Rede Buehler Plakatausstellung sex Werbung

Werbung
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Ausstellung „Der Frauenzoo der Werbung“ vom 8. – 22. Mai 2004 im Rathauspavillon
Pforzheim
Eröffnungsvortrag Prof. Heike Bühler, FH Pforzheim
„Sex Sells?! Frauenbilder in der Werbung“
- es gilt das gesprochene Wort –
1. Frauen im Jahr 2004 sind stark wie nie zuvor und Sex ist nichts Verbotenes – warum die
Aufregung über Frauenbilder in der Werbung?
Kürzlich sagte eine junge Frau zu mir: „Was wollt Ihr mit Eurem altmodischen Gerede um
Geschlechterunterschiede, dies war der Kampf unserer Mütter. Ich bin emanzipiert ohne Emanze sein
zu müssen. Ich brauche nicht um Gleichberechtigung kämpfen, weil sie schon da ist.“ Hat sie Recht?
In der Tat: nach fast 40 Jahren Frauenbewegung gibt es erfolgreiche Karrierefrauen, die CDU wird
von Angela Merkel geführt, Frauen operieren und sezieren, sie plädieren im Gerichtssaal, legen
Kriminellen Handschellen an, sind anerkannt als Politikerinnen, Journalistinnen oder
Unternehmerinnen. „Frauen sind die eigentlichen Gewinner der Modernisierung“ sagt die Berliner
Publizistin Katharina Rutschky.1
Wir wissen: In deutschen Klassenzimmern sind die Mädchen erfolgreicher als die Jungen. Je
anspruchsvoller der Schultyp, desto mehr Mädchen, der Mädchenanteil an Sonderschulen beträgt nur
32,2 %. Jungen leiden häufiger unter Sprach-, Lese- und Rechtschreibstörungen, stottern viermal so
häufig, zeigen öfter Verhaltensauffälligkeiten. Rund drei Viertel der Verkehrstoten sind Männer,
Männer haben ein höheres Krebsrisiko und sterben im Durchschnitt sieben Jahr früher. Die Statistik
zeigt also: Frauen sind stark.
Kommen wir zum zweiten Thema, dass Sexualität nichts Verbotenes mehr ist: Sie und ich kennen die
Tratschrunden auf allen Sendern, in denen es um sexuelle Abnormität, perverse Sexualpraktiken oder
umgekehrt um Frigidität oder Impotenz geht. Wir sehen zu, wie RTL mit seiner Dschungelshow Stars
und Sternchen in intimsten Posen zeigt. Wir Zuschauer warten darauf, dass der nächste ruft „Hilfe,
holt mich hier raus!“ Wir sehen dem gut gewachsenen, attraktiven „Bachelor“ zu, wie er aus
Dutzenden schöner Frauen die attraktivste als mögliche Lebenspartnerin auserwählt. Wie beim
Tanzstundenball sitzen die Mädchen da, hoffen vor laufender Kamera darauf, dass der Bachelor auch
ihnen dieses Mal wieder eine Rose überreicht, damit sie in die nächste Runde gelangen.
Sexualität und Erotik finden wir allüberall: ein nackter Hamlet wälzt sich auf der Bühne, im Krimi sehen
wir den eiligen Geschlechtsverkehr vor dem Mord, in der Zeitung lesen wir die detailgetreue
Schilderung der jüngsten Vergewaltigung – wir sind alle längst abgebrüht und übersättigt. Volker
Nickel vom Deutschen Werberat schimpft, wir seien scheinheilig: „Geht es um kommerzielle
Kommunikation, dann bekommen die Pupillen einen viktorianisch strengen Blick. Dann mutiert eine
Frau im rückenfreien Abendkleid neben einem Mann im dunklen Anzug zur „Assistentin des
Managers, die sich für ihre weitere Karriere auszieht“. 2 Nickel meint, die Werbebranche befinde sich
in einer „Sandwichsituation“. Von unten drückten die Besorgten und von oben die Scheinheiligen.
Warum also die Aufregung über Frauenbilder in der Werbung? Die Antwort darauf ist eindeutig und
beunruhigend zugleich: Sexuelle Anzüglichkeiten und Abfälligkeiten sind heute immer noch ein
Thema, weil es in Wirklichkeit nicht um Sex geht. Es geht um die Präsentation und Zementierung von
Geschlechterhierarchien, also um Machtstrukturen, dies zeigen verschiedene Studien.3
2. Was ist frauenfeindliche Werbung – Versuch einer Annäherung
Prof. Schmerl, die sich in jahrelanger Forschungsarbeit mit frauenfeindlicher Werbung
auseinandergesetzt hat, nennt Kriterien:
1
Zitiert nach Wilk, S. 16.
