Warum am Markt vorbei entwickelt wird

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Warum am Markt vorbei entwickelt wird
Zielgruppen-Marketing für Investitionsgüter
Jürgen Buesen*, JBP Produktmarketing, Dielsdorf
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der HandelsZeitung Fachverlag AG
Redaktion io management 5/1997, Seestrasse 37 Zürich
Beim Zielgruppen-Marketing geht es darum, sich an den wichtigsten Elementen
des Marktes auszurichten: den Kunden und den von Ihnen gewünschten
Produkten. Der Begriff "Zielgruppen-Marketing" wird zwar zunehmend zum
Modewort. Trotzdem sind Unternehmen, die dieses Zielgruppen-Marketing
konsequent betreiben, leider die Ausnahme, besonders im Investitionsgütersektor.
Es stimmt nachdenklich, wenn die Ursachen für Hiobsbotschaften aus der Schweizer
Industrie entweder der globalen Wirtschaftssituation zugeordnet oder pauschal den
Führungspersonen angelastet werden. Es gibt nämlich (Ausnahme-) Unternehmen, die trotz
allgemeiner Rezession erstaunliche Markterfolge und stetiges Wachstum vorweisen. Was
machen aber diese Unternehmen, wie beispielsweise die erfolgreiche ESEC in Cham anders
als die anderen?
Auch bei ESEC entwickeln qualifizierte Ingenieure und Spezialisten Maschinen für einen
Nischenmarkt - wie das andere angesehene Schweizer Hersteller im schwer geprüften
Maschinenbau auch tun. Einer der wesentlichen Unterschiede ist allerdings, dass
Verbesserungen, Weiterentwicklung und neue Maschinen in enger Zusammenarbeit mit
Schlüsselkunden entstehen. Wenn Produkteigenschaften und Kosten den Vorstellungen und
Forderungen der wichtigsten ESEC-Kunden entsprechen, finden sich zwangsläufig im
gesamten Markt weitere potentielle Käufer.
Erfolgreiche Produktivität
Es wäre zu einfach, ein einzelnes Vorgehensprinzip - der potentielle Käufer bestimmt die
Eigenschaften der Produkte - als Rezept für langfristigen Erfolg von Unternehmen im
Investitionsgütermarkt anzupreisen. Auch die Anpassung und der Umbau der internen
Strukturen - nicht ihr Abbau - sind weitere wesentliche Voraussetzungen für erfolgreiche
Produktpolitik und zielorientiertes Produkt-Marketing.
Die weltbekannte US-Firma Hewlett-Packard, tätig im Elektronik- und Computerbereich, hat
die Notwendigkeit dieser Anpassung vor etwa 25 Jahren erkannt. Sie war ursprünglich ein
Unternehmen, in dem hervorragende Entwicklungs-Ingenieure technisch anspruchsvolle
Geräte für die Messtechnik, Medizin und Analytik definierten und entwickelten. Die
Marketing-Abteilung in einer einzelnen "Division" (weltweit verantwortliches Profitcenter für
eine Produktlinie) hatte die Funktion einer Schnittstelle zur separaten weltweiten
Vertriebsorganisation.
Abb. 1 Prinzip Produkt-Marketing / Markt
Veränderungen am Markt erzwangen einen
Wechsel der Unternehmensphilosophie von einer
"Engineering driven" zu einer "Marketing driven"
Ausrichtung. Dabei wurden die Aufgaben des
Marketing unter dem Begriff "Produkt-Marketing
Management" neu definiert und unmittelbar in den
Zielmärkten betrieben. Das heisst, der ProduktMarketing Manager bestimmt die Entwicklung
neuer Produkte auf der Grundlage persönlicher
Kontakte
mit
Schlüsselkunden,
endgültige
Spezifikationen werden zwischen ihm und den
Entwicklungsgruppen
abgestimmt.
