Anna de Amicis Text Booklet

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Anna-­‐Lucia De Amicis-­‐Buonsolazzi (1733-­‐1816) Prima Donna und Frau der Aufklärung Anna de Amicis wurde 1733 am Fuße des Vesuvs in eine Familie von Opernsängern geboren. Nicht verwunderlich also, daß auch sie die Laufbahn einer Sängerkarriere einschlagen sollte. In Neapel, sowie in den meisten Städten der italienischen Halbinsel, war dies möglich, im Gegensatz zu Rom, wo die Kirche den Frauen die Bühne verbot. Anna De Amicis verkörperte also einen der seltenen Fälle, bei dem einer Frau in gleichem Maße wie sonst nur Männern sowohl künstlerisches Talent als auch Professionalität anerkannt wurden. Die Briefe Leopold Mozarts zeigen sogar, daß die Komposition einer Oper – zumindest im Falle seines Sohnes – von der Prima Donna abhängig war. Wolfgang konnte Ende 1772 seinen Lucio Silla in Mailand nicht vollständig ausarbeiten, bevor sie nicht eingetroffen war: „heut wird die de Amicis von Venedig aufbrechen, folg: in ein paar tagen hier seyn. dann wird die Arbeit erst recht angehen, bis dato ist noch nicht viel geschehen.“1 Mozart sagte von sich selbst, er komponiere für jeden Sänger „nach Maß“. 1770 hatte er Anna De Amicis in Neapel in der Titelpartie von Jommellis Armida abbandonata gehört. Aus Neapel berichtet er: „la sig: Deamicis cantò a meraviglio2.“ Dennoch wollte er erst in ihrer Gegenwart komponieren, um ihre Auftritte ihren stimmlichen und schauspielerischen Fähigkeiten anzupassen „wie ein gutgemachts kleid“3. „La più completa Buffa che mai l’Italia abbia prodotto“4 Der Musikwissenschaftler Charles Burney berichtet zwar, daß Anna De Amicis Schülerin von Vittoria Tesi5 gewesen war, aber auch Domenico, ihr Vater und Buffo-­‐Tenor, war mit großer Wahrscheinlichkeit ein sehr beflissener Pädagoge. Castil-­‐Blaze6 zufolge sang sie 1758 an seiner Seite Pergolesis La Serva padrona in Paris. Später gründete Domenico mit seinen drei Kindern eine Opera buffa-­‐Theatertruppe, mit der er von 1759 bis 1761 ganz Europa bereiste. Während der Spielzeit 1762/63 war Anna De Amicis am Londoner King’s Theatre engagiert, wo sie große Erfolge feierte mit ihrem Liebreiz und dem Raffinement ihres Gesangs: „ella costituì l’attrazione principale della stagione di burlette7“. Es versteht sich von selbst, daß ihre Bühnenerfahrung in jenem leichten, lebhaften und an unerwarteten Wendungen reichen Operngenre sie zu jener Darstellerin machte, die die Mozarts schätzten: „die de Amicis [...] singt und agiert wie ein Engl8“. „Bach gab Amicis die meisterhaftesten Arien, die ein Mensch nur schreiben kann“9 Entdeckt durch Johann Christian Bach, der damals Leiter des King’s Theatre war, wurde sie von ihm für die darauffolgende Spielzeit als Prima Donna in seinen Opern Orione und Zanaida engagiert. 1 L. Mozart, Brief an seine Frau, 28. November 1772 2 W. A. Mozart, Brief an seine Schwester, 27. [sic!] Mai 1770. 3 W. A. Mozart, Brief an seinen Vater, 28. Februar 1778. 4 Brief von A. Bimolle in F.C. Petty, Italian Opera in London 1760-­1800, Ann Abor 1980, S. 98: „ die beste Buffa-­‐Sängerin, die Italien jemals hervorgebracht hat“ 5 C. Burney, De l’état présent de la musique en Allemagne, dans les Pays-­Bas et less Provinces Unies, Gênes, 1810, S. 127. 6 F. H. J. Castil Blaze, L’Opéra-­italien de 1548 à 1856, Paris 1856, S. 155. 7 Bimolle, Ibid.: „ sie war die Hauptattraktion der Spielzeit im leichten Operngenre “. 8 L. Mozart, Brief an seine Frau vom 26. Dezember 1772. 