Informationsmaterial zur Sonderausstellung „Displaced Persons

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Informationsmaterial zur Sonderausstellung
„Displaced Persons. Überlebende des Holocaust 1938 – 1951“
für Lehrerinnen und Lehrer
Hinweis: Die Ausstellung ist zweisprachig (Deutsch – Englisch)
Stand: September 2014
Informationsmaterial zur Sonderausstellung „Displaced Persons. Überlebende des Holocaust, 1938 – 1951“
© Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven
Vervielfältigung – auch auszugsweise – nicht gestattet!
Inhaltsverzeichnis
1.
Einführungstext zur Sonderausstellung: „Displaced Persons. Überlebende des Holocaust
1938 – 1951“
2.
Der Fotozyklus „Displaced Persons” von Clemens Kalischer
3.
Die Verwendung des Begriffs „Holocaust“
4.
Bremerhaven – Port of Embarkation
5.
Historische Hintergrundinformationen
5.1 Kriegsplanung – Verschleppung
5.2 Erstes Lager
5.3 Befreiung – Displacement
5.4 Zweites Lager
5.5 Repatriierung
5.6 Resettlement
5.7 Neuanfang – Displacement
6.
Biographien von Überlebenden des Holocaust
6.1 Eugeniusz Ladzinski
6.2 Jürgen Bassfreund
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© Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven
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1.
Einführungstext zur Sonderausstellung:
„Displaced Persons. Überlebende des Holocaust 1938 – 1951“
Sie wurden aus ihrem Leben gerissen, deportiert und verschleppt. Als Zwangsarbeiter jahrelang
ausgebeutet. Nach Kriegsende im Mai 1945 waren sie „displaced”: eben nicht dort, wo sie
eigentlich hingehörten. Waren seelisch zutiefst verletzt, körperlich am Ende. Sie waren die Überlebenden des Holocaust. Um welchen Preis sie das mörderische deutsche nationalsozialistische
System überlebt hatten, behielten die meisten für sich: Spielte der Zufall eine Rolle? Hatte man
das eine oder andere Mal einen Mithäftling zur Seite gedrückt? Besaß man besondere Talente, die
die Nationalsozialisten schätzten? Auch das eine jahrelange Qual, eine Folge der perfiden
nationalsozialistischen Methoden: das schlechte Gewissen der Überlebenden. Und egal wie
nebenbei oder bewusst sie ihren Kindern und Enkeln von ihren grauenvollen Erlebnissen erzählten: Sie konnten diese nicht davor schützen, darunter zu leiden, was ihren Eltern und Großeltern
angetan worden war. So bleibt der Holocaust bis heute in vielen Familien Teil ihrer Geschichte.
Die Ausstellung:
Über acht Millionen Displaced Persons befanden sich im Mai 1945 auf dem Gebiet der heutigen
Bundesrepublik. „Wie kann sich eine Ausstellung so vielen Menschen widmen?”, fragten sich die
Kuratoren des Deutschen Auswandererhauses. Nach vielen Diskussionen stand am Ende eine
Ausstellung aus drei Teilen:
 Informationstexte und Dokumente vermitteln historische Hintergründe von der Besetzung der
Tschechoslowakei 1938 bis zum bundesdeutschen „Gesetz über die Rechtstellung heimatloser
Ausländer” 1951.
 Die einzigartigen Fotografien des Künstlers Clemens Kalischer von 1947/48, selbst ein
Überlebender der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, zeigen die Ankunft von Resettleten
in New York.
 Familiengeschichten erzählen Lebenswege von Überlebenden und ihren Kindern.
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2.