Nickel, Vortrag vom 11. April 2002.
3
Ausführlich dazu Schmerl 2003; S. 16 ff.
2
2
Frauenfeindliche Werbung reduziert die Frau auf ihre Sexualität. Frauen sind schön und willig. Frauen
haben nichts zu tun, sind Müßiggängerinnen4. Wenn sie gelegentlich berufstätig sind, dann zumeist in
untergeordneter Position (als Sekretärin, Serviererin). Die wenigen Frauen, die in Traumberufen
dargestellt werden (Ärztin, Managerin), werden nie bei der Arbeit dargestellt, sondern immer in der
Freizeit oder auf dem Weg zu den Kindern. Frauenfeindliche Werbung setzt nach Schmerl die Frau
mit Produkten oder Produkteigenschaften gleich. Die genormte Schönheit ist gleichsam Dekoration für
jedes mögliche Produkt. Die Werbung sagt: „Frauen haben nur den Haushalt im Kopf“, Waschen,
Putzen und Kochen als Hobby der Frau, oder lässt die Hausfrau ganz lässig als Empfangsdame
erscheinen, deren Haushalt sich von alleine erledigt. Frauenfeindliche Werbung stützt Vorurteile von
weiblichen „Unarten“. Sie stellt dar, dass Frauen beispielsweise tratschsüchtig seien, eitel, dumm,
schlampig und kokett etc. Frauenfeindliche Werbung benutzt „kosmetische Zwangsjacken“. Das
bedeutet, an die Schönheit von Frauen werden illusorische Forderungen gestellt (immer jung, schlank
und dabei noch leistungsfähig). Frauenfeindliche Werbung vermarktet aber auch die Emanzipation.
Das bedeutet, es wird so getan, als lasse sich die Frauenemanzipation durch den Erwerb eines
Produktes quasi „käuflich erwerben“. Frauenfeindliche Werbung ist schließlich auch „männlicher
Zynismus auf Kosten der Frau“. Das bedeutet, Anzeigen, die mit „witzigen Sprüchen“, Anspielungen
und ähnlichem arbeiten, und auf angeblich komische Art die Frau als „Ding“ oder als „sexuelle Ware“
darstellen.
Die direkte Frauenfeindlichkeit in der Werbung wird von vielen Frauen und Männern abgelehnt. Nicht
so leicht zu erkennen sind die subtilen Methoden der unterschwellig diskriminierenden Werbung, die
Frauen in bestimmten Rollenklischees darstellt und damit vorhandene Werturteile und
Verhaltensweise bei Frauen und Männern verstärkt. Doch wo genau die Grenze zwischen offener
Diskriminierung und unterschwellig diskriminierender Werbung verläuft und was dann genau
frauenfeindlich im Einzelfall ist, darüber scheiden sich die Geister. Und damit kommen wir zum Thema
Deutscher Werberat.
3. Dimensionen Frauen diskriminierender Werbung - die Rügen des Deutschen Werberates
Wenn Sie finden, dass die Werbung für ein Produkt frauenfeindlich ist, können Sie sich beim
Hersteller, dem Händler, der Werbeagentur, der Stadt oder eben beim Deutschen Werberat
beschweren. Die Proteste gegen Werbung waren im Jahr 2003 rückläufig. 606 Beschwerden gingen
im Jahr 2003 beim Werberat ein, davon ein Drittel (201) wegen Diskriminierung von Frauen. Im
Vorjahr waren es noch 1.985 Beschwerden, davon 1309 wegen Frauenbenachteiligung. Die große
Differenz ist auf einzelnen Werbeaktivitäten zurückzuführen, die im Vorjahr für großen Wirbel gesorgt
hatten.5
So hatte es auf eine einzige Werbekampagne der BILD-Zeitung mehr als 1000 Beschwerden
gegeben. BILD hatte auf Plakaten eine redaktionelle Serie angekündigt, in der Frauen ihre sexuellen
Praktiken preisgeben würden. Junge Frauen waren mit Sprüchen abgebildet wie „Mittags krieg ich
Hunger. Auf Sex.“ Das empfanden die Beschwerdeführer als entwürdigend. Der Werberat dagegen
nicht. Der Vorsitzende, Jürgen Schrader, meinte, er verstehe zwar die Empörung, dennoch müsse die
Besonderheit des beworbenen Produkts berücksichtigt werden. Beworben wurde nämlich
redaktionelles Vorhaben, eine Serie. „Die für die redaktionellen Beiträge grundgesetzlich garantierte
Pressefreiheit gilt gleichfalls für die Bewerbung solcher Redaktionsangebote“, so Schrader.6
Insgesamt schloss sich der Werberat im Jahr 2003 nur in jedem fünften Fall den Beschwerden aus der
Bevölkerung an.
