Einige Daten zur deutschen Arbeiterbewegung am

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Vor 100 Jahren:
Einige Daten zur deutschen Arbeiterbewegung am
Vorabend des Ersten Weltkriegs
Quelle: Kommunisten.ch
Auf DKP-Bremen.org am 23. November 2012
Das Wachstum der SPD …
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) wuchs zu Beginn des 20.
Jahrhunderts unaufhörlich. 1907 zählte sie 530’000 Mitglieder. Am letzten Parteitag
vor dem Krieg waren es schon 1’085’000. In den Reichstagswahlen von 1907 hatte
die SPD zwar einen Rückschlag erlitten. Es waren die sogenannten HottentottenWahlen. Die Bourgeoisie führte eine unerhörte Kampagne gegen die
Sozialdemokraten, die sich der Kolonialpolitik widersetzten und gegen die blutige
Unterdrückung der Herrero-Aufstände in Deutsch-Südwesafrika protestierten. Aber
bei den Wahlen 1912 errang die SPD einen glänzenden Sieg. Sie erhielt 4,2
Millionen Wählerstimmen (38.5%), und wurde mit 110 Sitzen die stärkste Fraktion im
Reichstag. Die Gewerkschaften steigerten ihre Mitgliederzahl von 400’000 im Jahr
1898 bis 1914 auf das Sechsfache (2,5 Mio.). Vor dem Weltkrieg hatte die Partei 91
Zeitungen mit anderthalb Millionen Abonnenten.
… und die Erstarkung des Opportunismus
Aber in der gleichen Zeit veränderte sich der Charakter der SPD zunehmend.
Besonders nach der Niederlage der russischen Revolution von 1905 glitt die SPDFührung auf zentristische Positionen ab und überliess die Hebel mehr und mehr den
opportunistischen Elementen. Gerade das Zentrum, darunter Parteiführer von
internationalem Prestige beim Proletariat, das mit dem rechten Flügel paktierte und
diesem eine Konzession um die andere machte, verhinderte durch seine Haltung
den Erfolg der revolutionären Kräfte um Mehring, Zetkin, Luxemburg und den jungen
Liebknecht in ihrem Kampf gegen den Opportunismus. Diese Politik der Zentristen
in den Führungen der SPD und anderer Parteien ist für den Zusammenbruch der II.
Internationale bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs verantwortlich.
In den Vorkriegsjahren gehörte die Frage des politischen Massenstreiks zu den
akutesten Fragen, die in der SPD diskutiert wurden, und in in diesen
Auseinandersetzungen machten sich die Unterschiede zwischen den verschiedenen
Strömungen deutlich bemerkbar. Rosa Luxemburg propagierte in ihrem Buch
“Massenstreik, Partei und Gewerkschaften” die Anwendung dieses in Russland
erprobten Kampfmittels. In der SPD wurde der Massenstreik vor allem im
Zusammenhang mit dem Kampf gegen das Dreiklassen-Wahlrecht zum
preussischen Landtag erörtert. Im Jahre 1910 erreichten die
Massendemonstrationen gegen das reaktionäre Wahlrecht einen Höhepunkt. Am
10. April fanden in allen Städten Preussens grosse Kundgebungen statt. Allein in
Berlin nahmen 250’000 daran teil. Auch die Streikbewegungen nahmen nach einer
Flaute wieder zu. Nach Streikkämpfen in Berlin (Moabit) 1910 kam es 1912 zu
einem grossartigen Streik im Ruhrgebiet. Rosa Luxemburg, Klara Zetkin und Karl
Liebknecht forderten angesichts der wachsenden Massenkämpfe die Hinwendung
der Partei zum politischen Massenstreik und weiteren ausserparlamentarischen
Kampfmethoden. Aber die SPD-Führung war dagegen, da sie – besonders seit der
Wahlniederlage von 1907 – alles vermeiden wollte, was den kleinbürgerlichen
Wähleranhang brüskieren könnte.