Der Fotozyklus „Displaced Persons” von Clemens Kalischer
1947 beginnt der 26-jährige Fotograf Clemens Kalischer ein sehr persönliches Projekt: Immer
wieder geht er zu den Pieranlagen an der Südspitze Manhattans; dorthin, wo die Schiffe mit
Displaced Persons landen. Zwei Jahre lang fotografiert er Überlebende des Holocaust, die in die
USA einwandern. Er sieht seine eigene Geschichte in ihnen, auch er ist ein Überlebender: 1933
emigriert er mit zwölf Jahren mit seiner jüdischen Familie von Berlin nach Paris. 1939 kommt er
bei Kriegsausbruch als „feindlicher Ausländer” in ein französisches Internierungslager, wird als
Zwangsarbeiter ausgebeutet. 1942 gelingt seiner Familie dank des amerikanischen Emergency
Rescue Committee, bekannt auch als „Varian-Fry-Organisation”, die Flucht in die USA. Die
Entstehung des Fotozyklus „Displaced Persons” fällt mit dem Beginn der Karriere des Fotografen
Clemens Kalischer zusammen: Künftig arbeitet er für die großen US-amerikanischen Zeitungen
und Magazine und verwirklicht zahlreiche eigene Foto- und Ausstellungsprojekte.
3.
Die Verwendung des Begriffs „Holocaust“
Als „Holocaust“ bezeichnet man heute nicht nur den planmäßigen Völkermord an mindestens
sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten, sondern der Begriff bezieht auch die systematische Ermordung von vielen nichtjüdischen Gruppen, wie z.B. Sinti und Roma, Homosexuellen,
Behinderten, polnischen Intellektuellen, Sowjets usw. mit ein.
Die Juden selber benutzen den Begriff „Holocaust“ in der Regel nicht, sondern stattdessen
„Shoah“. Das griechische Wort holókaustos (= „vollständig verbrannt“) bezog sich auf die in der
Antike verbreitete religiöse Praxis der Verbrennung von Tieren als Opfer. Das Wort „Holocaust“
betont nach Ansicht vieler Juden zu sehr die Opferrolle der Ermordeten und impliziert einen
positiven religiösen Sinn des Geschehens.
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4. Bremerhaven – Port of Embarkation
Am 21. Oktober 1948 verlässt die „General Wm. M. Black“ als erster DP-Transport Bremerhaven in
Richtung New York. Die Verschiffung der Displaced Persons erfolgt fast ausschließlich über die
Stadt an der Wesermündung. Mehr als 550.000 Displaced Persons verlassen bis 1951 von hier aus
Deutschland. Die Stadt erhält schnell den Beinamen „port of embarkation“ – Hafen der Einschiffung und ist der bedeutendste Einschiffungshafen für die Überlebenden des Holocaust.
5.
Historische Hintergrundinformationen
Die historischen Hintergrundinformationen zur Geschichte der Displaced Persons sind in sieben
Kapitel unterteilt. Die ersten vier Kapitel stellen Lebensstationen dar, die fast alle Displaced
Persons zwischen 1938 und 1944/45 durchlebten: Verschleppung, erstes Lager, Befreiung und
zweites Lager. Nach diesem zweiten Lager teilen sich die Erfahrungen, die Displaced Persons
machten. Die Mehrheit erlebte von 1944 bis 1947 die Repatriierung, die Verbliebenen ab 1947 das
Resettlement. Im Folgenden finden Sie eine kurze Einführung zu den einzelnen Themen, die in der
Ausstellung zu sehen sind und jeweils durch Blätterbücher ergänzt werden.
5.1 Kriegsplanung – Verschleppung
Das nationalsozialistische Deutschland plant den Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945) von Beginn an
als Raub- und Vernichtungskrieg. Der Vernichtungskrieg setzt die nationalsozialistische Ideologie
um, nach der die Juden ausgerottet werden müssen, weil sie angeblich eine Gefahr darstellen:
Rund sechs Millionen europäische Juden werden in den Vernichtungslagern ermordet. Andere
werden vor allem als nicht lebenswert definiert: Homosexuelle, Behinderte und bestimmte
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Nationen und Ethnien wie die russische Bevölkerung. Rund drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene überlässt man in den Lagern dem Hunger- oder Kältetod. Der Raubkrieg zielt neben
den Rohstoffen auf die Menschen in den besetzten Ländern, die zum Überleben der eigenen
Kriegswirtschaft gebraucht werden. Über 13 Millionen beutet man als Zwangsarbeiter aus.
Zunächst werden Zivilisten aus ihren Heimatländern ins Deutsche Reich verschleppt. Als die
militärischen Niederlagen sich häufen, wird die eigene Ideologie irrelevant: Nun werden auch
Juden und Russen zu Zwangsarbeitern.