Während
bestimmter Entwicklungsphasen werden die
Schlüsselkunden weiter kontaktiert, wodurch sie
konkreten Einfluss auf die endgültigen Produkte
sowie auf das gesamte Sortiment haben. Das
Ergebnis waren und sind marktgerechte Produkte,
zutreffende Planungs- und Verkaufszahlen und
entsprechende Gewinne. Der Umsatz stieg in 25
Jahren um den Faktor 100 von 256 Mio$ auf 25,6
Mia$ (1995), Hewlett Packard gehört damit zu den
typischen Investitionsfirmen für Anleger.
Ein analoges Beispiel ist der Halbleiterhersteller INTEL. Während in den Turbulenzen der
Marktveränderungen selbst die Wegbereiter von Halbleiter-Technologien vom Markt
verschwanden (z.B. Fairchild, Mostek), entwickelte sich INTEL zum Marktführer bei
Mikroprozessoren und Mikrocontrollern. INTEL verfügt über eine ähnliche Organisationsstruktur wie Hewlett-Packard, die Zusammenarbeit mit den Käufern der zukünftigen Produkte
ist allerdings noch intensiver.
Unternehmenskultur und Marketing
Eine der ältesten Spielregeln des Marketing lautet: Der Kunde bestimmt, ob sich ein neues
Produkt auch erfolgreich verkaufen lässt, der Kunde zahlt letztlich die Löhne der Mitarbeiter
und Manager sowie den Gewinn des Unternehmens. Warum ist es denn so schwierig, diese
Regel in die Praxis umzusetzen? Dafür gibt es prinzipiell drei Ursachen, die in einem
kausalen Zusammenhang stehen: die Unternehmenskultur, das Verständnis von Marketing
und die damit verbundene Organisationsstruktur.
Bei nicht kundenorientierten Unternehmen bestimmt die Unternehmenskultur Hierarchien
und Organisationsstrukturen. Daraus ergeben sich Firmenziele oder Sachzwänge, die die
Produktpolitik bestimmen oder beeinflussen. Für neu entwickelte Produkte finden sich dann
aus den unterschiedlichsten Gründen zu wenig potentielle Käufer oder es werden neue
Wachstumssegmente im Markt ignoriert. Die Unternehmen versuchen, durch den MarketingMix diese Defizite zu kompensieren (Abb.1).
Bei den erfolgreichen Unternehmen verläuft die Kausalkette in umgekehrter Richtung: Die
konsequente Ausrichtung auf Zielgruppen und -märkte bestimmt unmittelbar Produktpolitik
und Marketingstrategien (Abb.2). Anpassung und Veränderungen der Organisation und der
Unternehmenskultur erfolgen beinahe zwangsläufig.
Das Verständnis für (Zielgruppen-) Marketing
ist ein Kernproblem vieler Unternehmen im
Investitionsgüterbereich: Wie lassen sich
theoretische
Begriffe
der
MarketingWissenschaften in die Praxis umsetzen?
Falsche Auslegung der Begriffe führt zu
Problemen bei der Umsetzung. Vor allem die
Gleichsetzung oder Vermischung von Verkauf
und Marketing ist eine der Ursachen dafür,
dass Massnahmendenken (Verkauf) und nicht
Zieldenken (Kundenwünsche und Produktpolitik) vorherrschen.
Es ist aber auch denkbar, dass Marktforschung zu selten betrieben wird, um
Kundenwünsche in entsprechende Produkte
umzusetzen. Ein typisches Beispiel für den
privaten Investitionsgütersektor sind Autos.
Die Meinung der Käufer und Kunden ist zwar
gefragt - bei diversen Fragebögen geht es
jedoch hauptsächlich um die Qualität der Garagen. Wünsche, Bedürfnisse und
Anforderungen der Kunden an die Eigenschaften der Autos legen bei europäischen
Fabrikaten anscheinend die Verantwortlichen in den Chefetagen fest. Die Hersteller aus
Japan gehen offensichtlich anders vor: Ihr Zielgruppen-Marketing und die konsequente
Umsetzung von Kundenwünschen macht sie zum Trendsetter bei der Ausstattung der
Fahrzeuge und bei neuartigen Automobilen.
