OBJEKTE Viel Holz, viele Velos, aber keine Autos Die Siedlung Oberfeld in Ostermundigen ist mit rund 100 Wohnungen die grösste dreigeschossige Holzbausiedlung mit Attikageschoss im Kanton Bern. Sie ist ein Pionierbau und ein Leuchtturmprojekt der 2000-Watt-Gesellschaft. Nicht zuletzt deshalb, weil das Energiekonzept, bei dem im Sommer Energie gesammelt wird, die man im Winter verwendet, in dieser Grösse einmalig ist. Speziell ist zudem, dass bei der in Minergie-P-Bauweise realisierten Siedlung der Partizipation der künftigen Bewohnerinnen und Bewohner ein hoher Stellenwert eingeräumt wurde. Zudem verzichten diese freiwillig auf Autos. 480 Parkplätze für 100 Wohnungen mögen etwas viel erscheinen. Nicht so im Fall der Siedlung Oberfeld in Ostermundigen. Die Parkplätze hier sind nämlich Einstellplätze für Velos. An der Einstellhalle wird derzeit noch gebaut, aber zwei Gebäude sind schon fertig erstellt und werden bewohnt. Selbstverständlich kommt Architekt Peter Schürch, Professor an der Berner Fachhochschule für Architektur, mit dem Velo zur Besprechnung mit der Berichterstatterin. Man merkt ihm an: Die Projektierung der Siedlung, war für ihn nicht Auftrag, sondern Berufung. Und man denkt unwillkürlich, dass es gerade darum so gut herausgekommen ist, wenn man sieht, wie gern die Bewohnerinnen und Bewohner dort leben. Die Siedlung mit der wechselvollen Vorgeschichte (siehe Kästchen) umfasst drei Baukörper, ein Gebäude A und C sowie das Dreifachgebäude B 1-3, die sich optisch und von der Erschliessung her voneinander unterscheiden, auch wenn sie den gleichen konstruktiven Aufbau besitzen und einem ähnlichen Wohnkonzept folgen. Die beiden Bauten A und C, die vom Architekten Tilmann Rösler projektiert wurden, fallen durch ein Wechselspiel der Farben auf. Der kühle Farbton der vorvergrauten hinterlüfteten Fichtenverschalung hebt sich optisch vom warmen Honigton der naturbelassenen Lärchenschalung ab. Die Balkone sind auf der Vorderseite angebracht, aber nicht regelmässig, sondern in einem Zickzack, was dem einen nach Süd- Das Gebäude C ist in den Farben Grau und Honig gehalten. Foto: Susanna Vanek Das Gebäude C wirkt von hinten beinahe kühl. Foto: Susanna Vanek westen ausgerichteten Bau C, der schon fertig erstellt ist, eine weiche Note verleiht. Von hinten wirkt der gleiche Bau beinahe kühl, auch weil hier die vorvergraute Verschalung dominiert, das breite verglaste Treppenhaus korrigiert diesen Eindruck ein wenig. Die Bewohnerinnen und Bewohner können hier Jacken und Schuhe oder Kinderwagen deponieren, Tische laden zum gemeinsamen Verweilen ein. Feuerschutz- technisch ist das nicht optimal, aber es strahlt Lebensfreude aus. Wie im Süden Das U-förmige Gebäude B 1-3, das von Schürch entworfen wurde, vermittelt noch mehr Lebensfreude, strahlt ein mediterranes Lebensgefühl aus, was nicht nur am Innenhof liegt, sondern auch an den durchgehenden Lauben, durch die das Gebäude erschlossen wird. Trotz der Breite der Bal- 8.2014 25 OBJEKTE Anschluss Geschossdecke/Betonwand. kone wirkt das Gebäude im Gegensatz zu den anderen beiden Gebäuden der Siedlung leicht. Dies einerseits weil die Balkone ein feines und unregelmässiges Staketengeländer aufweisen, andererseits weil sie durchgehend sind, also keine Querverbindungen ins Auge fallen, was sie optisch in den Hintergrund treten lässt. Was dagegen auffällt sind die Bepflanzungen, die Tische oder die Hängematten der Bewohnenden – das gelebte Leben eben. Ein Merkmal der Lauben: Die Bewohnerinnen und Bewohner teilen sich die Balkone, man lebt nicht neben-, sondern miteinander. Beim Besuch der Berichterstatterin verweilt ein Mädchen auf einer der Lauben, bald darauf kommt ein 3-D-Modelle des Gebäudes A und B. Visualisierung: Timbatec 26 8.2014 Grafiken: Timbatec Anschluss HEB-Unterzug an Betonwand mit Verschraubung. Junge hinzu: «Kann ich mitspielen?» Das Gebäude verfügt auf beiden Seiten über Lauben, so können die Bewohnerinnen und Bewohner entscheiden, ob sie sich lieber auf der der Sonne zu- oder abgewandten Seite aufhalten. Kleines Detail: Schürch hat Betonpfeiler eingeplant, die Platz lassen, Privates wie Schuhe zu verstauen. Was genutzt wird. Neben der optischen und der sozialen Funktion dienen die beidseitig umlaufenden Balkone dem sommerlichen Hitzeschutz, da sie für eine Verschattung sorgen. Hybrider Holzrahmenbau Nicht nur optisch unterscheiden sich die Gebäude A und C von Rösler und B von Schürch, sondern auch von ihrer Erschliessung her. Die Häuser A und C sind durch ein klassisches Treppenhaus in Stahlbeton erschlossen, die drei Häuser B 1-3 durch den bereits erwähnten Laubengang, der aus Brandschutzgründen in Beton ausgeführt wurde, mit Dilatationsfugen. Ebenfalls aus Brandschutzgründen musste eine nicht brennbare Fassade montiert werden. Dazu wurden rohe, unbehandelte zementgebundene Spanplatten ausgewählt. Alle drei Gebäude sind in hybrider Holzelementbauweise im Minergie-P-Standard mit Erschliessungskernen aus Stahlbeton, auch die zwei Treppenhäuser und zwei Nottreppen im Gebäude B. Aus Der Innenhof des Gebäudes B. Die rote Farbe am Bau wurde von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Siedlung ausgewählt. Foto: Susanna Vanek OBJEKTE brandschutztechnischen Gründen gibt es jeweils zwischen den Treppenhäusern Brandmauern mit einem Feuerwiderstand von REI180(nbb) e aus Beton. Alle Teile aus Beton innerhalb des Dämmperimeters sorgen für Speichermasse und somit für den sommerlichen Wärmeschutz. Die Lastabtragung erfolgt über tragende Aussenwände sowie einen Skelettbau im Gebäudeinnern. Daher konnten die Innenwände nichttragend mit Gipsfaserplatten erstellt werden, was eine flexible Raumeinteilung und eine spätere Umnutzung oder Umgestaltung ermöglicht. Die deckenbündigen Unterzüge im Gebäudeinnern wurden als Stahlträger ausgebildet. Aufgrund der hohen Kräfte aus den Geschossdecken wurden für die Anschlüsse an die Treppenhauskerne und die Brandmauern spezielle Einlegeteile konstruiert. Die Herausforderung lag darin, dass die Betonoberflächen sichtbar bleiben und sämtliche Einlegeteile im Beton verdeckt werden mussten. Unter diesen Herausforderungen wurden Stahlteile eingelegt, welche an der Oberfläche Löcher mit Innengewinde aufweisen. Ein Stahlschuh wurde als Bindeglied zwischen Stahlträger und Einlegeteil eingesetzt. Der Stahlschuh wurde auf der einen Seite an die Innengewinde in der Betonoberfläche angeschraubt, auf Seite Geschichte der Siedlung Das Ostermundiger Oberfeld war einst im Besitz der Stadt Bern, bis Ende der 90er Jahre war es ein Reich der Schützen. Danach musste der Boden vom Blei saniert werden, um das Areal einer neuen Nutzung zuzuführen. Um 2004 präsentierte der VCS die Vision einer autofreien Siedlung. Einer der ersten Interessenten war der Architekt Tilman Rösler. Im gleichen Jahr stimmten die Ostermundiger der Umzonung des Landes in eine Bauzone zu und im November 2006 sprach sich der Berner Stadtrat dafür aus, ein autoarmes Siedlungskonzept zu unterstützen. Die IG Oberfeld gründete 2007 mit der Stanser Wohnbaugenossenschaft Atlantis die Wohnbaugenossenschaft Oberfeld (WBG). Es war der Startschuss für Verhandlungen mit der Stadt Bern; parallel dazu be- Details der statischen Anschlüsse an gann die Planung mit Architekten und Investoren für die Überbauung des ganzen Areals mit 500 Wohnungen. Allerdings scheiterte der Plan, weil Investoren fehlten und die Stadt Bern das ganze Areal der Pensionskasse der Assistenzärzte verkaufte. Die