5.2 Erstes Lager
Im Deutschen Reich und den von ihm besetzten Ländern bauen insbesondere die SS und die
Wehrmacht ein System von Lagern auf. In den Vernichtungslagern findet vor allem der planmäßige Völkermord an den europäischen Juden statt. In den Konzentrationslagern und den
dazugehörigen Außenlagern setzt man die Inhaftierten profitabel zur Zwangsarbeit ein. Ein KZInsasse leistet oft in verschiedenen Lagern Zwangsarbeit, bevor er ins Vernichtungslager kommt.
Zur Zwangsarbeit werden auch die in den Ghettos internierten Juden verpflichtet. Zusätzlich gibt
es Kriegsgefangenenlager und Zivilarbeiterlager für die aus ihren Heimatländern verschleppten
nicht-jüdischen Zwangsarbeiter. Schätzungen zufolge entstehen allein im Deutschen Reich mehr
als 20.000 Zwangsarbeiterlager. Zwangsarbeiter werden überall eingesetzt: im Bergbau, in der
Industrie, in der Land- und Forstwirtschaft, in den Kommunalbetrieben, im Handwerk, aber auch
in Privathaushalten. Praktisch jeder Deutsche sieht, wenn nicht täglich, so doch immer wieder
Zwangsarbeiter.
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5.3 Befreiung – Displacement
In den über Europa verstreuten Lagern sehen die Inhaftierten unruhig ihrer Befreiung entgegen.
Seit der Landung der alliierten Truppen in der Normandie im Juni 1944 und dem Vormarsch der
sowjetischen Armee rückt die Befreiung näher. Mit jedem Gebiet, das die Alliierten dabei unter
ihre Kontrolle bringen, fallen mehr Deportierte und Verschleppte in ihre Obhut, die zu versorgen
sind. Für das Supreme Headquarter of the Allied Expeditionary Forces (SHAEF) kommt es zunächst
jedoch darauf an, dass die militärischen Operationen nicht durch diese „Displaced Persons“
beeinträchtigt werden. Entgegen den Erwartungen des SHAEF zeigen sich aber nicht alle von
ihnen gewillt, erst abzuwarten, bis die Alliierten das vorgesehene Repatriierungsprogramm
organisiert haben – viele machen sich in einem Akt der Selbstrepatriierung auf den Weg zu ihrem
Herkunftsort. Als das SHAEF am Tag der deutschen Kapitulation, dem 8. Mai 1945, die Armee
anweist, mit der Einstellung der Kriegshandlungen nun auch die Planungen zu verwirklichen, sind
mehr als zehn Millionen Menschen in Europa davon betroffen.
5.4 Zweites Lager
Das „Memorandum No. 39” des Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) vom
April 1945 regelt den Umgang mit Displaced Persons nach Kriegsende. Es vervollständigt den
„Outline Plan”, den die alliierten Streitkräfte bereits im Juni 1944 erarbeiten. Dieser sieht vor,
dass die Displaced Persons vorübergehend in „Assembly Centers” (Sammelzentren)
untergebracht werden. Dass die Wahl auf Lagern oder Kasernen fällt, hat vor allem
ordnungspolitische Gründe. Die ersten Auffanglager richtet das SHAEF bereits im Winter 1944/45
in Frankreich ein. Anfang Mai 1945 wird in Landsberg am Lech die ehemalige Saarburgkaserne zu
einem der ersten DP-Lager im befreiten Deutschland umfunktioniert. Für die Verwaltung jedes
„Assembly Centers” beauftragt das SHAEF ein Team der United Nations Relief and Rehabilitation
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Administration (UNRRA). Eine weitere wichtige Rolle für die Betreuung der Displaced Persons in
den Lagern spielen jüdische Hilfsorganisationen wie das American Joint Distribution Committee
(AJDC) und die Organization for Rehabilitation through Training (ORT). 1957 wird „Föhrenwald”
als letztes DP-Lager in der US-amerikanischen Besatzungszone aufgelöst.