Abgelehnt wurde auch der Fall, in dem ein Bekleidungshersteller mit dem Slogan warb: „Sie werden
in Ihrem Leben mehr als nur eine Frau lieben. Aber alle werden dasselbe Hemd bügeln.“ Das Motiv
zeigt einen jungen Mann in gebügeltem Hemd und im Hintergrund schemenhaft den Oberkörper einer
nackten Frau von hinten. Die Beschwerdeführer stießen sich vor allem an dem klischeehaften
Rollenverständnis, das diese Werbung suggeriere. Dagegen der Werberat: Das „eindeutig
humoristische und augenzwinkernde Aufspießen gerade dieser Klischeevorstellungen in der
Werbemaßnahme konnten die Kritiker offensichtlich nicht erkennen“.
4
Das zeigt die Arbeit von Heller, 1987.
Siehe dazu ausführlicher www.interverband.com/u-img/69392/Einstieg_Faelle_vor_dem_Werberat.htm,
besucht am 1. Mai 2004.
6
Vgl. Jahresbilanz des Deutschen Werberates, Pressemitteilung vom 18. März 2003, S. 4.
5
3
Beide Beispiele zeigen, dass die Spruchpraxis des Deutschen Werberates die Beschwerdeführer nicht
befriedigen kann und Konflikte nicht löst. Die maximale Strafe, die der Werberat verhängen kann, sind
öffentliche Rügen. Sieben waren es im vergangenen Jahr, darunter zwei wegen erniedrigendem
Frauenbild und wegen Sexismus. Ein Beispiel:
Die hessische Bäckerei-Kette Hinnerbäcker warb in farbigen Zeitungsanzeigen für ihr „Erotik-Brot“.
Die Backware war als weibliche Brust gestaltet. Die Anzeige bildete neben dem Brot einen Frauenpo
ab, bekleidet mit einem roten String-Tanga. Die Hand der Frau zeigte auf ihren Hintern und den dort
abgedruckten Text: „Gut für Körper + Seele!“. Zusätzlich enthielt die Anzeige den Text: „Mit diesem
Brot kann dir alles passieren, fit in den Tag, fit im Job und fit im …“ Der Werberat schloss sich der
Ansicht der Beschwerdeführerin an, die Anzeige sei sexistisch und erniedrige Frauen. Weibliche
Sexualität werde für den Absatz von Backwaren in herabwürdigender Weise instrumentalisiert.
Beschwerden aus der Bevölkerung können jedoch auch wirksam sein, ohne dass es zu öffentlichen
Rügen kommen muss. Beispiel: Der Werberat wurde eingeschaltet im Fall einer Diskothek. Sie warb
mit Plakaten für ihre Veranstaltung „Porno69“ – auf diesen Plakaten war eine junge Frau mit nacktem
Po abgebildet, ausgestattet mit Attributen eines Mädchens: „unschuldiger“ Blick, typische
Mädchenfrisur, „Pippi Langstrumpf“- Strümpfe und ein Spielzeug unterm Arm. Neben der Abbildung
stand die Ankündigung „Billig und willig“. Die Beschwerdeführerin beklagte, dass hier junge Frauen
als Sexualobjekte dargestellt würden.7 Zur Stellungnahme durch den Werberat aufgefordert, erklärte
sich die Disko sofort bereit, das Plakat künftig nicht mehr zu verwenden.
Auch wenn die Meinungen über die Spruchpraxis des Werberates auseinander gehen - immerhin gibt
es ihn. Bei Kritik an nicht-kommerzieller Werbung bleibt dem einzelnen nur der Gang vor ein
ordentliches Gericht. Zu Recht verweist der Vorsitzende des Werberates, Jürgen Schrader, auf
drastische Bilder, welche nicht-kommerzielle Institutionen verwenden und für die der Werberat nicht
zuständig ist. So zeigt etwa ein TV-Spot der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Jugendliche bei
Selbstmordversuchen. Ein Junge bolzt seinen Papierkorb weg und steckt sich dann eine Pistole in
den Mund. Dann setzt sich eine junge Frau eine Rasierklinge ans Handgelenk – daneben ein
Bewerbungsschreiben für eine Lehrstelle, darauf der unübersehbare Stempel „Abgelehnt“. Ein
Tropfen fällt ins Waschbecken, das Wasser färbt sich rot. Am Ende erst die Moral: „In Deutschland
fehlen mehr als 150.000 Lehrstellen.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in diesem Jahr weniger Frauen diskriminierende Werbung
angezeigt wurde. Die Sanktionsmöglichkeiten des Werberates führen dazu, manche Hersteller bereits
in vorauseilendem Gehorsam ihre Frauen herabwürdigende Werbung zurücknehmen. Andererseits
rügt der Werberat nur wenige der eingegangenen Beschwerde tatsächlich.