Abb.2 Prinzip Zielgruppen-Marketing / Markt
Ein weiteres Beispiel ist im Computersektor zu finden. Vor einigen Jahren gab es zwei
(inzwischen leider vom Markt verschwundene ) Hersteller eines Computertyps, der auch
unter der Bezeichnung "Volkscomputer" starke Verbreitung fand. Textverarbeitung, Grafik,
Spiele und Klang waren seine Stärken, nutzen konnte man ihn ohne umfangreiches Studium,
die Anwender-Software war auch für Einsteiger leicht zu beherrschen.
Heute sieht dies anders aus. Der PC und die damit verbundene marktbeherrschende
Software verfügt über Eigenschaften, die ein professioneller Anwender oder ein erfahrener
Benutzer dankbar entgegennimmt. Der Normalverbraucher ist aber meistens völlig
überfordert. Er benötigt aufwendige Schulung und intensive Praxis (es wäre interessant zu
wissen, wie viele dieser PC- Computersysteme mehr oder weniger ungenutzt bleiben).
Für den überforderten Käufer sind mit Schulungen die Probleme nicht gelöst, aber es gibt
keine Alternative. Statt ständig neue Anwendungssoftware mit immer mehr Leistung und
immer mehr Möglichkeiten ist ein völlig andersartiges Bedienungskonzept gefordert, das den
Anwender nicht überfordert und trotzdem seine Bedürfnisse befriedigt. Konsequentes
Zielgruppenmarketing scheint im Computersektor nicht betrieben zu werden. Sonst müsste
ein moderner Volkscomputer mit benutzerfreundlicher Anwendungssoftware für den
Normalverbraucher längst verfügbar sein.
Während bei Nahrungs- und Genussgütern die Möglichkeit besteht, mit entsprechend hohem
Aufwand ein Kundenbedürfnis für neue Produkte zu entwickeln, ist dies im
Investitionsgüterbereich fast ausgeschlossen. Besonders problematisch wird es, wenn die
starke Position eines Wettbewerbers in einem spezifischen Marktsegment der Anlass für
Neuentwicklungen oder sogar Diversifikationsstrategien ist. Statt einer Stärkung der eigenen
Marktposition resultieren Schwierigkeiten, die von der Schwächung der eigenen Ressourcen
bis zur ausgewachsenen Unternehmenskrise reichen.
Die Marketing-Organisation
Für die erfolgreiche Durchführung des Zielgruppen-Marketing (Zielmärkte und Kunden
bestimmen die Unternehmenspolitik) sind Anpassungen der Organisationsstruktur zwingend
notwendig. Aufgaben und Pflichten, Kompetenzen und Verantwortung sind neu zu definieren
und zuzuordnen. Hier liegt die Schwachstelle bestehender, vermeintlich angepasster
Organisationsformen.
Der Verkauf setzt sich mit Verkaufszahlen, Verkaufsstrategien und einem möglichst hohen
Pro-Kopf Umsatz auseinander. Die Entwicklung hat wieder andere Zielsetzungen und
Aufgaben: Erlernen und Anwenden modernster Technologien bei Neuentwicklungen, ihre
kostengünstige Herstellung, Einhaltung von Pflichtenheften und Entwicklungszeiten sind nur
einige Beispiele.
In einer Matrix-Organisation findet sich häufig der Produkt-Manager bzw. ProduktlinienManager. Er ist ausser für das Produkt-Marketing auch noch für Verkauf und Produktentwicklung verantwortlich. Zur erfolgreichen Erfüllung dieser Aufgaben ist ein
Universalgenie mit Talenten in Verkauf, Technik, Technologie, Produkt-Marketing, Betriebswirtschaft und Psychologie zur erfolgreichen Führung und Motivierung der unterstellten
Mitarbeiter erforderlich (Abb.3).
Abb. 3 Hierarchische Organisation und Schnittstelle zum Markt
Aber wo bleibt der
Bereich,
der
sich
kompetent und verantwortlich mit den Kunden
und ihren Wünschen in
den Zielmärkten auseinandersetzt, mit zukünftigen Produktstrategien,
den Veränderungen im
Markt
und
den
möglichen Auswirkungen auf das gesamte
Unternehmen?
Oft
werden die Grundlagen
für
diese
wichtige
Information gar nicht
erarbeitet.
