tod ist real. In überraschenden
Konstellationen flüchten sie aufs Land und ans Meer oder alleine nach Vietnam. Alle stehen ihren Erfahrungen hilflos
gegenüber. Mit Verlust und Trauer kann man lernen umzugehen – oder auch nicht.
Anja Hillings Stück Monsun erzählt von der Möglichkeit, im Leben neu anzufangen – vielschichtig, traurig und
poetisch, und dabei immer auch ein bisschen heiter.
Die Autorin Anja Hilling wurde 1975 geboren und studierte von 2002 bis 2006 „Szenisches Schreiben“ an der
Universität der Künste in Berlin. Dort entstand auch ihr erstes Theaterstück Sterne. Ihr zweites Stück Mein
junges idiotisches Herz wurde an den Münchner Kammerspielen sowohl am „Wochenende der jungen
Dramatiker“ als auch im Rahmen der Autorenwerkstatt vorgestellt. Die Münchner Aufführung wurde prompt zu
den renommierten Mülheimer Theatertagen 2005 eingeladen. Monsun ist ihr drittes Stück und wurde im
September 2005 in Köln uraufgeführt. Im selben Jahr wurde sie bei der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift
„Theaterheute“ zur „Nachwuchsautorin des Jahres“ gewählt. Seither sind weitere sieben Stücke entstanden und
an namhaften Theater uraufgeführt worden.
INSZENIERUNG
Johanna Ullmann
RAUM
Florian Parbs
Premiere 20. Jänner 2011, Eisenhand
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------Deutschsprachige Erstaufführung
Tamsin Oglesby
Richtig alt, so 45
Ein Zeitstück
„Jeder der heute durch die Straßen unserer Metropolen, Städte und sogar Dörfer geht, muss sich seinen Weg
durch sie hindurch bahnen. Sie spazieren, ohne Zweck und ohne Ziel, manchmal allein, manchmal in Scharen
und sehr oft scheint es, sind sie einfach nur im Weg. Was genau machen sie? Wir werden mit unserer eigenen
Ungeduld konfrontiert. Warum sind sie nicht zu Hause?“
Es gibt einfach zu viele alte Menschen.
Tamsin Oglesbys Stück bearbeitet dieses in allen westlichen Kulturen immer offensichtlicher hervortretende
Phänomen aus zwei Perspektiven, der öffentlichen und der privaten. Während eine staatliche
Wissenschaftlergruppe auf ihre Weise versucht , mit dem Problem der älter werdenden Gesellschaft umzugehen,
befasst sich eine Familie mit ihrem eigenen Altern.
Lyn beginnt ihr Gedächtnis zu verlieren, die Beine ihrer Schwester Alice geben nach, und auch der
Schauspielerbruder Robbie muss den Zeichen seines Alterns ins Gesicht sehen. Über drei Generationen hinweg
werden die familiären Beziehungen auf die Probe gestellt. In der Zwischenzeit planen die staatlichen
Wissenschaftler einen Ausweg aus der demographischen Krise. Ihre Lösung: kommunal geförderte
Enkeladoption, die Erfindung von Roboterpflegerinnen, die Kranke betreuen und nicht zuletzt die Errichtung
eines Vorzeigekrankenhauses, in dem Pillen entwickelt und verabreicht werden, die einen glücklichen Tod
beschleunigen sollen. Letztendlich mischen sich die beiden Ebenen, als sich Alice und Lyn in der staatlichen
hygienischen Todesabteilung eingekerkert wiederfinden.
Tamsin Oglesbys böse Komödie konfrontiert uns direkt mit unserer Verlegenheit und Angst vorm Alter(n). Sie
stellt eine Gesellschaft bloß, in der Mitleid in Konkurrenz zu Pragmatismus steht und gelangt, indem sie
unmissverständliche Fragen stellt, zu außergewöhnlichen Antworten. „Wir haben nicht gelernt zu sterben.“
INSZENIERUNG
Christian Wittmann
Premiere 19. Februar 2011, Kammerspiele
Deutschsprachige Erstaufführung
Joël Pommerat
Cercles/Fiction
Szenische Skizzen
„Diese Geschichten sind witzig, manchmal erschreckend oder hart. Aber sie sind wahr.“
Joël Pommerat, Jänner 2010
In seinem neuesten Stück führt Joël Pommerat in die grundlegenden Widersprüche der zeitgenössischen
Gesellschaft: Die neuen Normen stehen nicht im Einklang mit traditionellem Verhalten. Und bei
Zuwiderhandlung drohen unmittelbar Ausschluss und Kündigung.
Zunächst scheinen lose aneinandergereihte, unverbundene Szenen Musterbeispiele einer erkaltenden
Zwischenmenschlichkeit vorzuführen, bevor sich einzelne Leitmotive abzeichnen: Da ist ein junger Top-Manager, dem eine
Sandlerin prophezeit, am Folgetag noch bedeutender zu werden. Eine sich selbst als Dornröschen bezeichnende Gestalt, die
zudem unverblümt den sexuellen Kontakt mit dem Mann sucht, mag man verstehen als Wiedergängerin der Hexen aus
Shakespeares Macbeth, die Frau des Managers als nunmehr eifersüchtige Lady Macbeth. Den Manager selbst peinigen
Schuldgefühle, als er erfährt, dass direkte Vorgesetzte ohne sein Zutun sterben und sich so der schnelle Weg des Aufstiegs in
die Vorstandsetage öffnet. Wunschdenken und Verwirklichungen gehen hier eine bedrohliche Allianz ein. Da ist der
erfolgreiche, mit seinem Eigenengagement protzende Geschäftsmann, der eine Gruppe von Langzeitarbeitslosen in die
Beschäftigung zurückcoachen soll und in einer späteren Szene in einer Gruppe phlegmatischer Obdachloser nach einem
Organspender für seinen vom Tode bedrohten Sohn sucht. Zu durchaus komischen Missverständnissen führt die
Konfrontation der so unterschiedlichen Milieus und sprachlichen Codes. Und dann ist da noch ein alternder Gigolo, ein
Conférencier, der behauptet, nach Jahren unnützer Bewegung die Mitte, sein Zentrum gefunden zu haben.
Die Ökonomie des Verschenkens und die Ökonomie des Verkaufens stoßen immer wieder als unvereinbare
Prinzipien aufeinander. Dazwischen tritt die Frage, ob Werte eine Beteiligung am Krieg begründen können,
Fragen des christlichen Glaubens – ein Kaleidoskop von Themen und Motiven.
Joël Pommerat wurde 1963 in Roanne geboren und arbeitet als Autor und Regisseur. 1990 gründete er die
Compagnie „Louis Brouillard", mit der er bislang alle seine Texte zur Uraufführung brachte. Seine Stücke waren
zu vielen internationalen Festivals (unter anderem Festival d'Avignon) eingeladen. Cercles/Fiction ist nach Ich
zittere (1 und 2) das zweite Stück Pommerats, das am Landestheater als Deutschsprachige Erstaufführung
herauskommt.
INSZENIERUNG
Gerhard Willert
BÜHNE UND KOSTÜME
Alexandra Pitz
Premiere 9. April 2011, Kammerspiele
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