4. Warum verwendet die Werbewirtschaft Frauenbilder? Warum nackte Haut und Sex-Appeal
verkaufsfördernd wirken
Der Satz „Die Werbung zielt auf den Unterleib – und trifft das Portemonnaie“ gilt seit jeher. Im Erringen
von Marktanteilen liegt der wesentliche betriebswirtschaftliche Wert der Werbung.8 Angesichts der
Informationsüberlastung ist es ein nahe liegendes Ziel von Werbung, den Rezipienten zu aktivieren
und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aktivierung und Aufmerksamkeit lassen sich besonders gut mit
Bildern erzielen – und hier insbesondere mit Bildern, die visuellen Sex-Appeal aufweisen.9
Bildkommunikation hat vielfältige Vorteile gegenüber Textkommunikation. Bilder erleichtern die
schnelle Aufnahme und Verarbeitung von Informationen. Auch wenig involvierte Betrachter können
Bilder leichter verstehen, quasi im Vorbeigehen. Schließlich aktivieren Bilder stärker als Texte und
sind besser zu erinnern.
Und natürlich – sie ahnen es schon – trifft das alles in ganz besonderem Maße auf sexuelle Motive zu.
Sexuelle Reize sind Schlüsselreize, die instinktive Reaktionen bewirken können, ohne dass wir diese
steuern. Beim Einsatz von Sex-Appeal ist also insgesamt mit einem höheren Aktivierungsniveau und
mit einer höheren Aufmerksamkeit der Rezipienten zu rechnen. Wichtig für die Werbung ist, dass sich
7
www.interverband.com/u-img/69392/Diskothek.htm, besucht am 2. Mai 2004.
www.interverband.com/u-img/184 Warum Werbung, besucht am 7.Februar 2004
9
Moser, K.: Sex-Appeal in der Werbung. Göttingen 1997, S. 37ff.
8
4
diese Aktivierung auf das Umfeld des emotionalen Reizes überträgt! Der Betrachter wird quasi
wachgerüttelt und nimmt die Werbebotschaft der Anzeige effektiver auf, das sind so genannte
Ausstrahlungseffekte. Belegt haben dies wissenschaftliche Untersuchungen, die mit Messungen des
Hautwiderstandes oder der Blickbewegung oder Befragungen etc. arbeiten.
Allerdings zeigen die Untersuchungen auch: Sex lenkt ab, auch in der Werbung. Eine Untersuchung
der Uni Mainz kommt sogar zu dem Ergebnis, dass erotische Details bei Werbung gerade wegen
dieser Ablenkung mehr schaden als nutzen können. Teilweise bewerten die Betrachter das
beworbene Produkt sogar eher negativ – so ist inzwischen belegt, dass Frauen meist Sex-Appeal in
der Werbung weniger akzeptieren als Männer. Und es kann sogar geschehen, dass die aktivierende
Wirkung des einen erotischen Werbespots erst dem nächsten oder übernächsten Spot zugute
kommt.10 Angesichts dieser Tatsachen ist der Einsatz sexueller Motive auch unter werblichen
Gesichtspunkten durchaus ambivalent beziehungsweise kritisch zu sehen.
5. Frauenrollen im Spiegel der gesellschaftspolitischen Entwicklung:
Formalrechtlich ist die Gleichstellung der Frauen seit 1948 im Deutschen Grundgesetz festgelegt. Da
heißt es in Artikel 3 Absatz 1: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich
Absatz 2: Männer und Frauen sind gleichberechtigt
Absatz 3: Niemand darf wegen seines Geschlechtes, … benachteiligt oder bevorzugt werden.