Wird dieses Defizit festgestellt, kann man noch eine Marktuntersuchung in Auftrag geben
oder sie kaufen. Die Qualität solcher Studien kann aber sehr unterschiedlich sein (gute sind
sehr teuer) und letztlich ist die gewonnene Information auch noch zielorientiert umzusetzen.
In Abhängigkeit von der Organisationsstruktur sind dafür das obere Management oder der
Marketing- und Verkaufsleiter verantwortlich. Er wird üblicherweise am Verkaufserfolg
gemessen und ist mit dieser Aufgabe im Normalfall voll beschäftigt.
Es fehlt also der fachlich kompetente Verantwortliche für Zielmärkte, Kunden und Produkte der Produkt-Marketing-Manager. Seine Tätigkeit kann nur dann erfolgreich sein, wenn er
auch über Kompetenzen verfügt, die der Bedeutung seiner Aufgabe entsprechen. In den
meisten Fällen ist dazu eine Veränderung bestehender Hierarchie- und
Organisationsstrukturen zwingend erforderlich.
Ausserdem ist die Aufgabe des Produkt-Marketing-Managers ein full-time job, er trägt im
Team mit der Entwicklung die volle Verantwortung für Produkt- und Sortimentsgestaltung
und bestimmt damit konkret die Unternehmenspolitik. Verkauf und Produktion haben eine
Dienstleistungsfunktion im eigenen Unternehmen, ihre Strukturen werden an die Bedürfnisse
von Zielmärkten und Kunden angepasst.
Ausrichtung auf die Zielmärkte
Ein weiteres Hindernis bei der Ausrichtung auf die Zielmärkte ist die fehlende innerbetriebliche Geschlossenheit von Produkt-Marketing, Vertrieb und Entwicklung.
Unzureichende Kommunikation und mangelndes gegenseitiges Verständnis für die
jeweiligen spezifischen Aufgaben und Bedürfnisse bewirken eine Fokussierung auf die
eigenen Bedürfnisse und Zielsetzungen. Die damit verbundene Isolation der Abteilungen
verhindert oder reduziert eine gemeinsame Orientierung auf Kunden und Zielmärkte.
Verstärkt wird dieser Prozess durch die Zuordnung von Verantwortung und Kompetenzen
auf Hierarchieebenen. Dies führt zur berühmten Suche nach dem oder den Schuldigen,
wenn geforderte Ziele nicht erreicht wurden. Die Konzentration auf die Beseitigung der
eigentlichen Sachprobleme tritt in den Hintergrund, dank mangelnder eigener Kompetenz ist
glücklicherweise "irgendjemand" verantwortlich.
Daher sind eine konsequent vertikal
ausgerichtete Unternehmensstruktur mit
(sehr) flachen Hierarchien sowie die
eindeutige Zuordnung von Sachkompetenzen essentielle Voraussetzungen für
eine erfolgreiche Ausrichtung auf Zielmärkte und Kunden. Nur in einem
solchen Umfeld lernen Mitarbeiter "Ihre"
Kunden und den Zielmarkt zu verstehen
und sich damit zu identifizieren (Abb. 4).
Werden alle drei Bedingungen erfüllt Neudefinition des Marketing, Information
über Markt und Kunden in allen
Bereichen eines Unternehmens und
Anpassung von Organisationsstruktur und
Hierarchieebenen - sind die wichtigsten
Voraussetzungen für die Ausrichtung des
Abb. 4 Markt und Umfeld
Unternehmens auf die Zielmärkte im
Investitionsgüterbereich geschaffen. Die
Spielregeln für diese unternehmerische Aufgabe werden offenbar bis heute durch Marketingund Betriebswirtschafts- Wissenschaften nicht aufgezeigt.
* Der Autor ist Partner der efsi AG und hat ein eigenständiges, praxisorientiertes Beratungs-,
Coaching- und Trainingskonzept für Zielgruppen-Marketing im Investitionsgüterbereich entwickelt. Es
beruht auf den Erfahrungen im Umfeld marktorientierter Unternehmenspolitik bei einem führenden
internationalen Unternehmen mit konsequenter Zielorientierung und nachweisbarem Markterfolg.
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