Auch auf dem Parteitag von Nürnberg 1908 setzte die Parteiführung den Kampf
gegen den Revisionismus fort und verurteilte das Verhalten der SPD-Abgeordneten
in den Landtagen von Baden, Württemberg und Bayern, die den bürgerlichen
Staatshaushalten zugestimmt hatten. Der Parteitag bestätigte den Beschluss des
Dresdener Parteitages von 1903 und verbot den süddeutschen Genossen die
Zustimmung zu den Haushalten. Bebel erklärte: «Wir sind prinzipielle Gegner der
heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung… Unsere ganze Tätigkeit ist darauf
gerichtet, die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung zu untergraben.»1
Allerdings ignorierten die Badener weiterhin die Beschlüsse, so dass denn das
gleiche Thema auch am Magdeburger Parteitag 1910 erneut zur Sprache kommen
sollte.
Kaustkys Rechtswende und Bebels Tod
Kaustky, der bis ungefähr 1909 (“Der Weg zur Macht”) gegen den Revisionismus
aufgetreten war, tendierte mehr und mehr nach rechts. Er erklärte jede Diskussion
über die Frage des politischen Massenstreiks in Deutschland für nutzlos und
empfahl der SPD eine “Ermattungsstrategie” anstelle der “Niederwerfungsstrategie”,
lies: rein parlamentarische Aktionsmethoden und Verzicht auf
ausserparlamentarische Kampfformen. Kurz vor dem Magdeburger Parteitag
publizierte Kautsky einen Artikel, welchem er den Titel “Zwischen Baden und
Luxemburg” gab. Die Geburtsstadt von Karl Marx liege in der Mitte zwischen
Luxemburg und Baden. Die Lage Triers auf der Landkarte sei ein Symbol für die
SPD. Damit wollte Kautsky nicht nur sich selbst als Zentrum (mit gleichem
Lärmabstand nach links und rechts) positionieren, sondern auch Marx in einen
“Zentristen” und Kautskyaner verwandeln.
Nach dem Tod von Paul Singer (1911) und August Bebel (1913) bildete sich in der
SPD-Führung ein Block von Zentristen und Rechten. Der Rechtsanwalt Haase und
der Lederarbeiter Ebert kamen an die Parteiführung, Scheidemann leitete die
Reichstagsfraktion, die sich seit den Wahlen 1912 mehrheitlich aus offenen
Opportunisten zusammensetzte. Von da an kämpfte die Parteispitze nicht mehr
gegen den Opportunismus, sondern gegen die revolutionäre Parteilinke.
Einen weiteren Schritt des Verrats an den Beschlüssen der 2. Internationale
(Stuttgart 1907, Basel 1912) beging die Reichstagsfraktion, als sie 1913 einer
Regierungsvorlage zustimmte, welche zum Zweck der Rüstung die direkten Steuern
erhöhte. Die SPD-Führer begründeten ihre Zustimmung mit dem fadenscheinigen
“Argument”, die Partei sei schon immer gegen indirekte, also für direkte Steuern
gewesen. Das war schlicht gelogen. Mit Bebels Ableben wurde auch seine
berühmte Losung begraben: “Diesem System keinen Mann und keinen Groschen”.
Nach dem Jenaer Parteitag gingen die Opportunisten zur Offensive über und
hinderten gegen die Parteilinke an der Verbreitung ihrer Anschauungen. Sie
verstärkten ihre Kontrolle über die Parteipresse, und bemächtigten sich unter
anderem auch der Leipziger Volkszeitung, die langezeit ein Sprachrohr der Linken
gewesen war.
Für die weitere Entwicklung spielte auch eine Rolle, dass Bebel zeitlebens an der
Auffassung festgehalten hatte, dass das zaristische Russland nach wie vor (wie zu
Marxens Zeiten) die Hauptgefahr für den Fortschritt darstelle. Diese überholte
Einschätzung und die damit einhergehende Unterschätzung der Gefahren, die vom
deutschen Imperialismus und von den westlichen imperialistischen Mächten
ausging, erleichterten die Versuche der Sozialchauvinisten, den imperialistischen
Weltkrieg deutscherseits als Krieg gegen das reaktionäre Zarentum hinzustellen und
zu popularisieren.