Diesem Gesetz ging eine wechselhafte Entwicklung voraus. Noch Ende des 18. Jahrhunderts
besagte das preußische Allgemeine Landrecht: „Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gemeinschaft;
und sein Entschluss gibt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag.“11 Frauen benötigten
demnach die Einwilligung ihres Mannes, wenn sie Geld verdienen wollten. Sie verfügten nicht über ein
eigenes Vermögen. Auch die gemeinsamen Kinder unterstanden in der Ehe väterlicher Gewalt, nur in
den ersten vier Lebensjahren waren sie der mütterlichen Pflege unterstellt.12
Erst im Jahr 1918 wurde das allgemeine Frauenwahlrecht eingeführt. Ein Jahr später erkannte die
Weimarer Verfassung Männern und Frauen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten zu
und statuierte damit die Gleichberechtigung beider Geschlechter. HELENE LANGE, die Begründerin
des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins, des größten weiblichen Berufsvereins um die
Jahrhundertwende, bemerkte dazu, dass es nicht darauf ankomme, Frauen gleiche Rechte zu
gewähren, sondern „dass die Frau aus der Welt des Mannes eine Welt schafft, die das Gepräge
beider Geschlechter trägt“ (Kampfzeiten 1928, 256). Ich denke, dieser Satz hat auch heute nichts von
seiner Aktualität verloren. In dieser Zeit prägte sich das Bild der modernen Frau, die ihrem Beruf
nachging und für ihren rechtlich abgesicherten Gleichheitsanspruch ein stand.13
Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten sich verschiedene Frauenverbände, allerdings ohne
Durchsetzungskraft. Erst 1969 gründete sich eine mächtige Frauenorganisation: Der Deutsche
Frauenrat. In ihm schlossen sich über 100 Verbände und Frauengruppen mit insgesamt mehr als 10
Millionen Mitgliedern zusammen.
Im Zuge der 68er Revolution bildete sich eine neue Frauenbewegung. Sie stellte erstmals die
gesellschaftliche Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern in Frage. Sie forderte „Lohn für
Hausarbeit“ und die „Hälfte aller qualifizierten Arbeitsplätze für Frauen“. Diese Frauenbewegung hat
unsere Gesellschaft umgekrempelt. Diese Veränderungen mündeten in Gesetze zur Gleichstellung
der Frau. Dazu gehört etwa die Reform des Familien-, Ehe- und Scheidungsrechts von 1977 oder das
Gesetz zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz aus dem Jahr 1980.
6. Frauenbilder in der Werbung von gestern bis heute
10
vgl. Braunschweig/ Pichler: Wie Sex in der Werbung wirkt, in: media & marketing 2/99.
§ 184 des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten (1794), zit. Nach der Textausgabe, Hrsg. H.
Hattenhauer, Frankfurt 1970.
12
Ausführlich dazu Ute Frevert: Frauengeschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und Neuer
Weiblichkeit. Frankfurt/Main 1986.
13
Egbers, S. 17 f.
11
5
Im Spiegel der Zeiten änderte sich auch in der Werbung das Frauenbild, Wilk hat dafür plastische
Bilder gefunden:14
Die 40er Jahre: Mythische Mütterlichkeit
Das Ideal in der Zeit des Nationalsozialismus waren üppige Körperformen, pralle Brüste, breite,
„gebärfreudige“ Becken, die die Mütterlichkeit der Frau betonen. Körper und Schönheit stehen im
Dienst von Volk und Rasse. Aus den wenigen qualifizierten beruflichen Positionen, die Frauen bis
dahin besetzten, wurden sie verdrängt und hinter den Herd, später auch in die Fabrik verbannt.
Die 50er Jahre: Weibliche Reize, weibliches know how – der Aufstieg von Marylin und Klementine
Beleibtheit steigt in der Zeit des Wirtschaftswunders zum Symbol für Wohlstand und Gesundheit auf.
Frauen, die als verführerisch galten, hatten Kleidergröße 40/42 statt wie heute 36. Marilyn Monroe und
Liz Taylor sind zwar schlank, aber nicht dürr. Die Spots der 50er Jahre basieren zunächst auf reiner
Expertise mit so genannten „Fachleuten“ und Symbolfiguren wie Klementine oder Herr Kaiser. Sie
sollen dem Kunden die Kaufentscheidung mittels sachlicher Argumente nahe legen. Fernsehwerbung
steht im Dienste von Heile-Welt-Phantasien, in denen Frauen die Szenerie quasi dekorieren. Frauen
sorgen im Haushalt für Harmonie, Frauen zeigen sich beschwingt und genügsam, wohingegen der
Mann seine Karriere im Kopf hat. In dieser Nachkriegszeit ging es auch darum, die Vergangenheit zu
verdrängen und wieder angenehmes Leben zu genießen.
