Pressemitteilung - the Leibniz Institute on Aging

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Information für die Presse
25.10.2011
Vorstand
Prof. Dr. Peter Herrlich
Wissenschaftlicher Direktor
Groß oder klein, das ist hier die Frage! Wie das Gen
MCPH1 die Größe unseres Gehirns bestimmt
Der
Frage
nach
der
Größe
des
Gehirns,
einem
Dr. Daniele Barthel
Administrativer Vorstand
Pressekontakt
Dr. Kerstin Wagner
Tel.:
+49 (0)3641 – 65-6378
+49 (0)3641 – 65-6335
Fax:
Email: [email protected]
entscheidenden Unterschied, der uns zum Menschen
macht, gehen Forscher des Leibniz-Instituts für Altersforschung in Jena nach. Sie
untersuchten den Mechanismus, der zu Mikrozephalie führt, einer seltenen
neuronalen Entwicklungsstörung, die beim Menschen mit einer enormen Reduktion
des Gehirnvolumens verbunden ist. Der Verlust eines Gens, das auch beim
Menschen vorkommt, des MCPH1-Gens, löst bei Mäusen Mikrozephalie aus. MCPH1
spielt eine wichtige Rolle bei der Zellteilung. Fehlt das Gen, wird das Verhältnis
symmetrischer zu asymmetrischer Zellteilung neuronaler Stammzellen gestört und
der Pool an Vorläuferzellen, die zur Expansion der Großhirnrinde notwendig sind,
vermindert. MCPH1 bestimmt somit die Größe des Gehirns. (Nature Cell Biology
2011, doi:10.1038/ncb2342)
Das entscheidende Merkmal, das uns Menschen von unseren nächsten Verwandten
unterscheidet, ist die Größe und Komplexität des Gehirns. Besonderes Interesse gilt dabei
dem zerebralen Kortex (Großhirnrinde), der uns u.a. die Wahrnehmung, das Denken und
die Sprache ermöglicht. Im Verlauf der Evolution von Säugetieren hat sich die
Gehirngröße dramatisch vergrößert; unser heutiges Gehirn wiegt im Durchschnitt etwa
1300 Gramm. Um die Hirnentwicklung und komplexe Funktionsweise besser verstehen zu
können, ist ein möglicher Ansatz, Störungen oder defekte Mechanismen zu untersuchen,
die zu einer fehlerhaften Hirnentwicklung führen.
Bei Individuen mit primärer Mikrozephalie (MCPH) ist das Gehirnvolumen um etwa zwei
Drittel reduziert; durch den Verlust von Neuronen bei der Entwicklung des Gehirns sind
diese Patienten geistig unterentwickelt. Als genetische Ursache werden Mutationen in
einem Gen mit dem Namen MCPH1 angenommen. Das Proteinprodukt dieses Gens,
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Mikrozephalin, wurde bisher mit Aufgaben in der Zellzykluskontrolle und DNASchadensantwort/-reparatur oder der Regulierung der Chromosomenkondensation in
Verbindung gebracht.
Welche Rolle MCPH1 bei der Entwicklung des Gehirns spielt, untersuchte jetzt eine
Forschergruppe um Professor Zhao-Qi Wang, Leiter der Arbeitsgruppe "Genomische
Stabilität" am Leibniz-Institut für Altersforschung - Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena. Den
Forschern
gelang
der
Nachweis,
dass
MCPH1
eine
wichtige
Rolle
beim
Zellteilungsprozess neuronaler Stammzellen spielt und für die korrekte Positionierung der
mitotischen Spindel verantwortlich ist. Durch seinen Einfluss auf die Balance zwischen
symmetrischer und asymmetrischer Zellteilung bei der Embryonalentwicklung des Gehirns
ist MCPH1 ein entscheidender Faktor, der die Größe unseres Gehirns beeinflusst. Diese
Forschungsergebnisse sind nun in der renommierten Fachzeitschrift "Nature Cell Biology"
(doi: 10.1038/ncb2342) erschienen.