Der Kampf der Parteilinken
Julian Marchlewski kennzeichnete seinen Eindruck, den er mit Rosa Luxemburg und
Franz Mehring teilte, im Dezember 1913 mit den Worten: «…wir drei … sind der
Auffassung, dass die Partei eine innere Krise durchmacht. Viel, viel schwerer, als zu
jener Zeit, da der Revisionismus aufkam.»2 Die Führer der Linken gaben sich
allerdings auch einigen Illusionen hin, darunter der Illusion, dass die spontane
Aktion der Massen die Mängel der Führung ausgleichen würde. Sie fetischierten die
Einheit der Partei und vernachlässigten die Arbeiten zur organisatorischen
Zusammenfassung aller revolutionären Kräfte und zur Durchführung des
vollständigen (organisatorischen usw.) Bruchs mit den rechten Opportunisten und
dem Zentrum.
Die proletarische Frauenbewegung und die Arbeiterjugend-Bewegung im
Kampf gegen Militarismus und Krieg
Einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der revolutionären Kräfte in
Deutschland und in vielen anderen Ländern hatten die aufkommenden Bewegungen
der Frauen und der Arbeiterjugend. Unter massgebendem Einfluss Klara Zetkins
bzw. Karl Liebknechts wurden am Internationalen Sozialistenkongress zu Stuttgart
1907 sowohl die Frauen-Internationale wie die Jugend-Internationale gegründet. Die
Frauenbewegung wuchs rasch an und entfaltete in vielen Ländern eine grosse
Aktivität im Kampf gegen den Krieg.
Der Stuttgarter Kongress bestätigte die Selbständigkeit der Sozialistischen JugendInternationale und wies darauf hin, dass die Jugend praktisch im und zum
Klassenkampf erzogen werden muss, darunter im Kampf gegen den Militarismus.
Die Stuttgarter Beschlüsse bedeuteten eine Niederlage der Opportunisten, die
bestrebt waren, die Aktivitäten der Jugendbewegung auf Fragen der
Allgemeinbildung und ähnliches zu beschränken. Nach Erscheinen seines Buchs
“Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der
internationalen Jugendbewegung” (1907) wurde der junge Liebknecht zu einem
Hauptangriffsziel der reaktionären Justiz. Er wurde zu anderthalb Jahren
Festungshaft verurteilt. Nach seiner Wahl in den Reichstag 1912 trat er dort den
Kriegstreibern mutig entgegen und zog ihren erbitterten Hass auf sich. Die
Jugendbewegung widmete sich besonders dem Kampf gegen den Militarismus. Im
Deutschen Reich und anderen Staaten wurde den Parteien die Aufnahme von
Jugendlichen vor dem Wehrdienstalter verboten. Damit sollte der Einfluss der
Arbeiterparteien auf die Jugend beschnitten werden. Aber die proletarische Jugend
durchkreuzte das Kalkül der Regierenden ging aber nicht auf. Sie bildete
selbständige Arbeiterjugendverbände, die dann erst recht zu Bastionen des
Antimilitarismus wurden. Schon 1908 erliess der Reichstag ein Gesetz, das
praktisch zur Auflösung der Jugendverbände führte. Den rechten SPD-Führern kam
diese Auflösung entgegen. Anstelle der selbständigen Jugendverbände traten nun
SPD-“Jugendkommissionen” zur Bevormundung der Arbeiterjugend nach dem Motto
des Gewerkschaftsführers Legien, der zum Thema sagte, man müsse der Jugend
ihre Jugendjahre erhalten, sie nicht mit schwierigen Fragen ermüden, sondern ihre
körperliche Tüchtigkeit fördern. Ähnliche Entwicklungen machte die Frage auch in
vielen anderen Staaten. Diese Vorgänge und die gesamte Rechtstendenz der
meisten Parteien der Internationale führten in mehreren Ländern zum Erstarken des
Anarchismus in der Arbeiterjugend, so auch in der Schweiz, wo die
Jugendorganisation ihre Existenz und Selbständigkeit bewahren konnte. Anarchosyndikalistische Tendenzen erschwerten hier wie auch in Frankreich und Italien den
späteren Übergang der Arbeiterjugend zum Marxismus-Leninismus.
_________
Fussnoten:
1
Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei
Deutschlands, abgehalten zu Nürnberg vom 13. bis 19. September 1908, Berlin
1908, S. 288; zitiert nach: Die Geschichte der Zweiten Internationale … (s. Fussnote
2
), S. 167
2
Akademie der Wissenschaften der UdSSR (Hg.), Die Geschichte der Zweiten
Internationale, Moskau (Progress) 1966, Band II, S. 176
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