Die 60er Jahre: „Bissige Barbies“ auf dem Weg nach oben
In den 60er Jahren setzt die Reflexion über die Benachteiligung qua Geschlecht ein. Die „sexuelle
Revolution“, eingeläutet durch die Erfindung der Anti-Baby-Pille, propagiert Lust und selbst bestimmte
Sexualität als Ideal freier Persönlichkeitsentfaltung. 1964, als der Minirock in Mode kam und die
Strumpfhose erfunden wurde, stakste das magersüchtige Topmodell Twiggy als erste Kindfrau über
den Laufsteg. Mit der Entwicklung der Marktforschung beginnt sich Werbung zielgruppenspezifisch
auszurichten. Vorherrschende Themen der Spots bleiben Freiheit und Harmonie.
Die 70er Jahre: Selbstbestimmung auf der Light-Welle
Die 68er Revolution bricht mit den Werten der bürgerlichen Moral: nackte Körper werden zu Symbolen
für Liebe, Freiheit und Frieden. 1973 kam die Wende für das, was heute das Erscheinungsbild der
Frau bestimmt: deutsche Frauen kauften erstmals mehr Hosen als Röcke. Der „sports look“ ist
angesagt. Der Frauentyp in der Werbung ist schlank, sportlich und konsumfreudig. Kalorien sind „in“,
die „du darfst“ und die Light-Welle sind auf dem Höhepunkt. Das Fernsehen avanciert zur liebsten
Freizeitbeschäftigung der Menschen.
Die 80er Jahre: Das Ich und seine Verdrängung
Das Motto der 80er heißt Individualisierung. Der „Tanz ums goldene Selbst“ beginnt. Magazine
überschlagen sich mit Lifestyle-Artikeln, Trendempfehlungen, Typbestimmungen und
Selbsterfahrungstipps. In diesen Jahren wird der Typ des verwöhnten, hochnäsigen Werbemädchens
geboren, das verführerisch sein möchte, andererseits aber längst seinen eigenen Weg geht.
Die 90er Jahre bis heute: Karrierefrauen im Magerkeitsfieber
In den 90ern bis heute herrscht das Ideal gertenschlanker und dabei durchtrainierter Körper. Dieses
Ideal ist für die Mehrheit der Frauen unerreichbar. Die Frau in der Werbung ist jung, intelligent und gut
aussehend, hat einen Hauch von Luxus an sich, gespickt mit einem Schuss Erotik. Ab Mitte der 90er
Jahre kommt der Typ des Magergirlie: Jung, mager, ungekämmt, niemals sonnengebräunt. Aufmüpfig
ertrotzt sich das Girlie seinen Platz in Opposition zur Karrierefrau, die immer mehr realen Frauen als
Vorbild gilt. Die soziale Funktion dieser Mädchenfrau: Sie konkurriert nicht mit dem Mann, weil sie für
Berufserfahrung viel zu jung ist, von Karriere ganz zu schweigen. Die Kindfrau ist die ewig
Pupertierende, Hilfsbedürftige und Weltfremde. Ihr Körper ist abgemagert wie nie zuvor.
Parallel dazu fühlen sich Frauen so unwohl wie nie zuvor in ihrer Haut: Eine Analyse von 222
Einzelstudien kam zu dem Ergebnis, dass das Körperbild von Frauen seit Kriegsende immer
schlechter wurde, und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper Mitte der 90er Jahre einen
vorläufigen Höhepunkt erreichte.
Wir haben also die paradoxe Situation, dass die Frauen materiell und gesellschaftspolitisch aufholen,
aber durch ein Korsett aus Körperideal und Schönheitsdiktat gefesselt sind. Zugeben würde das
14
Entnommen aus Wilk, S. 44 ff.
6
natürlich kaum eine in solchen Worten. Frauen wollen den Mix aus begehrenswerter Barbiefigur,
erfolgreicher Karrierefrau, sorgender und dabei gut gelaunter Hausfrau und liebevoller Mutter… Sie
sind mit einer Bürde beladen, die in keinem Gesetz zu lösen ist. Jedes fünfte Mädchen zwischen 11
und 15 Jahren hat sich bereits einmal oder häufiger den Finger in den Mund gesteckt, 17% der
befragten Mädchen kämpfen mit einer Diät gegen ihre Pfunde an. Zwei von fünf Mädchen fanden sich
zu dick. Frauen geraten in einen Konflikt zwischen aktiver Teilnahme am sozialen Leben und rigider
Körperkontrolle.
Auch eine neuere Studie aus Österreich, welche Frauen-Bilder in der Magazinwerbung untersucht,
kommt zu dem Schluss, dass trotz aller scheinbaren Differenziertheit der Frauenbilder in Wirklichkeit
bestimmte Grundmuster bleiben.15 Zentrales Element ist die Betonung der Geschlechterhierarchie.