5.5 Repatriierung 1
Oberstes Ziel der Alliierten und der sie unterstützenden Hilfsorganisationen ist die zügige und
vollständige Repatriierung der rund acht Millionen Displaced Persons aus den vier Besatzungszonen. Trotz der riesigen logistischen Herausforderungen können bis September 1945 fünf
Millionen Menschen in ihre alte Heimat zurückgebracht werden. Die meisten gehen freiwillig. Als
jedoch die osteuropäischen Displaced Persons sehen, wie Polen, Ungarn, Rumänien und die
Tschechoslowakei unter kommunistischen Einfluss geraten, sinkt ihre Rückkehrbereitschaft. Die
Balten sollen die russische Staatsbürgerschaft erhalten, fühlen sich aber als Esten, Litauer und
Letten. Ganz schwarz sehen die russischen Displaced Persons ihre Zukunft: Sie hören, dass ihre
Landsleute, sobald sie die Grenzen überschreiten, als Landesverräter in die Gulags, die sowjetischen Arbeitslager, geschickt oder erschossen werden. Sie wollen nicht mehr zurückkehren. Aber
aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion werden sie
zwangsrepatriiert.
__________
1
Lat.: re = zurück, patria = Vaterland
5.6 Resettlement 2
Ende 1945 befinden sich unter den in den drei westlichen Besatzungszonen noch verbliebenen
etwa 1,7 Millionen Displaced Persons immer weniger, die in ihre alte Heimat zurückkehren
möchten. Es sind vor allem Osteuropäer, die nicht in die Herrschaftssphäre der sowjetischen
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Diktatur geraten wollen. Die westlichen Alliierten ändern nun ihre DP-Politik: Die für die
Repatriierung zuständige United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) wird
aufgelöst und im Dezember 1946 gründen die Vereinten Nationen die Nachfolgeorganisation, die
International Refugee Organization (IRO). Die IRO bietet zur Repatriierung eine Alternative an:
Resettlement – die Neuansiedlung in einem aufnahmebereiten Land. Dies wird möglich, da sich
die Sowjetunion und die in ihrem Machtbereich befindlichen osteuropäischen Staaten nicht an
der Gründung beteiligen. Vielen Displaced Persons geben die Auswanderungsprogramme der IRO
eine neue Perspektive: Bis 1951 wandern rund 712.000 aus – über 550.000 davon über
Bremerhaven. Hauptzielländer sind die USA, Australien und Israel. Als die Westalliierten am 30.
Juni 1950 die Verantwortung an die Bundesregierung übergeben, halten sich noch rund 150.000
Displaced Persons in Westdeutschland auf. Diese „heimatlosen Ausländer“ dürfen nicht
auswandern, weil sie zu alt, krank oder arbeitsunfähig sind.
__________
2
Engl.: re = erneut, to settle = niederlassen
5.7 Neuanfang – Displacement
Als am 20. Mai 1946 der US-amerikanische Dampfer „Marine Flasher“ mit 900 Displaced Persons
in den New Yorker Hafen einläuft, stehen Tausende bereit, um der Ankunft dieses ersten DPTransports in die USA beizuwohnen. Die große mediale Reaktion fällt positiv aus – und doch
braucht es noch zwei Jahre, bis im Juni 1948 nach langen Debatten der Displaced Persons Act in
Kraft tritt. Zusammen mit seiner Ergänzung 1950 ermöglicht er es 405.000 Displaced Persons,
außerhalb der geltenden Einwanderungsgesetze in die USA einzureisen. Vergleichbare
Regelungen gibt es in anderen Ländern wie Kanada oder Australien. Seit der Gründung des
Staates Israel im Mai 1948 steht jüdischen Displaced Persons zudem die unbeschränkte
Auswanderung dorthin offen. Nach der Ankunft werden die Neuankömmlinge durch
Wohlfahrtsorganisationen auf ihrem Weg in die neue Gesellschaft begleitet. Auch wenn es den
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meisten gelingt, sich fest anzusiedeln und Arbeit zu finden – für die Erzählung ihres Lebens und
Überlebens interessiert sich jahrzehntelang kaum jemand. In ihrer Sprachlosigkeit bleiben die
Überlebenden des Holocaust Displaced Persons.