9 Burney, Ibid.: [„Bach a donné à Amicis les airs les plus magistraux qu’un homme puisse écrire“]. In den beiden hier ausgewählten Arien, „Tortorella abbandonata“ und „Mentre volgo“, kommt die unendliche Traurigkeit der türkischen Prinzessin Zanaida zum Ausdruck, der Tochter Solimans, die von dem persischen Despoten Tamasse gefangen gehalten wird. Besingt sie in der ersten Arie die Trauer um den Vater, so thematisiert die zweite Arie ihre Angst vor dem Bezwinger. Beide gehören aus formalen Gesichtspunkten zum Typus der aria concertante mit Oboe. Höchstwahrscheinlich hatte man sich hier an einer etwa von Grétry beschriebenen Instrumentalsymbolik orientiert, welcher zufolge die Oboe damals vor allem für Gefangenenszenen beliebt war: „Die ländlich-­‐bukkolische und fröhliche Oboe dient auch dazu, einen Hoffnungsschimmer inmitten von Qualen aufzuzeigen10“. Als Alter ego der Stimme spiegelt die Oboe innerhalb der Komposition die beinahe instrumentale Behandlung der Stimme; bei beiden werden dieselben Triller, Läufe und Terzen verwendet, und beide besitzen dieselbe typisch oboistische staccato-­‐Leichtigkeit. Vielleicht haben gerade diese flügelleichten Vokalisen, welche den Gesang und Flug der Turteltaube verdeutlichen sollen, dazu beigetragen, die berühmten Spitzentöne und den außergewöhnlichen Ambitus von Annas Stimme zu Tage zu fördern. Burney zitiert sie als die erste, die das „dreigestrichenen E mit der Kraft einer leuchtenden klaren Bruststimme“ singen konnte. Dieses Werk katapultierte Anna De Amicis endgültig ans Firmament der prime donne und rechtfertigte zugleich ihre Hinwendung zur Opera seria. Einem Genre, das vor allem in Hinblick auf die Koloraturen und zusätzlichen Verzierungen – jene berühmten abbellimenti wie Rouladen, Triller, Portamenti, Appogiaturen etc. – eine besondere Technik und Gesangskultur erfordert neben einer vollkommenen Beherrschung der Atemtechnik, wie sie besonders die arie di portamento voraussetzen. „Io vi son mallevadore che voi rappresenterete divinamente la Severa Ersilia in teatro11“ Fortan trat Anna De Amicis auf den berühmtesten Bühnen Europas auf; 1765 brachte sie anläßlich der Vermählung Erzherzog Leopolds von Österreich mit der Infantin Maria-­‐Luisa von Spanien J. A. Hasses Romolo ed Ersilia zur Uraufführung, was ihr unermeßlichen Ruhm einbrachte. Auf dem Gipfel ihrer Kunst angelangt, hörte Mozart sie im Frühjahr 1770 als Armida abbandonata von Niccolò Jommelli. Die berühmteste der Arien „Odio, furor, dispetto“, in der sie den Donner anruft, um ihren Palast zu zerstören und sich in einem von Drachen gezogenen Wagen in die Lüfte zu heben, gehört zur großen Tradition der aria di furore: konvulsivische Interjektionen, die von Pausen unterbrochen sind, auflodernde Koloraturen, die die Hysterie darstellen und insgesamt fünfzehn Mal die Stimme bis zum dreigestrichenen C treiben... Die Arie „Odio, furor, dispetto“, welche sich als Bindeglied zwischen Armidas „Furie terribili“ aus Händels Rinaldo aus dem Jahr 1711 und der Arie Elettras „D’Oreste d’Ajace“ aus Mozarts Idomeneo von 1780 einreiht, elektrisierte die Zuhörerschaft. Und dies, obwohl hier eine unheilvolle Figur im Zentrum steht – was nicht zuletzt einen der Widerspüche der Oper des Aufklärungszeitalters ausmachte. Zurück in Neapel verkörperte Anna De Amicis einige Monate später die Rolle der Berenice in Pasquale Cafaros Antigono. Die Arie „Se balena“ folgt nach einem langen, expressiven recitativo accompagnato, in welchem sie ihren Schmerz über die Trennung von Demetrius, ihrem von Antigono ins Exil verbannten Geliebten, exponiert. Die monumentale Orchesterintroduktion 10 A. Grétry, Mémoires ou Essais sur la musique, Paris, 1796-­‐97, T. VII, S. 238; [„ Le hautbois champêtre et gai, sert aussi à indiquer un rayon d’espoir au milieu des tourments“]. 