Fazit: Das Spektrum der heutigen Frauen-Werbebilder ist keineswegs breit angelegt. Es ist auch nicht
so, dass zeitgemäße Frauenbilder die alten Stereotypen abgelöst hätten. Die Vielfältigkeit weiblicher
Lebensstile wird in der Werbung stark reduziert. In dieser reduzierten Art und Weise verkaufen
weibliche Frauenkörper alles - wie Autos, Armbanduhren, Polstermöbel, Haarshampoos, Saunen und
Gartenmöbel.
7. Werbewirkung: Wie tief geht sie?
Welche Wirkungen haben die öffentlich verbreiteten Bilder von Frauen in der Werbung? Die
Werbetreibenden argumentieren, die Werbung sei nur ein Spiegel der gesellschaftlichen Realität.
Dieses Argument ist durch zahlreiche inhaltsanalytische Untersuchungen über Werbespots widerlegt
worden. Werbeanzeigen und -spots zeigen zum guten Teil unrealistische Frauenbilder. Sie sind nicht
der Spiegel der Realität.16
Empirische Untersuchungen mit Mädchen haben außerdem gezeigt, dass nicht-stereotype
Geschlechtsrollen in Werbespots einen beeindruckenden Einfluss hatten im Sinne einer Erweiterung
ihrer Verhaltensmuster und Berufswünsche. Auch in Tests mit erwachsenen Frauen zeigte sich, dass
die Befragten nach Spots mit progressiven Frauenrollen wesentlich höhere Werte hinsichtlich
Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit aufwiesen als die Vergleichsgruppen, die sich konventionellstereotype Werbespots angesehen hatten.17 Jene Frauen, die traditionelle Werbung gesehen hatten,
äußerten geringere berufliche Leistungsansprüche als die anderen Frauen.
Jahrelange Vorbilder von schönen, aber passiv-konventionellen Frauen hinterlassen bei Kindern und
Erwachsenen Vorstellungsbilder über Möglichkeiten und Ansprüche von Frauen. Sie ergeben
zusammen mit all den anderen Einflüssen wie Erziehung, Vorbilder durch Eltern, Freunde etc. den “
kulturellen Humus“, auf dem die eigenen Bedürfnisse gedeihen - oder eben nur schwer wachsen
können.
8. Zusammenfassung und Ausblick:
Ich habe dargestellt, dass es beim Thema Frauenbilder in der Werbung nicht um Prüderie geht und
erst recht nicht um eine Verteufelung von Geschlechtlichkeit. Es geht vielmehr um
Geschlechterhierarchien, mithin um Machtstrukturen. Ich habe definiert, was frauenfeindliche
Werbung eigentlich ist und die Spruchpraxis des Deutschen Werberates dargestellt. Ich habe
begründet, warum nackte Haut und Sex-Appeal als verkaufsfördernd angesehen werden. Schließlich
habe ich anhand einer Zeitschiene die verschiedenen Frauenrollen im Spiegel der
gesellschaftspolitischen Entwicklung dargestellt und die Frauenbilder in der Werbung gestern und
heute beschrieben. Ich habe ferner angesprochen, dass Werbung sehr wohl Einfluss hat auf
Menschen, wenn natürlich nicht ausschließlich maßgebend ist.
Die moderne Werbung zeigt Frauen, die ihre Karriere managen, die gleiche Chancen wie die Männer
ergreifen und genauso kämpferisch ihren Weg gehen wie die Männer.18 Dennoch bleibt die männliche
Hegemonie unter der Oberfläche präsent. Die Studie von Wilk, die 120 Anzeigen ausgewertet hat,
15
Susanne Litzka: Frauen-Bilder, Wien 2001, in: http://metameta.org-susi/da/node61.html., besucht am 3.2.04
Schmerl 1991, 203; Schmerl 2003, S. 18 ff..
17
Schmerl 2003, S. 19.
18
Wilk, S. 314.
16
7
zeigt klar, dass über die „sozialen Körpercodes“, wie sie sie nennt, die ungleichwertigen Beziehungen
zwischen den Geschlechtern weiterhin bleiben. Da, wo es um traditionelle Frauentätigkeiten geht,
entzieht die Werbung den weiblichen Akteuren die Anerkennung (Hausfrauendasein ist gar nicht
wirklich anstrengend, Kindererziehung ein Hobby, nicht anstrengend). Andererseits verwehrt sie den
weiblichen Akteuren Wertschätzung auf den neuen Gebieten ihres Handelns, im Beruf, bei der
Karriere.19 (Frauen werden nur in den Arbeitspausen gezeigt). Frauen erscheinen selbstwertstark, sind
aber zumeist nicht aus der Position des Negativs zum Mann befreit.