"Um
die
Funktion
Embryonalentwicklung
von
des
MCPH1
bei
Gehirns,
zu
Zellteilungsprozessen,
untersuchen,
speziell
verwendeten
bei
wir
der
neben
ausgewählten Zelllinien Mäuse, denen das wichtige Gen MCPH1 fehlte", berichtet Prof.
Wang vom Fritz-Lipmann-Institut in Jena. "Wir konnten zeigen, dass der Verlust von
MCPH1 bei neugeborenen Mäusen zu einer Mikrozephalie, ähnlich der beim Menschen,
führt und es zu einer spezifischen Abnahme der Dicke und seitlichen Ausdehnung des
zerebralen
Kortex,
der
Großhirnrinde,
kommt.
Das
Vorhandensein
bzw.
Nichtvorhandensein von MCPH1 hat also einen entscheidenden Einfluss auf die gesunde
Gehirnentwicklung", so Prof. Wang weiter.
Stammzellen (Vorläuferzellen) sind das Reservoir, aus dem im Lauf der Entwicklung die
unterschiedlichsten Zell- und Gewebetypen eines Organismus hervorgehen. Neuronale
Stammzellen teilen sich, um sich entweder zu vermehren (symmetrische Zellteilung) oder
um differenzierte Zellen, wie z.B. Nervenzellen, zu bilden (asymmetrische Zellteilung). Bei
der embryonalen Entwicklung des Gehirns von Säugetieren kommen beide Formen der
Zellteilung nebeneinander vor. Der entsprechende Zeitpunkt des Umschaltens zur Bildung
von Nervenzellen reguliert die Balance zwischen Vermehrung, Selbsterneuerung und
Verbrauch des Vorrates an Stammzellen und somit das Wachstum und die Größe des
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Gehirns. "Fehlt MCPH1, dann tritt dieser Umschalt-Zeitpunkt verfrüht ein und die Balance
zwischen symmetrischer und asymmetrischer Zellteilung der Vorläuferzellen wird gestört.
Dieser vorzeitige Wechsel in die asymmetrische Zellteilung bewirkt schließlich, dass der
Pool an Stammzellen, der für die Neubildung von Nervenzellen zur Verfügung steht,
limitiert wird", unterstreicht Prof. Wang. "Das ist ein Grund, warum es bei der
Mikrozephalie-Erkrankung zu einer enormen Reduktion des Gehirnvolumens kommt."
Warum begünstigt aber gerade der Verlust von MCPH1 die asymmetrische Zellteilung von
neuronalen Stammzellen? "Im Evolutionsverlauf müssen neuronale Vorläuferzellen einen
Mechanismus entwickelt haben, der durch die präzise Ausrichtung der Teilungsachse die
Zellteilung kontrolliert", informiert Prof. Wang. "MCPH1 übernimmt diese wichtige Aufgabe
und stellt die exakte Positionierung der mitotischen Spindel, die für die Trennung der
Tochterchromosomen verantwortlich ist, sicher. Fehlt aber MCPH1, löst die falsche
Ausrichtung einen vorzeitigen Eintritt in die Mitose aus, noch bevor die Reifung der
Zentrosomen, die für die Ausbildung der Mitosespindel zuständig sind, abgeschlossen ist.
Das führt schließlich zur Begünstigung der asymmetrischen Zellteilung und somit zur
Reduktion des Stammzellen-Pools."
"Das neue Wissen um den entscheidenden Einfluss von MCPH1 bei der Aufrechterhaltung
des Pools an neuronalen Stammzellen und Nervenzellen bei der Gehirnentwicklung und
bei der Regulation von symmetrischer und asymmetrischer Zellteilung dürfte die
Entwicklung neuer Strategien begünstigen, neurodegenerativen Krankheiten entgegenzuwirken", ist sich Prof. Wang sicher.