11 P. Metastasio, Tutte le opere, Milan 1954, IV, S. 396, Brief an Anna De Amicis: [„Ich bin Garant dafür, dass sie auf göttliche Weise die strenge Ersilia auf der Bühne darstellen werden“]. kündigt bereits die außergewöhnliche Dimension dieser zehnminütigen Arie an. Getragen von der Energie der Streicher führt die Tessitur der Partie hinauf bis zum dreigestrichenen D und weist einen Oktavsprung vom eingestrichenen bis zum dreigestrichenen A auf. Diese Arie, die man ihrer Ästhetik nach als aria di bravura bezeichnen muß, veranschaulicht das ganze technische Potential der Interpretin. „Non v’era che la signora Deamicis atta a rappresentare il personaggio di Bradamante col fuoco, con l’ardire, con la franchezza e con l’espressione necessarie a un tal carattere.“ 12 Genau diese Virtuosität und Verve verlangte auch Mysliveček 1773 in seiner Oper Romolo ed Ersilia von Anna De Amicis für die Arie „Sorprender“, in der die Heldin ihre Tapferkeit unter Beweis stellen muß. In der opera seria steht Virtuosität immer für Mut, der einerseits als moralische Qualität der dargestellten Figur zum Tragen kommt, und sich andererseits als physische Qualität der darstellenden Sängerin äußert, beides im Sinne des lateinischen Ursprungs der Bezeichnung, wonach virtus Wert, Verdienst, Selbstbeherrschung bedeutet. Die Arie „Basta così, vincesti“ dagegen beruht auf der Einfachheit des Ausdrucks und der Genauigkeit der Artikulation. Ihr schönes cantabile erfordert weder Koloraturen, noch extreme Spitzentöne. Wie Metastasio beschrieb, besaß Anna De Amicis eine besondere Fähigkeit der Empathie für die von ihr dargestellten Charaktere. Um die Rollen angemessen zu verkörpern, ging sie beinahe bis zur Selbstaufgabe. Sie schreckte nicht einmal davor zurück, bis an die Grenzen ihrer so brillanten Technik zu gehen. Dies war wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum man sie auswählte, um in den sogenannten „Reformopern“ Glucks mitzuwirken. 1778 war sie bei der italienischen Uraufführung von Alceste in Bologna zu hören. 1774 sang sie bei der Wiederaufnahme des Orfeo in Neapel die Verzweiflung der Eurydike mit „edler Einfalt“. Eben diese Qualitäten erfordert es auch für Il Trionfo di Clelia (1773) von Giovanni Battista Borghi. Obwohl die Gesangslinie in der Arie „Tanto avvezza“ eher verhalten ist, werden, begleitet von der Monochromie gedämpfter Streicher, auch hier diskrete Triller sowie Oktavsprung eingesetzt. Währenddessen hatte Mozart, inspiriert durch die außergewöhnliche Sängerin Anna de Amicis, eine andere Ausdruckspalette entwickelt. „[D]ie de Amicis ist unsere beste freundin, [...] und ist in ihrer Vergnügtheit, weil der Wolfg: sie unvergleichlich bedient hat. “13 Die Uraufführung von Lucio Silla fand am 26. Dezember 1772 statt. Für Mozart, der erst einen Monat später 17 Jahre alt wurde, war dies keineswegs die erste Erfahrung mit der Oper. Zu seinen vorherigen Operkompositionen zählen die opera seria Mitridate, rè di Ponto (Mailand, 1770), die festa teatrale Ascanio in Alba (Mailand, 1771), und die azione teatrale, Il Sogno di Scipione (Salzburg, 1772). Lucio Silla war das dritte Auftragswerk des Mailänder Teatro Regio Ducale. Die Kompositionsbedingungen waren zwar nicht ideal, doch nach der etwas unruhigen Premiere entwickelte sich bald alles zum besten: „heut wird der Siebende [Abend] :| so voll daß man kaum hineinschliefen kann, und hat noch meistens die prima Donna die Oberhand deren Arien wiederhollt worden.“14 12 P. Metastasio, Ibid., V, S. 139: [„Nur die Signora Deamicis war in der Lage, die Rolle der Bradamante mit solch einem Feuer, solch einer Kühnheit und Echtheit, ja solch einer notwenigen Expressivität darzustellen, wie es solch eine Partie erfordert.“]. 13 L. Mozart, Brief an seine Frau, 26. Dezember 1772. 