Genossenschaft blieb indes hartnäckig und trotzte Ende 2009 nicht zuletzt dank der Vermittlung von Stadtpräsident Alexander Tschäppät der Pensionskasse 1000 Quadratmeter für 100 Wohnungen ab. Quasi in letzter Minute konnte auch eine Bank für die Finanzierung gefunden werden. Das Bundesamt für Wohnungswesen unterstützte die Genossenschaft ebenfalls von Beginn weg grosszügig. Der Spatenstich erfolgte im Mai 2012, die ersten Bewohnerinnen und Bewohner konnten im August 2013 einziehen. sv Dieser Teil des Gebäudes B wird noch nicht bewohnt. Das Gebäude wirkt trotz der breiten umlaufenden Balkone filigran. die Erschliessungskerne mittels Stahlwinkel und Stahlunterzüge. Foto: Lukas Rüegsegger, Timbatec des Unterzugs mit einer zweischnittigen Schraubverbindung befestigt. Um Bautoleranzen aufzunehmen, wurden einerseits die Löcher im Stahlschuh erst auf der Baustelle gebohrt, andererseits wurde die Verbindung zum Stahlträger mit Langlöchern ausgeführt. Die Geschossdecken bestehen aus einem Holz-Beton-Verbund aus 16 Zentimeter sichtbarem Brettstapel und 15 Zentimeter Beton. Darüber wurde ein «konventioneller» Aufbau mit einem Unterlagsboden gewählt, zuoberst sieht man einen geölten Anhydritboden. Bei der Inneneinrichtung galt das Motto: «So viel wie nötig», ein echter Beitrag zur aktuellen Suffizienzdiskussion. Die Bewohnerinnen und Bewohner können den Ausbaustandard der Wohnungen erhöhen, wenn sie mehr Luxus wün- Das Gebäude B mit den grossen Fenstern und den durchgehenden Lauben. Fotos: Susanna Vanek 8.2014 27 OBJEKTE schen und diesen auch bezahlen. Die 50 Wohnungsbesitzerparteien und 50 Mietparteien machten davon Gebrauch. Der Aufbau der Aussenwände mit einem Feuerwiderstand von R60 weist einen Installationshohlraum mit abgekoppelter Vorsatzschale auf, gedämmt wurde mit gesamthaft 45 Zentimetern Mineralwolle, OSB-Platten von 25 Millimetern dienen als Luftdichtung und Brandschutzschicht. Auf der Aussenseite wurde eine Dämmschutzschicht aus Gipsfaserplatten erstellt, um dem Brandschutz hinter brennbaren Aussenverkleidungen Rechnung zu tragen. Eine 15 Millimeter breite dicke Gipsfaserplatte dient als Brandschutz. Am Bau Beteiligte Bauherrschaft: WBG Oberfeld Architektur: ARGE Halle 58 Architekten, Bern, Peter Schürch (Federfühung), Violanta von Gunten, Gianrico Settembrini, Rebecca Inauen/ Planwerkstatt, Bern, Tilmann Rösler (Federführung), Thorsten Kühn, Javier Torres Bauingenieur: Tschopp Ingenieure GmbH, Bern Holzbauingenieur: Timbatec Holzbauingenieure Schweiz AG, Thun Holzbau: Beer Holzbau, Ostermundigen (Federführung) Hector Egger Holzbau AG, Langenthal (Produktion Wandelemente) Sägerei Sidler AG, Oberlunkhofen (Produktion BrettstapelDeckenelemente) Elektro: Bering AG, Burgdorf Heizung: Berger Wärmetechnik AG, Burgdorf Lüftung: CBM, Martin Mosimann Sanitär: Probst + Wieland AG, Burgdorf Solartechnik: Meyer Burger AG, Gwatt Bauphysik: Weber Energie und Bauphysik, Bern Geologe: Werner + Partner AG, Burgdorf Gebäude C befindet sich noch im Bau. Foto: Susanna Vanek tiefen selbstregulierenden Vorlauftemperaturen von maximal 28 Grad Celsius. Die kontinuierliche Lufterneuerung erfolgt – individuell für jede Wohnung – Wärme- und Feuchtetauscher was den Energieverlust minimiert. Die Holz- und Holzmetallfenster verfügen über eine Wärmeschutzverglasung mit niedrigem U-Wert bei relativ hohen g-Werten, damit zusätzlich passiv Solarenergie gewonnen werden kann. Die grossen Glasfronten der Gebäude A und C sind optimal gegen das Sonnenlicht ausgerichtet. Die kontinuierliche Lufterneuerung erfolgt mit Wärme- und Feuchtetauscher, was den Energieverlust minimiert. Pionierhafte Haustechnik Erstmals wurden für eine Überbauung dieser Grösse Hybridkollektoren eingesetzt. Wie der