Kontakt:
Dr. Kerstin Wagner
Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
Beutenbergstr. 11, 07745 Jena
Tel.: 03641-656378, Fax: 03641-656335, E-Mail: [email protected]
Originalpublikation:
Gruber R, Zhou Z, Sukchev M, Joerss T, Frappart P-O, Wang Z-Q: MCPH1 regulates the
neuroprogenitor division mode by coupling the centrosomal cycle with mitotic entry through
the Chk1-Cdc25 pathway. Nature Cell Biol. (2011), DOI: 10.1038/ncb2342.
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b.) Asymmetrische Zellteilung a.) Symmetrische Zellteilung Bild 1:
Das Gen MCPH1 spielt eine wichtige Rolle bei der embryonalen Entwicklung des Gehirns.
Es ist bei der Zellteilung für die präzise Ausrichtung der mitotischen Spindel notwendig
und regelt den Teilungsmodus von Stammzellen. Bei der symmetrischen Zellteilung (a)
sind beide Tochterzellen identisch und führen zur Vergrößerung des Stammzellen-Pools.
Bei der asymmetrischen Teilung (b) unterscheiden sich die Tochterzellen in ihrem
Phänotyp, da sie unterschiedliche Zellinhalte der Mutterzelle erben; dies gewährleistet den
Erhalt des Stammzellen-Pools und die Bildung differenzierter Zellen. (Foto: Z.Q. Wang,
FLI)
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Bild 2:
Groß oder klein? Wie das Gen MCPH1 die Größe unseres Gehirns bestimmt. (Grafik: K.
Wagner, FLI)
Hinweis:
Das zur Verfügung gestellte Bildmaterial darf nur im Zusammenhang mit dieser
Pressemitteilung genutzt werden.
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Hintergrundinfo
Die primäre autosomal-rezessive Mikrozephalie (MCPH) ist eine seltene neuronale
Entwicklungsstörung, gekennzeichnet durch einen verringerten Kopfumfang, der mindestens drei
Standardabweichungen unter dem alters- sowie geschlechtsbezogenen Mittelwert liegt und mit
einer Verringerung des Hirnvolumens einhergeht. Trotz reduzierten Volumens ist die neuronale
Architektur des Gehirns normal. Bis dato wurden sieben Gen-loci kartiert (MCPH1-MCPH7) und
fünf Gene identifiziert.
Das Gehirn des Menschen besteht zu 55% aus dem cerebralen Kortex (Großhirnrinde). Bei
Mikrozephalie ist er vermindert ausgebildet, was sich in einer geistigen Behinderung niederschlägt.
Liegt eine Mikrozephalie bereits bei Geburt vor, so spricht man von einer primären Mikrozephalie,
tritt sie erst nach der Geburt auf, handelt es sich um eine sekundäre Mikrozephalie. Für die
Entstehung einer primären Mikrozephalie gibt es nicht-genetische Ursachen (z.B. Alkoholkonsum,
Toxoplasmose-Infektion) und genetische Ursachen (z.B. Abbildungsfehler des Chromosomsatzes
oder Mutationen in einzelnen Genen).
Die symmetrische Zellteilung (proliferative Zellteilung) ist ein Vorgang, bei dem sich eine neuronale
Vorläuferzelle (Stammzelle) in zwei gleiche teilt und damit den Pool an Vorläuferzellen erweitert.
Sie führt zu einer seitlichen Expansion des Kortexes.
Bei der asymmetrischen Zellteilung (neurogene Zellteilung) entstehen aus einer Vorläuferzelle ein
ausdifferenziertes Neuron und eine Vorläuferzelle. Sie führt zum radialen Wachstum, der kortikalen
Verdickung.
Das Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena ist das erste deutsche
Forschungsinstitut, das sich seit 2004 der biomedizinischen Altersforschung widmet. Über 330
Mitarbeiter aus 25 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alterungsprozessen und
altersbedingten Krankheiten. Näheres unter www.fli-leibniz.de.
Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören zurzeit 87 Forschungsinstitute und Serviceeinrichtungen für die
Forschung sowie drei assoziierte Mitglieder. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den
Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und
Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten strategisch
und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Bund und
Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam. Näheres unter
www.leibniz-gemeinschaft.de.
Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU): Näheres unter www.uni-jena.de.
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