14 L. Mozart, Brief an seine Frau, 2. Januar 1773. Vgl. auch im selben Brief seinen Bericht über die Opernpremiere. Dennoch waren die Gewohnheiten des Publikums hier völlig auf den Kopf gestellt. Besonders der sakro-­‐sankten aria da capo hatte Mozart den Garaus gemacht und eine formal dichte Dramaturgie entwickelt, untermalt vom Wechsel der Orchestrierung und einem Notentext, den allein er vorausbestimmte, indem er sogar die Verzierungen „auskomponierte“ und damit das übliche Hinzufügen von abbellimenti umging. Die Figur der Giunia wandelt auf einem Läuterungsweg hin zur Weisheit – ein Lehrpfad der sich kompositorisch auch von Arie zu Arie in der Stimmbehandlung abzeichnet. In der ersten Arie „Dalla Sponda tenebrosa“ setzt Mozart Tempi-­‐ und Stimmungswechsel nebeneinander. Giunia entwickelt sich von der Niedergeschlagenheit des langsamen Teils, bei welchem die Finsternis im grave dargestellt ist, bis hin zur Entscheidung, sich gegen Silla aufzulehnen – musikalisch umgesetzt im bravura-­‐Stil und durch den Wechsel ins hohe Register. Die zweite Arie, „Ah se il crudel“, ist eine große Anwendung der Sonatenhauptsatzform, mit einer meisterhaften Exposition im Orchesterpart. In ihrer Virtuosität verweist sie bereits auf „Martern aller Arten“ aus Die Entführung aus dem Serail (1782). Die unbeständige, unruhige Gestaltung der Durchführung vermittelt auf beinahe unterirdische Weise die Angst der Figur, die ihre Kraft schließlich im Koloraturteil zurückerlangt. „Parto, m’affretto“ geht ein recitativo accompagnato mit unerhörter Farbigkeit voran. Die Klage kommt in d-­‐moll zum Ausdruck, unruhig und chromatisch, nur von der Spannung der Tremoli gehalten. Nach Giunias Entschluß, aufzubrechen, versinnbildlicht der kursorische Teil der Arie, das Allegro assai, ihre Panik vor der Flucht und die Angst vor dem Tode, bevor sie in den colorature ihre Kräfte wiederfindet. Dies wird kompositorisch durch plötzliche Pausen verdeutlicht – in der Rhetorik als sogenannte Aposiopesis15 bezeichnet. Höhepunkt dieses Sich-­‐
Aufbäumens aus dem Abgrund ist das dreigestrichene D. In Giunias letztem Auftritt zeigt sich ihre Initiation: Das Rezitativ „Sposo... mia vita“, in welchem sich außergewöhnliche Dimensionen entfalten, thematisiert noch einmal die an ihr nagenden Zweifel: Die fahlen Farben des Todes und die Blutstropfen werden beinahe sichtbar gemacht durch die Verbindung der aufgeteilten Flöten und Bratschen (divisi), sowie durch die wiederholten Noten der Violinen. Mozart verwendet hier die musikalisch-­‐rhetorische Figur der Katabasis16 – eine fallende Tonführung, die Schmerz und Tod ausdrücken soll. Im Anschluß daran erhebt sich unendlich schwermütig die c-­‐moll Arie „Fra i pensier“, wenngleich sie von pochenden Triolen gedämpfter Streicher begleitet ist. Giunia ist nun in der Lage, die Angst vor dem Tode zu überwinden. Im Allegro bringt die fast voce sola gehaltene Vision der „ombra fida“ die Resolution. Mozart benötigt hier keine bravurösen Spitzentöne und keine Koloraturen, um ihren Mut und ihre Tapferkeit musikalisch zu beleuchten. Ihm genügt die melodische Einfachheit des syllabischen Ausdrucks. Durch die besondere Chemie in der Begegnung Mozarts mit Anna De Amicis konnte mit den Konventionen gebrochen werden. Denn die Prima Donna erklärte sich damit einverstanden, ihre Attribute aufzugeben, die sonst ihren Ruhm ausmachten, rein um des Ausdrucks und der Intensität der musikalischen Botschaft willen. Ihre Klugheit als Sängerin äußerte sich nicht zuletzt darin, daß sie sich Anfang der achtziger Jahre komplett von der Opernbühne zurückzog und auf horrende Gagen verzichtete, um ein Leben im Kreise der Ihrigen zu führen und die Pracht ihrer Stimme in der Intimität der Salons zu bewahren. Florence Badol-­‐Bertrand 15 Rhetorisches Stilmittel, welches durch den Einsatz von Pausen Zögern darstellen soll. 16 Rhetorisches Stilmittel, welches mittels seiner herabfallenden Linien den Tod darstellen soll.
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