6. Biographien von Überlebenden des Holocaust
Die Biographien des polnischen Kriegsgefangenen Eugeniusz Ladzinski und des deutschen KZHäftlings Jürgen Bassfreund sind zwei von insgesamt 13 Biographien von Überlebenden des
Holocaust, die in der Sonderausstellung gezeigt werden.
6.1 Eugeniusz Ladzinski
Eugeniusz ist gerade zwanzig, als die Deutschen im September 1939 Polen besetzen. Als die
Wehrmacht vor seiner Tür steht, gelingt dem polnischen Soldaten zunächst die Flucht. Kurz darauf
wird er jedoch gefangen genommen und zur Zwangsarbeit nach Westfalen deportiert. Nach dem
Krieg lernt Eugeniusz die Schneiderin Anna kennen und die beiden heiraten 1949 in Rheda. Doch
weder er noch seine deutsche Frau wollen in Europa leben. Annas Familie ist gegen die
Beziehung, Eugeniusz möchte nicht ins kommunistische Polen zurück. Das ResettlementProgramm der International Refugee Organization (IRO) ermöglicht ihm und seiner Frau im
November 1950 den Neuanfang in Australien. Hier werden seine fünf Kinder geboren und er
nimmt 1959 die australische Staatsangehörigkeit an. In einer kleinen Bibel, die er zur
Einbürgerung bekommt, bewahrt er die Geburtsbescheinigungen seiner Zwillinge Maria Teresa
und John auf. Da der Kontakt zu seiner polnischen Familie fast vollständig abgerissen ist, bedeutet
ihm die eigene Familie alles. 2011 stirbt Eugeniusz im Alter von 92 Jahren in Perth.
Der Kontakt zwischen Ursula Ladzinski und dem Deutschen Auswandererhaus besteht seit 2012. Die
Tochter des ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen Eugeniusz Ladzinski ist Historikerin und
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© Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven
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erforscht die Geschichte von Auswanderern in Australien und die Wirkung von Migration
insbesondere für Flüchtlingsfamilien. Zuletzt reiste sie im Juni 2014 nach Deutschland, um ihre
Verwandtschaft mütterlicherseits, die in Nordrhein-Westfalen lebt, zu besuchen. Auf dieser Reise
war sie auch zu Gast im Deutschen Auswandererhaus.
6.2 Jürgen Bassfreund
„Also in Auschwitz wurden wir ausgeladen aus diesen Wagons [...] von SS-Leuten, die mit
Spazierstöcken außer ihren Gewehren bewaffnet waren und man fing an, auf uns einzuschlagen
und [...] dann wurden wir auf große Lastwagen verladen und wurden nach Buna gebracht [...] ein
Nebenkonzentrationslager von Auschwitz selbst, [...] damals plante dort die I.G. Farben, eine
synthetische Gummi- und Benzinfabrik zu errichten. Und wir wurden damals zu diesen Arbeiten
genommen. Also zuerst, als ich ankam, es war Nacht, wurden wir wieder geschlagen und dann
mussten wir stehen bis morgens um fünf Uhr. Das war ein sogenannter Lagerältester [...] ein
Berufsverbrecher [...] kein Jude. [...] Ich erinnere mich noch, dass der Vater eines meiner
Kollegen damals von ihm an einen Ofen gedrückt wurde, an eine Heizung und dass er sich ein
ganzes Loch aus dem Bein rausgebrannt hat.” 3
Jürgen Bassfreund wurde am 20. September 1946 von dem US-Psychologen David P. Boder in
München interviewt. Boder hat zwischen 1946 und 1951 mit insgesamt 119 Displaced Persons aus 18
europäischen Nationen gesprochen. Die Interviews wurden in der Muttersprache der Interviewten
geführt und von Boder ins Englische übersetzt.
Jürgen Bassfreund wird 1943 von Deutschland nach Ausschwitz deportiert, gelangt mit einem der
Todesmärschen nach Dachau, von dort wird er nach Mühldorf transportiert, wo er am 2. Mai 1945
von US-Amerikanern befreit wird. Zur Zeit des Interviews hatte er seine Auswanderung in die USA
bereits geplant.
__________
3
YIVO, 51535, Vol. II (www.voices.iit.edu)
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