Dieses Problem geht weit über den Befund einer offensichtlich sexistischen und provozierenden
Werbung hinaus. Jene Werbung, die realitätsnahe Frauenbilder präsentiert und dennoch die
Geschlechterhierarchie – quasi durch die Hintertür – wiederholt und verfestigt, ist nach meinem
Verständnis wirkungsmächtiger. Diese Werbung reproduziert Rollenvorstellungen und verfestigt sie.
Ich wünsche mir für die Zukunft eine kreative Werbung, die witzig ist und ansprechend – aber nicht auf
Kosten der Frauen.
Die Stadt Pforzheim hat einen wichtigen Schritt getan. Sie hat jetzt festgelegt, dass Werbung auf
städtischen Plakatflächen nicht gegen die guten Sitten verstoßen darf - und damit auch nicht gegen
Frauen diskriminierende Werbung. Einen Beitrag zur Sensibilisierung bei diesem Thema leistet diese
Ausstellung. Ich wünsche ihr viele Besucher und angeregte Diskussionen.
10. Literatur:
Baumann, H. (Hrsg.): „Frauen-Bilder“. Zur Rezeption von Geschlechterdifferenzen. Münster 2000.
Braunschweig, S./Pichler, K.: Wie Sex in der Werbung wirkt, in: media & marketing2/1999, S. 12 – 15.
Büttner, P.: Die Frauendarstellung in der Werbung. Marburg 1996. Zugl. Diss. 1996.
Claßen, V.: 40 Jahre W & V Frauen. Playtex und Palmolive, in: werben & verkaufen 1//2003, S. 176 ff.; aus: www.wisonet.de/indiv_startseiten/webcgi?START, besucht am 2. Mai 2004.
Deutscher Werberat Jahrbuch 2004, Berlin 2004.
Deutscher Werberat Jahrbuch 2003. Berlin 2003.
Egbers, B.: Das neue Frauenbild der Werbung. Zum offensiven Selbstverständnis der Frauen im Umgang mit überkommenen
Rollenklischees. Berlin 1991.
Frevert, U.: Frauengeschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit. Frankfurt am Main 1986.
Goffmann, E.: Geschlecht und Werbung, Frankfurt am Main 1981.
Hanke, C.: Sexuelle Schlüsselreize und ihre Anwendung in der Werbung. Berlin 2000.
Heller, E.: Die unsichtbare Diskriminierung der Frauen in der Werbung, in: dies.: Wie Werbung wirkt, Frankfurt am Main 1987, S.
123 – 139.
Jendrosch, Th.: Sex Sells. Der neue Trend zur Lust in Wirtschaft und Gesellschaft. Darmstadt 2000.
Litzka, S.: Frauen-Bilder. Die Konstruktion von Weiblichkeit in österreichischer Magazinwerbung. Diplomarbeit Universität Wien,
in: metameta.org/ ~susi/da/
Moser, K.: Sex-Appeal in der Werbung. Göttingen 1997.
Nickel, V.: Sex sells !? Die nackte Wahrheit. Vortrag von Volker Nickel, Sprecher Deutscher Werberat, April 2002.
Nickel, V.: Deutscher Werberat setzt Bürgerwillen bei Firmen durch. Pressemitteilung vom 19.3.2002, in www.interverband.com,
besucht am 28. April 2004.
Nickel, V.: Nackte Tatsachen. Das Frauenbild in der Werbung. Bonn 1993.
Nix, M.: Viele Rügen für sexistische Werbung, spiegel online 2002, www.spiegel.de/panorama, abgerufen am 29. April 2004.
Orth, U./ Holancova, D.: Men´s and women ´s responses to sex role portrayals in advertisements, in: International Journal of
Research in Marketing 21/2004, S. 77 – 88.
Schmerl, C.: Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauenbildern, in: Zs. Des Interdisziplinären
Frauenforschungs-Zentrums, 20. Jg. Nr. 25/2003, S. 16 – 28.
19
Zitat nach Wilk, S. 314.
8
Schmerl, C. (Hrsg.): Der Frauenzoo der Werbung. Aufklärung über Fabeltiere. München 1992.
Schmerl, C. (Hg.in): Frauenzoo der Werbung. Aufklärung über Fabeltiere. München 1991.
Schmidt, H.: Land der Machos, in: prmagazin 10/2001, S. 50 – 52.
Wilk, N.: Körpercodes. Die vielen Gesichter der Weiblichkeit in der Werbung. Franfurt am Main/New York 2002.
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