Name schon sagt, generieren diese Kollektoren auf zwei Arten Energie: PV-Zellen erzeugen Strom und ein darunter liegender Alukollektor nimmt die Wärme für Heizung und Warmwasser auf. Dadurch kühlt er gleichzeitig die PV-Zellen, deren Effizienz so wesentlich erhöht wird. Im Sommer wird die überschüssige Wärme mit 40 Erdsonden, die in 145 Metern Tiefe gebohrt wurden, im Sandstein gespeichert. Dies funktioniert, weil es 40 Erdsonden sind, die sich gegenseitig wärmen, wie Schürch erklärt. Im Winter kann die verbliebene Wärme wieder entnommen werden. «Ein Prinzip, als ob Eichhörnchen für den Winter sammeln und vergraben», macht Schürch einen Vergleich. Das innovative Energiekonzept konzipierte Christian Zeyer, der Präsident der Siedlung, mit den Architekten zusammen. Das EWB realisierte die Anlage als Contractor. Das Bodenheizsystem ist energieoptimiert mit Gute Planung und Mitspracherecht Die Entstehungsgeschichte der Siedlung ist von der Suche nach Investoren geprägt. Schon früh stand der Entscheid für das Baumaterial Holz fest, denn erstens wurde auf naturnahe und ökologische Materialien Wert gelegt, wie Schürch ausführt, und zweitens müsse ein Holzbau in der Qualität des Standards Minergie-P nicht teurer sein als ein Massivbau. Man müsse bloss entsprechend genau planen. Die Holzbau- Ausmass Baumaterialien 28 Produkt Gebäude A Gebäude B Gebäude C Total Brettschichtholz GL24h 139.5 324.3 217.73 681.53 m3 Bauholz C24 244 652.5 379.36 1275.86 m3 Kerto Q 4.2 7.2 6.2 17.6 m3 3-Schicht-Platten 27 mm 957.3 2131.6 1502.45 4591.35 m2 OSB 638 1554.93 912.05 3104.98 m2 Gipsfaserplatten 1428.75 3383.82 1762.2 6574.77 m2 Stahl 46.15 173.54 71.29 290.98 t 8.2014 OBJEKTE weise wurde trotzdem von verschiedenen Seiten in Frage gestellt, da sich hartnäckig die Idee hielt, Holzbau müsse teurer sein als die Massivbauweise. Schliesslich konnten die Holzbauingenieure von Timbatec gemeinsam mit dem Architektenteam belegen, dass diese Idee überholt ist und der Holzbau zum gleichen Preis realisiert werden konnte wie ein Massivbau. Die damit nötig gewordene genaue und frühzeitige Planung kam zudem dem Auftraggeber in Form einer hohen Bauqualität zugute. Die Architekten hatten sich darauf eingelassen, den künftigen Bewohnenden eine Partizipation einzuräumen. Beispielsweise konnten die ersten Bewohnerinnen und Bewohner die Wohnungsgrösse und Raumaufteilung teilweise mitbestimmen, sich also etwa eine grössere Wohnung mittels Schaltzimmer oder ein geräumigeres Badezimmer wünschen. Diskutiert wurde in Gruppen, entschieden wurde etwa der Einbau eines Gemeinschaftsraumes und einer Skylounge im Attikageschoss des Hauses C. Auch der Abendstimmung auf dem Attikageschoss des Hauses B. Die Wohnungen mit den schönen Terrassen wurden nicht nur verkauft, einige werden auf Wunsch der Bewohnerinnen und Bewohner auch vermietet, damit auch weniger Begüterte in ihnen leben können. Foto: Peter Schürch Aussenbereich, der das Aussehen der Siedlung mitprägt, wurde zusammen mit den Bewohnenden geplant. Herausgekommen ist eine lichte, offene und naturnahe Bepflanzung mit Spielflächen für die Kinder. Statt Thuja- oder Kirschlorbeersträucher wurden Schwarzdorn, Heckenkirsche und Johannisbeere angepflanzt. Beim Pflanzen halfen die Kinder mit, säten etwa Mohnblumen. Bei der Begehung der Siedlung durch die Berichterstatterin brüstet sich ein Mädchen stolz: «Das haben wir Kinder gemacht.» Und dann verrät es: «Weisst du, hier wohne ich gerne.» Susanna Vanek Quelle: renggli-haus.ch Die Baumesse. Wo man schaut, bevor man baut. 4.– 7.9.2014 Messe Zürich Do–So 10–18 bauen-modernisieren.ch 25% RABATT Gutschein-Nr. auf Tageskarte BM14PRANZ0043 online einlösen unter www.bauen-modernisieren.ch/ticket Patronat 8.2014 29